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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 29.01.2002
Aktenzeichen: 9 A 1044/00
Rechtsgebiete: AuslG, Europäisches Fürsorgeabkommen, Genfer Flüchtlingskonvention, AuslG


Vorschriften:

AuslG § 12 Abs. 1
Europäisches Fürsorgeabkommen Art. 1
Genfer Flüchtlingskonvention Art. 1
AuslG § 51 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES VERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Az.: 9 A 1044/00

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Anfechtung von Nebenbestimmungen in den Aufenthaltsbefugnissen

hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht - 9. Kammer ohne mündliche Verhandlung am 29.01.2002 durch die Richterin ...als Einzelrichterin für Recht erkannt:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass die mit Bescheid des Beklagten vom 21.10.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.08.2000 jeweils erteilte Auflage "Wohnsitznahme auf Schleswig-Holstein beschränkt" rechtswidrig war.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand:

Die Kläger sind iranische Staatsangehörige. Der Kläger zu 1) hält sich seit 1995 im Bundesgebiet auf; hinsichtlich seiner Person wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Er ist Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention und Inhaber eines Reisesausweises für Flüchtlinge. Die zuletzt von der Beklagten am 21.10.1999 für die Kläger ausgestellten Aufenthaltsbefugnisse sind versehen mit dem Zusatz "Nebenbestimmung: Wohnsitznahme auf Schleswig-Holstein beschränkt"; sie waren befristet bis zum 17.10.2001. Mittlerweile sind die Kläger wohnhaft in Hamburg, weil der Kläger zu 1. dort einer Arbeit nachgeht. Dennoch erhalten die Kläger weiterhin ergänzend Sozialhilfe vom Sozialamt .... Eine neue Aufenthaltsbefugnis wurde trotz Antragstellung bislang nicht erteilt; die Ausländerbehörde des Bezirksamts ... verneinte seine Zuständigkeit wegen der räumlichen Beschränkung der bisherigen Aufenthaltsbefugnisse auf Schleswig-Holstein; der Beklagte stellte schließlich eine Bescheinigung nach § 69 Abs. 3 AuslG aus.

Den gegen die Nebenbestimmung eingelegten Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.08.2000 zurück. Es wurde darauf verwiesen, dass die Nebenbestimmung zulässig sei, denn nach § 12 Abs. 1 AuslG könne eine erteilte Aufenthaltsgenehmigung, d.h. auch eine Aufenthaltsbefugnis, räumlich beschränkt werden. Die Auflage der Wohnsitznahme in Schleswig-Holstein liege im öffentlichen Interesse, welches sich darin begründe, dass einzelne Bundesländer oder Regionen nicht mit Sozialhilfeempfängern aus den anderen Zuständigkeitsbereichen belastet werden sollten. Die Kläger stünden zum Zeitpunkt der Erteilung und auch noch nach wie vor im Sozialhilfebezug. Mit Erlass vom 11.08.1997 habe das Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein bestimmt, dass in den Fällen, in denen zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes Sozialhilfe in Anspruch genommen werden müsse, die Erteilung der Aufenthaltsbefugnis mit der Auflage zu verbinden sei, dass der Ausländer seinen Wohnsitz in dem Bundesland zu nehmen habe, in dem die Aufenthaltsbefugnis erteilt werde. Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt. Es komme auch keine Aufhebung der Auflage in Betracht, da allein die Wohnsitznahme in Hamburg nicht ausreiche. Vielmehr müsse der Nachweis erbracht werden, dass eine Beschäftigung aufgenommen worden sei, die es ermögliche, die Familie ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfemitteln zu ernähren.

