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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 23.05.2007
Aktenzeichen: 2 LB 2/07
Rechtsgebiete: BGB, BSHG


Vorschriften:

BGB § 387
BSHG § 107
Auch im Bereich der sozialhilferechtlichen Kostenerstattung ist das Institut der Aufrechnung anwendbar.
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Az.: 2 LB 2/07

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Kostenerstattung gem. § 107 BSHG

- Berufungsverfahren -

hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts ohne mündliche Verhandlung am 23. Mai 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht ..., den Richter am Oberverwaltungsgericht ..., den Richter am Verwaltungsgericht ... sowie den ehrenamtlichen Richter ... und die ehrenamtliche Richterin ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 14. November 2005 teilweise geändert und erhält folgende Fassung:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 17.208,05 Euro zu zahlen und diesen Betrag ab Rechtshängigkeit mit vier Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt die Klägerin zu 62 % und der Beklagte zu 38 %.

Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt hinsichtlich des abgelehnten Teiles der Beklagte.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Für die Klägerin ist das Urteil vorläufig vollstreckbar, für den Beklagten hinsichtlich der Kostenentscheidung.

Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,-- Euro abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin fordert vom Beklagten die Erstattung weiterer Sozialhilfekosten, die sie in der Zeit vom 01. September 1998 bis zum 31. Juli 2000 für Frau .... aufgewendet hat. Nach längerer Korrespondenz hat die Klägerin am 27. Mai 2003 Klage erhoben und beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, für die an Frau ... in der Zeit vom 01. September 1998 bis 31. Juli 2000 geleistete Hilfe einen Betrag von weiteren 44.261,48 DM (= 22.630,54 Euro) zu erstatten.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat den geltend gemachten Anspruch bezweifelt.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch Einzelrichterurteil vom 14. November 2005 überwiegend stattgegeben.

Auf den Antrag des Beklagten hin hat der Senat die Berufung durch Beschluss vom 16. Januar 2007 zum Teil zugelassen.

Der Beklagte trägt vor, dass er sich den überzeugenden Darlegungen des Verwaltungsgerichts anschließe und an seinem Vortrag in der ersten Instanz daher nicht mehr festhalte. In Höhe von 9.788,45 DM rechne er jedoch mit einem ihm zustehenden Kostenerstattungsanspruch auf, der auf Grund des Umzuges vom 01. Januar 1998 aus dem Bereich der Klägerin zur Stadt Husum begründet sei. Dieser Kostenerstattungsanspruch sei bei der Klägerin mit Schreiben vom 05. Januar 1998 geltend gemacht worden. Eine eventuelle Verjährung dieser Forderung stehe der Aufrechnung nicht entgegen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil der 13. Kammer vom 14. November 2005 insoweit zu ändern, als der Beklagte zu einer Erstattung in Höhe von mehr als 17.208,05 Euro (= 33.636,02 DM) verurteilt worden ist.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie akzeptiere die Aufrechnung nicht. Auf dem Gebiet des Kostenerstattungsrechts sei eine Aufrechnung ausgeschlossen, da die Rechtsnatur der öffentlich-rechtlichen Forderung ihr entgegenstehe.

Die Verwaltungsvorgänge der Beteiligten haben dem Gericht bei Beratung und Entscheidung vorgelegen; wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Parteien im Übrigen wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten, über die im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist zulässig und im Rahmen der Zulassung auch begründet. Der Klägerin steht der Beklagten gegenüber kein über den Betrag von 17.208,05 Euro hinausgehender Kostenerstattungsanspruch zu, denn in Höhe von 5.004,76 Euro ist die geltend gemachte Forderung durch Aufrechnung erloschen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist dementsprechend zu ändern

Dass das Rechtsinstitut der Aufrechnung auch im öffentlichen Recht Anwendung findet, ist im juristischen Schrifttum und in der Rechtsprechung nahezu unbestritten (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.02.1987 - 3 C 22.86 -, E 77, 19 = NJW 1987, 2530 = DÖV 1987, 821). Die Vorschriften über die Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB) gelten auch für das Recht des Sozialgesetzbuches, wie z.B. § 51 SGB-AT zeigt (vgl. BSG, Urt. v. 28.11.1984 - 4 RJ 85/83 -, zitiert nach juris). Den Gründen, aus denen heraus die Literatur (Schellhorn, BSHG; 16. Aufl., Rdnr. 18 zu § 111; Mergler/Zink, Rdnr. 29 zu § 111 BSHG) und in einzelnen Fällen auch die Rechtsprechung (VG Ansbach, GB v. 29.11.2001 - AN 14 K 96.01383 -), eine Aufrechnung für den Bereich der sozialhilferechtlichen Erstattungsstreitigkeiten ablehnt, vermag der Senat nicht zu folgen.

