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Gericht: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 28.11.2007
Aktenzeichen: 2 Sa 96/07
Rechtsgebiete: SGB IX, BGB, KSchG, HGB


Vorschriften:

SGB IX § 2 Abs. 1 S. 1
SGB IX § 69 Abs. 1 S. 1
SGB IX § 85
SGB IX § 90 Abs. 2 a
BGB § 134
KSchG § 1 Abs. 2 S. 1
HGB § 84 Abs. 1 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Sächsisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes URTEIL

Az.: 2 Sa 96/07

Verkündet am 28. November 2007

In dem Rechtsstreit

hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - Kammer 2 - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Herrn ... und Herrn ... auf die mündliche Verhandlung vom 28.11.2007

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bautzen vom 02.11.2006 - 9 Ca 9262/06 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Revision ist nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten auf die Berufung des Klägers unverändert darüber, ob das sie verbindende Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher Arbeitgeberkündigung der Beklagten mit Schreiben vom 20.06.2006, dem Kläger zugegangen am 23.06.2006, mit Ablauf des 31.12.2006 sein Ende gefunden hat.

Die dagegen gerichtete Kündigungsschutzklage hat das vom Kläger angegangene Arbeitsgericht Bautzen ebenso abgewiesen wie einen von ihm im Zweiten Rechtszug nicht weiterverfolgten Prozessbeschäftigungsanspruch.

Von der erneuten Darstellung des Tatbestandes im Ersten Rechtszug wird aufgrund der Regelung in § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und stattdessen auf den Tatbestand des angefochtenen arbeitsgerichtlichen Urteils verwiesen (§ 69 Abs. 3 ArbGG).

Zu ergänzen ist lediglich, dass nach Aktenlage im Ersten Rechtszug nicht strittig war folgendes Vorbringen der Beklagten mit Schriftsatz vom 24.10.2006 auf Seite 3/Seite 4:

"Die Schwerbehinderung des Klägers war zu keinem Zeitpunkt offenkundig. Der Beklagten war bisher nicht bekannt, dass der Kläger an Diabetes erkrankt ist. Auch die Probleme des Klägers mit seinen Knien ließen nicht den Schluss zu, dass er deshalb schwerbehindert sei. Der Kläger hatte sich bereits im Jahr 1997 oder 1998 einer ersten Knieoperation unterzogen und dabei ein künstliches Kniegelenk erhalten. Der Kläger ist nach dieser Knieoperation seiner - auch körperlich anstrengenden - Arbeit unverändert nachgegangen. Beschwerden waren der Beklagten zu keinem Zeitpunkt bekannt. Es sind auch keine längeren Erkrankungen bekannt, die im Zusammenhang mit dem Einsatz des künstlichen Kniegelenks stehen (Anm. der Berufungskammer: Es erfolgt Beweisantritt). Im Dezember 2005 erlitt der Kläger einen Unfall. Er stürzte, ohne dass der Beklagten die genaueren Umstände bekannt sind, und verletzte sich dabei das andere Knie. Aufgrund dieses Unfalls und der Knieverletzung war der Kläger längere Zeit krankgeschrieben, wobei die Parteien immer davon ausgingen, dass eine Genesung zu erwarten steht. Im Mai 2006 hat der Kläger dem Geschäftsführer der Beklagten mitgeteilt, das perspektivisch erwogen wird, sein zweites Kniegelenk, das bei dem Unfall zu Schaden gekommen ist, ebenfalls durch ein künstliches Kniegelenk zu ersetzen. Da bereits zu diesem Zeitpunkt bekannt war, dass die Beklagte die Arbeitsverhältnisse mit den Fotografen zum 31.12.2006 kündigen wird, hat die Beklagte dem Kläger empfohlen, die Operation - wenn er sich dazu entschließen sollte - möglichst bald, nämlich solange er noch im Arbeitsverhältnis steht, durchzuführen und nicht erst dann, wenn er - wie es damals von beiden Seiten beabsichtigt war - als freiberuflicher Fotograf für die Beklagte tätig ist. Auf diese Weise wäre er noch für die Dauer der Operation bzw. Rekonvaleszenz sozial abgesichert (Anm. der Berufungskammer: Es erfolgt erneut Beweisantritt). Der Kläger ließ daraufhin noch im Juli 2006 auch das zweite Knie durch ein künstliches Kniegelenk ersetzen. Die Beklagte ging -, wie seinerzeit auch der Kläger - davon aus, dass mit dieser Operation den Beschwerden des Klägers abgeholfen sein wird und er im Anschluss an die Operation, wie auch nach der ersten Knieoperation im Jahr 1997, wieder ungehindert seinem Beruf nachgehen kann (Anm. der Berufungskammer: Es erfolgt erneut Beweisantritt)."

