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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 30.08.2005
Aktenzeichen: 3 MB 38/05
Rechtsgebiete: OStVO SH, RO SH, VwGO


Vorschriften:

OStVO SH § 8
RO SH § 4
VwGO § 123
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

Az.: 3 MB 38/05

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Schulrecht (Schrägversetzung - Schulartenzuweisung) - Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung -

hier: Beschwerde

hat der 3. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig am 30. August 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Antragsgegnerin wird unter Änderung des Beschlusses des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 9. Kammer - vom 08. August 2005 verpflichtet, die Antragstellerin vorläufig an dem Unterricht der 7. Klasse der Schulart Realschule teilnehmen zu lassen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung ihre sofortige Teilnahme am Unterricht der Realschule.

Die Antragstellerin hat die Grundschule mit der Empfehlung für die Realschule verlassen und in den Klassen 5 und 6 die gemeinsame Orientierungsstufe der Antragsgegnerin, einer kooperativen Gesamtschule, besucht. Im 2. Halbjahreszeugnis der 6. Klasse hat die Antragstellerin in Deutsch und Mathematik jeweils eine "4", in Englisch, Weltkunde, Musik, Kunst und Sport jeweils eine "3" und in Religion und Naturwissenschaften jeweils eine "2". Die Rechtschreibleistungen sind wegen anerkannter Legasthenie in der Deutschnote nicht enthalten. Das Zeugnis endet damit, dass die Antragstellerin laut Konferenzbeschluss der Hauptschule zugewiesen wird. Gegen diese Schulzuweisung haben die Eltern der Antragstellerin Widerspruch erhoben, den die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 06.07.2005 zurückgewiesen hat. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass nach § 4 Abs. 2 der Landesverordnung über die Aufnahme, das Aufsteigen nach Klassenstufen, die Dauer des Schulbesuchs und die Abschlussprüfung an der Realschule (RO) eine Schülerin dann versetzt werde, "wenn die Jahresleistungen in den einzelnen Fächern und Wahlpflichtkursen, die Lernfortschritte und die Entwicklung der gesamten Persönlichkeit nach pädagogischer Beurteilung die Erwartung rechtfertigen, dass sie in der folgenden Klassenstufe erfolgreich mitarbeiten wird". Die Mitglieder der Zeugniskonferenz seien nach intensiver Beratung der Meinung, dass die Antragstellerin in der Klassenstufe 7 der Schulart Realschule nicht erfolgreich mitarbeiten könne, da sie in den Hauptfächern Deutsch, Englisch und Mathematik jeweils dem A-Kurs (Hauptschulkurs) zugewiesen worden sei. Es sei daher eine erfolgreiche Mitarbeit in der Klassenstufe 7 der Schulart Hauptschule zu erwarten. Daher sei für die Versetzung § 2 Abs. 2 der Landesverordnung über die Aufnahme, das Aufsteigen nach Klassenstufen, die Dauer des Schulbesuchs und den Abschluss an der Hauptschule (HS-O) heranzuziehen. Vergleichbar sei diese Entscheidung der der Schulübergangsempfehlung zum Übergang in die Orientierungsstufe zum Halbjahr der Klassenstufe 4. Sie beruhe auf der Beobachtung und Förderung der schulischen und persönlichen Entwicklung und berücksichtige die aktuellen Leistungen. Dabei werde von der 6er-Notenskala ausgegangen, die den gesamten Bereich der Leistungen abdecke. Ein "ausreichend" in der gemeinsamen Orientierungsstufe sei nicht gleichbedeutend mit einem "ausreichend" auf Realschulniveau. Die von den Eltern der Antragstellerin erwähnten gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die zu gelegentlichen Konzentrationsstörungen geführt hätten, seien bei der Schulzuweisung nicht berücksichtigt worden, weil sie den Lehrkräften nicht bekannt gewesen seien.

Das Verwaltungsgericht hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass ein Anordnungsanspruch, an den wegen der teilweisen Vorwegnahme der Hauptsache hohe Anforderungen zu stellen seien, nicht vorliege. Die Antragsgegnerin habe die Antragstellerin voraussichtlich ohne Rechtsfehler der Hauptschule zugewiesen. Bei der Entscheidung der Klassenkonferenz als Zeugniskonferenz über die Zuweisung zu einer der drei weiterführenden Schularten nach dem Besuch der Orientierungsstufe handele es sich um eine pädagogisch-wissenschaftliche Wertentscheidung, für die der Konferenz ein gerichtlich nicht überprüfbarer Beurteilungsspielraum eingeräumt sei. Die angefochtene Entscheidung verletzte den Beurteilungsspielraum nicht und sei daher nicht zu beanstanden.

