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Beginn der Entscheidung

Gericht: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 14.10.2002
Aktenzeichen: 9 B 99/02
Rechtsgebiete: VwGO, SchulG SH, VOG SH, BGB


Vorschriften:

VwGO § 123
VwGO § 62 Abs. 1
SchulG SH § 39 Abs. 3
SchulG SH § 121 Abs. 2
VOG SH § 2
BGB §§ 106 ff.
BGB § 1627
BGB § 1628
BGB § 1629
1. Hinsichtlich der Frage, ob die Nichtversetzung in die 9. Klassenstufe angefochten und ein diesbezgl. Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durchgeführt werden soll, ist ein Minderjähriger nicht nach öffentlichem Recht als geschäftsfähig iSv § 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO anerkannt.

2. Ein Minderjähriger ist im vorliegenden Fall von beiden sorgeberechtigten Elternteilen gemeinschaftlich zu vertreten. Widerspricht ein sorgeberechtigter Elternteil der Klageerhebung oder Stellung eines einstweiligen Rechtsschutzantrages, so ist der andere sorgeberechtigte Elternteil nicht allein befugt, die entsprechenden Prozesshandlungen vorzunehmen; insoweit ist die erforderliche Prozessfähigkeit zu verneinen.

3. Bei Meinungsverschiedenheiten über das Vorgehen in Angelegenheiten eines Minderjährigen, die von erheblicher Bedeutung sind, müssen die sorgeberechtigten Eltern ggf. vorab eine Klärung gemäß § 1628 BGB durch das Familiengericht herbeiführen.


SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES VERWALTUNGSGERICHT BESCHLUSS

Az.: 9 B 99/02

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand: Versetzungsrecht; § 123 VwGO

hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht - 9. Kammer - am 14. Oktober 2002 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird auf Kosten der Antragstellerin abgelehnt.

Der Streitwert wird auf 4.000,--€ festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag, mit dem die Antragstellerin - wie nunmehr auch ausdrücklich deren Mutter im eigenen Namen - begehrt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie - die Antragstellerin - in die Klassenstufe 9 zu versetzen, hat keinen Erfolg.

Ungeachtet dessen, dass damit trotz des anderslautenden Wortlauts inhaltlich lediglich die vorläufige Versetzung bzw. Teilnahme am Unterricht in der 9. Klasse gemeint sein dürfte, wie auch ungeachtet der Frage, ob die von der Antragsgegnerin vertretene Auffassung zur Lesart des § 2 Abs. 6 der Landesverordnung über die Aufnahme und Versetzung an den Gymnasien in Schleswig-Holstein (Versetzungsordnung Gymnasien - VOG) materiell-rechtlich zutreffend ist, ist der vorliegende Antrag auf Erlass einer hier allein in Betracht kommenden Regelungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht zulässig; denn es fehlt an der Prozessfähigkeit der Antragstellerin bzw. ihrer Mutter zur Vornahme der hier maßgeblichen Prozesshandlung.

Die minderjährige Antragstellerin, die (allein) durch ihre Mutter als sorgeberechtigter Elternteil vertreten wird, ist beschränkt geschäftsfähig im Sinne von § 106 BGB. Für sie wäre die Fähigkeit zur Vornahme von Verfahrenshandlungen gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO zu bejahen, soweit sie durch Vorschriften des bürgerlichen oder öffentlichen Rechts für den Gegenstand des Verfahrens als geschäftsfähig anerkannt wäre. Daran fehlt es hier.

Zu den Fallgruppen, in denen diese Voraussetzung bejaht worden ist, zählt der vorliegende Streitstoff (Versetzung in die nächsthöhere Klassenstufe) nicht. Nach öffentlichem Recht für den Gegenstand des Verfahrens als beschränkt geschäftsfähig anerkannt ist in Verfahren hinsichtlich der Teilnahme am Religionsunterricht gemäß Art. 4 Abs. 1 GG, § 5 RelKEG der Minderjährige über 14 Jahre. Dasselbe gilt im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 und 2 GG analog zu § 5 RelKEG für einen Schüler ab dem 14. Lebensjahr hinsichtlich der Redaktion und Mitarbeit an einer Schülerzeitung, nicht hingegen hinsichtlich der mit der Herausgabe verbundenen geschäftlichen Tätigkeit (Kopp/Schenke, VwGO - Kommentar, 12. Auflage, § 62 Rnr. 5 und 6).

Ob das öffentliche Recht einem beschränkt Geschäftsfähigen für einen bestimmten Bereich Handlungsfähigkeit und damit gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Prozessfähigkeit auch für das Verfahren zuerkennt, ist im Zweifel durch Auslegung der in Frage stehenden Vorschriften unter Berücksichtigung vor allem des Zwecks der Regelungen, der in den betreffenden Angelegenheiten zu erwartenden Einsichtsfähigkeit Minderjähriger usw., des Schutzzwecks einer Beschränkung der Handlungsfähigkeit im Interesse und zu Gunsten des beschränkt Geschäftsfähigen und der Rechtssicherheit zu beurteilen. Der Wille des Gesetzgebers, abweichend vom allgemeinen Recht die Verfahrenshandlungsfähigkeit beschränkt Geschäftsfähiger zu begründen, muss jedenfalls im Gesetz hinreichenden Ausdruck finden. Dass ein Gesetz für die Betroffenen Pflichten oder Rechte begründet und dafür bestimmte Altersgrenzen festsetzt, genügt hierzu nicht (Kopp/Schenke aaO Rnr. 8 mwN).