Ausgangspunkt der klageabweisenden Entscheidung des Arbeitsgerichts war u. a. das Vorbringen der Beklagten dazu, dass sie ihren Planungen entsprechend seit dem 01.01.2007 keine festangestellten Fotografen mehr beschäftige. Stattdessen vergebe sie sämtliche fotografischen Dienstleistungen an freie Fotografen (Beweis: Zeugnis des ...).

In der Berufungsverhandlung stellt der Kläger nicht in Streit, dass die Beklagte den fünf sozialversicherungspflichtig beschäftigten Fotoreportern gekündigt hat.

Der Kläger hat gegen das ihm am 11.01.2007 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts am 09.02.2007 Berufung eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung bis 11.05.2007 am 03.05.2007 begründet.

Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm der Kündigungsschutz als schwerbehinderter Mensch unabhängig von der fehlenden Feststellung der Behinderung zustehe. Nach dem vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung herausgegebenen und veröffentlichten "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit" im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" liege - und das ist nicht strittig - bei zwei künstlichen Kniegelenken ein Mindest-GdB von 50 % vor. Danach sei seine Schwerbehinderung im Zeitpunkt der Kündigung offenkundig gewesen. Seine orthopädische Behinderung sei der Beklagten zum Zeitpunkt der Kündigung auch bekannt gewesen. Ob sich diese in jenem Zeitpunkt darüber bewusst war, dass er - der Kläger - aufgrund dieser beiden künstlichen Kniegelenke zwangsläufig schwerbehindert i. S. des behindertenrechtlichen Kündigungsschutzes (und zwar auch ohne behördliche Feststellung) war, könne dahinstehen. Denn entscheidend für die Auslösung des Sonderkündigungsschutzes sei lediglich, dass seine orthopädische Behinderung - die zwangsläufig den Schwerbehindertenstatus ausgelöst habe - für die Beklagte nicht offensichtlich, sondern dieser definitiv bekannt war.

Im Berufungsverfahren trägt der Kläger nunmehr vor, nicht gekündigt habe die Beklagte anderen Fotografen, darunter einem ... Dieser sei spätestens seit dem 01.01.2005 in den Betrieb der Beklagten als Arbeitnehmer eingegliedert, und zwar als Fotograf mit denselben Aufgaben wie die fünf gekündigten Fotografen.

Er, der Kläger, war der Lokalredaktion ... zugeordnet, der Zeuge ... der Lokalredaktion ... In beiden Redaktionen hätten alle sieben Wochentage durch jeweils einen Fotografen abgesichert werden müssen. Er, der Kläger, und der Zeuge ... hätten entsprechend den tarifvertraglichen Festlegungen in einer Fünf-Tage-Woche mit entsprechendem Urlaubsanspruch gearbeitet. Um beide Lokalredaktionen parallel an allen Wochentagen mit einem Fotografen besetzen zu können, hätte er, der Kläger, und der Zeuge ... ihre zwei freien Tage pro Kalenderwoche versetzt genommen. Ebenso sei beiden Fotografen der Erholungsurlaub versetzt gewährt worden. An den Tagen, an denen er, der Kläger (aufgrund freier Tage, Urlaub, Krankheit), seinen Dienst in ... nicht habe verrichten können, sei Herr ... dort als Fotograf eingesetzt worden. An den Abwesenheitstagen des Herrn ... sei Herr ... in der Lokalredaktion ... eingesetzt worden. Um die tägliche Präsenz jeweils eines Fotografen in den beiden Lokalredaktionen sicherzustellen, sei für die drei Fotografen ein eigener Dienstplan aufgestellt worden, der u. a. an der Pinwand der Lokalredaktion ... dort hing, wo auch der Urlaubsplan und die Wochendienstpläne der schreibenden Redakteure hingen.

