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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 07.04.2004
Aktenzeichen: 2 LB 63/03
Rechtsgebiete: SGB VIII


Vorschriften:

SGB VIII § 94 Abs. 2
1. Nur wenn die Gefahr ausgeschlossen werden kann, das wirtschaftliche Erwägungen der Inanspruchnahme der gebotenen Erziehungshilfe nicht im Wege stehen könnten, kommt unter Abweichung vom Regelfall nach § 94 Abs. 2 SGB VIII eine Heranziehung der Eltern zu einem Kostenbeitrag über die durch die auswärtige Unterbringung ersparten Aufwendungen hinaus in Betracht.

2. Eine Unbilligkeit der Gewährung von Sozialleistungen an Unterhaltsberechtigte kann erst dann angenommen werden, wenn Einkommen und/oder Vermögen der Unterhaltsverpflichteten weit überdurchschnittlich sind.


SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT

Az.: 2 LB 63/03

Verkündet am 07.04.2004

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Hilfe zur Erziehung (Kostenbeitrag) - Berufungsverfahren -

hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig ohne mündliche Verhandlung am 07. April 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht I., den Richter am Oberverwaltungsgericht J., den Richter am Oberverwaltungsgericht CX. sowie die ehrenamtlichen Richterinnen Frau AF. und Frau BS.

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichter der 15. Kammer - vom 23. April 2003 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens; Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Heranziehung der Kläger zu einem Kostenbeitrag für Jugendhilfeleistungen, die der Beklagte im Hinblick auf den Sohn der Kläger gewährt.

Der Beklagte leistet für den Sohn der Kläger seit dem 15. Dezember 2000 Hilfe zur Erziehung nach § 33 SGB VIII in Form von Dauerpflege. Die Kläger werden auf der Grundlage eines Bescheides des Beklagten vom 28. November 2001 zu einem Kostenbeitrag von 297,57 Euro monatlich ab dem 01. August 2001 herangezogen; dies entspricht den für die auswärtige Unterbringung ersparten Aufwendungen im Sinne von § 94 Abs. 2 SGB VIII.

Mit Bescheid vom 28. März 2002 zog der Beklagte die Kläger darüber hinaus zu einem Kostenbeitrag in Höhe von 9.847,00 Euro (Heranziehung aus dem Vermögen) heran. Zur Begründung wurde ausgeführt, auf Grund der Angaben der Kläger sei davon auszugehen, dass sie über ein Bankguthaben in Höhe von 25.460,06 DM verfügten. Nach Abzug der Freibeträge gemäß § 88 Abs. 2 BSHG von insgesamt 6.200,-- DM verbliebe ein Betrag von 19.260,00 DM bzw. 9.847,49 Euro. Hiermit würden sie gemäß § 93 Abs. 2 KJHG i.V.m. § 88 Abs. 2 BSHG zu den Kosten der Hilfe herangezogen. Der dagegen von den Klägern am 10. April 2002 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 2002 zurückgewiesen.

Die Kläger haben am 09. Juli 2002 Klage erhoben und geltend gemacht, dass sie auf der Grundlage von § 94 Abs. 2 SGB VIII lediglich in Höhe der durch die auswärtige Unterbringung ersparten Aufwendungen aus ihrem Einkommen herangezogen werden könnten. Die hier festgesetzte Heranziehung aus dem Vermögen sei mit § 94 Abs. 2 SGB VIII nicht zu vereinbaren.

Die Kläger haben beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 28. März 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 2002 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die angefochtenen Bescheide verteidigt und sich u.a. auf Nr. 4.4 der Gemeinsamen Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft der Jugendämter der Länder Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, Landesjugendämter Rheinland und Westfalen-Lippe im Land Nordrhein-Westfalen berufen. Danach sei hier nicht von einem Regelfall im Sinne des § 94 Abs. 2 SGB VIII auszugehen, da die Kläger auf Grund ihres Sparguthabens von rund 25.000,00 DM über Vermögen verfügten, das die Schutzbestimmungen des § 88 Abs. 2 BSHG um 50% überschreite. Das lasse eine Heranziehung der Kläger aus dem Vermögen zu.

Durch Urteil vom 23. April 2003 hat das Verwaltungsgericht dem Antrag der Kläger entsprochen und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Die Heranziehung der Kläger zu einem Kostenbeitrag sei rechtswidrig.

