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Gericht: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 26.09.2003
Aktenzeichen: 2 Sa 976/02
Rechtsgebiete: ArbGG, BGB


Vorschriften:

ArbGG § 69 Abs. 2 n. F.
BGB § 266
BGB § 314 Abs. 2 Satz 1
BGB § 314 Abs. 2 Satz 2
BGB § 321 Abs. 1 Satz 1
BGB § 321 Abs. 2 Satz 2
BGB § 323 Abs. 2
BGB § 323 Abs. 2 Nr. 3
BGB § 626 Abs. 1
BGB § 626 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Sächsisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes URTEIL

2 Sa 976/02

Verkündet am 26. September 2003

In dem Rechtsstreit

hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - Kammer 2 - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Frau ... und Herrn ... auf die mündliche Verhandlung vom 26.09.2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin/Widerbeklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bautzen vom 13.11.2002 - 1 Ca 1283/02 - abgeändert:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 80,00 Euro netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 16.06.2002 zu bezahlen.

2. Die Widerklage wird insgesamt abgewiesen.

3. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.

4. Revisionszulassung: keine.

Tatbestand:

Die Parteien streiten auch in dem Berufungsverfahren weiter darüber, ob der Klägerin gegen die Beklagten für den Monat Mai 2002 noch Lohn über den (zu verzinsenden) Betrag in Höhe von 80,00 Euro netto zusteht. Mit dieser Forderung hat das angegangene Arbeitsgericht Bautzen die Klägerin abgewiesen.

Weiter geht es auf die Berufung darum, ob die Klägerin den Beklagten auf deren Widerklage hin 560,00 Euro zu zahlen hat. Diese Forderung hat das Arbeitsgericht zugunsten der Beklagten gegen die Klägerin ausgeurteilt. Abgewiesen hat das Arbeitsgericht die Widerklage insoweit, als die Beklagten von der Klägerin den (über 560,00 Euro) weitergehenden Betrag über 1.200,74 Euro widerklagend geltend gemacht haben. Gegen die teilweise Abweisung ihrer Widerklage wenden sich die Beklagten in dem Berufungsverfahren nicht. Mit der ursprünglichen Streitsumme von 80,00 + 1 200,74 Euro, im Berufungsverfahren noch 80,00 + 560,00 Euro, hat es die aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts ersichtliche Bewandtnis. Danach berühmen sich die Beklagten gegenüber der Klägerin eines Vertragsstrafeanspruches nach § 16 des schriftlichen Arbeitsvertrages der Parteien in Höhe eines Nettomonatsgehaltes der Klägerin (Höhe: 1.284,74 Euro). Den mit der Klage verfolgten Betrag über 80,00 Euro haben sie vom Gehalt der Klägerin für den Monat Mai 2002 einbehalten. Den überschießenden Betrag machen sie in dem im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Umfang im Wege der Widerklage geltend.

Auf die vollständige und richtige Beurkundung des Vorbringens beider Parteien in dem Tatbestand des angefochtenen Urteils kann aufgrund der Regelung in § 69 Abs. 2 ArbGG n. F. Bezug genommen und von der erneuten Darstellung des Tatbestandes deshalb abgesehen werden. In der Berufungsverhandlung hat sich ergeben, dass der die Selbstkündigung der Klägerin auslösende Rückstand der Beklagten mit dem Gehalt für den Monat April 2002 erst im Verlaufe dieses Rechtsstreits (d. h. erst im Monat Juli 2002) beseitigt worden ist und die Verzögerung auf ein vorläufiges Zahlungsverbot zurückzuführen war.

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Berufung ist begründet. Denn die Klägerin schuldet den Beklagten nach der Auffassung der Berufungskammer in Abweichung von dem diesbezüglichen Erkenntnis des Arbeitsgerichts keine Vertragsstrafe, mithin - wie vom Arbeitsgericht aber angenommen - auch nicht nur ein halbes Nettomonatsgehalt als Vertragsstrafe.

Deshalb ist in Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils auf die zulässige Klage hin die Restgehaltsforderung für den Monat Mai 2002 über 80,00 Euro nebst dem gesetzlichen Zinsanspruch auszuurteilen. Aus denselben Erwägungen besteht die Widerklageforderung insgesamt nicht. Deshalb ist die (zulässige) Widerklage nunmehr insgesamt abzuweisen.

