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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 20.06.2008
Aktenzeichen: 9 UF 32/08
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, FGG, KostO


Vorschriften:

ZPO § 517
ZPO § 520
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 621 e Abs. 1
ZPO § 621 e Abs. 3
BGB § 1666
BGB § 1666 a
BGB § 1666 a Abs. 1
FGG § 13 a Abs. 1 S. 2
KostO § 30 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT BESCHLUSS

9 UF 32/08

In der Familiensache

betreffend die elterliche Sorge für L. D. W., geboren am . Januar 2005, zuletzt wohnhaft gewesen: ...

hier: Beschwerde gegen Entziehung des Sorgerechts und Anordnung von Vormundschaft

hat der 9. Zivilsenat - Senat für Familiensachen II - des Saarländischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Kockler, die Richterin am Oberlandesgericht Sandhöfer und den Richter am Oberlandesgericht Neuerburg

am 20. Juni 2008

beschlossen:

Tenor:

1. Die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - in Homburg vom 28. Februar 2008 - 17 F 93/07 SO - wird zurückgewiesen.

2. Die Beschwerdeführerin hat den übrigen Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

3. Beschwerdewert: 3.000 EUR.

4. Der Beschwerdeführerin wird die für das Beschwerdeverfahren nachgesuchte Prozesskostenhilfe verweigert.

Gründe:

I.

Der am . Januar 2005 geborene, heute 3-jährige L. D. ist der außerhalb einer Ehe geborene Sohn der allein sorgeberechtigten Kindesmutter und des Kindesvaters, welcher die Vaterschaft in einer Jugendamtsurkunde vom 22. März 2005 anerkannt hat.

Das Kind ist auf Veranlassung des Kreisjugendamtes derzeit in einer Pflegefamilie untergebracht.

In dem durch eine Gefährdungsmitteilung des Kreisjugendamtes vom 29. Mai 2007 eingeleiteten Sorgerechtsverfahren hat das Familiengericht durch den angefochtenen Beschluss der Kindesmutter die elterliche Sorge für L. D. entzogen, Vormundschaft angeordnet und das Kreisjugendamt des Saarpfalz-Kreises zum Vormund bestellt.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Kindesmutter, welche die Aufhebung des Beschlusses, hilfsweise die Zurückverweisung des Verfahrens zur erneuten Entscheidung an das Erstgericht begehrt und um Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nachsucht.

Sie rügt im Wesentlichen:

- Gründe für die vom Gericht getroffene Entscheidung - Inobhutnahme - lägen nicht vor,

- die Entscheidung sei geprägt von subjektiv begründeten Vorbehalten gegen die Kindesmutter und beruhe auf subjektiv gefärbten Beschreibungen von Drittpersonen,

- das erstinstanzlich eingeholte Sachverständigengutachten sei nicht verwertbar, da es lediglich telefonische Kontakte der Gutachterin mit der Kindesmutter gegeben habe; in Verletzung der Aufklärungspflicht habe das Gericht die Zustimmung der Kindesmutter zu einer psychiatrisch/psychologischen Begutachtung negiert,

- der Alltag des Kindes zusammen mit seiner Mutter sei nicht recherchiert und beurteilt worden,

- die Kindesmutter habe ein Interesse an einem Umgang mit dem Kind bekundet, habe jedoch keinen betreuten Umgang haben wollen.

Der Kindesvater und die Verfahrenspflegerin des Kindes verteidigen die angefochtene Entscheidung und bitten um Zurückweisung der Beschwerde.

Das Kreisjugendamt hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

II.

Die Beschwerde der Kindesmutter ist gemäß §§ 621 e Abs. 1, 621 Abs. 1 Nr. 1, 621 e Abs. 3, 517, 520 ZPO zulässig. In der Sache bleibt die Beschwerde jedoch ohne Erfolg.

