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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 17.08.2005
Aktenzeichen: 2 LB 59/04
Rechtsgebiete: LVwG, VwGO


Vorschriften:

LVwG § 110
VwGO § 108
Zu den Anforderungen an den Nachweis über die Bekanntgabe eines Bescheides.
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Az.: 2 LB 59/04

verkündet am 17.08.2005

In der Verwaltungsrechtssache

hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 17. August 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht ..., den Richter am Oberverwaltungsgericht ..., den Richter am Oberverwaltungsgericht ... sowie die ehrenamtlichen Richterinnen ... und ... für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichterin der 9. Kammer - vom 21. Mai 2003 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu einem Ausbaubeitrag.

In den Jahren 1990 und 1991 wurde in der amtsangehörigen Gemeinde ... die Gemeindestraße ... ausgebaut. Mit Datum vom 23. Juli 1999 erließ der Beklagte gegen den Kläger als Eigentümer anliegender Grundstücke 16 Beitragsbescheide über insgesamt 151.680,53 DM zur Deckung des Aufwands für die Ausbaumaßnahme. Laut Ab-Vermerk in den Verwaltungsakten wurden diese Bescheide am selben Tage zur Post gegeben. Die Bescheide wurden dem Kläger mit einfacher Post übersandt.

Unter dem 07. September 1999 ergingen gegen den Kläger Mahnungen bezüglich der in den Bescheiden ausgewiesenen Ausbaubeiträge. Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 10. September 1999 an den Beklagten und führte darin Folgendes aus:

"... gegen den hier heute eingegangenen Zahlungsbescheid für den Ausbaubeitrag ... nebst Mahngebühren wird hiermit Widerspruch eingelegt ..."

Nachdem der Beklagte erklärt hatte, dass die Ausbaubeitragsbescheide inzwischen rechtskräftig geworden seien und der Kläger erneut zur Zahlung aufgefordert worden war, wandte dieser sich mit Schreiben vom 21. September 1999 erneut an den Beklagten und erklärte, dass er seinen Widerspruch aufrecht erhalte. In jenem Schreiben hieß es weiter, das erste Schreiben vom 23. Juli 1999 habe er leider mit Verzögerung zur Kenntnis bekommen, anderenfalls wäre von ihm bei der in Frage stehenden Summe und der für ihn nicht nachvollziehbaren Rechtsgrundlage der Widerspruch sofort erfolgt.

Nach weiterer Korrespondenz zwischen den Beteiligten legte der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten am 06. Oktober 1999 erneut Widerspruch ein und beantragte zugleich, ihm hinsichtlich der Versäumung der Widerspruchsfrist Widereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung führte er aus, ihn treffe für die Versäumung der Widerspruchsfrist keine Schuld. Das Schreiben des Beklagten sei entgegen seiner Anweisung versehentlich in der Privatpost gelandet und nach längerem Suchen schließlich zwischen den bereits gelesenen Zeitungen wiedergefunden worden. Die Beitragsbescheide vom 23. Juli 1999 seien alle zusammen in einen unscheinbaren DIN A 4-Briefumschlag gesteckt und mit der einfachen Post zugesandt worden. Es habe sich um 15 Einzelbescheide ohne besondere Aktenzeichen über einen Erschließungsbeitrag von insgesamt 115.610,80 DM gehandelt.

Der Beklagte teilte den Prozessbevollmächtigten des Klägers durch Schreiben vom 25. Oktober 1999 mit, der Kläger sei bereits mit Schreiben vom 16. und 28. September 1999 darauf hingewiesen worden, dass eine Widerspruchserhebung auf Grund Versäumnisses der Widerspruchsfrist unzulässig sei. Zugleich wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt.

Der Kläger hat am 04. November 1999 Klage erhoben und u.a. geltend gemacht, dass ihm der Bescheid betreffend das Flurstück ..., Flur ... über einen Beitrag in Höhe von 36.015,73 DM nicht zugegangen sei. Dieses sei anlässlich der Fertigung des anwaltlichen Widerspruchsschreibens vom 01. Oktober 1999 von seinem Prozessbevollmächtigten festgestellt worden, der erstmals die Bescheide im Einzelnen gesichtet habe.

