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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 20.03.2007
Aktenzeichen: 9 UF 167/06
Rechtsgebiete: SGB VIII


Vorschriften:

SGB VIII § 8a Abs. 3
Prüfungsmaßstab des Familiengerichts nach Erhebung einer Gefährdungsmittelung gemäß § 8a Abs 3 SGB VIII durch das Jugendamt.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT BESCHLUSS

9 UF 167/06

In der Familiensache

betreffend gerichtliche Maßnahmen nach § 1666 BGB für J. R., geboren am . Oktober 1998,

hat der 9. Zivilsenat - Senat für Familiensachen II - des Saarländischen Oberlandesgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Kockler und die Richterinnen am Oberlandesgericht Sandhöfer und Cronberger

am 20. März 2007

beschlossen:

Tenor:

I. Auf die Beschwerde des Stadtverbandes Saarbrücken, Jugendamt, wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - in Saarbrücken vom 23. November 2006 - 41 F 111/06 UG - aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Familiengericht in Saarbrücken zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

II. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die am . Oktober 1998 geborene J. R. ist - offensichtlich - die Tochter der Beteiligten zu 1) und 2). Die Kindesmutter war und ist mit dem Kindesvater nicht verheiratet. Das Kind lebt im Haushalt der Kindesmutter.

Im vorliegenden, auf Grund einer Gefährdungsmitteilung des beteiligten Jugendamtes nach § 8 a Abs. 3 SGB VIII vom 21. Februar 2006 eingeleiteten Verfahren hat das Jugendamt "beantragt", die Befugnis des Kindesvaters zum Umgang mit seiner Tochter J. auszuschließen.

Der Kindesvater hat auf Zurückweisung des "Antrags" angetragen und einen Vorschlag zur Regelung seines Umgangsrechts mit J. unterbreitet.

Durch Beschluss vom 7. April 2006 hat das Familiengericht im Wege vorläufiger Anordnung das Umgangsrecht des Kindesvaters mit J. vorübergehend ausgesetzt.

Durch den angefochtenen Beschluss, auf den Bezug genommen wird, hat das Familiengericht den "Antrag" des Jugendamtes den Umgang des Kindesvaters mit J. auszuschließen, zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Jugendamtes, mit der dieses nach wie vor den Ausschluss des Umgangs des Kindesvaters mit J. erstrebt.

Die Kindeseltern haben sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

II.

Die Beschwerde des Jugendamtes ist gemäß §§ 621 e Abs. 1, 621 Abs. 1 Nr. 1, 517, 520 ZPO zulässig. Bedenken hinsichtlich der Beschwerdeberechtigung (§§ 20, 64 Abs. 3 S. 3, 57 Abs. 1 Nr. 9 FGG) bestehen nicht. Die Beschwerde ist auch begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht zur erneuten Behandlung und Entscheidung.

Die angefochtene Entscheidung kann keinen Bestand haben, weil das Verfahren vor dem Familiengericht an wesentlichen Verfahrensmängeln leidet.

Verfahrensfehlerhaft hat sich das Familiengericht darauf beschränkt, den "Antrag" des Jugendamtes, die Befugnis des Kindesvaters zum Umgang mit seiner Tochter J. auszuschließen, zurückzuweisen, statt die gebotenen Anordnungen zur Abwehr von Gefährdungen des Kindeswohls zu treffen (vgl. hierzu: BGH, FamRZ 2005, 1471, FamRZ 1994, 158).

Insoweit hat das Familiengericht ersichtlich die Mitteilung des Jugendamtes nach § 8 a Abs. 3 SGB VIII als Antrag auf Regelung des Umgangsrechts des Kindes mit dem Kindesvater nach § 1684 BGB gewertet. Hierbei hat es verkannt, dass es sich - wie aus der Bezugnahme von § 8 a Abs. 3 SGB VIII eindeutig erkennbar - um eine Gefährdungsmitteilung handelte, die voraussetzt, dass das Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls des Kindes bekannt geworden sind und es deshalb das Tätigwerden des Familiengerichts für erforderlich hält. Die vom Familiengericht zu treffenden Maßnahmen bestimmen sich dann aber nach § 1666 BGB.

Auch hat das Familiengericht nicht beachtet, dass es im vorliegenden Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht an einen Antrag gebunden ist und dass einem gleichwohl formulierten Antrag nicht die Bedeutung zukommt, die die Zivilprozessordnung einem Sachantrag zumisst.