Ein dahingehender Wille des Gesetzgebers zur Begründung der Verhandlungsfähigkeit beschränkt geschäftsfähiger für den hier maßgeblichen Bereich ist weder den Vorschriften des Schleswig-Holsteinischen Schulgesetzes - SchulG - in den Regelungen über die Bildungs- und Erziehungsziele (§ 4) wie auch die Schulgestaltung (§ 121) noch der auf den §§ 39 Abs. 3 und 121 Abs. 2 SchulG basierenden VOG zu entnehmen. Die im Hinblick auf die Tragweite einer Versetzung bzw. Nichtversetzung und Entscheidung über den weiteren schulischen Werdegang (Wiederholung der Klasse oder Wechsel zu einer anderen Schulart) erforderliche Einsichtsfähigkeit dürfte zudem bei einer Schülerin am Ende der 8. Klasse (in der Regel mit 13, evtl. auch mit 14 Jahren) nicht zu bejahen sein.

Somit ist in Streitigkeiten der vorliegenden Art ein Handeln für prozessunfähige natürliche Personen durch den gesetzlichen Vertreter erforderlich. Das sind im Falle eines minderjährigen Kindes die Eltern (§ 1629 Abs. 1 Satz 1 BGB). Soweit die Vertreter in einer Sache auch in eigenen Rechten betroffen sind, können sie in einem Verfahren zugleich Beteiligte und Vertreter Beteiligter sein. So können die Eltern gegen eine Maßnahme der Schule gegen ihr Kind sowohl aus ihrem Erziehungsrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG als auch als gesetzlicher Vertreter des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 GG sowie gegebenenfalls aus einem anderen in der Sache betroffenen Recht des Kindes klagen (Kopp/Schenke aaO Rnr. 3 mwN). Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass für Minderjährige (§ 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB) grundsätzlich beide Eltern gemeinsam handeln müssen; denn die Eltern vertreten das Kind gemeinschaftlich.

Daran fehlt es im vorliegenden Fall, weil der Vater der Antragstellerin, dem gemeinsam mit seiner geschiedenen Ehefrau das Sorgerecht für die bei der Mutter lebenden Kinder -------------- - die Antragstellerin - zusteht, in seinem Schreiben vom 22. September 2002 an den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin ausdrücklich folgendes erklärt hat:

".....Da die Entscheidungen über ---- Umschulung und Widerspruch gegen die Nichtversetzung weit über das hinausgehen, was der Gesetzgeber ihr (seiner geschiedenen Ehefrau) als alleinige Entscheidungen über das alltägliche Leben zugebilligt hat, und ich in keiner Weise darüber informiert wurde und auch nicht damit einverstanden bin, bitte ich Sie jegliche weiteren Aktivitäten bezüglich -------------- einzustellen......"

Da es sich bei der Ausbildung eines Kindes (dazu zählen auch die Fähigkeiten vor und außerhalb des Berufs, wie z.B. die Schule, vgl. Diederichsen in: Palandt, BGB-Kommentar 60. Auflage, § 1631 a Rnr. 3) nicht um eine Angelegenheit des täglichen Lebens, d. h. um eine solche handelt, die häufig vorkommt und keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes hat, sondern vielmehr um eine solche, deren Regelung für die Antragstellerin von erheblicher Bedeutung ist (§ 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB; Diederichsen aaO, Rnr. 7), ist das gegenseitige Einvernehmen beider sorgeberechtigter Elternteile erforderlich. Liegen zwischen ihnen Meinungsverschiedenheiten über derart grundlegende Dinge vor - wie offenbar im vorliegenden Fall -, so müssen sie versuchen, sich zu einigen (§ 1627 Satz 2 BGB). Gelingt eine solche Einigung nicht, so wäre gegebenenfalls nach § 1628 BGB (im ordentlichen Rechtsweg) vorzugehen. Danach kann das Familiengericht, wenn sich die Eltern in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten der elterlichen Sorge, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen, auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Die Übertragung kann mit Beschränkungen oder mit Auflagen verbunden werden.

Sodann könnte im vorliegenden Fall (gegebenenfalls) zulässigerweise im Verwaltungsrechtsweg gegen die Entscheidung der Antragsgegnerin vorgegangen werden, ihr - der Antragstellerin - die vorläufige (bzw. im anhängigen Hauptsacheverfahren: die endgültige) Versetzung und Teilnahme am Unterricht in der 9. Klasse zu verwehren.

Die Kostenentscheidung zu Lasten der Antragstellerin folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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