Als Rechtsgrundlage komme nur die Sonderregelung des § 94 SGB VIII in Betracht. Aus dem Umstand, dass sich die Vorschrift des § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII auf einen Regelfall beziehe, sei zu entnehmen, dass in atypischen Fällen eine Ausnahme von dem Grundsatz möglich sei, dass eine Kostenerstattung in Höhe der durch die auswärtige Unterbringung ersparten Aufwendungen verlangt werde. Die Vorschrift erlaube deshalb einerseits in Ausnahmefällen ganz von der Heranziehung zu einem Kostenbeitrag abzusehen, andererseits aber auch in atypischen Fällen eine über die Privilegierung des § 94 Abs. 2 SGB VIII hinausgehende Heranziehung zu den Kosten. Das Gericht halte die vom Beklagten in Anlehnung an die Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft der Jugendämter vorgenommene Abgrenzung eines Regelfalls von einem atypischen Ausnahmefall für rechtsfehlerhaft. Die Empfehlungen liefen darauf hinaus, für die Frage einer Heranziehung zu einem Kostenbeitrag bei den in Rede stehenden Jugendhilfeleistungen einen speziellen Schonbetrag zu definieren, der insoweit ausschlaggebend sein solle. Diese Konzeption einer Abgrenzung vermöge bereits vom Grundgedanken her nicht zu überzeugen, denn der Gesetzgeber habe im Rahmen der im Vergleich zu § 93 SGB VIII privilegierenden Regelungen in § 94 Abs. 2 SGB VIII die weitergehende Heranziehung gerade nicht von dem Überschreiten bestimmter Schonbeträge abhängig gemacht. Es erscheine daher nicht mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes vereinbar, einen über die sozialhilferechtlichen Regelungen hinausgehenden Schonbetrag zu definieren und dementsprechend die gesetzliche Privilegierung auf diese Weise zu beschränken. Sinnvoller erscheine es, bei der Abgrenzung von Ausnahmefällen entscheidend auf den Sinn und Zweck dieser Sonderreglung für die Heranziehung der Eltern bei bestimmten Jugendhilfeleistungen abzustellen. Die eingeschränkte Heranziehung der Eltern bei Jugendhilfeleistungen im Bereich der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche sowie bei der Hilfe zur Erziehung in einer Tagesgruppe, Vollzeitpflege, in einem Heim oder im Rahmen intensiver sozialpädagogischer Einzelbetreuung beruhe ersichtlich auf der Bewertung des Gesetzgebers, dass derartige Lasten in der Regel teilweise solidarisch getragen werden sollten; eine Rolle spiele sicher auch die Erwägung, dass sich Minderjährige und Eltern wegen einer zu erwartenden Kostenbeteiligung nicht von pädagogisch erwünschten Hilfeleistungen abhalten lassen sollten. Eine über die Erstattung der Kostenersparnis hinausgehende Heranziehung der Eltern komme dementsprechend nur dann in Betracht, wenn die Eltern so vermögend seien, dass eine Beschränkung ihres Beitrages auf die ersparten Aufwendungen unbillig erscheine; bei großen Vermögen sei es auch nicht anzunehmen, dass wirtschaftliche Erwägungen der Inanspruchnahme der gebotenen Erziehungshilfe im Wege stehen könnten.

Ausgehend von diesen Überlegungen stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass jedenfalls bei dem in Rede stehenden Sparvermögen von rund 25.000,00 DM eine Abweichung von dem Regelfall des § 94 Abs. 2 SGB VIII mit Sicherheit nicht in Betracht komme. Dass Eheleute über Ersparnisse in Höhe von ca. 25.000,00 DM bzw. 12.782,00 Euro verfügten, sei nach den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes zum durchschnittlichen Bruttogeldvermögen von privaten Haushalten nicht so ungewöhnlich, dass eine Atypik festgestellt werden könne, die eine Ausnahme von § 94 SGB VIII rechtfertige. Wo die Grenze letztlich zu ziehen sei, bedürfe keiner Entscheidung. Eine Atypik könne aber nur wohl bei solchen Vermögen angenommen werden, bei denen trotz vollständiger Heranziehung zu den Kosten von vornherein kein Bedarf bestehe, einen Mindestschutz durch eine spezielle Definition von Schonbeträgen vorzusehen. Dies könne dafür sprechen, bei einer Fallgestaltung der vorliegenden Art erst ab einem Vermögen von 50.000,00 Euro eine Ausnahme im Rahmen des § 94 Abs. 2 SGB VIII in Betracht zu ziehen.