Für die abändernde Entscheidung sind in kurzer Zusammenfassung folgende Erwägungen maßgebend, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht (§ 313 Abs. 3 ZPO):

Die Klägerin hat die Vertragsstrafe nach § 16 des Arbeitsvertrages der Parteien nicht verwirkt. Verspricht ein Schuldner dem Gläubiger für den Fall, dass er seine Verbindlichkeit nicht oder nicht in gehöriger Weise erfüllt, die Zahlung einer Geldsumme als Strafe, so ist die Strafe verwirkt, wenn er in Verzug kommt (§ 339 Satz 1 BGB). Verzug setzt das Bestehen einer Leistungspflicht voraus.

Daran fehlt es hier. Denn die Klägerin hat das Arbeitsverhältnis der Parteien zum Zeitpunkt des Zugangs ihrer Kündigung am 24.05.2002 wirksam fristlos gekündigt. Denn sie hatte hierfür aufgrund des Gehaltsrückstandes der Beklagten mit dem Gehalt für den Monat April 2002 einen wichtigen Grund; deshalb lagen hier Tatsachen vor, aufgrund derer der Klägerin unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden konnte (§ 626 Abs. 1 BGB). Dabei ist die Kündigungserklärungsfrist von zwei Wochen nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zwischen den Parteien nicht im Streit. Der Zahlungsverzug der Beklagten dauerte zum Kündigungszeitpunkt noch an.

Ein Gehaltsrückstand kann an sich geeignet sein, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung i. S. von § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Nichtzahlung des Lohnes eine nicht unerhebliche Höhe erreicht oder der Verzug mit der Lohnzahlung sich über einen erheblichen Zeitraum hinweg erstreckt und der Arbeitnehmer diesen Fehler abgemahnt hat (BAG vom 26.07.2001 - 8 AZR 739/00 -, AP Nr. 13 zu § 628 BGB; vom 24.04.1980 - 3 AZR 985/77 -, dok. in JURIS; vom 25.09.1980 - 3 AZR 119/78 -, dok. in JURIS; LAG Köln vom 23.09.1983 - 10 Sa 587/93 -, LAGE BGB § 626 Nr. 73; LAG Hamm vom 29.09.1999 - 18 Sa 118/99 -, NZA-RR 2000, 242; KR-Fischermeier, 6. Auflage, § 626 BGB Rdnr. 467; Stahlhacke/ Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 8. Auflage, Rdnr. 775).

Danach war hier eine Kündigung der Klägerin ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt. Denn die Nichtzahlung des Gehalts hatte mit einer ganzen Monatsvergütung eine nicht unerhebliche Höhe erreicht und die Beklagten waren mit der Gehaltszahlung auch schon um mehr als eine Woche in Verzug. Sie haben auch keine alsbaldige Gehaltszahlung angekündigt, sondern die Klägerin auf ein von dieser nicht beeinflussbares vorläufiges Zahlungsverbot verwiesen. Die Klägerin konnte nicht erkennen, dass und wann dass Zahlungsverbot aufgehoben würde. Ihrer Einschätzung, dass die Gehaltszahlung auch weiter auf sich warten lassen würde, hat sich durch den in der Berufungsverhandlung zur Sprache gekommenen Umstand erhärtet, wonach Zahlung erst im Verlaufe des Rechtsstreits, also jedenfalls mehr als zwei Monate nach Fälligkeit des Gehalts, erfolgt ist. Wer - wie die Klägerin - aus einem (gegenseitigen) Arbeitsvertrag vorzuleisten verpflichtet ist, kann nach § 321 Abs. 1 Satz 1 BGB die ihm obliegende Leistung verweigern, wenn nach Abschluss des Vertrages erkennbar wird, dass ein Anspruch auf die Gegenleistung (die Arbeitsvergütung) durch mangelnde Leistungsfähigkeit des anderen Teils gefährdet wird. Dieses Leistungsverweigerungsrecht entfällt nach § 321 Abs. 2 Satz 2 BGB erst, wenn die Gegenleistung bewirkt oder Sicherheit für sie geleistet wird. Weder das eine noch das andere ist geschehen. Das Anbieten einer bloßen Teilleistung stellt weder die "Gegenleistung" dar noch handelt es sich um eine "Sicherheit" für den noch offenen Teil der Gehaltsforderung. Zu Teilleistungen waren die Beklagten aufgrund der Regelung in § 266 BGB ohne Zustimmung der Klägerin auch nicht berechtigt.