Die Fototermine, die er - der Kläger - bzw. der Fotograf ... für die Lokalredaktion ... an den einzelnen Tagen zu erledigen hatten, hätten sich aus dem Auftragsbuch der Lokalredaktion ergeben. Der Fotograf ... habe in der Lokalredaktion ... seinen eigenen Arbeitraum mit Schreibtisch, Computer, Telefon und sonstigen Peripheriegeräten. Für die Bearbeitung seiner Fotos habe ihm der mit dem Kläger gemeinsam genutzte Bildbearbeitungsplatz (Computer mit Software Fotoshop, Scanner etc.) zur Verfügung gestanden. In der Lokalredaktion ... fänden an den Werktagen regelmäßig zwei Redaktionskonferenzen statt. Die Mittagskonferenz beginne ca. um 11:45 Uhr, die Abendkonferenz ca. um 17:00 Uhr. An beiden Konferenzen hätten die Fotografen (er - der Kläger - bzw. Herr ...) teilnehmen müssen, soweit sie anwesend waren.

Daraus ergebe sich, dass sich die Fotografen ..., ... und er, der Kläger, nicht in der Art der Eingliederung in den Betrieb und der Weisungsgebundenheit ihrer Tätigkeit unterschieden. Einen Unterschied habe es lediglich bezüglich der Vergütung und der Arbeitszeit gegeben. Während er, der Kläger, und Herr ... in der tarifvertraglich vorgeschriebenen Fünf-Tage-Woche arbeiteten, sei der Fotograf ... an sechs Tagen pro Kalenderwoche in dem Betrieb eingegliedert gewesen. Obwohl der Fotograf ... mehr zu arbeiten gehabt hätte als tarifvertraglich beschäftigten Fotografen, habe seine Vergütung bei nicht einmal 50 % des Tarifgehalts gelegen.

Herr ... werde auch über den 31.12.2006 hinaus von der Beklagten weiterbeschäftigt. Der Unterschied bestehe allerdings gegenüber 2006 darin, dass er nunmehr ausschließlich in der Lokalredaktion ... eingesetzt werde. Um sicherzustellen, dass dort täglich ein Fotograf zur Verfügung stehe, arbeite Herr ... seit dem 01.01.2007 dort täglich, also an sieben Tagen pro Woche. Ansonsten habe sich an seiner Eingliederung in den Betrieb gegenüber dem Jahre 2006 nichts verändert. Ihm würden die Fototermine weiterhin über das Auftragsbuch mitgeteilt, er nutze weiterhin den von der Beklagten zur Verfügung gestellten Arbeitsraum mit Schreibtisch, Computer etc., den Bildbearbeitungsplatz und nehme an den Redaktionskonferenzen in der bisherigen Weise teil.

Daraus zieht der Kläger den Schluss, dass die Behauptung der Beklagten nicht zutreffe, sie habe beschlossen, über den 31.12.2006 keine Arbeitsverhältnisse mehr mit Fotografen fortzusetzen. Des Weiteren ist der Kläger der Auffassung, dass bei einer Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten auch Herr ... - da in Wahrheit Arbeitnehmer - hätte einbezogen werden müssen. Aufgrund der günstigeren Sozialdaten hätte nicht er, der Kläger, sondern Herr ... zur Kündigung angestanden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Bautzen vom 02.11.2006 - 9 Ca 9262/06 - festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 20.06.2006, ihm zugegangen am 23.06.2006, zum 31.12.2006 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt

