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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 16.01.2002
Aktenzeichen: 2 L 136/01
Rechtsgebiete: BSHG, RegelsatzVO


Vorschriften:

BSHG § 2
BSHG § 11
BSHG § 12
BSHG § 22
RegelsatzVO § 3 Abs. 1
Eine Volljährige, die im Einvernehmen mit ihren Eltern den elterlichen Haushalt verlässt, kann vom Sozialhilfeträger nicht darauf verwiesen werden, ihren sozialhilferechtlichen Unterkunftsbedarf und die Höhe des Regelsatzes durch Rückumzug zu senken.

Dem Umfange nach ist in einem solchen Falle der sozialhilferechtliche Unterkunftsbedarf auf die Kosten eines möblierten Zimmers oder einer kleinen einfachen Wohnung begrenzt.


Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Verkündet am: 16. Januar 2002

Aktenzeichen: 2 L 136/01

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt)

hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 16. Januar 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht ..., die Richterin am Oberverwaltungsgericht ..., den Richter am Oberverwaltungsgericht ... sowie die ehrenamtliche Richterin ... und den ehrenamtlichen Richter ... für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichterin der 10. Kammer - vom 11. April 2001 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die am 22. März 1982 geborene Klägerin bezog bis einschließlich März 2000 Sozialhilfeleistungen in Form der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt. Sie wohnte bis dahin bei ihren Eltern und bildete mit ihnen und ihrem Bruder ... eine Einsatzgemeinschaft. Kurz nach ihrem 18. Geburtstag, am 01. April 2000, bezog sie eine eigene Wohnung und beantragte mit einem am 03. April 2000 eingegangenen Schreiben, die Hilfe zum Lebensunterhalt neu zu berechnen.

Mit einem Bescheid vom 04. April 2000 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Anmietung der Wohnung einige Fragen aufwerfe, um deren Beantwortung deshalb gebeten werde. Unabhängig von der Beantwortung der Fragen gehe die Beklagte davon aus, dass es der Klägerin zumutbar sei, weiterhin im Haushalt ihrer Eltern zu leben. In diesem Zusammenhang werde darauf hingewiesen, dass jungen Erwachsenen (18- bis 25-jährige) grundsätzlich zuzumuten sei, bei ihren Eltern zu leben. Daraus resultierend werde mitgeteilt, dass der Übernahme der Mietkosten der von der Klägerin angemieteten Wohnung nicht zugestimmt werde, da diese Wohnung unangemessen groß und auch zu teuer sei.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 10. April 2000 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 20. April 2000 zurückgewiesen wurde. Die Mietkosten für die neu angemietete Wohnung könnten aus Sozialhilfemitteln nicht übernommen werden. Zwar gehörten Unterkunftskosten zum notwendigen Lebensunterhalt und würden im Rahmen der Sozialhilfegewährung gemäß § 3 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 22 BSHG (Regelsatzverordnung) grundsätzlich in tatsächlicher Höhe übernommen, soweit diese angemessen seien. Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft habe der Hilfeempfänger jedoch den zuständigen Träger der Sozialhilfe über die maßgebenden Umstände in Kenntnis zu setzen. Dies habe die Klägerin versäumt, d.h. sie sei hier Verpflichtungen eingegangen, ohne sich über die Kostenträgerschaft im Klaren zu sein. Ungeachtet dessen vermöge die Beklagte den geltend gemachten Bedarf in diesem Falle nicht anzuerkennen. Der Wunsch nach einer eigenen Wohnung sei zwar verständlich, die entstehenden Kosten könnten jedoch aus Sozialhilfemitteln nicht anerkannt werden. Der Nachrangcharakter der Sozialhilfe beinhalte unter anderem, dass Kinder solange in dem Haushalt ihrer Eltern leben sollten, bis sie in der Lage seien, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Ein Grund für den plötzlichen Auszug aus dem elterlichen Haushalt sei nicht ersichtlich. Im Übrigen sei ein Zusammenleben zwischen Eltern und volljährigen Kindern auch dann zuzumuten, wenn Konflikte bestünden. Auseinandersetzungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern seien nie auszuschließen und kämen auch in anderen Haushalten häufig vor. Wenn die Örtlichkeiten es zuließen, sei es beiden Seiten zuzumuten, Kompromisse einzugehen und Auseinandersetzungen soweit wie möglich zu vermeiden. Nur in absoluten Ausnahmefällen, für einen solchen seien im gegebenen Fall keinerlei Anhaltspunkte vorgetragen worden oder ersichtlich, könne es geboten sein, dass ein volljähriges Kind aus dem Haushalt der Eltern ausziehe und die Anmietung einer eigenen Wohnung aus Sozialhilfemitteln unterstützt werde. Selbst in einem solchen Falle wäre aber nur die Miete für ein möbliertes Zimmer oder eine einfache preiswerte Wohnung anzuerkennen.