Die auf der Grundlage eines - nunmehr - beanstandungsfrei geführten Verfahrens getroffene und auf umfangreiche Ermittlungen gegründete Entscheidung des Familiengerichts, der Kindesmutter gemäß §§ 1666, 1666a BGB das Sorgerecht für L. D. insgesamt zu entziehen und die Vormundschaft des Kreisjugendamtes anzuordnen, ist bei der derzeit gegebenen Sachlage nicht zu beanstanden und findet die Billigung des Senats.

Eingriffe in das Recht der Personensorge wegen Fehlverhaltens des Sorgeberechtigten gemäß §§ 1666, 1666 a BGB kommen nur in Betracht, wenn das Wohl des Kindes durch missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes oder durch unverschuldetes Versagen der Sorgeberechtigten - etwa wegen Überforderung oder Ungeeignetheit der Eltern bei der Erziehung des Kindes (MünchKomm, BGB/Olsen, 4. Aufl., § 1666, Rz. 106, m.w.N.) - gefährdet wird, sofern die Sorgeberechtigten nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr selbst abzuwenden. Die Trennung des Kindes von den sorgeberechtigten Eltern darf darüber hinaus gemäß § 1666 a Abs. 1 BGB nur erfolgen, wenn das Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreicht hat, dass das Kind in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist und dieser Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen begegnet werden kann (BVerfG, FamRZ 2002, 1021; Senatsbeschlüsse vom 2. August 2007 - 9 WF 90/07, FamRZ 2008, 711, 712; 6. Februar 2006 - 9 UF 96/05 - und vom 22. Dezember 2005 - 9 UF 133/05 -; Saarländisches Oberlandesgericht, 2. Zivilsenat, Beschluss vom 9. Februar 2006 - 2 UF 30/05 -; BayObLG, FamRZ 1998, 1044, m.w.N.).

So liegt der Fall hier.

Der Senat teilt die in Übereinstimmung mit der Einschätzung des Kreisjugendamtes und der Verfahrenspflegerin stehende, auf den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen beruhende Beurteilung des Familiengerichts, dass es zur Abwendung einer weiteren Gefährdung des körperlichen und seelischen Wohls des Kindes erforderlich ist, der Kindesmutter die elterliche Sorge insgesamt zu entziehen und das Kreisjugendamt zum Vormund zu bestellen.

Der Senat tritt der zutreffend begründeten Auffassung des Familiengerichts bei, dass unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Anhörung der Kindeseltern, der Verfahrenspflegerin des Kindes, der Vertreter des beteiligten Jugendamtes, der Eheleute, bei welchen L. Dominic nach seiner Inobhutnahme zunächst untergebracht war, der Eheleute, in deren Pflegefamilie sich das Kind seit Mitte Juli 2007 und derzeit befindet sowie einer Mitarbeiterin der Katholischen Kindertagesstätte in <Ort> in der Gesamtschau von einer akuten Gefährdung des Kindeswohls auszugehen ist, welche sich teilweise schon in Schädigungen des Kindes manifestiert hat.

Unter Würdigung verschiedener detailliert geschilderter Vorfälle ist das Familiengericht mit zutreffender und vom Senat geteilter Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Kindesmutter unverschuldet unfähig ist, emotionale Beziehungen zu dem Kind aufzubauen und es in seiner körperlichen und seelischen Entwicklung altersgemäß zu versorgen und zu fördern.

Dass sich das Familiengericht zur Gewinnung der diesbezüglichen Erkenntnisse auf die Schilderungen der mit dem Kind befassten Personen - namentlich der Pflegeeltern und der Mitarbeiter der Kindertagesstätte - gestützt hat, trägt dem das Verfahren prägenden Grundsatz der Amtsermittlung (§ 12 FGG) im gebotenen Maße Rechnung. Die insoweit gewonnenen Erkenntnisse können entgegen der Ansicht der Beschwerde nicht etwa als bloße "subjektiv gefärbte Beschreibungen von Drittpersonen" angesehen werden und sind zu Recht in die Entscheidungsfindung eingeflossen.

