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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 06.12.2001
Aktenzeichen: 1 L 50/99
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB, BauNVO, LBO SH


Vorschriften:

VwGO § 91 Abs. 1
VwGO § 106
BauGB § 34 Abs. 1
BauNVO § 23
LBO SH § 72
LBO SH § 78
1. Zur Zulässigkeit der subjektiven Klageänderung bei Grundstücksveräußerungen in einem auf Erteilung eines Bauvorbescheides gerichteten Berufungsverfahren (bejaht)

2. Zur Bindungswirkung eines auf Erteilung eines Bauvorbescheides gerichteten Vergleichs im Verhältnis zum Einzelrechtsnachfolger (hier wegen Besonderheiten des Einzelfalls verneint)

3. Die Zulässigkeit einer sog. Hinterlandbebauung im unbeplanten Innenbereich hängt allein davon ab, ob das Vorhaben sich seinem Standort nach einfügt. Ob der Bereich zwischen dem Vorhaben und der Straße bebaut ist, ist in diesem Zusammenhang unmaßgeblich.


Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Verkündet am: 06. Dezember 2001

Aktenzeichen: 1 L 50/99

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Bauvorbescheid

hat der 1. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig ohne mündliche Verhandlung am 06. Dezember 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht ......, den Richter am Oberverwaltungsgericht ...., den Richter am Oberverwaltungsgericht .... sowie die ehrenamtliche Richterin .... und den ehrenamtlichen Richter .... für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichter der 5. Kammer - vom 14. Januar 1999 geändert:

Der ablehnende Bescheid vom 12. November 1996 sowie der Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 1998 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Hinsichtlich der Kostenentscheidung ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die vorläufige Vollstreckung gegen Zahlung einer Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abzuwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Das Verwaltungsgericht hat den zugrundeliegenden Sachverhalt zutreffend festgestellt. Der Senat nimmt deshalb gemäß § 130 b Satz 1 VwGO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug. Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 14. Januar 1999 abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt: Der Kläger habe - unabhängig von dem geschlossen Vergleich - keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten Bauvorbescheides. Der vorgesehene Anbau sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Er füge sich hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden solle, nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Zur Begründung nimmt das Verwaltungsgericht auf ein Urteil des Senats vom 23. Februar 1994 (1 L 172/92), in dem es um die Bebauung des Flurstücks 70/13 ging, Bezug. In dieser Entscheidung hatte der Senat die Auffassung vertreten, dass die Bebauung auf dem Flurstück 70/7 nicht als Vorbild für das Vorhaben in Betracht komme, weil diese Bebauung nicht in zweiter Reihe erfolgt sei. Das davor liegende Flurstück 70/19 sei unbebaut und werde auch in Zukunft unbebaut bleiben. Dies sei durch eine Baulast gesichert. Das bereits vorhandene Gebäude des Klägers sei ein sogenannter Ausreißer und deshalb nicht zu berücksichtigen. Auch der im Verfahren 1 L 281/95 vor dem Senat geschlossene Vergleich rechtfertige die Bebauung nicht, weil mit dem Anbau eine neue Wohneinheit geschaffen werde.

Durch Beschluss vom 22. Februar 2000 hat der Senat die Berufung zugelassen. Im Laufe des Berufungsverfahrens ist der frühere Kläger verstorben. Der jetzige Kläger hat das Grundvermögen mit weiteren Familienmitgliedern in der Zwangsversteigerung erworben und möchte das Verfahren fortführen. Er vertritt die Auffassung, dass er einen Anspruch auf Erteilung des Bauvorbescheides habe. Das Vorhaben füge sich auch hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden solle, in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Sein bereits vorhandenes Wohnhaus und die Bebauung auf den beiden nördlichen Nachbargrundstücken prägten die nähere Umgebung und seien als Vorbild zu berücksichtigen. Das Vorhaben entspreche auch dem im vorhergehenden Verfahren geschlossenen Vergleich. Zweck des Vergleichs sei es lediglich gewesen, die Entstehung einer weiteren (dritten) Wohneinheit zu verhindern.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und seinem erstinstanzlichen Antrag stattzugeben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte widerspricht der Klageänderung und hält diese auch nicht für sachdienlich. Der Vergleich sei geschlossen worden, um der besonderen persönlichen und wirtschaftlichen Situation des früheren Eigentümers entgegenzukommen. Der Vergleich begründe deshalb keine Rechte des neuen Bauherrn, er schränke sie auch nicht ein. Selbst wenn der Vergleich geeignet sei, Rechte und Pflichten für den Kläger als Rechtsnachfolger zu begründen, folge daraus kein Anspruch auf Erteilung des beantragten Bauvorbescheides. Das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass in dem Anbau eine neue Wohneinheit im Sinne des Vergleichs errichtet werden solle. Zweck der mit dem Vergleich getroffenen Regelung sei es gerade gewesen, das Vorhaben, wie es jetzt verwirklicht werden solle, zu verhindern. Darauf habe der Rechtsvorgänger des Klägers mit dem Vergleich verbindlich verzichtet. Unabhängig davon füge sich das Vorhaben auch nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Der Kläger verweist insoweit im wesentlichen auf das Urteil des Senats vom 23. Februar 1994.