Aus den im Zusammenhang mit anderen verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren vorgelegten Verwaltungsvorgängen ist zu entnehmen, dass die Klägerin von ihrem Vater jedenfalls im hier streitbefangenen Monat April 2000 durch Auskehrung der Hälfte des ihm für seine Kinder gezahlten Kindergeldes (270,-- DM) sowie durch eine Unterhaltszahlung in Höhe von 250,-- DM finanziell unterstützt wurde (Blatt 158 der Beiakte A zu - 2 L 139/01 -).

Die Beklagte behandelte die Klägerin als weiterhin in der Wohnung ihrer Eltern wohnend und gewährte ihr ab April 2000 den Regelsatz für einen Haushaltsangehörigen in Höhe von 438,-- DM, anteilige Unterkunftskosten in Höhe von 133, 54 DM, anteilige Heizungskosten in Höhe von 40,-- DM, insgesamt also 611,54 DM. Mit Bescheid vom 08. Mai 2000 gewährte die Beklagte für den Mai 2000 lediglich den Regelsatz für einen Haushaltsangehörigen in Höhe von 438,-- DM; dies wurde damit begründet, dass wegen des nicht anerkannten Wohnungswechsels der Mietanteil für die Wohnung ... wegfalle. Auch gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 17. Mai 2000 Widerspruch ein. Dieser Widerspruch ist bisher nicht beschieden worden.

Die Klägerin hat am 18. Mai 2000 Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben und sinngemäß beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 04. April 2000 und 20. April 2000 zu verpflichten, die für die Wohnung ... in ... anfallenden Unterkunftskosten aus Sozialhilfemitteln zu übernehmen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Einzelrichterurteil vom 11. April 2001 abgewiesen und zur Begründung gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die Gründe des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2000 sowie auf den Beschluss der 10. Kammer im Verfahren 10 B 180/00 Bezug genommen.

Die Klägerin hat am 08. Mai 2001 einen Antrag gestellt, ihr für einen Antrag auf Zulassung der Berufung Prozesskostenhilfe zu gewähren und ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten beizuordnen. Nachdem der Klägerin durch Beschluss vom 06. September 2001 Prozesskostenhilfe bewilligt und der jetzige Prozessbevollmächtigte beigeordnet worden war, hat die Klägerin am 25. September 2001 einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, dem der Senat durch Beschluss vom 23. Oktober 2001 stattgegeben hat.

Die Klägerin trägt vor, es sei rechtswidrig, dass sie weiterhin als in der elterlichen Wohnung lebend behandelt werde.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 11. April 2001 zu ändern, die Bescheide der Beklagen vom 04. April 2000 und vom 20. April 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin Sozialhilfe unter Einbezug von tatsächlichen Wohnkosten in Höhe von insgesamt 710,-- DM monatlich zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie die Beiakte A des Verfahrens - 2 L 139/01 - haben dem Gericht bei Beratung und Entscheidung vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden; wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Akteninhalt sowie auf die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts erweist sich im Ergebnis als richtig. Der Klägerin stand im April 2000 kein sozialhilferechtlicher Anspruch zu, der in der Höhe des zu bewilligenden Betrages über das hinausginge, was der Klägerin durch die Bescheide vom 04. und vom 20. April 2000 gewährt worden ist.

Die Beklagte und das Verwaltungsgericht sind bei der Berechnung des sich aus §§ 11, 12, 22 BSHG ergebenden sozialhilferechtlichen Bedarfs allerdings von falschen tatsächlichen Grundlagen und fehlerhaften rechtlichen Überlegungen ausgegangen. Es ist rechtlich nicht statthaft gewesen, die Klägerin als weiterhin der Haushaltsgemeinschaft mit ihren Eltern zugehörend zu behandeln und ihr die Gewährung zur Hilfe zum Lebensunterhalt deshalb auf der Grundlage der tatsächlich gegebenen Verhältnisse zu versagen. Sozialhilfeleistungen werden auf der Grundlage der tatsächlichen Gegebenheiten geleistet. Die Möglichkeit eines alternativen Verhaltens oder die Gründe für das Eintreten einer sozialhilferechtlichen Notlage sind mit Blick auf die Hilfegewährung - wie § 92 a BSHG zeigt - zunächst unbeachtlich. Die Überlegungen der Beklagten und des Verwaltungsgerichts, die Klägerin könne ihre sozialhilferechtliche Notlage durch Rückzug in den elterlichen Haushalt beseitigen, kann deshalb nur im Rahmen des § 2 Abs. 1 BSHG eine Rolle spielen, dann also, wenn ein solcher Rückzug als bereites Mittel der Selbsthilfe angesehen werden dürfte. Dieser von der Beklagten vertretenen und vom Verwaltungsgericht übernommenen Ansicht ist indes nicht zu folgen.

Der Beklagten ist es verwehrt, die Tatsache außer Betracht zu lassen, dass die Klägerin seit dem 01. April 2000 die Haushaltsgemeinschaft ihrer Familie verlassen und eine eigene Wohnung angemietet hat. Die Klägerin ist mit der Vollendung ihres 18. Lebensjahres volljährig (§ 2 BGB) und damit aus der elterlichen Sorge entlassen (§ 1626 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Klägerin kann deshalb bereits aus Rechtsgründen nicht gehindert werden, eine eigene Wohnung anzumieten und zu beziehen.

