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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 11.11.2008
Aktenzeichen: 9 WF 26/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 114
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT BESCHLUSS

9 WF 26/08

In der Familiensache

wegen Antrag auf Aufhebung bzw. Scheidung der Ehe

hier: sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen Verweigerung von Prozesskostenhilfe

hat der 9. Zivilsenat - Senat für Familiensachen II - des Saarländischen Oberlandesgerichts durch den Richter am Landgericht Dr. Lafontaine als Einzelrichter

am 11. November 2008

beschlossen:

Tenor:

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - in Saarlouis vom 9. Januar 2008 - 21 F 530/07 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht - Familiengericht - in Saarlouis zurückverwiesen.

II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die Parteien schlossen am 7. Juli 2007 die Ehe. Dabei handelten sie nach dem Vorbringen der Antragstellerin aus einer Laune heraus wegen des besonderen Datums, ohne dass zuvor zwischen ihnen ein Kontakt oder gar eine Freundschaft oder Beziehung bestanden hätte. Eine Eheschließung sei nie ernsthaft beabsichtigt gewesen. Die Ehe sei nicht vollzogen worden. Die Antragstellerin habe den Antragsgegner nach dem 13. Juli 2007 nur noch am 15. Juli 2007 gesehen, als sie ihre persönlichen Sachen aus der Wohnung des Antragsgegners geholt habe.

Die Antragstellerin hat um Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Antrag nachgesucht, "das Gericht möchte feststellen, dass die Eheschließung zwischen den Parteien vor dem Standesbeamten in D. vom 7. Juli 2007 unwirksam ist und diese Eheschließung aufheben; hilfsweise, die am 7. Juli 2007 vor dem Standesbeamten in D. geschlossene Ehe der Parteien scheiden."

Durch den angefochtenen Beschluss hat das Familiengericht die nachgesuchte Prozesskostenhilfe mit der Begründung verweigert, die Kosten für das Scheidungsverfahren seien mutwillig herbeigeführt worden. Bereits bei Eingehung der Ehe sei ersichtlich gewesen, dass durch die später notwendige Eheaufhebung Kosten entstehen würden.

Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Antragstellerin vom 20. Februar 2008.

II.

Die nach § 127 Abs. 2 Satz 2, 3 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin - als welche der eingelegte Rechtsbehelf der Antragstellerin auszulegen ist - führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung.

Die Begründung des Familiengerichts trägt die Verweigerung der Prozesskostenhilfe nicht. Die von der Antragstellerin beabsichtigte Rechtsverfolgung erscheint nicht als mutwillig im Sinne von § 114 ZPO.

Mutwillig ist eine Rechtsverfolgung, wenn eine verständige vermögende Partei mit Rücksicht auf die für die Betreibung des Anspruchs bestehenden Aussichten von einer Prozessführung ganz oder teilweise absehen würde (s. auch 6. Senat des Saarländischen Oberlandesgerichts, Beschluss vom 14. Dezember 1993 - 6 WF 84/93, FamRZ 1994, 636-637; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. Juni 1987 - 16 WF 117/87, FamRZ 1988, 93). Daran fehlt es, wenn eine zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Einzelfall notwendige Maßnahme beabsichtigt wird. Nach diesem Maßstab liegt keine mutwillige Rechtsverfolgung vor.

Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Aufhebung der Ehe nach § 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB schlüssig vorgetragen.

Voraussetzung für den Aufhebungsgrund der sogenannten Scheinehe ist, dass beide Ehepartner bei der Ehe darüber einig waren, die sich aus der Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft nach § 1353 Abs. 1 BGB ergebenden Pflichten nicht erfüllen zu wollen (Roth in: Erman, BGB, 12. Aufl. 2008, § 1314 Rn. 12; Thorn in: jurisPK-BGB, 3. Aufl. 2007, § 1314 Rn. 30 f.). Nach ihrem Wortlaut lässt sich die Norm insbesondere nicht etwa auf den Fall der sogenannten Aufenthaltsehe, bei der die Ehe lediglich zur Erschleichung von Aufenthaltsberechtigungen eingegangen wird, reduzieren. Beabsichtigen die Parteien - wie hier vorgetragen - jedenfalls von vornherein und insgesamt keinen Vollzug und keine Führung der Ehe, verneinen sie die gesetzlich vorgesehenen Ehepflichten umfassend, ohne dass es vorliegendenfalls einer abschließenden Entscheidung darüber bedürfte, inwiefern die Verneinung einzelner Pflichten, die über den Kernbereich von Beistand, Hilfe, Fürsorge und Rücksichtnahme (s. hierzu BGH, Urteil vom 07.11.2001 - XII ZR 247/00, BGHZ 149, 140-146; Roth in: Erman, BGB, 12. Aufl. 2008, § 1314 Rn. 12a) hinausgehen, für den Tatbestand der Scheinehe erforderlich ist.

Die Aufhebung der Ehe ist auch nicht nach § 1315 Abs. 1 Nr. 5 BGB ausgeschlossen. Nach dem Klagevortrag haben die Parteien die Ehe auch nach ihrer Eingehung nicht vollzogen. Damit fehlt es an einer nachträglichen Eingehung einer ehelichen, auf Dauer angelegten Lebens- und Verantwortungsgemeinschaft.