Der Berichterstatter hat das Grundstück, das bebaut werden soll, sowie die nähere Umgebung am 18. September 2001 in Augenschein genommen. Bei dieser Gelegenheit ist die Sach- und Rechtslage erörtert worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der im Berufungsverfahren vorgenommene Parteiwechsel ist sachdienlich und deshalb gemäß § 91 Abs. 1 VwGO zulässig. Im Bauvorbescheidsverfahren sind keine persönlichen, sondern ausschließlich bodenbezogene Gesichtspunkte maßgeblich. Bauvorbescheide gelten deshalb gemäß §§ 72 Abs. 2, 78 Abs. 2 LBO auch für und gegen den Rechtsnachfolger des Bauherrn. Angesichts dieser Rechtslage bestehen keine Bedenken dagegen, dass der Kläger als Miterwerber des Grundstücks, der das Vorhaben jetzt verwirklichen will, das Verfahren fortführt. Rechte der Beklagten werden dadurch nicht beeinträchtigt. Die von den Beteiligten erörterte Frage, ob der Vergleich den jetzigen Kläger bindet, bedarf in diesem Zusammenhang keiner Entscheidung, denn das Verwaltungsgericht hat die Rechtslage auch unabhängig von dem Vergleich geprüft. Bei dieser Verfahrenslage ist die Fortführung der Klage in jedem Fall sachdienlich.

Die Berufung und die Klage sind auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung des beantragten Bauvorbescheides, denn das Vorhaben ist gemäß § 34 Abs. 1 BauGB bauplanungsrechtlich zulässig. Nach dem Vorbringen der Beteiligten ist allein problematisch, ob das Vorhaben sich nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Dies ist zu bejahen:

Zum Bereich der näheren Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB gehören die von den von den Straßen ..........., ......., ..... und ..... umgebenen Grundstücke. Diese auch vom Verwaltungsgericht und vom Senat im Urteil vom 23. Februar 1994 - 1 L 172/92 - hinsichtlich des Grundstücks .... vertretene Auffassung ziehen die Beteiligten nicht in Zweifel. Der Senat sieht deshalb insoweit von einer Begründung ab.

Das Vorhaben fügt sich hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart dieser näheren Umgebung ein, denn es hält sich in dem in der näheren Umgebung vorhandenen Rahmen im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 26.05.1978 - 4 C 9.77 -, E 55, 369, 384 ff.). Es ist auch nicht rücksichtslos.

In der näheren Umgebung existiert bereits eine die Umgebung prägende Hinterlandbebauung. In ähnlicher Entfernung von der Straße wie der zur Bebauung vorgesehene Grundstücksteil sind das Wohnhaus des Klägers, an das angebaut werden soll, und die beiden Häuser auf den Nachbarflurstücken .... und .... vorhanden. Diese Häuser in der unmittelbaren Umgebung des Vorhabens prägen die Eigenart der näheren Umgebung und sind geeignete Vorbilder für das beantragte Vorhaben. Die Auffassung der Beklagten, diese Gebäude hätten keine Vorbildwirkung, trifft nicht zu. Diese auch vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg (Urt. v. 28.06.1990 - 1 OVG A 167/87 - betr. Flurstück 70/7) und früher vom Senat (Urt. v. 23.02.1994 - 1 L 172/92 - betr. Flurstück 70/13) vertretene Auffassung teilt der Senat in der jetzigen Besetzung nicht. Der Senat hatte damals gemeint, dass die Häuser auf den Flurstücken 70/18 und 70/7 keine Vorbilder sein könnten, weil sie selbst wegen der fehlenden Bebauung auf dem Flurstück 70/19 nicht in zweiter Reihe lägen. Daran hält der Senat nicht fest, denn auf die Zahl der Baureihen stellt § 34 Abs. 1 BauGB nicht ab. Maßgeblich ist danach allein die Grundstücksfläche, die bebaut werden soll. Für die Feststellung des in der näheren Umgebung vorhandenen Rahmens kommt es deshalb allein darauf an, ob in vergleichbarer Entfernung von der Straße, durch die das Baugrundstück erschlossen werden soll, bereits Gebäude, die als Vorbilder in Betracht kommen, vorhanden sind (Senat, Urt. v. 27.09.2001 - 1 L 45/01). Auch das Bundesverwaltungsgericht stellt in diesem Zusammenhang nicht auf das Vorhandensein einer zweiten Baureihe, sondern allein auf die räumliche Lage des Vorhabens innerhalb der vorhandenen Bebauung, also auf den Standort des Vorhabens im Sinne von § 23 BauNVO ab (BVerwG, Beschlüsse vom 28.09.1988 - 4 B 175.88 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 128; 06.11.1997 - 4 B 172/97, BRS 59 Nr. 79) ab.