die Zurückweisung der Berufung.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Die Beklagte bleibt dabei, dass die Schwerbehinderung des Klägers zum Zeitpunkt der Kündigung nicht offenkundig gewesen sei. Sie stellt in Abrede, dass Herr ... so wie vom Kläger dargestellt in ihren Betrieb eingegliedert (gewesen) sei. Herr ... sei ausweislich seines Dienstvertrages für sie, die Beklagte, als freier Mitarbeiter auf eigene Rechnung tätig. Er sei in der Gestaltung seiner Arbeit, der Arbeitszeit und dem Arbeitsort frei und habe jederzeit das Recht, Aufträge ohne Einfluss auf die Zusammenarbeit mit der Redaktion zu verweigern (in diesem Zusammenhang bezieht sich die Beklagte auf die schriftlichen Verträge zwischen ihr und dem Herrn ... unter dem 10.07.2002/05.01.2005). Ausweislich dieses Vertrages unterliege Herr ... hinsichtlich der Erledigung seiner Arbeit, der Arbeitszeit und dem Arbeitsort keinen Weisungen. Auch sei er nicht verpflichtet, Fotoaufträge (der Beklagten) anzunehmen.

Auch aus der praktischen Durchführung des Vertrages ergebe sich nichts anderes. So treffe die Behauptung des Klägers nicht zu, sie - die Beklagte - stelle einen Dienstplan auf, um die Präsenz der Fotografen in den beiden Lokalredaktionen ... und ... sicherzustellen. Die Praxis sei vielmehr so gewesen, dass der Kläger und sein ebenfalls festangestellter Kollege ..., die jeweils in den Redaktionen ... und ... tätig waren, sich hinsichtlich ihrer Abwesenheit abzusprechen und die evtl. Vertretung mit Herrn ... zu vereinbaren gehabt hätten. Herr ... sei aber frei gewesen, die ihm angebotenen Vertretungstermine zu übernehmen. Erst wenn sich die beiden festangestellten Fotografen mit Herrn ... einvernehmlich über die Tage bzw. den Einsatzort von Herrn ... verständigt gehabt hätten, habe Herr ... (Anm. der Kammer: Hier ist in der Berufungsbeantwortung der Beklagten ein Ausrufezeichen gesetzt.) jeweils am Monatsende für den Folgemonat eine Übersicht angefertigt, aus der sich ergeben habe, an welchen Tagen er in welcher Redaktion gemäß seinen Absprachen mit dem Kläger und Herrn ... als Fotograf tätig sein werde (Zeugnis des Herrn ...).

Bei der vom Kläger fälschlicherweise als Dienstplan bezeichneten Übersicht handele es sich somit nicht um einen Plan, mit dem der Arbeitgeber die Mitarbeiter zu bestimmten Diensten einteilt, sondern um eine Übersicht, mit der der freie Fotograf ... lediglich die Einsatztage und -orte festgelegt habe, die er mit dem Kläger und dem Fotografen ... vereinbart hatte (Beweis: Zeugnis des ...; des ...).

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens beider Parteien sowie der von ihnen geäußerten Rechtsansichten wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Denn die - ihrerseits zulässige - Kündigungsschutzklage ist unbegründet.

Es ist nicht festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der streitgegenständlichen Kündigung nicht aufgelöst ist. Denn diese Kündigung erweist sich als rechtswirksam.

1. Die Kündigung ist nicht deshalb nichtig (§ 134 BGB), weil die Beklagte entgegen der Regelung in § 85 SGB IX ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamtes gekündigt hat.

Voraussetzung wäre dafür, dass sie das Arbeitsverhältnis eines im Rechtssinne "schwerbehinderten Menschen" gekündigt hätte. Die Regelung des § 85 SGB IX findet sich im SGB IX unter "Kapitel 4. Kündigungsschutz". Nach § 90 Abs. 2 a SGB IX finden die Vorschriften dieses Kapitels jedoch keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Menschen nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX (betreffend die Feststellung der Behinderung, Ausweise) eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte.

Hier war zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft des Klägers als schwerbehinderter Mensch im Rechtssinne nicht nachgewiesen. Er hat überhaupt erst nach Zugang der Kündigung einen Antrag nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX gestellt, eine Behinderung festzustellen. Schon zum früheren Schwerbehindertenrecht hat das Bundesarbeitsgericht (zuletzt vom 07.03.2002 - 2 AZR 612/00 - EzA § 85 SGB IX Nr. 1) in Anknüpfung an frühere Rechtsprechung entschieden, dass grundsätzlich am Antragserfordernis vor Zugang der Kündigung für das Eingreifen des kündigungsrechtlichen Schwerbehindertenschutzes festzuhalten sei.