Nach der hier anwendbaren Landesverordnung über die Orientierungsstufe (OStVO) richte sich das Aufsteigen in Klassenstufe 7 nach den Versetzungsbestimmungen der Schulart, die die Schülerin ab Klassenstufe 7 besuchen solle. Daraus folge, dass die Zeugniskonferenz nach dem Besuch der 6. Klasse zu beurteilen gehabt habe, für welche Schulart die bisherigen Schulleistungen der Antragstellerin nach den jeweils geltenden Versetzungsbestimmungen voraussichtlich die Erwartung rechtfertigten, in der Klassenstufe 7 mit Erfolg mitarbeiten zu können (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 HS-O bzw. § 4 Abs. 2 Satz 1 RO). Die Antragstellerin verkenne, dass die im Zeugnis bescheinigte Bewertung der bisher gezeigten Schulleistungen von der Entscheidung über die Schulartzuweisung in der nächsthöheren Klasse zu trennen sei und bei beiden Entscheidungen jeweils unterschiedliche Maßstäbe anzulegen seien. Da die Antragstellerin nach den Feststellungen der Konferenz in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik jeweils in sog. A-Kursen in der Anspruchsebene der Hauptschule unterrichtet worden sei, seien die hierfür erteilten Endnoten für die Prognose, ob eine erfolgreiche Mitarbeit in der nächsthöheren Klassenstufe zu erwarten sei, entsprechend der vergleichenden Notenskala in Noten der Anspruchsebene umzurechnen, für die die Prognose habe aufgestellt werden sollen. Dabei habe sich ergeben, dass die in den genannten Fächern erteilten in A-Kursen der Anspruchsebene Hauptschule erreichten - Endnoten "4", "3" und "4" den Endnoten "5", "4" und "5" in der Anspruchsebene Realschule entsprächen, und dass mit diesen Endnoten nach den Versetzungsbestimmungen der Realschule die Prognose, die Schülerin könne in der 7. Realschulklasse erfolgreich mitarbeiten, nach der - innerhalb des Beurteilungsspielraums getroffenen - Einschätzung der Klassenkonferenz nicht habe gerechtfertigt werden können, während nach den Versetzungsbestimmungen der Hauptschule eine Versetzung in die 7. Hauptschulklasse gerechtfertigt erschienen sei.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer ausführlich begründeten Beschwerde

II.

Die Beschwerde hat Erfolg.

Wie das Verwaltungsgericht richtig ausgeführt hat, kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung, die - wie hier - die Entscheidung in der Hauptsache teilweise vorwegnimmt, dann in Betracht, wenn Rechtsschutz in der Hauptsache wegen der langen Verfahrensdauer nicht rechtzeitig erlangt werden kann und dies zu schlechthin unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen für die Antragstellerin führt, die sich auch bei einem spätern Erfolg in der Hauptsache nicht mehr ausgleichen lassen (vgl. BVerfG, Beschluss v. 25.10.1998 - II BvR 745/88 -, NJW 1989, 827; Urteil v. 25.07.1996 - I BvR 640/96 -, ZBR 1996, 334 f). Zudem muss mindestens eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit eines Obsiegens in der Hauptsache bestehen (Beschluss des Senats v. 30.09.1994 - 3 M 49/94 -, SchlHA 1995, 22 = DÖV 1995, 202 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts vor.

Der Antragstellerin steht ein Anordnungsgrund zur Seite. Ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache ist ihr nicht zumutbar. Der von ihr begehrte Besuch der Realschule macht nur Sinn, wenn er sofort und nicht erst nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens stattfindet.

Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch. Der Besuch der Realschule kommt in Betracht, wenn die Antragstellerin Anspruch auf Versetzung in die 7. Klasse der Realschule hat. Dafür spricht bei der hier nur möglichen summarischen Prüfung Überwiegendes.

Zunächst ist festzustellen, dass das Verwaltungsgericht bei der Annahme irrt, die Antragstellerin sei in der Klassenstufe 6 in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik jeweils in sog. A-Kursen in der Anspruchsebene der Hauptschule unterrichtet worden. Die gemeinsame Orientierungsstufe - auch wie sie bei der Antragsgegnerin praktiziert wird - ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Aufteilung in Kurse nicht stattfindet, vielmehr hier ein gemeinsamer Unterrichtet im Klassenverband binnendifferenziert stattgefunden hat.