Der Kläger hat beantragt,

die Beitragsbescheide des Beklagten vom 23. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 1999 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht detaillierte Ausführungen zum Ablauf bei der Versendung von Bescheiden in seiner Behörde gemacht und die Auffassung vertreten, alle 16 an den Kläger gerichteten Bescheide seien bestandskräftig geworden.

Durch Urteil vom 21. Mai 2003 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und im Hinblick auf den das Flurstück ... der Flur ... betreffenden Bescheid ausgeführt, dass das schlichte Bestreiten des Erhaltens dieses Bescheides nicht ausreichend sei, um die Bekanntgabe des Bescheides und den Beginn des Fristablaufs für die Einlegung eines Widerspruchs zu verneinen. Dabei sei von maßgeblicher Bedeutung, dass der Beklagte angebe, alle Bescheide in einem Umschlag übermittelt zu haben. Er habe dazu im Einzelnen in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass es in seiner Amtsverwaltung in einem gesonderten Raum eine Poststelle gebe, in dem ein großer Tisch stehe, auf den die jeweiligen Schriftstücke gelegt und dann sofort abgearbeitet würden. Wenn lediglich ein Bescheid zu übersenden sei, werde ein solcher einzeln "eingetütet", d.h. in einen Briefumschlag gelegt. Wenn mehrere Bescheide an denselben Adressaten übersandt werden müssten, werde jeder Bescheid einzeln nach einer dazu parallel gefertigten Liste abgehakt und sodann in den Umschlag gelegt. So habe es im vorliegenden Fall die zuständige Angestellte gehandhabt. Da für diese Zwecke extra ein eigener Tisch zur Verfügung stehe, würde es auffallen, wenn bei der Bearbeitung mehrer Bescheide an einen Beitragspflichtigen ein Bescheid oder sonstige Unterlagen auf dem Tisch liegen bleiben würden. Diese Handhabung sei auch in anderen Fällen ohne Beanstandung durchgeführt worden. Sämtliche Beitragspflichtige hätten ebenfalls nach Durchführung der genannten Versandmethode sodann mit einfachem Brief per Post ihre Beitragsbescheide erhalten.

Diese in sich geschlossene Darstellung des Beklagten sei glaubhaft und spreche für eine vollständige Übersendung aller 16 streitbefangenen Ausbaubeitragsbescheide in einem DIN A 4-Umschlag. Der Kläger bestreite auch nicht etwa den Empfang jenes Umschlages. Bezüglich eines (vermeintlich) fehlenden 16. Bescheides fänden sich zudem weder im Widerspruchsschreiben des Klägers selbst vom 10. September 1999 noch in seinem Schreiben vom 21. September 1999 irgendwelche Angaben, des gleichen nicht in den eidesstattlichen Versicherungen des Klägers, der Gutssekretärin und der Haushälterin, die mit anwaltlichem Widerspruchsschreiben vom 01. Oktober 1999 dem Beklagten vorgelegt worden seien. Erstmals in dem anwaltlichen Schreiben vom 01. Oktober 1999 werde ausgeführt, es seien in jenem DIN A 4-Briefumschlag insgesamt 15 Einzelbescheide vom 23. Juli 1999 über einen Gesamterschließungsbeitrag in Höhe von 115.610,80 DM übersandt worden. Auch wenn man davon ausgehe, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei der Überprüfung des Inhalts jenes braunen Umschlages anlässlich der Besprechung der Widerspruchsbegründung festgestellt habe, dass sich lediglich 15 Bescheide in jenem ihm geöffnet überreichten Umschlag befunden hätten, so sei damit nicht ausreichend substantiiert ein Zugang des 16. Bescheides - wie er auf Grund der Schilderung des Beklagten als erfolgt anzunehmen sei - beim Kläger in Frage gestellt. Die Möglichkeit des Abhandenkommens jenes Bescheides sei unter Berücksichtigung der Gesamtumstände im vorliegenden Fall vielmehr der Sphäre des Klägers zuzurechnen; denn die von ihm geschilderten generellen Abläufe bei der Post-/Zeitungs- sowie Zeitschriftensichtung und -verwahrung in Verbindung mit dem hier konkret zugrunde liegenden Sachverhalt verdeutlichten, dass vom Eingang jenes Briefumschlages beim Kläger bis zur Aushändigung des geöffneten Umschlages an seinen Prozessbevollmächtigten rund 3 Wochen nach dem Auffinden des Umschlages im Stapel der bereits gelesenen Zeitungen, mehrere Konstellationen wahrscheinlich seien, wie der Bescheid offensichtlich abhanden gekommen sei (z.B. Herunterfallen eines Bescheides beim Öffnen des Umschlages, der später vom Personal beseitigt worden sei, Hineingeraten des Bescheides in einen der Stapel auf dem Schreibtisch bzw. den Nebentisch, möglicherweise in den Stapel mit den gelesenen Zeitschriften sowie spätere Entsorgung derselben o.ä.).