Auf Antrag des Beklagten hat der Senat die Berufung durch Beschluss vom 25. August 2003 zugelassen.

Der Beklagte meint weiterhin, ein Ausnahmefall im Sinne von § 94 Abs. 2 SGB VIII, der eine weitergehende Heranziehung der Eltern zu einem Kostenbeitrag zulasse, sei in Anlehnung an die gemeinsamen Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft der Jugendämter dann anzunehmen, wenn das Vermögen die Schutzgrenze des § 88 Abs. 2 BSHG um mehr als 50% überschreite. Eine andere Verwaltungspraxis führe mangels gerichtlicher Entscheidungen nicht zu einem auf rechtlichen Grundlagen basierenden Ergebnis. Ein Verweis auf das durchschnittliche Bruttogeldvermögen von Privathaushalten auf Grund von statistischen Erhebungen des Statistischen Bundesamtes als Anhaltspunkt für eine gegenüber dem § 88 Abs. 2 BSHG wesentlich höhere Schutzgrenze gehe eindeutig an den tatsächlichen Gegebenheiten der Jugendhilfepraxis vorbei und könne für den Bereich der Jugendhilfe nicht zugrunde gelegt werden. Die Anwendung der Schutzgrenze gemäß § 88 Abs. 2 BSHG sei vielmehr auch gerechtfertigt, weil in der Jugendhilfe ähnliche wie im BSHG verankerte Leistungen zum Lebensunterhalt erbracht würden.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichter der 15. Kammer - vom 23. April 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Kläger verteidigen die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Das Gericht habe im Urteil klare Zuordnungen getroffen, die sich so auch eindeutig aus dem Gesetz ergäben. Mit dem Sinn und Zweck der Regelungen in § 94 SGB VIII sei es nicht vereinbar, einen über die sozialhilferechtlichen Regelungen hinausgehenden Schonbetrag zu definieren. Nach dem klaren Willen des Gesetzgebers solle eine über die Erstattung der Kostenersparnis hinausgehende Heranziehung der Eltern nur dann in Betracht kommen, wenn die Eltern derart vermögend seien, dass eine Beschränkung bloß auf die ersparten Aufwendungen unbillig wäre. Davon könne bei einem Sparvermögen in Höhe von rund 12.500,00 Euro keinesfalls ausgegangen werden. Wenn es jedoch auf eine Schutzgrenzen-Wertung ankäme, so sei auf die Heranziehungsempfehlungen des Deutschen Vereins für die Heranziehung Unterhaltspflichtiger in der Sozialhilfe hinzuweisen, wo von einer Schutzgrenze in Höhe von 12.500,00 Euro ausgegangen werde.

Die Verwaltungsvorgänge des Beklagten haben vorgelegen; auf sie und die Schriftsätze der Beteiligten wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die angefochtenen Bescheide zu Recht aufgehoben.

Der Senat teilt die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung, dass die Kläger über die durch die auswärtige Unterbringung ersparten Kosten hinaus nach der maßgeblichen Bestimmung des § 94 Abs. 2 SGB VIII jedenfalls bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides nicht zu einem Kostenbeitrag zu der ihrem Sohn gewährten Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege (§§ 33, 91 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b) SGB VIII) heranzuziehen waren, weil weder ihr Vermögen noch ihr Einkommen die Annahme zuließen, es liege eine Abweichung vom Regelfall vor. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gemäß § 130 b Satz 2 VwGO auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen. Die Berücksichtigung des Berufungsvorbringens rechtfertigt keine andere Entscheidung. Ergänzend sei auf Folgendes hingewiesen:

