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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 21.08.2007
Aktenzeichen: 3 MB 2/07
Rechtsgebiete: RGebStV


Vorschriften:

RGebStV § 5 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

Az.: 3 MB 2/07

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Rundfunk- und Fernsehrecht

hat die Berichterstatterin des 3. Senats des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig am 21. August 2007 beschlossen:

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt.

Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 14. Kammer - vom 28.12.2006 ist unwirksam.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 256,43 Euro festgesetzt.

Gründe:

Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Zur Klarstellung ist sogleich auszusprechen, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 28.12.2006 unwirksam ist (vgl. § 173 VwGO iVm § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO).

Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Es entspricht hier billigem Ermessen, dem Antragsgegner die Kosten aufzuerlegen. Denn bei der im Rahmen der Entscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO nur gebotenen überschlägigen Prüfung, wäre er bei streitiger Entscheidung aller Voraussicht nach unterlegen.

Der Antrag der Antragstellerin war zulässig. Die Antragstellerin war nicht gehalten, vor der Inanspruchnahme des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO einen Antrag bei dem Antragsgegner zu stellen, die Vollstreckung des Gebührenbescheides auszusetzen. Es lagen insoweit die Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO vor, weil der Antragsgegner für einen konkreten, unmittelbar bevorstehenden Zeitpunkt (vgl. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, § 80 Rn. 186), nämlich nach Ablauf von zwei Wochen ab Bekanntgabe des Bescheides, mit der Vornahme der Zwangsvollstreckung gedroht hat. Die Antragsstellerin durfte nach Lage der Dinge, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Antragsgegner ihre Eingaben bisher nur erheblich verzögernd beantwortet hatte, nicht damit rechnen, dass vor Ablauf dieser zwei Wochen über einen Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO durch den Antragsgegner entschieden werden würde und dass ihr - der Antragstellerin - im Falle einer Ablehnung dieses Antrages gleichwohl noch genügend Zeit verbleiben würde, um um einstweiligen Rechtsschutz nachzusuchen.

Der Antragstellerin fehlte auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Die Mitteilung des Antragsgegners, er werde vor Abschluss des Rechtsstreits keine Vollstreckung einleiten, mussten die Antragstellerin und das Verwaltungsgericht dahin gehend verstehen, dass sich diese Äußerung auf die prozessleitende Verfügung des Verwaltungsgerichts vom 14.12.2006 und insoweit allein auf das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bezog. Dies gilt umso mehr, als der Antragsgegner diesen Hinweis im verwaltungsgerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erst nach der Einlassung zur Sache vorgebracht hat. Hätte der Antragsgegner insoweit den Antrag für unzulässig und damit das Verfahren für "hinfällig" oder "gegenstandslos" gehalten, weil er bis zur abschließenden Entscheidung über den Widerspruch und gegebenenfalls eine anschließende Anfechtungsklage eine Vollstreckung nicht vorzunehmen beabsichtigte, hätte es nur dieses Hinweises und im Übrigen keiner Einlassung auf den Antrag der Antragstellerin bedurft. Die Klarstellung, dass bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens keine Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet würden, erfolgte erst im Beschwerdeverfahren.