Dem Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil zuzulassen, soweit die Entscheidung auch den nicht zugegangenen Ausbaubeitragsbescheid für das Flurstück ... der Flur ... über 36.015,73 DM umfasst, hat der Senat durch Beschluss vom 22. Juni 2004 entsprochen.

Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger vor, das angefochtene Urteil sei unrichtig, soweit das Verwaltungsgericht davon ausgehe, der Bescheid für das Grundstück Flur ..., Flurstück ... sei im vom Beklagten übersandten Briefumschlag enthalten gewesen und der Widerspruch daher zu Recht als verfristet zurückgewiesen worden. Zu Unrecht nehme das Verwaltungsgericht an, allein auf Grund des Vortrags des Beklagten zum Ablauf der Versendung von Bescheiden in der Behörde könne davon ausgegangen werden, alle 16 Ausbaubeitragsbescheide seien in dem Briefumschlag enthalten gewesen. Diese Annahme sei hier nicht gerechtfertigt.

Er, der Kläger, habe den Zugang des Bescheides bestritten, so dass gemäß § 110 Abs. 2 LVwG der Beklage diesen Zugang nachzuweisen habe. Hierzu reiche eine bloße Beschreibung der Postausgangsorganisation beim Amt nicht aus, weil daraus nicht geschlossen werden könne, dass diese immer fehlerfrei funktioniere. Ob im vorliegenden Einzelfall tatsächlich der Bescheid in den Briefumschlag gesteckt worden sei, habe das Gericht nicht überprüft. Vielmehr habe es, weil hinsichtlich der anderen 15 Beitragsbescheide bei ihm, dem Kläger, ein Organisationsdefizit festgestellt worden sei, aus diesem Defizit darauf geschlossen, dass auf keinen Fall der Beklagte, sondern nur der Kläger für den Verlust des 16. Bescheids verantwortlich sein könne. Dieser Schluss des Gerichts sei unzulässig. Das vorzuwerfende Organisationsverschulden beim Postzugang habe nicht dazu führen können, dass Seiten aus dem Briefumschlag hätten verschwinden können, da der Brief gar nicht geöffnet worden sei. Einen weiteren Sorgfaltsmangel der zum Verlust des 16. Bescheids habe führen können, habe das Gericht nicht festgestellt.

Das Verwaltungsgericht verkenne, dass die Beweislast über den Zugang beim Beklagten liege und das schlichte Bestreiten des Zugangs ausreiche. Durch den Vortrag des Beklagten über die Organisation des Postausgangs in der Behörde sei der Zugang des 16. Bescheides nicht erwiesen. Ein Anscheinsbeweis zum Nachweis des Zugangs eines schriftlichen Verwaltungsaktes sei nicht zulässig.

Weiter meint der Kläger, dass das Verwaltungsgericht eine inhaltliche Prüfung der Rechtmäßigkeit des Ausbaubeitragsbescheids hätte vornehmen müssen. Dabei wäre es zum Ergebnis gekommen, dass der Bescheid rechtswidrig sei.