Etwas anderes konnte ausnahmsweise dann gelten, wenn die Schwerbehinderung offenkundig ist (BAG vom 07.03.2002 a. a. O. m. w. N.).

Es kann dahinstehen, ob daran nach dem mittlerweile in das SGB IX in dessen § 90 aufgenommenen Absatz 2 a festzuhalten ist, der aus Gründen der Rechtssicherheit nunmehr einen (vom Kläger für den Zeitpunkt der Kündigung nicht zu beschaffenden) Nachweis ausdrücklich vorschreibt. Denn jedenfalls war auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Schwerbehinderung des Klägers nicht "offenkundig".

Unter "offenkundig" wird nach den Bedeutungswörterbüchern übereinstimmend "eindeutig erkennbar" verstanden (vgl. etwa Duden, Bedeutungswörterbuch, "offenkundig").

In der Rechtssprache wird nach sämtlichen Kommentierungen zu der Regelung in § 291 ZPO, wonach Tatsachen, die bei dem Gericht offenkundig sind, keines Beweises bedürfen, zwischen "allgemeinkundigen" und - eben - "gerichtskundigen" Tatsachen unterschieden.

Im behindertenrechtlichen Sinne wurden als offenkundig Fälle der Kleinwüchsigkeit mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit, eine deformierte Halswirbelsäule, das Fehlen von Armen oder Beinen oder Blindheit erkannt (vgl. KR-Etzel vor §§ 85 bis 92 SGB IX Rdnr. 6 m. N.).

Danach ist hier unter keinem in Betracht kommenden Gesichtspunkt von einer Offenkundigkeit der Behinderung des Klägers auszugehen. Die Kenntnis der Beklagten allein macht die Behinderung des Klägers Dritten gegenüber nicht erkennbar. Die Existenz zweier künstlicher Kniegelenke liegt nicht offen zu Tage. Eine eingeschränkte Bewegungsfreiheit des Klägers ist - unstreitig - der Beklagten nicht aufgefallen. Eine solche hat auch die Berufungskammer im Rahmen der erfolgten Beobachtung des Klägers während der Berufungsverhandlung nicht ansatzweise wahrgenommen. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX Menschen erst dann behindert sind, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Bereits auf diese Beeinträchtigung kann allein aufgrund einer bekannten "Abweichung" i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nicht geschlossen werden. Dies gilt erst recht dann, wenn - wie anscheinend hier - eine Beeinträchtigung aufgrund des Einsatzes künstlicher Kniegelenke gerade nicht (mehr) gegeben ist.

Im Übrigen müsste - unabhängig von dem Vorstehenden und selbständig tragend - schließlich auf eine Schwerbehinderung geschlossen werden können. Das ist aber ersichtlich hier schon deshalb nicht möglich, weil nach dem eigenen Vorbringen des Klägers selbst Ärzten für ihre Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht eine Handreichung in Form von "Anhaltspunkten" gegeben werden muss, aus denen sie auf einen Behinderungsgrad und im Ergebnis auf eine Schwerbehinderung schließen können.

Über entsprechende "Anhaltspunkte" verfügte die - ohnehin ärztlich nicht sachverständige - Beklagte zum Zeitpunkt der Kündigung nicht.

Auch der für die Feststellung einer Behinderung zuständigen Stelle wäre die Behinderung des Klägers nicht ohne weiteres erkennbar gewesen. Hätte er sich schriftlich an diese Stelle gewandt, hätte er - im Zweifel durch ärztliches Zeugnis - die Existenz zweier künstlicher Kniegelenke nachweisen müssen. Wäre er persönlich bei der Stelle erschienen, wäre dort die Existenz zweier künstlicher Kniegelenke schon nicht wahrgenommen worden. Selbst eine dort festzustellende etwaige Gehbehinderung hätte für sich noch nicht auf die Existenz künstlicher Kniegelenke und schon gar nicht auf eine Beeinträchtigung i. S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX schließen lassen.