Das Aufsteigen aus Klassenstufe 6 in Klassenstufe 7 richtet sich gemäß § 8 Abs. 3 OStVO bei einer gemeinsamen Orientierungsstufe nach den Versetzungsbestimmungen der Schulart, die die Schülerin ab der 7. Klassenstufe besuchen soll. Das ist hier die Realschulordnung - RO-. Die Antragstellerin hat die gemeinsame Orientierungsstufe mit der Empfehlung für die Realschule besucht. Dies entsprach auch dem Wunsch der Antragstellerin und ihrer Eltern, was der Antragsgegnerin auch bewusst war. Die Schule, die in der 7. Klassenstufe besucht werden "soll", war daher nach wie vor die Realschule (vgl. § 3 Abs. 5 Satz 2 OStVO). Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 RO wird die Schülerin versetzt, wenn die Jahresleistungen in den einzelnen Fächern und Wahlpflichtkursen, die Lernfortschritte und die Entwicklung der gesamten Persönlichkeit nach pädagogischer Beurteilung die Erwartung rechtfertigen, dass sie in der folgenden Klassenstufe erfolgreich mitarbeiten wird. Das ist nach Satz 2 immer dann anzunehmen, wenn ihre Leistungen in den Fächern/Wahlpflichtkursen mindestens ausreichend und in nicht mehr als einem Fach/Wahlpflichtkurs mit der Note mangelhaft bewertet werden. Nach § 3 Abs. 2 RO ist zum Schuljahresende ein Versetzungsbeschluss durch die Klassenkonferenz zu fassen. Die Klassenkonferenz hätte also zum Schuljahresende die Entscheidung treffen müssen, dass die Antragstellerin nicht in die Klassenstufe 7 der Realschule versetzt wird, mit der Folge, dass sie nach § 8 Abs. 8 OStVO in die Klassenstufe 7 der Hauptschule schrägversetzt wäre. Das wäre allerdings nur dann rechtmäßig gewesen, wenn die Antragstellerin die oben genannten Versetzungsvoraussetzungen nicht erfüllt hätte. Da das Zeugnis kein "mangelhaft" aufweist, kommt eine Nichtversetzung nur in Betracht, wenn die Noten "korrigiert" werden müssen. Dass die Klassenkonferenz mehrheitlich die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 1 RO als nicht erfüllt angesehen hat, ist nicht entscheidend, da nach Satz 2 die unwiderlegliche Vermutung gilt, dass bei bestimmten Noten die Versetzungsvoraussetzungen erfüllt sind. Eine "Korrektur" der Noten kommt nur in Betracht, wenn der Gesetz- oder Verordnungsgeber sie vorgesehen hat. Aus der Anlage der Landesverordnung über Aufnahme, Aufsteigen nach Klassenstufen und Abschlüsse an den Gesamtschulen (VO GS) ergibt sich eine Übertragungsskala, nach der beispielsweise eine "2" in der Anspruchsebene Hauptschule einer "3" in der Anspruchebene Realschule und einer "4" in der Anspruchsebene Gymnasium entspricht. Nach § 4 Abs. 3 VO GS findet die Übertragungsskala auch bei kooperativen Gesamtschulen Anwendung, jedoch nur, sofern keine gemeinsame Orientierungsstufe besteht. Eine entsprechende Anwendung der Übertragungsskala kommt - jedenfalls nach summarischer Prüfung - nicht in Betracht. Ein gemeinsamer Unterricht ist gerade dadurch gekennzeichnet, dass er nicht dem Niveau einer der Schularten entspricht. Die Antragsgegnerin sieht in der Zuweisung der Schulart auch eher einen Vorgang, der mit der Schulartempfehlung in der vierten Klasse vergleichbar sei. Der Unterschied besteht allerdings darin, dass die Schulartempfehlung nur bedingt die Eltern bei der Wahl der Schule bindet, während hier die Nichtversetzung in die Realschule ausgesprochen worden ist, ohne dass dafür die Voraussetzungen vorlagen. Sämtliche aufgeworfene Rechtsfragen wird das Verwaltungsgericht im Rahmen des Hauptsacheverfahrens (- 9 A 222/05 -) zu klären haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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