Besonderheiten der öffentlichen Verwaltung stehen dem Rechtsinstitut der Aufrechnung nicht entgegen. Die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit wie auch die der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit lassen es im Gegenteil angezeigt sein, dass Forderungen möglichst zeitnah geltend gemacht und beglichen werden.

Ein Ausschluss der Aufrechnung lässt sich weder aus § 112 BSHG a.F. noch aus § 111 SGB X herleiten. Wenn die Forderung, mit der aufgerechnet werden soll, mangels Geltendmachung innerhalb der Ausschlussfrist erloschen ist, stellt sich die Frage nach einer Aufrechnung nicht. Aus § 51 SGB-AT bzw. §§ 25 a, 29 a BSHG a.F. lässt sich eher der Schluss auf eine grundsätzliche Statthaftigkeit der Aufrechnung ziehen, da hier Sonderregelungen für den Fall getroffen worden sind, auf welchem Wege bei einer Aufrechnung zu Lasten eines Hilfeempfängers dessen Hilfebedürftigkeit Berücksichtigung zu finden hat.

In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass sich alle Literaturstellen auf eine Entscheidung der zentralen Spruchstelle vom 07. Februar 1985 - B 46/82 - beziehen, die ihrerseits keine nachvollziehbare Begründung enthält. Dass weder das SGB-AT noch die weiteren sozialrechtlichen Gesetze eine ausdrückliche Ermächtigung für eine Aufrechnung auch unter Sozialleistungsträgern enthalten, ist unschädlich, da das Rechtsinstitut der Aufrechnung im öffentlichen Recht anerkannt ist. Es wäre aus rechtssystematischen Gründen auch nicht erklärbar und ein Wertungswiderspruch, wenn das Rechtsinstitut der Aufrechnung in den Leistungsbeziehungen zwischen Sozialleistungsträgern ausgeschlossen sein soll, im Rechtsverhältnis zum schutzbedürftigen Hilfeempfänger jedoch modifiziert Anwendung findet.

Hinsichtlich der Voraussetzungen und der Rechtswirkungen einer Aufrechnung im öffentlichen Recht finden die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechende Anwendung. Nach § 387 BGB setzt die Aufrechnung voraus, dass dem Schuldner einer Forderung eine gleichartige und fällige Gegenforderung gegen seinen Gläubiger zusteht. Dies ist im vorliegenden Fall unbestritten. Die Aufrechnung bewirkt gemäß § 389 BGB, dass die Forderungen, soweit sie sich gedeckt haben, erloschen sind.

Der geltend gemachte Gegenanspruch, mit dem der Beklagte aufgerechnet hat, war zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung zwar bereits verjährt. § 215 BGB bestimmt jedoch ebenso wie sein Vorgänger (§ 390 Satz 2 BGB), dass die Verjährung dann nicht ausgeschlossen ist, wenn die verjährte Forderung zu der Zeit, zu welcher sie gegen die andere Forderung aufgerechnet werden konnte (Aufrechnungslage), noch nicht verjährt war. Dies trifft hier zu.

Hinsichtlich des Anspruchs auf Verzinsung der ausgeurteilten Forderung ist zwar darauf hinzuweisen, dass die aufrechterhaltene Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis teilweise fehlerhaft ist. Die Forderung wäre nicht mit vier Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz, sondern lediglich mit vier vom Hundert für das Jahr zu verzinsen. Dies ergibt sich aus § 291 i. V. m. § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. Die mit dem Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30. März 2000 (BGBl. I S. 330) vorgenommene Änderung des § 288 Abs. 1 BGB findet nach den Überleitungsvorschriften auf vor dem 01. Mai 2000 fällig gewordene Forderungen keine Anwendung (Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3 EGBGB). Es fehlt daher an Rechtsgrundlagen für den dem Kläger zugesprochenen höheren Zinsanspruch. Der Senat ist jedoch daran gehindert, das erstinstanzliche Urteil zu korrigieren, da es insoweit nicht angefochten war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 155 Abs. 1 Abs 1 VwGO.

Die Nebenentscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit haben ihre Rechtsgrundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da hierfür Gründe i.S.v. § 132 Abs. 2 VwGO nicht ersichtlich sind.

Rechtsmittelbelehrung

Die Nichtzulassung der Revision kann innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils beim Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht, Brockdorff-Rantzau-Straße 13, 24837 Schleswig, durch Beschwerde schriftlich angefochten werden. Die Beschwerde muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung dieses Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht einzureichen. In der Begründung der Beschwerde muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden. Im Beschwerdeverfahren muss sich der Beschwerdeführer durch einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit der Befähigung zum Richteramt oder Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen.



Ende der Entscheidung

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