2. Die Kündigung ist auch nicht nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ungerechtfertigt. Denn sie ist i. S. dieser Regelung durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers in dem Betrieb der Beklagten entgegenstehen, bedingt.

Bei einer innerbetrieblichen Umstrukturierungsmaßnahme (hier: Beschaffung von Fotomaterial auf dem Markt) muss es im Hinblick auf betriebsbedingte Kündigungen dem Arbeitgeber überlassen bleiben, wie er sein Unternehmensziel möglichst zweckmäßig und kostengünstig am Mark verfolgt. Dazu gehört auch die Umgestaltung der zugrunde liegenden Vertragsform für die Fotoreporter (freies Mitarbeiterverhältnis statt Arbeitsverhältnis). Entsprechendes ist bereits vom Bundesarbeitsgericht für die betriebsbedingte Kündigung wegen der Umstellung der Vertriebsart entschieden worden (BAG vom 09.05.1996 - 2 AZR 438/95 - EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 85).

Von einer derartigen Umstellung ist hier auszugehen, nachdem die Beklagte sämtlichen sozialversicherungspflichtig beschäftigten Fotoreportern gekündigt hat und sie - mit einer strittigen Ausnahme - damit über keine weiteren angestellten Fotoreporter mehr verfügt.

Nach der vorstehend angezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 09.05.1996 (a. a. O.) ist es Sache des Arbeitnehmers, der die Unwirksamkeit der auf einer solchen Maßnahme beruhenden Kündigung geltend macht, Umstände darzulegen, die die getroffene innerbetriebliche Strukturmaßnahme als offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich erscheinen lassen. Derartiges behauptet der Kläger nicht.

Zu prüfen bleibt (wiederum nach der vorstehend angezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 09.05.1996 a. a. O.) dabei allerdings, ob die Strukturierungsmaßnahme tatsächlich durchgeführt worden ist. Dagegen könnte hier in der Tat streiten, dass die Beklagte in Wahrheit nicht sämtlichen Fotoreportern gekündigt hat, sondern den Herrn ... als angestellten Fotoreporter - also mit Arbeitnehmerstatus - bis zur Kündigung des Klägers beschäftigt hat und auch danach fortbeschäftigt.

Insoweit kann allerdings dahinstehen, ob es darauf ankommt, ob Herr ... sein Vertragsverhältnis mit der Beklagten selbst als freies Mitarbeiterverhältnis wahrnimmt und praktiziert sieht. Dahinstehen kann auch, ob es angeht, dass insoweit sein Wille zurücktritt (und der Sache nach der Kläger für Herrn ... eine Klage um dessen angeblichen Status als Arbeitnehmer führt); dagegen könnte schlicht und einfach der Umstand streiten, dass Herr ... - aus welchen Gründen auch immer - nicht arbeitsvertraglich mit der Beklagten verbunden sein möchte (sondern beispielsweise auch für andere Auftraggeber tätig ist und weiter tätig zu sein beabsichtigt). Dahinstehen kann auch, ob die Beklagte - wäre Herr ... in Wirklichkeit Arbeitnehmer - nicht ohnehin auch ihm gekündigt hätte, um ihr Konzept umzusetzen.

Denn jedenfalls erscheint Herr ... auch nach dem diesbezüglichen und im Berufungsverfahren auch neuen Vorbringen des Klägers nicht als Arbeitnehmer im Rechtssinne. "Arbeitnehmer" ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages Dienste einem anderen zur Leistung weisungsgebundener fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Arbeitsverhältnis ist ein auf den Austausch von Arbeitsleistungen und Vergütung gerichtetes Dauerschuldverhältnis. Die vertraglich geschuldete Leistung ist im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation zu erbringen. Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zeigt sich insbesondere darin, dass der Beschäftigte einem Weisungsrecht seines Vertragspartners (Arbeitgebers) unterliegt. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Selbständig ist dagegen, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (§ 84 Abs. 1 Satz 2 HGB). Es sind alle Umstände des Einzelfalles in Betracht zu ziehen und ihre Gesamtheit zu würdigen. Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Widersprechen sich Vereinbarungen und tatsächliche Durchführung, ist letztere maßgebend (vgl. aus jüngerer Zeit etwa BAG vom 25.05.2005 - 5 AZR 347/04 - EzA § 611 BGB 2002 Arbeitnehmerbegriff Nr. 6 m. w. N. der einschlägigen Rechtsprechung des zuständigen Senats des BAG).