Es sind auch keine rechtlichen Ansatzpunkte dafür ersichtlich, dass die Klägerin verpflichtet wäre, in den elterlichen Haushalt zurückzukehren, oder aus denen geschlossen werde könnte, dass der Klägerin die Rückkehr in den elterlichen Haushalt als bereites Mittel zur persönlichen Bedarfsdeckung i.S.d. § 2 BSHG vorgehalten werden dürfte. Zwar steht gemäß § 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB den Eltern das Wahlrecht zu, ob sie einem unverheirateten Kind den Unterhalt als Barbetrag gewähren oder aber als Naturalunterhalt (Kost und Logis im elterlichen Haushalt) gewähren wollen. Ganz abgesehen von der Frage, ob Gründe für eine anderweitige Bestimmung nach § 1612 Abs. 2 Satz 2 BGB vorliegen, ist im gegebenen Falle festzustellen, dass die Eltern der Klägerin eine insoweitige Bestimmung getroffen und den Auszug und das Beziehen der neuen Wohnung nicht nur gebilligt, sondern auch aktiv unterstützt haben. Eine rechtliche Möglichkeit, eine solche zwischen dem Kind und den Eltern getroffene einvernehmliche Regelung anzugreifen, ist nicht vorgesehen.

Der Beklagten ist es auch verwehrt, die Klägerin faktisch so zu behandeln, als ob sie weiterhin im Haushalt ihrer Eltern wohnte. Die Entgegennahme des Unterhalts in Naturalform (Kost und Logis im Haushalt der Eltern) ist der Klägerin auf Grund der beschriebenen Bestimmung durch ihre Eltern versagt. Sie kann deshalb nicht ihren sozialhilferechtlichen Bedarf durch Rückzug zu ihrer Familie mindern, dieses Mittel steht ihr i.S.d. § 2 BSHG nicht als bereites Mittel zu.

Allerdings kann die Klägerin Unterkunftskosten nicht in der geltend gemachten Höhe beanspruchen. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 3 der Verordnung zur Durchführung des § 22 BSHG (Regelsatzverordnung) sind in den Fällen, in denen der Hilfeempfänger vor Abschluss des Vertrages über eine neue Unterkunft den zuständigen Träger der Sozialhilfe davon in Kenntnis setzt und die Aufwendungen für die neue Unterkunft unangemessen hoch sind, von Anfang an lediglich die angemessenen Aufwendungen zu übernehmen. Wird die neue Unterkunft ohne vorherige Kenntnisgabe angemietet, so kann im Ergebnis nichts anderes gelten. Es wäre systemwidrig, in diesen Fällen den Sozialhilfeträger nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 Satz 2 der Regelsatzverordnung zur vorläufigen Übernahme der gesamten Unterkunftskosten zu verpflichten.

Der Senat teilt insoweit die Ansicht der Beklagten, dass die Klägerin in Anwendung des § 3 Abs. 1 Satz 3 2. Hs. der Regelsatzverordnung einen sozialhilferechtlichen Anspruch lediglich darauf hat, dass ihr angesichts ihrer Lebensumstände (Alter, Ausbildungsstand etc.) Unterkunftskosten für ein möbliertes Zimmer oder eine kleine einfache Wohnung zu bewilligen sind. Im Weiteren geht der Senat auf Grund der einvernehmlichen Äußerungen der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung und auf Grund eines überschlägigen Einblicks in die Vermietungsangebote der "..." davon aus, dass als Obergrenze für die Miethöhe einer solchen Unterkunft im Jahre 2000 etwa 450,-- DM anzusehen waren.

Damit stellt sich der sozialhilferechtliche Bedarf der Klägerin für den Juli 2000 wie folgt dar: Regelsatz für den Haushaltsvorstand von 547,-- DM, Unterkunftskosten von 450,-- DM, dies ergibt einen sozialhilferechtlichen Bedarf von 997,-- DM. Dem gegenüberzustellen sind die Einkünfte der Klägerin, nämlich 250,-- DM Netto Kindergeld und 250,-- DM Unterhaltszahlungen von ihrem Vater, zusammen also 500,-- DM. Es verbleibt somit ein sozialhilferechtlicher Bedarf in Höhe von 497,-- DM. Da der Klägerin mit den Bescheiden vom 04. April und vom 20. April 2000 Sozialhilfeleistungen in Höhe von 611,54 DM bewilligt worden waren, verbleibt kein ungedeckter sozialhilferechtlicher Bedarf. Dabei kann unberücksichtigt bleiben, ob der Klägerin - wie für die tatsächlich angemietete Wohnung - auch für die berücksichtigungsfähige Wohnung Wohngeld gegengerechnet werden könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe hierfür im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO nicht erkennbar sind.

Ende der Entscheidung

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