Ist die Bebauung auf den Flurstücken ..... und .... wegen ihrer rückwärtigen Lage als Vorbild für das geplante Vorhaben geeignet, so gilt dasselbe für das bereits vorhandene Haus, an das angebaut werden soll. Der Argumentation des Senats im o.g. Urteil vom 23. Februar 1994, dieses Haus sei ein sogenannter Ausreißer und könne deshalb die Eigenart der näheren Umgebung nicht prägen, fehlt bei dieser Betrachtung die Grundlage. Bei dieser rechtlichen Beurteilung kommt es nicht darauf an, ob, gegebenenfalls welche, weiteren Gebäude als Vorbilder für das Vorhaben in Betracht kommen. Im Hinblick auf das Urteil des Senats vom 23. Februar 1994 ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die auf den verschiedenen Flurstücken vorhandenen Gebäude, die nicht unmittelbar an der Straße liegen, nicht deshalb als Vorbilder für die geplante Bebauung ausscheiden, weil sie nicht zu Wohnzwecken genutzt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind die Merkmale, nach denen sich ein Vorhaben im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen muss, jeweils unabhängig voneinander zu prüfen. Fügt sich etwa ein Vorhaben seiner Art nach ein, so kommt es im Rahmen der Prüfung, ob es sich auch seinem Maße nach einfügt, nicht mehr erneut auf seine Art an, also darauf, welches Maß von anderen baulichen Anlagen gleicher Art in der näheren Umgebung bereits verwirklicht ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 06.11.1997 a.a.O. unter Hinweis auf Urt. v. 15.12.1994 - BVerwG 4 C 19.93 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 173). Dasselbe gilt für die Prüfung, ob ein Vorhaben sich nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Entscheidend ist allein, ob in der näheren Umgebung in vergleichbarer Tiefe Gebäude vorhanden sind, die den Bereich der näheren Umgebung prägen. Die Art ihrer Nutzung ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Nur Nebenanlagen gemäß § 14 BauNVO sind insoweit unbeachtlich (BVerwG, Beschl. v. 06.11.1997 a.a.O.).

Der Erteilung des beantragten Bauvorbescheides steht der Vergleich vom 27. März 1996 nicht entgegen. Den Fragen, ob das hier beantragte Vorhaben von dem Vergleich erfasst wird und ob, ggf. für welchen Zeitraum, der Rechtsvorgänger durch den Vergleich konkludent auf ein von dem Vergleich abweichendes Vorhaben verzichtet hat, kann dahingestellt bleiben, denn der Vergleich bindet den jetzigen Kläger nicht. Aus den zur Zulässigkeit der Klageänderung genannten Erwägungen mag zwar ein auf Erteilung eines Bauvorbescheides gerichteter Vergleich auch einen Rechtsnachfolger binden, wenn der Vergleich allein unter bodenrechtlichen Aspekten vereinbart worden ist. Nach dem unstreitigen Vortrag der Beklagten ist der Vergleich aber geschlossen worden, um der besonderen persönlichen und wirtschaftlichen Situation des damaligen Klägers entgegenzukommen (Bl. 166, 274 der GA). Durch den Erweiterungsbau sei ausschließlich die Unterbringung der Familienangehörigen des früheren Eigentümers vorgesehen gewesen (Bl. 129 Beiakte A). Angesichts dieser auf die persönlichen Belange des früheren Eigentümers abstellenden Vergleichsgrundlage misst der Senat - wie die Beklagte - dem Vergleich insgesamt keine Bindungswirkung im Verhältnis zu dem jetzigen Kläger bei.

Der Senat entscheidet gemäß § 101 VwGO ohne mündliche Verhandlung; die Beteiligten haben anlässlich der Erörterung im Rahmen der Ortsbesichtigung, bei der die vorgesehene Abweichung des Senats von seiner Entscheidung vom 23. Februar 1994 (a.a.O.) erörtert worden ist, ihr Einverständnis zu dieser Verfahrensweise erteilt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen könnten (§ 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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