Der Antrag auf Aufhebung der Ehe stellt auch eine zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Maßnahme dar. Da auch die nicht ernst gemeinte Ehe grundsätzlich gültig ist, wie sich aus § 1310 BGB und einem Umkehrschluss aus § 1314 Abs. 1 Nr. 5 BGB ergibt, bedarf es der Aufhebung der Ehe zur Beseitigung der Ehefolgen. Auch eine verständige, vermögende Partei könnte nur mit dem Antrag auf Aufhebung der Ehe die Ehewirkungen beseitigen.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung kann auch nicht aufgrund einer Gesamtschau des Eheaufhebungsantrags in Verbindung mit den Umständen der Eingehung der Ehe als mutwillig angesehen werden.

Die - hauptsächlich im Hinblick auf sogenannte Aufenthaltsehen diskutierte - Frage nach der Mutwilligkeit der Aufhebung von Scheinehen ist umstritten. Teilweise wird angenommen, die Beantragung von Prozesskostenhilfe zur Aufhebung oder Scheidung einer Scheinehe sei mutwillig (OLG Köln, Beschluss vom 02. Dezember 1983 - 4 WF 259/83, FamRZ 1984, 278-279; OLG Stuttgart, Beschluss vom 25. September 1991 - 18 WF 344/91, FamRZ 1992, 195; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Aufl. 2005, Rn. 464; offen gelassen vom Senatsbeschluss vom 18. Februar 2005 - 9 WF 13/05). Dieser Auffassung hat sich in der Sache das Vorgericht angeschlossen. Eine verbreitete Mindermeinung gelangt im Ergebnis ebenfalls zur Verweigerung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung, es liege Rechtsmissbrauch vor, weil der Antragsteller mit der Rechtsordnung Missbrauch treibe. Denn der Staat billige die Scheinehe nicht (OLG Koblenz, Beschluss vom 22. August 2003 - 13 WF 647/03, FamRZ 2004, 548; OLG Naumburg, Beschluss vom 31. Januar 2003 - 14 WF 6/03, FamRZ 2004, 548-549; Zimmermann, Prozesskostenhilfe in Familiensachen, 1997, Rn. 202; zurückhaltender jedoch Zimmermann, Prozesskostenhilfe - insbesondere in Familiensachen, 3. Aufl. 2004, Rn. 202). Demgegenüber wird teilweise generell angenommen, die Eingehung einer Scheinehe stehe der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Aufhebung der Ehe nicht entgegen. Einer armen Partei dürfe nicht die Möglichkeit genommen werden, die Aufhebung der Scheinehe zu erreichen, wenn die erforderlichen wirtschaftlichen Verhältnisse für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gegeben sind (OLG Köln, Beschluss vom 14. Dezember 2007 - II-4 WF 193/07, 4 WF 193/07, OLGR Köln 2008, 382; OLG Naumburg, Beschluss vom 9. Januar 2008 - 3 WF 3/08, OLGR Naumburg 2008, 578-579). Die wohl herrschende Meinung stellt darauf ab, ob sich der Antragsteller selbst bedürftig gemacht habe, etwa indem er eine für die Eingehung der Scheinehe empfangene Gegenleistung nicht für die spätere Scheidung zurückgelegt hat (BGH, Beschluss vom 22. Juni 2005 - XII ZB 247/03, NJW 2005, 2781-2783; insofern aufrecht erhalten in BGH, Entscheidung vom 21. September 2006 - IX ZB 24/06, WM 2006, 2310-2312; OLG Frankfurt, Beschluss vom 1. April 2004 - 2 WF61/04, FamRZ 2004, 1882-1883; OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. Oktober 2005 - 5 WF 203/05, OLGR Frankfurt 2006, 498; OLG Hamm, Beschluss vom 16. März 2001 - 3 WF 79/01, FamRZ 2001, 1081; diese Rechtsprechung unbeanstandet lassend auch BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1984 - 1 BvR 446/84, BVerfGE 67, 251-256). Auch das von dem Amtsgericht zitierte OLG Rostock stellt nicht auf den Rechtsmissbrauch oder den Mutwillen als solchen ab, sondern auf die Frage, ob eine Partei als bedürftig anzusehen ist, wenn es ihr möglich und zumutbar gewesen wäre, Rücklagen für den vorhersehbaren Scheidungsantrag zu bilden (OLG Rostock, Beschluss vom 5. April 2007 - 11 WF 59/07, FamRZ 2007, 1335; s. auch OLG Rostock, Beschluss vom 7. August 2006 - 11 WF 64/06, OLGR Rostock 2007, 179-180).

Der Senat schließt sich der Auffassung des Bundesgerichtshofs an. Dieser hat ausgeführt: "Wenn die Rechtsordnung die zu ehefremden Zwecken geschlossene Ehe als wirksam ansieht, stellt ein Scheidungsbegehren die einzige Möglichkeit zur Auflösung einer solchen Ehe dar. Bereits das spricht dagegen, das Prozesskostenhilfegesuch als rechtsmissbräuchlich anzusehen (...). Aus diesen Erwägungen ergeben sich zugleich Bedenken gegen die Beurteilung der beabsichtigten Rechtsverfolgung als mutwillig" (BGH, Beschluss vom 22. Juni 2005 - XII ZB 247/03, NJW 2005, 2781-2783).

Die Sache ist gemäß § 572 Abs. 3 ZPO aufzuheben und zurück zu verweisen, da die Sache hinsichtlich der Hilfsbedürftigkeit der Antragstellerin, über die das Amtsgericht - aus seiner Sicht zutreffend - noch nicht entschieden hat, nach Aktenlage noch nicht entscheidungsreif ist.

Der Kostenausspruch beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde ist mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 574 ZPO nicht zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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