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichterin der 9. Kammer - vom 21. Mai 2003 zu ändern und festzustellen, dass der Heranziehungsbescheid des Beklagten vom 23. Juli 1999 für das Flurstück ..., Flur ..., Gemarkung ... gegenüber dem Kläger nicht wirksam geworden ist,

hilfsweise,

den Heranziehungsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 1999 aufzuheben,

2. die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Vorverfahren für notwenig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte teilt die Auffassung des Klägers, dass auf den Zugang des Bescheides nicht die Regeln des Anscheinsbeweises anzuwenden seien und dass den Abgabenpflichtigen auch keine Darlegungslast hinsichtlich der näheren Umstände des Nichtzugangs treffe. Für den Nachweis des Zugangs gälten die allgemeinen Beweisregeln. Hiernach könnten und müssten aber bestimmte Verhaltensweisen des Abgabenpflichtigen nach der Absendung des Bescheides und die sonstigen besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalles im Wege der freien Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 VwGO dahingehend gewürdigt werden, dass von einem Zugang eines Bescheides auszugehen sei. Dies erfolge dann nicht auf Grund eines Anscheinsbeweises, sondern sei die notwendige und zwingende Schlussfolgerung aus verschiedenen Beweisanzeichen, insbesondere auch aus dem Verhalten eines Klägers nach der Absendung der Beitragsbescheide. Danach sei im vorliegenden Fall von einem Zugang des allein noch streitigen Ausbaubeitragsbescheides beim Kläger auszugehen.

Das vom Beklagten praktizierte Postabsendeverfahren biete generell und insbesondere auch im vorliegenden Fall die Gewähr dafür, dass Postsendungen ordnungsgemäß abgesendet würden. Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht geschilderte sinnvolle Handhabung habe bisher zu keiner Beanstandung geführt. Sämtliche Beitragspflichtigen hätten nach Durchführung dieser Versandmethode mit einfachem Brief per Post ihre Beitragsbescheide erhalten. Störungen dieses bewährten Regelablaufs seien vom Kläger auch nicht vorgetragen worden.

Damit gelte auch der streitbefangene Heranziehungsbescheid auf Grund der 3-Tages-Frist als am Montag, dem 26. Juli 1999 ordnungsgemäß bekanntgegeben. Das sei zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu welchem es bei der Post durch Streiks oder ähnliche Betriebsunterbrechungen auch keine Verzögerungen bei der Briefzustellung gegeben habe. Der Briefumschlag mit den 16 Bescheiden sei auch nicht als unzustellbar an das beklagte Amt zurückgelangt. Dies und die ordnungsgemäße Absendung reichten zwar als Indizien für ihren tatsächlichen Zugang beim Kläger für sich allein noch nicht aus, weil Briefsendungen auf dem Postweg verloren gehen könnten. Allerdings habe der Kläger selbst eingeräumt, dass der entsprechende Briefumschlag auch tatsächlich in seinen Herrschaftsbereich gelangt sei. Selbst nachdem dem Kläger mit Schreiben des Beklagten vom 07. September 1999 16 Mahnungen auf Grund der zwischenzeitlich bestandskräftig gewordenen Ausbaubeitragsbescheide übermittelt worden seien, fänden sich weder im sogenannten Widerspruchsschreiben des Klägers selbst vom 10. September 1999 noch in seinem Schreiben vom 21. September 1999 irgendwelche Angaben dagegen, desgleichen nicht in den eidesstattlichen Versicherungen des Klägers, der Gutssekretärin und der Haushälterin, die mit anwaltlichem Widerspruchsschreiben vom 01. Oktober 1999 dem Beklagten vorgelegt worden seien. Bezüglich des vermeintlich fehlenden 16. Bescheides werde erstmals in dem anwaltlichen Schreiben vom 01. Oktober 1999 ausgeführt, es seien in jenem DIN A 4-Briefumschlag insgesamt 15 Einzelbescheide übersandt worden. Damit werde nicht hinreichend substantiiert ein Zugang des 16. Bescheides in Frage gestellt. Angesichts der Häufung von Indizien bestehe letztlich keinerlei Zweifel, dass der Kläger den sogenannten 16. Beitragsbescheid vom 23. Juli 1999 seinerzeit tatsächlich erhalten habe, so dass auch dieser Bescheid bestandskräftig geworden sei.