Es besteht Übereinstimmung dahingehend, dass die Regelung des § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII, wonach die Eltern, die vor Beginn der Hilfe mit dem Kind oder Jugendlichen zusammenlebten, "in der Regel" in Höhe der durch die auswärtige Unterbringung ersparten Aufwendungen heranzuziehen sind, bei atypischen Verhältnissen Abweichungen zulässt. So können etwa Schulden beitragsmindernd berücksichtigt werden, wenn sie als "Rückkehrhilfe" in die Familie gedacht sind (so OVG Lüneburg, Urt. v. 26.05.1999 - 4 L 4442/98 -, FEVS 51, 136). Andererseits wird eine über die ersparten Aufwendungen hinausreichende Heranziehung für möglich gehalten, wenn die Unterbringung zu einem ungerechtfertigten Vermögensvorteil, z.B. durch erzielte Erwerbseinnahmen führt (so Kunkel in: LPK-SGB VIII, 2. Aufl., § 94 Rn 5 b). Beizupflichten ist jedenfalls der Auffassung, dass ein Regelfall nicht vorliegt und eine über die Kostenersparnis hinausgehende Heranziehung nicht nur möglich, sondern auch notwendig ist, wenn die Eltern über ein außergewöhnlich hohes - vom Regelfall abweichendes - Einkommen und/oder Vermögen verfügen. Mit dem Verwaltungsgericht ist der Senat aber der Auffassung, dass diese Bewertung nicht dazu führen darf, vom Gesetzgeber gerade nicht vorgesehene Schonbeträge festzulegen, sondern dabei vielmehr auf Sinn und Zweck dieser Sonderregelung für die Heranziehung der Eltern bei bestimmten Jugendhilfeleistungen abzustellen ist. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts wird verwiesen.

In der Begründung des Entwurfes eines Gesetzes zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts, in dem der Umfang der Heranziehung zu den Kosten erstmals geregelt war, wurde ausgeführt, dass mit den Regelungen über die Heranziehung der Eltern zu einem Kostenbeitrag bei den fraglichen Maßnahmen erreicht werde, dass die jeweilige Belastung vor und während der Hilfeleistung unverändert bleibe (BT-Drucks. 11/5948 S. 109). § 82 Abs. 3 Satz 1 des Entwurfs regele den Grundsatz, wonach die Eltern zu den genannten Leistungen in angemessenem Umfang beizutragen hätten. Der Entwurf knüpfe insoweit an die Terminologie des Bundessozialhilfegesetzes für den Einsatz des Einkommens oberhalb der Einkommensgrenze an (§ 84 Abs. 1 BSHG). Die Festsetzung einer Einkommensgrenze erscheine hingegen nicht mehr erforderlich, da der Entwurf - anders als das Bundessozialhilfegesetz - den Einsatz des Einkommens und Vermögens nur für solche Leistungen vorsehe, die in gleicher Weise eine Heranziehung sowohl über als auch unter der Einkommensgrenze erlaubten. In der Begründung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch vom 22. Juni 1992, der zur hier anzuwendenden Bestimmung des § 94 Abs. 2 SGB VIII geführt hat, heißt es, die Regelung beschränke die Heranziehung der Eltern oder der Elternteile, die vor Beginn der Hilfe mit dem Kind oder dem Jugendlichen zusammenlebten, auf die Höhe der durch die auswärtige Unterbringung ersparten Aufwendungen. Sie modifiziere insoweit die allgemeine Regelung des § 93 Abs. 2. Daraus wird deutlich, dass die Hilfen im Sinne des § 94 Abs. 1 SGB VIII nicht nur unabhängig von Einkommen und Vermögen der betroffenen Kinder oder Jugendlichen und ihrer Eltern gewährt werden, sondern zugleich erreicht werden soll, dass die jeweilige Belastung vor und während der Hilfeleistung für die Betroffenen unverändert bleibt (vgl. auch OVG Schleswig, Urt. v. 27.08.1997 - 5 L 27/96 -, SchlHA 1997, 286). Das Verwaltungsgericht hat insoweit zutreffend ausgeführt, dass der gesetzlichen Regelung auch die Erwägung zugrunde liegen dürfte, dass sich Minderjährige und Eltern wegen einer zu erwartenden Kostenbeteiligung nicht von pädagogisch erwünschten Hilfeleistungen abhalten lassen sollten. Nur wenn die Gefahr ausgeschlossen werden kann, dass wirtschaftliche Erwägungen der Inanspruchnahme der gebotenen Erziehungshilfe nicht im Wege stehen könnten, kommt unter Abweichung vom Regelfall eine Heranziehung der Eltern zu einem Kostenbeitrag über die durch die auswärtige Unterbringung ersparten Aufwendungen hinaus in Betracht.

