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Gericht: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 29.08.2003
Aktenzeichen: 2 TaBV 26/03
Rechtsgebiete: BetrVG 2001


Vorschriften:

BetrVG 2001 § 87 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Sächsisches Landesarbeitsgericht BESCHLUSS

Az.: 2 TaBV 26/03

Chemnitz, 29.08.2003

In dem Beschlussverfahren

wegen Mitbestimmungsrechtes in sozialen Angelegenheiten/Einstweilige Verfügung mit dem Ziel, es zu unterlassen, Mitarbeiter zu Tauglichkeitsuntersuchungen zu entsenden

hier: Beschwerde

hat die 2. Kammer des Sächsischen Landesarbeitsgerichts durch ihren Vorsitzenden, den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht..., sowie durch die ehrenamtlichen Richter Frau ... und Herrn ... auf die mündliche Anhörung der Beteiligten am 29.08.2003 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers/Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 11. August 2003 - 5 BVGa 2/03 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Ausspruch lautet:

Der Antrag vom 25. Juli 2003 auf Erlass der Einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die Beteiligten streiten im Beschwerdeverfahren unverändert über den beim Arbeitsgericht Chemnitz erfolglos gebliebenen Antrag des Betriebsrates, der Arbeitgeberin im Wege der Einstweiligen Verfügung aufzugeben, es zu unterlassen, Mitarbeiter zu Tauglichkeitsuntersuchungen ohne Beachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates zu entsenden, solange nicht dieser seine Zustimmung dazu erteilt hat oder die fehlende Einigung der Beteiligten nicht durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist, hilfsweise solange nicht die Verhandlungen mit dem Gesamtbetriebsrat gemäß § 3 Abs. 2 und 3 Konzernbetriebsvereinbarung (KBV) Strukturwandel, ggf. einschließlich eines Einigungsstellenverfahrens, abgeschlossen sind.

Von der erneuten Darstellung des Sachverhalts wird aufgrund der Regelungen in § 540 Abs. 2 ZPO n. F. i. V. m. § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO n. F. (entsprechend) abgesehen und stattdessen auf die Beurkundung des Vorbringens beider Beteiligten unter dem mit "Tatbestand" überschriebenen ersten Abschnitt der Gründe des angefochtenen Beschlusses des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 11.08.2003 Bezug genommen.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat (der Sache nach) den Antrag vom 25.07.2003 auf Erlass der Einstweiligen Verfügung zu Recht zurückgewiesen. Die zulässigen Verfügungsanträge sind unbegründet.

Denn es fehlt an Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund.

1.

Für Haupt- und Hilfsanträge fehlt es an einem durch Einstweilige Verfügung sicherbaren Unterlassungsanspruch. Denn dem Betriebsrat steht hier aus mehreren selbständig tragenden Gründen kein Mitbestimmungsrecht zu.

a) Das in Anspruch genommene Beteiligungsrecht bewegt sich außerhalb des Anwendungsbereichs der Vorschriften über die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates in sozialen Angelegenheiten nach § 87 BetrVG.

In Wahrheit geht es dem Betriebsrat - auch nach dem Ergebnis der Beschwerdeverhandlung - darum, eine Präselektion der auf ihre Tauglichkeit hin untersuchten Arbeitnehmer zu deren eigenem Schutz (vor der Annahme eines schlechteren Arbeitsplatzes) und zum Schutz der im Werk verbleibenden Beschäftigten zu verhindern. Damit geht es der Sache nach um die Verhinderung möglicher personeller Einzelmaßnahmen wie etwa Versetzungen. Dazu jedoch stehen dem Betriebsrat Beteiligungsrechte ausschließlich nach Maßgabe der Vorschriften des § 99 BetrVG (ggf. wegen § 3 KBV Strukturwandel unter Ausschluss des örtlichen Betriebsrates, nicht aber ohne Beteiligung überhaupt) zur Seite. Danach kann der Betriebsrat aufgrund der Regelung in § 99 Abs. 2 BetrVG etwa zu einer Versetzung seine Zustimmung verweigern, wenn diese personelle Maßnahme gegen ein Gesetz oder eine Bestimmung in einem Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung verstoßen würde. Daraus ergibt sich, dass die Anordnung der Durchführung von Tauglichkeitsuntersuchungen mit dem möglichen Ziel einer Versetzung nicht schon jetzt - im Vorfeld - einer Beteiligung des Betriebsrates unterliegt.

b) Auch wären die Voraussetzungen des vom Betriebsrat angezogenen Beteiligungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht erfüllt.

Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer. Dieses kann der Arbeitgeber kraft seiner Leitungsmacht durch das Aufstellen von Verhaltensregeln oder durch sonstige Maßnahmen beeinflussen und koordinieren. Zweck des Mitbestimmungsrechts ist demzufolge, die Arbeitnehmer gleichberechtigt an der Gestaltung der betrieblichen Ordnung teilhaben zu lassen (BAG vom 11.06.2002 - 1 ABR 46/01 - EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Ordnung Nr. 28 m. w. N.).

Bei der Durchführung von Tauglichkeitsuntersuchungen aufgrund eines unternehmensweit gültigen Tarifvertrages geht es weder um betriebliche Angelegenheiten allein des Werkes ... noch geht es um das "Zusammenleben" oder "Zusammenwirken" der Arbeitnehmer. Angesprochen ist allein die Frage nach einer Verpflichtung jedes einzelnen Arbeitnehmers gegenüber der Arbeitgeberin, sich Tauglichkeitsuntersuchungen zu unterziehen. Insoweit macht die Arbeitgeberin ein typisches Gläubigerrecht geltend. Dies zeigt sich in Sonderheit darin, dass die Verpflichtung der Arbeitnehmer nach § 5 Abs. 6 KonzernRatio TV keine Rechtsnorm darstellt, die betriebliche Fragen ordnet, sondern durch eine Inhaltsnorm (§ 1 Abs. 1 TVG) geregelt ist. Genauso wenig wie die Betriebspartner einen Arbeitnehmer zur Tauglichkeitsuntersuchung verpflichten können (Wiese, in: GK-BetrVG, § 87 Rdnr. 224; a. A. ArbG München vom 03.12.1980 - 24 BV 33/80 -, AuR 1981, 284; Diller/Powietzka, NZA 2001, 1227, 1232 [Drogenscreening]), ist es ihnen nachgelassen, von einer bestehenden Verpflichtung zu entbinden oder deren Einhaltung auch nur zu verzögern. Die Frage, ob sich ein Beschäftigter einer Tauglichkeitsuntersuchung zu unterziehen hat, ist keine solche, die denknotwendig lediglich betriebseinheitlich regelbar ist. Besteht damit - anders als bei betrieblichen Normen nach § 3 Abs. 2 TVG - eine Geltung der Norm nur bei Tarifbindung oder arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf den Tarifvertrag, besteht auch keine Möglichkeit, nicht gebundene Arbeitnehmer, die die Tauglichkeitsuntersuchung möglicherweise wünschen, durch betriebliche Regelungen an der Untersuchung zu hindern. Insoweit besteht hier eine andere Lage als in den Fällen, in denen im Zusammenhang mit Eignungsuntersuchungen Kontrollregelungen getroffen werden und deshalb ein Mitbestimmungsrecht bestand (vgl. etwa BAG vom 25.01.2000 - 1 ABR 3/99 -, EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Ordnung Nr. 26; ArbG München vom 03.12.1980 - 24 BV 33/80 -, AuR 1981, 284; ArbG Offenbach vom 20.06.1999 - 3 BV 3/90 -, DB 1991, 554; Klebe, in: Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, § 87 Rdnr. 52; Löwisch/Kaiser, BetrVG, § 87 Rdnr. 43).

Ob die Inanspruchnahme des Beteiligungsrechts gegenüber untersuchungswilligen Arbeitnehmern (die immerhin das Recht zur freien Arbeitsplatzwahl aus Art. 12 Abs. 1 GG haben) darüber hinaus funktionswidrig ist, muss hier nicht beantwortet werden.

c) Selbst wenn die Voraussetzungen eines Beteiligungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG erfüllt wären, hätte der Betriebsrat dennoch nicht mitzubestimmen. Dies ist nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nicht der Fall, wenn eine tarifliche Regelung besteht.