Der Antrag der Antragstellerin war auch begründet. Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass dies der Fall ist, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen, nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sofort vollziehbaren Verwaltungsaktes bestehen, d. h. wenn dessen Rechtswidrigkeit mindestens ebenso wahrscheinlich ist, wie seine Rechtmäßigkeit. In diesen Fällen überwiegt das Aussetzungsinteresse des Adressaten das gesetzlich fingierte überwiegende Interesse am sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung bestehen erhebliche Zweifel daran, dass der Antragsgegner den Begriff der "Wohnung" iSd des § 5 Abs. 1 Nr. 1 Rundfunkgebührenstaatsvertrag im vorliegenden Fall zutreffend ausgelegt hat. Nach dieser Vorschrift sind keine Rundfunkgebühren zu entrichten für Zweitgeräte, die von einer natürlichen Person oder ihrem Ehegatten "in ihrer Wohnung" bereitgehalten werden. Was eine "Wohnung" iSd § 5 Abs. 1 Rundfunkgebührenstaatsvertrag ist, bestimmt der Staatsvertrag nicht. Die zunächst heranzuziehende Auslegung nach dem Wortlaut ergibt, dass eine "Wohnung" insoweit jeder umschlossene Raum, der aus einem oder mehreren Zimmern besteht und zum Wohnen und/oder Schlafen dient, zu verstehen ist. Schon aus der Wortlautauslegung ergibt sich bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung nach Auffassung des Senats nicht eindeutig, dass keine einheitliche Wohnung in diesem Sinne gegeben ist, wenn verschiedene gemeinsam zum Wohnen und zum Schlafen genutzte Räume nur über eine gemeinsam mit anderen genutzte Treppe, einen Gemeinschaftsflur o. ä. verbunden sind. Die von dem Antragsgegner vorgenommene enge Auslegung des Wohnungsbegriffes iSd § 5 Abs. 1 Nr. 1 Rundfunkgebührenstaatsvertrag dürfte jedenfalls dem Gebot der verfassungskonformen Auslegung widersprechen. Der von dem Antragsgegner zu Grunde gelegte Wohnungsbegriff dürfte bei summarischer Prüfung mit dem Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar sein. Diese Verfassungsbestimmung verbietet dem Normgeber wesentlich Gleiches willkürlich ungleich zu behandeln. Vor diesem Hintergrund verkennt der Antragsgegner im vorliegenden Fall, dass es im Hinblick auf die Rundfunkgebührenpflicht für Zweitgeräte keinen wesentlichen Unterschied machen kann, ob mehrere gemeinsam und gleichzeitig zum Wohnen genutzte Räume unmittelbar durch Türen, Treppen etc. miteinander verbunden sind, oder ob eine mit anderen Wohnparteien gemeinsam genutzte Treppe o. ä. genutzt werden muss, um von einem Raum in einen anderen zu gelangen. In beiden Fällen werden die Räume von dem gebührenpflichtigen Teilnehmer und seinem Ehegatten gemeinsam zu Wohnzwecken genutzt und stellen sowohl nach der Vorstellung der Wohnungsinhaber als auch bei objektiver Betrachtung durch einen unbefangenen Dritten offensichtlich einen einheitlichen Haushalt und eine einheitliche Wohnstätte dar. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass etwa ausgebaute Dachbodenräume o. ä., in denen Rundfunkgeräte vorgehalten werden, auch dann nicht gesondert bei der Rundfunkgebühr zu berücksichtigen sind, wenn sie nicht unmittelbar mit der Hauptwohnung verbunden sind.

Der von der Antragsgegnerin zu Grunde gelegte Wohnungsbegriff dürfte bei summarischer Prüfung auch nicht im Rahmen der Typisierung und Pauschalierung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sein.

Zwar ist bei der rechtlichen Ordnung so genannter Massenphänomene, zu denen auch der Rundfunkempfang und die hierfür zu entrichtende Gebühr gehören, eine typisierende Betrachtung und ein damit einhergehendes Außerachtlassen atypischer Sachverhalte von Verfassungs wegen in Grenzen zulässig. Eine solche Typisierung setzt aber jedenfalls voraus, dass eine Berücksichtigung atypischer Sachverhalte mit einem unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand verbunden wäre. Das ist vorliegend nicht der Fall. Tatsächlich hat die GEZ für den Antragsgegner die von der Antragstellerin und ihrem Ehemann bewohnten Räume aufgesucht, um Feststellungen über die Heranziehung zur Rundfunkgebührenpflicht zu treffen. Bei diesem Besuch hat der Mitarbeiter der GEZ in tatsächlicher Hinsicht unstreitige Feststellungen über die Nutzung der Räumlichkeiten getroffen, die der Antragsgegner lediglich einer falschen rechtlichen Würdigung zugeführt hat. Sachverhalte, die für die Behörde tatsächlich offen zu Tage liegen, sind einer Typisierung nicht deswegen zugänglich, weil ihre rechtliche Einordnung im Einzelfall Schwierigkeiten zu bereiten vermag. Auch unabhängig vom vorliegenden Fall bedarf es auf Seiten des Antragsgegners nicht aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung einer typisierenden Betrachtung dessen, was "Wohnung" iSd § 5 Abs. 1 Nr. 1 Rundfunkstaatsvertrag ist. Es ist insoweit allgemeinkundig, dass der Antragsgegner durch die GEZ Hausbesuche bei Rundfunkteilnehmern und ihm nicht gemeldeten Personen vornimmt, um den Umfang der Heranziehung zur Rundfunkgebührenpflicht festzustellen. Dem Antragsgegner liegen also im Regelfall Erkenntnisse über die tatsächliche Nutzung der Räumlichkeiten durch Rundfunkteilnehmer vor. Dessen ungeachtet begründet die Frage, ob im Einzelfall eine oder mehrere Wohnungen vorliegen, nach Dafürhalten des Gerichts keinen so großen Verwaltungsaufwand, dass eine typisierende Zugrundelegung von Wohnverhältnissen bei der Anwendung des § 5 Abs. 1 Rundfunkgebührenstaatsvertrag geboten wäre.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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