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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 02.09.2004
Aktenzeichen: 1 LB 18/04
Rechtsgebiete: BauGB, LVwG SH, VwGO, WertV


Vorschriften:

BauGB § 154 Abs. 1
BauGB § 154 Abs. 4 S. 2
LVwG SH § 109 Abs. 1
VwGO § 155 Abs. 2
VwGO § 155 Abs. 4
WertV § 28 Abs. 2
1) Ein "Anerkenntnis" im Verwaltungsprozess kommt in Betracht, wenn der anerkennende Prozessbeteiligte über den Gegenstand dessen, was anerkannt wird, auch verfügen kann.

2) Wird mit einer als "Anerkenntnis" bezeichneten Erklärung das bis dahin geltend gemachte Anfechtungsbegehren aufgegeben, liegt eine Klagrücknahme vor.

3) Die Kostenlast eines Beteiligten wegen Verschuldens i.S.d. § 155 Abs. 4 geht als Spezialregelung allen übrigen Kostenregelungen vor.

4) Die Begründung eines Bescheides ist nicht deshalb mangelhaft, weil es einen erheblichen zeitlichen und intellektuellen Aufwand erfordert, diese - insbesondere hinsichtlich einer Berechnungsmethode bzw. der in eine Berechnung eingebrachten Parameter - nachzuvollziehen.


SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

Az.: 1 LB 18/04

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Erhebung eines Ausgleichsbetrages

hat der 1. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Eutin am 2. September 2004 beschlossen:

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt.

Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 8. Kammer - vom 17. Juni 2003 ist unwirksam.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Das Verwaltungsgericht hat den gegen die Klägerin ergangenen Bescheid über die Heranziehung zu Ausgleichsbeträgen aufgehoben. In der mündlichen Verhandlung über die dagegen zugelassene Berufung der Beklagten hat der von dieser beauftragte Sachverständige die Berechnung des Ausgleichsbetrages erläutert. Die Klägerin hat daraufhin eine "Anerkenntnis"-Erklärung abgegeben und beantragt, der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Die Beklagte hat für den Fall, dass das "Anerkenntnis" als Klagrücknahme auszulegen ist, der Klagrücknahme zugestimmt und im übrigen an ihren Berufungsanträgen festgehalten.

II.

Das Verfahren ist gem. § 92 Abs. 3 VwGO mit der Kostenfolge aus § 155 Abs. 2 VwGO einzustellen. Die gem. § 92 Abs. 1 S. 2 VwGO erforderliche Zustimmung der Beklagten ist erklärt worden.

Die als "Anerkenntnis" bezeichnete Erklärung der Klägerin ist eine Klagrücknahme. Es ging ihr darum, den in den Bescheiden der Beklagten veranlagten Sanierungsausgleichsbetrag anzuerkennen, in der Erwartung, dadurch (Prozess-) Kostenvorteile zu erlangen.

Ein "Anerkenntnis" ist im Verwaltungsprozess zwar grundsätzlich möglich (vgl. § 87 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO), doch kommt dieses nur in Betracht, wenn der anerkennende Prozessbeteiligte über den Gegenstand dessen, was anerkannt wird, auch verfügen kann. Dies ist - etwa - der Fall, wenn eine beklagte Behörde auf eine Verpflichtungsklage hin den Klaganspruch anerkennt (vgl. BVerwG, Gerichtsbescheid v. 07.01.1997, 4 A 20.25, NJW 1997, 2127). Auf die vorliegende Konstellation einer Anfechtungsklage bezogen, könnte (ebenfalls) nur die Behörde anerkennen, indem sie "abhilft", d. h. die angefochtenen Bescheide aufhebt. Klägerseitig kann ein "Anerkenntnis" nur dadurch zur Geltung gebracht werden, dass die Klage zurückgenommen wird mit der Folge, dass der Aufhebungsanspruch aufgegeben und der Bescheid bestandskräftig wird. Die "Anerkennung" des veranlagten Sanierungsausgleichsbetrages durch die Klägerin ist damit als Klagrücknahme zu werten.

Der Senat hat erwogen, ob die aus der Klagrücknahme resultierende Kostenfolge nach § 155 Abs. 2 VwGO vorliegend durch § 155 Abs. 4 VwGO verdrängt wird. Dies kommt - im rechtlichen Ansatz - in Betracht, da § 155 Abs. 4 VwGO als lex specialis allen sonstigen Kostenregelungen, also auch derjenigen in § 155 Abs. 2 VwGO, vorgeht (Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 155 Rn. 19). Vorliegend liegen aber die Voraussetzungen des § 155 Abs. 4 nicht vor, weil ein Verschulden der Beklagten i. S. dieser Vorschrift nicht festzustellen ist.