Vielmehr hätte das Familiengericht, wenn es die vom Jugendamt als geeignet und geboten angesehene Anordnung zur Gefahrenabwehr nicht treffen wollte, eine andere Regelung nicht außer Betracht lassen dürfen, weil sie nicht förmlich beantragt worden war. Dies gilt umso mehr, als das Familiengericht selbst eine Gefährdung des Kindes bei unbegleiteten Umgangskontakten mit dem Kindesvater bejaht hat. In diesem Fall war es aber gehalten, die erforderlichen Maßnahmen anzuordnen, um das Kind vor der erkannten Gefährdung zu schützen. Denn durch die bloße Zurückweisung des Antrags ist die Gefährdung nicht beseitigt. Vielmehr ist es alleine der Primärverantwortung des bzw. der Sorgeberechtigten überlassen, den Umgang des Kindes zu gestalten. Sollte die Kindesmutter die allein Sorgeberechtigte sein - wovon das Familiengericht offensichtlich ausgeht - bietet diese aber nach Einschätzung des Familiengerichts mangels hinreichenden Problembewusstseins gerade nicht die erforderliche Gewähr dafür, dass eine eventuelle Gefährdung J. ausgeschlossen ist.

Ebenfalls verfahrensfehlerhaft hat das Familiengericht den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt, obwohl es gemäß § 12 FGG von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen hat.

Unabhängig davon, dass nicht ersichtlich ist, aufgrund welchen Umstandes von der Vaterschaft des Kindesvaters auszugehen ist (§ 1592 Nr. 2 o. 3 BGB), lässt sich aus der Akte schon nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, wer überhaupt Inhaber der elterlichen Sorge für J. ist, was aber unerlässlich für die rechtliche Beurteilung ist. Ob diese der Kindesmutter alleine zusteht (§ 1626 a Abs. 2 BGB) - wovon offensichtlich das Familiengericht ausgeht - oder ob die Kindeseltern möglicherweise eine Sorgeerklärung nach § 1626 a Abs. 1 Nr. 1 BGB abgegeben haben, was zur Folge hätte, dass sie gemeinsam zur Ausübung der elterlichen Sorge für J. befugt wären. Schließlich trägt J. als Geburtsnamen auch den Namen des Kindesvaters, ohne dass erkennbar ist, was Anlass hierfür war (§ 1617 Abs. 1 S. 1 BGB oder § 1617 a Abs. 2 S. 1 BGB).

Ersichtlich hat das Familiengericht auch keine Feststellungen zu dem Verhältnis zwischen den Kindeseltern seit der Haftentlassung des Kindesvaters im April 2006 getroffen, insbesondere lässt sich weder dem Sitzungsprotokoll vom 7. November 2006 noch der angefochtenen Entscheidung entnehmen, ob es seither zu telefonischen oder persönlichen Kontakten des Kindesvaters mit der Kindesmutter, möglicherweise sogar mit J. gekommen ist, was aber für die vorliegende Entscheidung durchaus von Bedeutung sein könnte.

Schließlich fehlen auch Ermittlungen zu den aktuellen Lebensverhältnissen der Kindeseltern. Insbesondere ist nicht bekannt, wie der Kindesvater sein Leben seit seiner Haftentlassung im April 2006 gestaltet.

Wegen der aufgezeigten Verfahrensfehler kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben. Da dem Senat eine Nachholung der gebotenen Maßnahmen unter Einschluss der erneuten Anhörung des Kindes in der Beschwerdeinstanz bei der gegebenen Sachlage nicht sachdienlich erscheint, ist es angezeigt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Familiengericht zurückzuverweisen.

Im Rahmen der erneuten Sachbehandlung wird das Familiengericht auch zu entscheiden haben, ob hier möglicherweise Eingriffe in das Sorgerecht, etwa durch Entziehung eines Teilbereichs der elterlichen Sorge und Anordnung einer Umgangspflegschaft, geboten sein könnten, was dann der Fall wäre, wenn das Wohl des Kindes durch die derzeitige Sorgerechtsausübung gefährdet wird. Schließlich gibt die Neubefassung mit der Sache dem Familiengericht auch Gelegenheit, sich mit den vom Jugendamt in seiner Beschwerdebegründung aufgezeigten Bedenken hinsichtlich der Ausgestaltung eines begleiteten Umgangs auseinanderzusetzen. Letztlich wird das Familiengericht auch zu erwägen haben, ob unter den hier gegebenen Umständen nicht die Bestellung eines Verfahrenspflegers für das Kind angezeigt sein könnte (§ 50 FGG).

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 16, 30 Abs. 2 u. 3 KostO.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erfordern (§§ 621 e Abs. 2, 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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