Gemessen an diesen Grundsätzen hat Herr ... keine weisungsgebundene Tätigkeit ausgeführt.

Die papierene Vertragslage ist eindeutig. Danach verfügte und verfügt Herr ... über einen Vertrag als freier Mitarbeiter. Nach § 6 des schriftlichen Vertrages vom 10.07.2002 unterliegt Herr ... keinen Weisungen durch die Auftraggeber. Arbeitsweise und -zeit sowie -ort bestimmt er selbst. Er ist nicht in den Arbeitsablauf der Redaktion eingebunden und erhält keine Einzelanweisungen zur Gestaltung seiner Arbeit von der Redaktion. Er muss sich nicht in Dienstbereitschaft halten und hat das Recht, Aufträge ohne Einfluss auf die Zusammenarbeit mit der Redaktion zu verweigern.

Dem entspricht auch die tatsächliche Vertragsdurchführung. So stellte und stellt Herr ... Rechnungen in unterschiedlichster Höhe für in der Regel ständig wechselnde Einsatztage, Wochenendeinsatztage, Technikpauschalen, Kilometergeld, das Fotografieren von Babys im Klinikum usw. In Rechnung stellt er - einem Unternehmer gleich - auch die gesetzliche Mehrwertsteuer.

Nach dem Gegenstand der Berufungsverhandlung geht die Kammer auch davon aus, dass es zwar als Dienstpläne bezeichnete Planungen gibt, diese aber nicht von der Beklagten herrühren, sondern entweder auf Absprachen der beteiligten Beschäftigten beruhen oder es sich um solche von Herrn ... jeweils am Monatsende für die Folgemonate gefertigte Übersichten handelt.

Damit erfolgt die Leistungserbringung nicht im Rahmen eines von der Beklagten bestimmten Arbeitszeitregimes. Dieses trägt lediglich dem Umstand Rechnung, dass sich der Einsatz der übrigen Fotoreporter arbeitszeitlichen Interessen und Vorgaben des Herrn ... unterzuordnen hatte. Nicht ergeben sich aus den sog. Dienstplänen im Übrigen Weisungen arbeitszeitlicher Art gerade an Herrn ... durch die Beklagte.

Damit ist die Strukturierungsmaßnahme als tatsächlich durchgeführt anzusehen.

Unerörtert bleiben kann nach dem Vorstehenden, ob nicht ohnehin der privaten Presse ebenso wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nachzulassen ist, mit gestaltenden Mitarbeitern anstelle von Arbeitsverhältnissen auch andere (freie) Vertragsbeziehungen einzugehen. Die Privilegierung gerade der öffentlich-rechtlich organisierten Anstalten (vgl. m. N. d. Rechtsprechung des BVerfG sowie des BAG aus jüngerer Zeit etwa BAG vom 26.07.2006 - 7 AZR 495/05 - EzA § 14 TzBfG Nr. 31) ist nicht nur im Lichte des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, sondern unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung dringend überprüfungsbedürftig. Und dass gerade die Tätigkeit von Fotoreportern ihrer Art nach eine gestaltende ist, liegt auf der Hand.

3. Mangels Arbeitnehmereigenschaft des Herrn ... war dieser vor Ausspruch der Kündigung auch nicht zugunsten des Klägers in eine Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten einzubeziehen.

II.

Der Kläger hat aufgrund der Regelung in § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner ohne Erfolg gebliebenen Berufung zu tragen.

Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil es an Gründen hierfür fehlt. Die maßgebenden entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind sämtlich höchstrichterlich geklärt.

Ende der Entscheidung

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