Auch das Bundesarbeitsgericht hat in dem Urteil vom 26.07.2001 (a. a. O.) lediglich einen Rückstand mit deutlich weniger als der Hälfte eines Monatsgehalts als geringfügig angesehen. Eine volle Monatsvergütung für eine abhängig beschäftigte Partei ist nicht geringfügig. Sie wird in aller Regel auch keine arbeitslosen-, sozialversicherungs- oder sozialhilferechtlichen Lohnersatzleistungen erhalten, sondern von jedem Leistungsträger auf den durch Arbeit erworbenen und bestehenden Lohnanspruch hingewiesen werden. In dieser Situation und bei Ungewissheit künftiger, wenigstens pünktlicher Gehaltszahlung ist weiterer Arbeitseinsatz weder zu erwarten noch zumutbar. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Ausspruchs der fristlosen Kündigung bereits fast zwei volle Monate gearbeitet hat, ohne hierfür Geld zu sehen.

Selbst wenn man auch bei einem Rückstand mit einer Gehaltsforderung in nicht unerheblicher Höhe - wie hier - vor dem Ausspruch einer außerordentlichen fristlosen Kündigung prinzipiell die Erklärung einer (arbeitnehmerseitigen) Abmahnung fordert, war eine solche jedenfalls hier entbehrlich. Dies hat das Bundesarbeitsgericht beispielsweise in dem Urteil vom 25.09.1980 (a. a. O.) für den Fall eines nicht unerheblichen Rückstandes angenommen, wenn der Fälligkeitstermin verstrichen war und der Schuldner den Grund der Verzögerung der Gehaltszahlung offen gelegt sowie bekannt gemacht hatte, dass mit Beginn der folgenden Woche eine Abschlagszahlung in Höhe eines Drittels des rückständigen Betrages erfolgen werde. Dem entspricht auch die Situation der Arbeitsrechtsbeziehung der Parteien. Wie in der angezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ergibt sich, dass den Beklagten ihr Verzug sehr wohl bewusst war und dass sie mit dem Hinweis auf eine Teilleistung Abmahnungen abwenden wollten. Unter diesen Umständen konnte sich die Klägerin auf der von den Beklagten selbst vorgetragenen Mitarbeiterbesprechung vom 17.05.2002 zunächst als vertröstet ansehen und zunächst mit einer Zahlung des Gehalts rechnen. Nicht aber können nunmehr die Beklagten ihrerseits der hingehaltenen Klägerin vorwerfen, diese habe - angesichts der Hinhaltetaktik - sie, die Beklagten, nicht abgemahnt.

Das Ergebnis entspricht, soweit es um die Entbehrlichkeit einer Abmahnung geht, übrigens auch den gesetzlichen Neuregelungen des allgemeinen Schuldrechts. Zwar gilt danach aufgrund der Regelung in § 314 Abs. 2 Satz 1 BGB, dass eine Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig ist, wenn der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Vertrag besteht. § 314 Abs. 2 Satz 2 BGB erklärt jedoch die - gleichfalls neu geregelte - Bestimmung in § 323 Abs. 2 BGB für anwendbar. Nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB ist eine Fristsetzung (und damit eine Abmahnung) entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt (hier also: eine außerordentliche fristlose Kündigung) rechtfertigen. Eben solche Umstände liegen aus den vorstehend genannten Erwägungen aber vor.

II.

Die Beklagten haben aufgrund der Regelung in § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, weil sie unterlegen sind.

Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Die Revision ist nicht zuzulassen. Es wird darauf hingewiesen, dass die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht ihrerseits durch Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde) angefochten werden kann. Möglich ist dies unter den in § 72 a ArbGG genannten Voraussetzungen.

Ende der Entscheidung

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