Zwar hatten weder das Familiengericht noch die von ihm neben der Kindesmutter angehörten Personen im unmittelbaren häuslichen Bereich der Kindesmutter Feststellungen zu deren Umgang mit L. D. getroffen. Die von ihnen außerhalb des unmittelbaren häuslichen Bereichs der Kindesmutter angestellten - in dem angefochtenen Beschluss ausführlich dargestellten und zutreffend erwogenen - Beobachtungen betreffend den äußerlichen Zustand und die - namentlich was den Umgang mit der Kindesmutter und anderen Bezugspersonen (Betreuerin in der Kindertagesstätte, Pflegeeltern), die Nahrungsaufnahme sowie seine motorischen und geistigen Fähigkeiten angeht - auffälligen Verhaltensweisen des Kindes sowie die Verhaltensweisen der Kindesmutter im Umgang mit dem Sohn und bei der Regelung dessen Angelegenheiten lassen jedoch - wie der Senat bereits in dem Beschluss vom 26. Oktober 2007 - 9 WF 112/07 - ausgeführt hat, durchaus Rückschlüsse in Bezug auf die Erziehungsfähigkeit und -eignung der Kindesmutter zu.

Unter zutreffender Würdigung der insoweit amtswegig gewonnenen Erkenntnisse ist das Familiengericht beanstandungsfrei davon ausgegangen,

- dass die Kindesmutter nicht in der Lage ist, Probleme zwischen ihr und dem Kindesvater ohne Einbeziehung des Kindes zu lösen,

- dass die Kindesmutter - solange sich das Kind in ihrem Haushalt befunden hat - unfähig gewesen ist, sich um die Bedürfnisse des Kindes zu kümmern, sowohl was die emotionale Seite als auch die Primärversorgung anbelangt,

- dass die motorische und geistige Förderung des Kindes im mütterlichen Haushalt eingeschränkt gewesen ist,

- dass die Kindesmutter zu keinerlei Zusammenarbeit mit Jugendamt, Verfahrenspflegerin oder anderen Stellen bereit ist.

Neben den vorerwähnten Gesichtspunkten hat das Familiengericht zu Recht ausschlaggebendes Gewicht für den Sorgerechtsentzug der emotionalen Bindungslosigkeit zwischen Mutter und Kind (worauf auch hindeutet, dass die Kindesmutter - wie sie es der Verfahrenspflegerin des Kindes gegenüber zum Ausdruck gebracht hat - statt eines betreuten Umgangs lieber keinerlei Kontakt mit dem Kind haben wollte) beigemessen. Die diesbezüglichen Feststellungen des Familiengerichts sind nicht zu beanstanden und finden die Billigung des Senats.

Das Familiengericht stützt seine Beurteilung entscheidend auf das Ergebnis der kinderpsychologischen Begutachtung.

Die dem Senat aus anderen Verfahren als sachkundig bekannte Sachverständige S. ist in ihrem ausführlichen, den an ein psychologisches Sachverständigengutachten zu stellenden Anforderungen gerecht werdenden Gutachten vom 25. Oktober 2007 zu dem Ergebnis gelangt, dass alle vorliegenden Erkenntnisse auf eine tief greifende Beziehungs- und Bindungsstörung der Kindesmutter verwiesen, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer paranoiden Persönlichkeitsstörung einhergehe.

Die Kindesmutter weise aus psychologischer Sicht ein gravierendes Defizit an Erziehungseignung auf. Auch auf Seiten des Kindes bestünden keine Voraussetzungen für eine Rückführung zur Mutter. Das Kind habe in den beiden ersten Lebensjahren keine sichere Bindung an die Mutter entwickelt und befinde sich in seiner zweiten Pflegefamilie in der Phase des Bindungsaufbaus. Eine Unterbrechung dieses Vorgangs würde die ohnehin anzunehmenden irreversiblen Schädigungen des Kindes bezüglich seiner grundlegenden Bildungsfähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit endgültig zerstören. Unter den derzeitigen sehr positiven Entwicklungsbedingungen seiner Pflegeeltern habe das Kind die Chance einige seiner Bildungsschäden zu kompensieren. Bei einer Rückführung in den mütterlichen Haushalt sei diese Chance endgültig vertan.