Das ist hier aber der Fall: Denn die Arbeitnehmer sind nach § 5 Abs. 6 KonzernRatio TV verpflichtet, an erforderlichen Tauglichkeits- und Eignungsuntersuchungen (und ebenso an zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen) teilzunehmen. Von dieser Verpflichtung können sie nicht in Ausübung des Beteiligungstatbestands nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG dispensiert werden.

§ 5 Abs. 6 KonzernRatio TV ist auch anwendbar. Nach § 2 Abs. 1 KonzernRatio TV regelt dieser Tarifvertrag die Grundsätze für die Weiterbeschäftigung im bisherigen Unternehmen oder einem anderen Unternehmen im DB Konzern, wenn eine vom Arbeitgeber veranlasste betriebliche Maßnahme zum Wegfall der bisherigen Beschäftigung führt (sowie die sich aus der Weiterbeschäftigung ergebenden Ansprüche des Arbeitnehmers).

Die vom Vorstand der Arbeitgeberin beschlossene Werksstilllegung stellt eine veranlasste betriebliche Maßnahme zum Wegfall der bisherigen Beschäftigung dar. Die Regelung meint nicht die Situation bereits ausgesprochener Kündigungen. Nach Ausspruch von Kündigungen macht eine Tauglichkeitsuntersuchung keinen Sinn (mehr). Ein zur Kündigung entschlossener Arbeitgeber trifft keine Vorkehrungen für eine Weiterverwendung oder Wiedereinstellung nach einer sich aufgrund einer Untersuchung ergebenden Tauglichkeit. Der Tarifvertrag meint Maßnahmen im Vorfeld einer unternehmerischen Entscheidung, die bei den betroffenen Arbeitnehmern zum Wegfall der bisherigen Beschäftigung führen kann. Betroffen ist hier - welche Konstruktionen für den Auffang welchen Teils der Belegschaft auch immer geplant sind - potentiell zunächst einmal jeder einzelne Arbeitnehmer des Werkes.

d) Ein Beteiligungsrecht des Betriebsrates ergibt sich selbst dann nicht, wenn die Arbeitgeberin die Tauglichkeitsuntersuchungen mit dem Ziel einsetzen würde, eine im Rahmen noch auszusprechender betriebsbedingter Kündigungen vorzunehmende Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten im Vorfeld zu steuern. Dies kann der Arbeitnehmer in einem von ihm geführten Kündigungsschutzprozess einwenden. Im Rahmen der Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten der zu Kündigenden und bei Ausspruch der Kündigung im Übrigen hat es sein Bewenden bei den Beteiligungsrechten des Betriebsrates nach dem Betriebsverfassungsgesetz sowie nach den ergänzend für die ... AG geltenden Regelungen.

e) Der Hilfsantrag ist darüber hinaus unbegründet, weil der antragstellende und sich beschwerende Betriebsrat nicht einen etwaigen Verhandlungsanspruch des Unternehmens- oder konzernweit zuständigen Betriebsratsgremiums aus § 3 Abs. 2 und 3 der KBV Strukturwandel anstelle des zuständigen Gremiums geltend machen kann.

f) Einem bestehenden Beteiligungsrecht wäre durch § 2 Abs. 3 der KBV Konzernweiter Arbeitsmarkt jedenfalls genügt. Auch danach ergibt sich die Verpflichtung u. a. zur Teilnahme an Tauglichkeitsuntersuchungen.

2.

An einem Verfügungsgrund fehlt es in Ermangelung der Voraussetzungen des § 940 ZPO. Danach sind Einstweilige Verfügungen zwar auch zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis - wie hier - zulässig. Allerdings muss eine solche Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheinen. Anzustellen ist eine Interessenabwägung. Diese geht hier zu Lasten des Betriebsrates aus.