Gegen die durch die vorgenannten Bescheide erteilte Auflage richtet sich die am 07. September 2000 erhobene Klage. Diese sei auch nach Ablauf der Geltungsdauer der Aufenthaltsbefugnisse trotz Umzugs der Kläger aus dem Zuständigkeitsbereich des Beklagten in die Freie und Hansestadt Hamburg als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Die verhängten Nebenbestimmungen seien rechtswidrig, weil sie auf keine gesetzliche Grundlage gestützt werden könnten. Denn § 120 Abs. 5 BSHG gelte nicht für Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention nach Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und damit nicht für den Kläger zu 1). Die Ausländerbehörden seien nicht berechtigt, sozialhilferechtliche Belange der einzelnen Bundesländer zu schützen. Für die Familienmitglieder, d.h. für die Kläger zu 2) bis 5) gelte das gleiche, da hier Art. 6 GG zu berücksichtigen sei.

Die Kläger beantragen nunmehr,

festzustellen, dass die mit Bescheid des Beklagten vom je 21.10.1999 erteilte Auflage "Wohnsitznahme auf Schleswig-Holstein beschränkt" in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 17.08.2000 rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen des Widerspruchsbescheids.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte einschließlich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Die Kammer hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 25. Juni 2001 der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.

Entscheidungsgründe:

Der Rechtsstreit konnte im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig und begründet. Die Nebenbestimmung "Wohnsitznahme auf Schleswig-Holstein beschränkt" in den Aufenthaltsbefugnissen jeweils vom 21.10.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.08.2000 war rechtswidrig (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).

Die räumliche Beschränkung ist als selbständig anfechtbare Auflage zur Grundverfügung mit Ablauf der Höchstgeltungsdauer der erteilten Aufenthaltsbefugnisse bis zum 17.10.2001 als in der Hauptsache erledigt anzusehen. Gleichwohl steht den Klägern das für eine Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliche berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Verwaltungsakte zu. Es besteht Wiederholungsgefahr. Die Ausländerbehörde am Wohnort der Kläger in Hamburg hat darauf verwiesen, sie sei für die Kläger aufgrund der bisherigen räumlichen Beschränkung auf Schleswig-Holstein nicht zuständig; auch das Bezirksamt ... lehnte ab, Sozialhilfe zu zahlen. Der Beklagte hat die nunmehr nach § 69 Abs. 3 AuslG erteilten Bescheinigungen mit räumlicher Beschränkung versehen und angekündigt, die Aufenthaltsbefugnisse der Kläger wiederum mit der Auflage "Wohnsitznahme nur in Schleswig-Holstein" zu verlängern.

Die Erteilung der Auflage einer räumlichen Beschränkung der Wohnsitznahme auf das Gebiet des Landes Schleswig-Holstein ist rechtswidrig. Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 AuslG wird die Aufenthaltsgenehmigung für das Bundesgebiet erteilt. Sie kann auch nachträglich räumlich beschränkt werden (§ 12 Abs. 1 Satz 2 AuslG). Gründe für eine ausnahmsweise räumliche Beschränkung können sich nur aus besonderen öffentlichen Interessen ergeben (Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 7. Aufl., § 12 Rdnr. 5). Dieses besondere öffentliche Interesse hat der Beklagte unter Bezugnahme auf einen entsprechenden Erlass des Innenministeriums des Landes Schleswig-Holstein vom 11.08.1997 damit begründet, in den Fällen des Bezuges von Sozialhilfeleistungen nach dem BSHG sei es zur Vermeidung der Belastung anderer Regionen und Länder mit Sozialhilfeansprüchen geboten, die Aufenthaltsbefugnis räumlich auf das Bundesland zu beschränken, in dem die Aufenthaltsbefugnis erteilt werde.