Über die Fragen der Versendung und des Zugangs der Beitragsbescheide vom 23. Juli 1999 hat der Senat Beweis erhoben durch Vernehmung der Mitarbeiter des Beklagten ... und ... sowie des Betriebsleiters des Klägers ... als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 17. August 2005 verwiesen.

Die Verwaltungsvorgänge des Beklagten haben vorgelegen; auf sie und die Schriftsätze der Beteiligten wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage hinsichtlich des Beitragsbescheides vom 23. Juli 1999, der sich auf das Flurstück ..., Flur ..., Gemarkung ... bezieht und allein Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, zu Recht abgewiesen.

Die mit der Umstellung von der Anfechtungs- auf die Feststellungsklage verbundene Klageänderung ist sachdienlich und daher gemäß § 91 Abs. 1 VwGO zulässig. Da der Kläger geltend macht, dass ihm der fragliche Bescheid nicht bekannt gegeben worden ist, entspricht die beantragte Feststellung dem mit der Klage verfolgten Begehren. Mit der Feststellungsklage nach § 43 VwGO kann der Kläger die Feststellung erreichen, dass der Verwaltungsakt nicht wirksam geworden ist, mithin die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses.

Die Feststellungsklage ist jedoch unbegründet.

Gemäß § 11 KAG i.V.m. § 112 Abs. 1 Satz 1 LVwG wird ein Abgabebescheid gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Die Bekanntgabe ist nicht nur eine Rechtsmäßigkeits-, sondern eine Existenzvoraussetzung des Verwaltungsaktes. Gemäß § 110 Abs. 2 LVwG hat die Behörde im Zweifel den Zugang des Verwaltungsaktes nachzuweisen. Das ist hier geschehen. Nach § 108 Abs. 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Absolute Gewissheit ist nicht erforderlich. Es genügt ein so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass eine andere Auffassung bei vernünftiger Überlegung nicht denkbar ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 108 Rdnr. 5 m.w.N.). Nach diesem Maßstab steht bei Berücksichtigung des Vorbringens der Beteiligten und auf der Grundlage der vorgenommenen Beweiserhebung zur Überzeugung des Senats fest, dass der das Flurstück ... betreffende Bescheid dem Kläger zusammen mit anderen 15 Bescheiden bekannt gegeben worden ist.

Die Zeugin ... hat den Vortrag des Beklagten über die technische Abwicklung der Versendung der Bescheide bestätigt. Danach wurden die zur Versendung vorgesehenen Bescheide der in der Postzentrale des Amtes tätigen Zeugin jeweils als Original und Kopie zusammen mit einer von der Sachbearbeiterin, die die Bescheide vorbereitet hatte, gefertigten Liste übergeben. Die Zeugin steckte die Originale in die dafür vorbereiteten Umschläge und zeichnete die Kopien jeweils mit ihrer Paraphe ab. Mehrere an einen Adressaten gerichtete Bescheide wurden - einer Anweisung des Zeugen ... entsprechend - jeweils zusammen in einen größeren Umschlag gesteckt. Eine von der Zeugin ... gekennzeichnete Kopie des das Flurstück ... betreffenden Bescheides befindet sich in den Verwaltungsvorgängen. Weder ist der Zeugin ... aufgefallen, dass ein Bescheid übrig geblieben wäre, noch ist dem Zeugen ... bekannt, dass seinerzeit ein Bescheid als Irrläufer zurückgekommen wäre. Danach kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass der fragliche an den Kläger gerichtete Bescheid zusammen mit den anderen 15 Bescheiden, deren Empfang der Kläger bestätigt hat, in einem Umschlag abgesandt und damit dem Kläger bekannt gegeben wurde. Es ist auszuschließen, dass der fragliche Bescheid im Amt liegen blieb oder versehentlich an eine andere Person versandt wurde.