Dass die Sachverständige die Kindesmutter nicht in die Untersuchung einbezogen hatte, rechtfertigt es - entgegen der Ansicht der Beschwerde - nicht, das Gutachten als unverwertbar anzusehen.

Zu Recht hat das Familiengericht in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Kindesmutter selbst die von ihr seitens der Sachverständigen erbetene Mitwirkung verweigert hat und dies auch gegenüber der Sachverständige unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat. Die Feststellung des Familiengerichts, dass sich die Sachverständige auch anlässlich der Telefonate der Kindesmutter einen Eindruck hatte verschaffen können, begegnet keinen Bedenken. Das - auch durch den Senat erlebte - Kommunikationsverhalten der Kindesmutter lässt die psychologische Einschätzung der Sachverständigen, Frau W. leide an einer "paranoid-querulatorischen Persönlichkeitsstörung" nachvollziehbar erscheinen.

Für die Einholung eines weiteren Gutachtens bestand und besteht - auch nach Auffassung des Senats - derzeit keine Veranlassung.

Dass das Familiengericht unter Berücksichtigung des Ergebnisses der von ihm umfangreich angestellten Ermittlungen zu dem Ergebnis gelangt ist, dass das Kind in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist und dieser Gefahr - angesichts der massiven Weigerung der Kindesmutter, die ihr vielfach angebotene Hilfe anzunehmen - auch nicht auf andere Weise begegnet werden kann, rechtfertigt vorliegend die Trennung des Kindes von seiner Mutter. Unter Würdigung des gesamten Verfahrens gelangt auch der Senat zu dem Ergebnis, dass weniger einschneidende Maßnahmen als die vollständige Entziehung der elterlichen Sorge (§ 1666 a Abs. 1 BGB) vorliegend nicht geeignet erscheinen, um eine Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden.

Das Familiengericht hat - gestützt auf die auch diesbezüglich abgegebenen Empfehlungen der Sachverständigen - von einer Rückführung des Kindes in den mütterlichen Haushalt abgesehen. Als maßgeblich hierfür hat das Familiengericht mit zutreffender und vom Senat geteilter Begründung neben der positiven Entwicklung des Kindes bei seinen Pflegeeltern und den mit einer Herausnahme des Kindes aus dem Haushalt der Pflegeeltern verbundenen Schädigungen insbesondere angesehen, dass die Kindesmutter zu keinerlei Mitarbeit bereit ist und die angebotenen konstruktiven Hilfen von außen ablehnt.

Nach alledem kommt auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit und des Grundsatzes des geringstmöglichen Eingriffs in das Elternrecht (Art. 6 GG) keine andere Maßnahme in Betracht, als der Kindesmutter die elterliche Sorge zu entziehen und die Vormundschaft anzuordnen.

Soweit das Familiengericht das Kreisjugendamt als Vormund ausgewählt hat (§§ 1697, 1773 BGB), begegnet dies keinen Bedenken und wird mit der Beschwerde auch nicht angegriffen.

Die Beschwerde der Kindesmutter ist daher zurückzuweisen.

Der Ausspruch über die außergerichtlichen Kosten folgt aus § 13 a Abs. 1 S. 2 FGG.

Die Wertfestsetzung beruht auf § 30 Abs. 2 KostO.

Mangels Erfolgsaussicht ihres Rechtsmittels ist der Kindesmutter die nachgesuchte Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu verweigern (§§ 14 FGG, 114 ZPO).

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erfordern (§§ 621 e Abs. 2, 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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