Diese Erwägungen - und damit auch der diesbezügliche Erlass des Innenministeriums des Landes Schleswig-Holstein - halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Wie das Bundesverwaltungsgericht bereits mit Urteil vom 14. März 1985 (BVerwGE 71, 139 ff) entschieden hat, ist durch das Zustimmungsgesetz vom 15. Mai 1956 das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) in innerstaatlich anwendbares, Rechte und Pflichten des Einzelnen begründendes Recht transformiert worden, weil der Zweck des Vertrages, den Angehörigen der Vertragsstaaten auf den Gebieten der sozialen und der Gesundheitsfürsorge Gleichbehandlung mit den Inländern einzuräumen, nur erreicht werden könnte, wenn diese die Gleichbehandlung mit den Inländern nach Maßgabe der im Anhang I des Abkommens genannten nationalen Gesetze unmittelbar geltend machen können. Das gleiche trifft auf das Zusatzprotokoll zu dem Europäischen Fürsorgeabkommen zu, dessen Zweck es ist, den Kreis derjenigen, die Inländergleichbehandlung beanspruchen können, auf Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention auszudehnen. Nach Art. 2 des Zusatzprotokolls finden die Vorschriften des Teils I des Fürsorgeabkommens (und damit auch Art. 1 EFA) auf die Flüchtlinge im Sinne des Art. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention "unter den gleichen Voraussetzungen Anwendung, wie auf die Staatsangehörigen der Vertragsschließenden". In Art. 1 EFA hat sich jeder der Vertragsschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsschließenden, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise, wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebiets geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind. "In gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen" meint nach der gewöhnlichen Bedeutung dieser Bestimmung in ihrem Zusammenhang sowie deren Ziel und Zweck nicht nur die Garantie gleicher Fürsorgeleistungen nach Art und Höhe, sondern auch, dass diese Leistungen durch den Vertragsstaat den vom Europäischen Fürsorgeabkommen in Schutz genommenen Personen auch unter den gleichen Bedingungen erbracht werden, wie den eigenen Staatsangehörigen. Denn das Europäische Fürsorgeabkommen zielt nach seinem in der Präambel zum Ausdruck gebrachten Zweck auf die "Festlegung des Grundsatzes der Gleichbehandlung" der Staatsangehörigen der Vertragsstaaten auf dem Gebiet der Fürsorgegesetzgebung (BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2000 - Az. 5 C 29/98 - FEVS 51, 433 bis 443). Der Kläger zu 1) ist Flüchtling im Sinne des Art. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (§ 3 AsylVfG), da bei ihm bestandskräftig das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt worden ist. Er hält sich auch im Sinne des Art. 1 EFA erlaubt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland auf. Gewähren dem Kläger indes die Vorschriften des Europäischen Fürsorgeabkommens einen Rechtsanspruch auf Sozialhilfeleistungen in der gleichen Weise und unter den gleichen Bedingungen wie deutschen Staatsangehörigen, verstößt eine mit dem Bezug von Sozialhilfeleistungen begründete räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgenehmigung eben gegen diese Bestimmungen des Europäischen Fürsorgeabkommens. Staatsangehörige der Bundesrepublik Deutschland unterliegen keinerlei Einschränkungen der Hilfegewährung, die an den tatsächlichen Aufenthaltsort des Hilfebedürftigen anknüpfen. Länderübergreifende fiskalische Erwägungen, wie sie offenkundig nach dem Erlass des Innenministeriums des Landes Schleswig-Holstein, den der Beklagte seiner Ermessensentscheidung zugrundegelegt hat, innewohnen, können eine im Ergebnis Schlechterstellung von Flüchtlingen im Sinne des Genfer Flüchtlingsabkommens nicht begründen. Durch die erteilte räumliche Beschränkung der Aufenthaltsbefugnis auf das Gebiet des Landes Schleswig-Holstein wird eine nach den oben zitierten europäischen Fürsorgerechtsnormen unzulässige Anknüpfung der Hilfegewährung auf den tatsächlichen Aufenthaltsort begründet.

Andere Ermessenserwägungen, die der Entscheidung für die räumliche Beschränkung der Aufenthaltsbefugnis zugrundegelegen haben könnten, sind weder vom Beklagten geltend gemacht noch in sonstiger Weise ersichtlich.

Art. 6 GG und Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens führen dazu, dass gleiches für die Kläger zu 2) - 5) gilt, da diese Familienangehörige des Klägers zu 1) sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO iVm § 167 VwGO.

Ende der Entscheidung

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