Zweifel am Zugang des Bescheides beim Kläger ergeben sich - wie bereits das Verwaltungsgericht ausführlich begründet hat - nicht aus dem weiteren Verfahrensablauf nach Zugang der Mahnungen im September 1999. Der Senat macht sich die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu Eigen und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen darauf Bezug. Zwar liegt die Beweislast für den Zugang des Bescheides beim Beklagten, so dass die Unmöglichkeit der Feststellung des Zugangs nicht schon deswegen der Sphäre des Klägers zugerechnet werden kann, weil der Ablauf des Posteingangs mehrere Möglichkeiten denkbar erscheinen lässt, wie der fragliche Bescheid im Hause des Klägers verlorengegangen sein könnte, doch können Organisationsmängel im Bereich des Bescheidadressaten Indizien verstärken, die für den Zugang des Bescheides sprechen (vgl. FG Düsseldorf, Urt. v. 18.05.2004 - 6 K 2695/02 K -, JURIS). Solche Organisationsmängel sind hier zu Tage getreten.

Der Betriebsleiter des Klägers, der Zeuge ..., hat bekundet, dass er zugegen gewesen sei, als der Kläger die Bescheide einem großen Umschlag entnahm. Er könne sich jedoch nicht erinnern, ob der Umschlag zu dem Zeitpunkt noch verschlossen gewesen sei. Er habe sogleich im Beisein des Klägers die Summe der Beitragsforderungen ermittelt und meine, es müsse ein Betrag von mehr als 100.000,-- DM, wohl mindestens 120.000,-- DM gewesen sein. Erst an anderen Tagen habe er sich mit den Einzelheiten befasst und festgestellt, dass es sich um insgesamt 15 Bescheide gehandelt habe.

Diese Bekundungen begründen keinen Zweifel an der Annahme, dass dem Kläger zuvor 16 Bescheide zugegangen waren. Zwar sprechen die vom Zeugen erinnerte Summe der Beitragsforderungen und die wenige Tage später vermeintlich festgestellte Nichtberücksichtigung des Flurstücks ... bei der Beitragserhebung für die Richtigkeit der Angabe, dass zu der Zeit nur noch 15 Bescheide beisammen waren und auch später den Prozessbevollmächtigten des Klägers übergeben wurden, doch ist das auf einen vorherigen Verlust im Hause bzw. Betrieb des Klägers zurückzuführen. Es liegt auf der Hand, dass der Kläger den Umschlag mit den Beitragsbescheiden sogleich öffnete, nachdem seine Haushälterin diesen Umschlag in den Privaträumen im Stapel bereits gelesener Zeitungen entdeckt und dem Kläger übergeben hatte. Auf Grund der zuvor erhaltenen Mahnungen und der Nachfrage beim Beklagten war der Kläger über den Umfang der Forderungen und den Gegenstand informiert, so dass die Annahme, der Kläger habe mit dem Öffnen des Umschlages abgewartet, um sich zunächst in das Büro der Gutsverwaltung zu begeben und das Beisein seines Betriebsleiters abzuwarten, lebensfremd erscheint. Das wird vom Kläger auch nicht behauptet. Sein Vortrag beschränkt sich darauf, dass er lediglich 15 Bescheide erhalten habe. Alle verwertbaren Umstände sprechen jedoch dafür, dass sich auch der das Flurstück ... betreffende Beitragsbescheid zunächst im Umschlag mit weiteren 15 Bescheiden befand, aber später beim Kläger verloren ging.

Die hilfsweise aufrecht erhaltene Anfechtungsklage ist unzulässig, weil es an der Durchführung des nach § 68 VwGO erforderlichen Vorverfahrens und somit an einer Sachentscheidungsvoraussetzung fehlt. Der nach Ablauf der Frist des § 70 VwGO erhobene Widerspruch des Klägers vermochte den Eintritt der Bestandskraft auch des auf das Flurstück ... bezogenen Bescheides nicht zu beseitigen, weil aus den vom Verwaltungsgericht ausgeführten Gründen keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumnis der Widerspruchsfrist zu gewähren ist.

Nach alledem kommt es auf die inhaltliche Richtigkeit des angefochtenen Bescheides nicht an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Nebenentscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe hierfür nicht ersichtlich sind (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 18.414,55 Euro festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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