Bestünde ein Beteiligungsrecht des Betriebsrates, würde dieses durch fortgesetzte Tauglichkeitsuntersuchungen (weiter) beeinträchtigt. Demgegenüber müsste sich die Arbeitgeberin, wenn es zum Ausspruch von Kündigungen und zu Kündigungsrechtsstreitigkeiten käme, aus Gründen des Kündigungsschutzrechts tragen lassen, ob und wo sie zur Vermeidung einer Kündigung eine andere Verwendbarkeit geprüft habe. Da es nicht um eine Verwendung im Werk ... geht, wo es nach dem Ergebnis der Beschwerdeverhandlung auf die Erfüllung bestimmter Tauglichkeitskriterien nicht ankommt, bleibt der Arbeitgeberin zur Ermittlung anderweitiger Beschäftigungschancen nichts übrig, als die Tauglichkeit überprüfen zu lassen. Versetzungsbereite Arbeitnehmer wären anderenfalls in all den Fällen ohne Versetzungschance, in denen es auf die Tauglichkeit ankommt. Darüber hinaus hätten sie das Nachsehen gegenüber sämtlichen anderen Arbeitnehmern anderer Werke, die sich zulässigen Tauglichkeitsuntersuchungen unterziehen und damit in Konkurrenz um freie Arbeitsplätze treten. Insoweit ist es konsequent, wenn sich aus § 3 KBV Strukturwandel im Rahmen der allgemeinen Grundsätze für das Beteiligungsverfahren ein Ausschluss der Zuständigkeit der örtlichen Betriebsräte etwa dann ergibt, wenn personellen Einzelmaßnahmen ein unternehmenseinheitliches Konzept zugrunde liegt. Damit ist die Wahrscheinlichkeit schwindend gering, dass durch die Ablehnung des Erlasses der Einstweiligen Verfügung überhaupt Rechte des Betriebsrates des Werkes ... beeinträchtigt werden. Würde die Einstweilige Verfügung hingegen erlassen werden, könnte die Arbeitgeberin die (lediglich zugunsten der Arbeitnehmer) überbetrieblich geschaffenen Regelungen nicht durchsetzen. Weder könnte sie ihren Vermittlungsobliegenheiten genügen noch hätten die Beschäftigten des ... Werkes Chancen auf Weiterbeschäftigung an anderer Stelle. Dies gilt in Sonderheit mit Blick auf die zeitliche Perspektive der Werkschließung zum 31.12.2003. Bislang sind lediglich 51 Personen untersucht worden. Angesichts des in der Beschwerdeverhandlung geschilderten Kapazitätsengpasses ist nicht zu erwarten, dass im Falle des Erlasses der Einstweiligen Verfügung noch vor dem 31.12.2003 Untersuchungen in nennenswerter Zahl vorgenommen werden können. Sinnvolle Vermittlungsbemühungen könnten damit im Ergebnis für die restlichen im Werk ... beschäftigten Arbeitnehmer bis zur Werkschließung nicht mehr durchgeführt werden. Die Einstweilige Verfügung würde endgültige Tatsachen selbst dann schaffen, wenn kein Beteiligungsrecht des Betriebsrates besteht. Nachdem aber im Rahmen etwaiger künftiger personeller Einzelmaßnahmen Betriebsratsrechte, auf welcher Ebene auch immer, zu wahren sein werden, muss der Möglichkeit notwendiger Vorbereitungshandlungen für Vermittlungsbemühungen, also auch Tauglichkeitsuntersuchungen, der Vorrang zukommen.

Die Kammer hat den Ausspruch in dem angefochten Beschluss des Arbeitsgerichts dahingehend klargestellt, dass der Antrag vom 25.07.2003 auf Erlass der Einstweiligen Verfügung zurückzuweisen ist. Dies schließt den im Wege der Einstweiligen Verfügung verfolgten Hauptantrag ebenso ein wie den Hilfsantrag.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. In Beschlussverfahren werden Gerichtskosten nicht erhoben noch entsteht eine prozessuale Kostentragungspflicht. Der diesbezügliche Ausspruch in dem angefochtenen Beschluss ist demgemäß entbehrlich.

Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben. Im Falle des Antrages auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung findet nach § 92 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 85 Abs. 2 Satz 1 ArbGG die Rechtsbeschwerde nicht statt. Sie kann demgemäß auch nicht zugelassen werden.

Ende der Entscheidung

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