In der mündlichen Verhandlung ist als Ansatzpunkt für ein Verschulden der Beklagten i.S.d. § 155 Abs. 4 VwGO die - bis dahin - nicht für ausreichend erachtete Erläuterung der rechnerischen Grundlagen der Ausgleichsbetragserhebung genannt worden; erst durch die jetzt, im Verhandlungstermin, erfolgte weitere mündliche Erläuterung der Beklagten und des von ihr beauftragten Sachverständigen sei die Berechnung nachvollziehbar geworden. Diesen Argumenten kann nicht zugestimmt werden:

Der Senat hat bereits in seinem Beschluss über die Zulassung der Berufung vom 16. März 2004 zum Ausdruck gebracht, dass die Einwände des Verwaltungsgerichts gegen die "Plausibilität" und Nachvollziehbarkeit der Berechnung des Ausgleichsbetrages ernstlichen Zweifeln ausgesetzt sind. Nach erneuter Überprüfung ist festzustellen, dass diese Einwände unbegründet sind: Die Beklagte hat die rechnerischen Grundlagen des veranlagten Ausgleichsbetrages in der Anhörung gem. § 154 Abs. 4 S. 2 BauGB sowie im angefochtenen Bescheid und im Widerspruchsbescheid ausreichend erläutert. Die Methodik der Berechnung ist auch den Schreiben der Beklagten vom 26.04.2001 und vom 11.11.2002 zu entnehmen.

Es erfordert - allerdings - einen erheblichen zeitlichen und intellektuellen Aufwand, um die Berechnung im einzelnen - sowohl methodisch als auch hinsichtlich der in die Rechenformeln eingebrachten Parameter - nachzuvollziehen. Allein deswegen kann aber weder von einer unzureichenden Begründung (§ 109 Abs. 1 LVwG) bzw. Erläuterung der angefochtenen Bescheide noch davon ausgegangen werden, dass die Beklagte deren "Unklarheit" bzw. die Nicht-Nachvollziehbarkeit der Berechnung im Sinne des § 155 Abs. 4 VwGO verschuldet habe. Maßgeblich sind insoweit nicht die (subjektiven) Schwierigkeiten der Klägerin, den Bescheid im einzelnen nachzuvollziehen, es kommt vielmehr darauf an, ob die Klägerin - ggf. mit anwaltlicher Hilfe und unter Nutzung der von der Beklagten angebotenen schriftlichen und mündlichen Informationen - die Berechnung nachvollziehen kann.

Hinsichtlich des Endwertes ist der angewandte Rechenweg ohne Weiteres erkennbar (vgl. "Erläuterung zur Ausgleichsbetragsermittlung ...", Anlage): Die Beklagte hat aus der Grundstücksbebauung einen - aus sog. "Normalherstellungskosten" abgeleiteten - Gebäudewert errechnet und aus diesem - unter Zuhilfenahme eines empirisch ermittelten Anteilssatzes - den Bodenwert abgeleitet. Der damit ermittelte Endwert i. S. d. § 28 Abs. 2 WertV ist - sodann - unter Anwendung des (ebenfalls erläuterten, s. S. 8 f. des Schreibens vom 11.11.2002) "Modells Niedersachsen" auf den Anfangswert zurückgerechnet worden. Das dazu angewandte und in der Berufungsverhandlung nochmals erläuterte schrittweise Iterationsverfahren zur Bestimmung des Anfangswertes bzw. der (prozentualen) Bodenwerterhöhung durch eine wiederholte Anwendung desselben Rechenverfahrens hätte auf der Grundlage der schriftlich erteilten Erläuterungen zu den angefochtenen Bescheiden auch schon vorprozessual (im Anhörungstermin oder während des Widerspruchsverfahrens) nachvollzogen werden können (s. S. 9 des Schreibens vom 11.11.2002). Dazu wäre es allerdings erforderlich gewesen, in die Berechnung "einzusteigen", um Schritt für Schritt den Rechenweg nachzuvollziehen bzw. - soweit erforderlich - gezielt nachzufragen. Die Beklagte hat für diesen "Einstieg" genügend Grundlagen geliefert. Allein der Umstand, dass der Klägerin die Berechnung erst durch die in der mündlichen Berufungsverhandlung gegebenen Erläuterungen verständlich geworden sind, vermag nicht zu begründen, dass zuvor keine Nachvollziehbarkeit und (deshalb) ein Verfahrensverschulden der Beklagten i. S. d. § 155 Abs. 4 VwGO gegeben war.

Das als Klagrücknahme zu wertende "Anerkenntnis" der Klägerin führt gemäß § 173 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 S. 1 ZPO zur Wirkungslosigkeit des erstinstanzlichen Urteils, wie aus dem Tenor ersichtlich.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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