Bei Beurteilung der Frage, welche Grenzziehung insoweit vorzunehmen ist, können Einkommen und Vermögen nicht jeweils isoliert betrachtet werden. Dabei können die Einkommensgrenzen des § 81 Abs. 1 BSHG und die Schutzbestimmungen des § 88 Abs. 2 BSHG nur Hinweise geben, nicht aber Richtschnur der Bewertung sein. Da in den Fällen des § 94 Abs. 2 SGB VIII nicht nur eine Vorleistungspflicht der öffentlichen Jugendhilfe besteht, sondern in der Regel nur der durch die Hilfe entstehende Vorteil bei den Eltern abgeschöpft werden soll, ist entgegen der Auffassung des Beklagten keine Parallele zur Leistungsgewährung nach dem Bundessozialhilfegesetz zu ziehen. In dem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Anwendung der für die Hilfe zum Lebensunterhalt geltenden Grundsätze schon deswegen nicht möglich ist, weil dort eine Vermögensbildung während des Hilfebezugs - von Ausnahmen abgesehen - nicht in Betracht kommt. Solange nicht geschütztes Vermögen vorhanden ist oder über die Schutzgrenzen hinausgehendes Einkommen erzielt wird, besteht kein Hilfeanspruch. Demgegenüber führten die Gemeinsamen Empfehlungen für die Heranziehung zu den Kosten nach § 91 ff SGB VIII der Arbeitsgemeinschaft der Jugendämter, die auch der Beklagte anwendet, dazu, dass erheblich über die Grenze des § 81 Abs. 2 BSHG hinausgehendes Einkommen im Zeitraum des Bezugs zu keiner weitergehenden Inanspruchnahme der Eltern führte, im Falle des Ansparens in der Folgezeit aber sogleich in vielen Fällen als Vermögen abgeschöpft würde. Diese Handhabung ist mit der Zielsetzung des Gesetzes nicht vereinbar.

Anhaltspunkte dafür, unter welchen Umständen nach der Vorstellung des Bundesgesetzgebers die Gewährung von Sozialleistungen an Unterhaltsberechtigte unbillig erscheint, bieten - jetzt - die Regelungen zur bedarfsorientierten Grundsicherung. Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 GSiG bleiben dabei Unterhaltsansprüche der Antragsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern unberücksichtigt, sofern deren jährliches Gesamteinkommen im Sinne des § 16 SGB IV unter einem Betrag von 100.000,00 Euro liegt. Wenn auch dieser Betrag nicht ohne weiteres auf die Regelung des § 94 Abs. 2 SGB VIII zu übertragen ist, so zeigt die Bestimmung doch, dass eine Unbilligkeit der Gewährung von Sozialleistungen an Unterhaltsberechtigte erst dann angenommen wird, wenn das Einkommen der Unterhaltsverpflichteten weit überdurchschnittlich ist und die Einkommensgrenze des § 81 BSHG um ein Mehrfaches übersteigt. Das hat im Hinblick auf den Kostenbeitrag nach § 94 Abs. 2 SGB VIII auch für das Vermögen zu gelten. Insoweit teilt der Senat den Ansatz des Verwaltungsgerichts, in die Betrachtung statistische Angaben über das Bruttovermögen privater Haushalte einzubeziehen, wobei dabei nicht allein das Bruttogeldvermögen zu berücksichtigen ist.

Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, durch gerichtliche Entscheidung eine von der Verwaltung als wünschenswert gehaltene, im Gesetz aber nicht vorgesehene Grenzziehung vorzunehmen. Jedenfalls wird der vom Beklagten gewählte Ansatz der Bestimmung des § 94 Abs. 2 SGB VIII nicht gerecht. Auch bei einem Geldvermögen von ca. 25.000,00 DM liegt - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - noch keine Abweichung vom Regelfall vor.

Nach alledem kommt es nicht mehr darauf an, dass die angefochtenen Bescheide auch bei Zugrundelegung der Auffassung des Beklagten einen weiteren Fehler aufweisen. Die Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft der Jugendämter dürften so zu verstehen sein, dass eine weitergehende Heranziehung der Eltern zu einem Kostenbeitrag nicht nur durch die Überschreitung des über die Schutzbestimmungen des § 88 Abs. 2 BSHG um 50% hinausgehenden Vermögens ausgelöst wird, sondern dass dieser Betrag geschützt sein soll. Demnach wäre bei Annahme eines "Schonvermögens" von 9.300,00 DM und einem vorhandenen Vermögen von 25.460,06 DM die Heranziehung der Kläger nur in Höhe des Differenzbetrages von 16.160,00 DM (8.262,51 Euro) gerechtfertigt. Die Bescheide wären danach auch aus diesem Grunde in Höhe eines Teilbetrages von 1.584,98 Euro aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit haben ihre Rechtsgrundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.



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