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Gericht: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 27.03.2006
Aktenzeichen: 3 Sa 746/05
Rechtsgebiete: BetrVG, ArbGG, ZPO, KSchG


Vorschriften:

BetrVG § 102 Abs. 1
BetrVG § 102 Abs. 3
BetrVG § 102 Abs. 5
ArbGG § 64 Abs. 2 c
ArbGG § 64 Abs. 6
ZPO § 520
KSchG § 1
KSchG § 1 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 3
Ist die Zahl der an sich betriebbedingt zu kündigenden Arbeitnehmer höher als die Zahl der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auf anderen freien Arbeitsplätzen, so kann der Arbeitgeber zunächst diejenigen Arbeitnehmer auswählen, die ohne eine Umschulung/Fortbildung die freien Arbeitsplätze einnehmen könnten.
Sächsisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes URTEIL

Az.: 3 Sa 746/05

Verkündet am 27. März 2006

In dem Rechtsstreit

hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - Kammer 3 - durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Herrn ... und Herrn ... auf die mündliche Verhandlung vom 27.03.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 03.06.2005 - 15 Ca 8424/04 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwischen ihnen mit Schreiben der Beklagten vom 30.11.2004 zum 30.06.2005.

Der 1950 geborene Kläger ist verheiratet und hat keine unterhaltspflichtigen Kinder. Nach Angaben der Parteien steht er seit 01.06.1992 in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern, welches auf einem Arbeitsvertrag vom 01.05.1991 (Bl. 7 bis 12 d. A.) beruhen soll. In § 3 dieses Arbeitsvertrages heißt es u. a.:

"Der Arbeitnehmer wird als Schlosser eingestellt.

Die Firma ist berechtigt, dem Arbeitnehmer vorübergehend oder auf Dauer andere zumutbare Arbeiten innerhalb des Unternehmens zuzuweisen."

Die Parteien vereinbarten ab dem 01.03.2002 eine geänderte Tätigkeit des Klägers als "Lader/Beifahrer" (vgl. Schreiben vom 23.01.2002, Bl. 42 d. A.). Im Einverständnis des Klägers wurde dieser ab 01.08.2004 dem Betriebshof ... "zugeordnet" (vgl. Schreiben vom 16.09.2004, Bl. 43 d. A.). Hierzu war der Betriebsrat des Regionalbereichs ... der Beklagten, damals firmierend als ... GmbH, angehört worden und hatte mit Schreiben vom 02.03.2004 - wenn auch unter Bedenken - der Umsetzung des Klägers zugestimmt.

Die Beklagte beschloss, den Betriebshof ... zum 31.12.2004 zu schließen, nachdem der dortige Hauptauftraggeber - die ...-Entsorgung im ...- den Vertrag über die von der Beklagten zu erbringenden Entsorgungsdienstleistungen gekündigt und eine Analyse der wirtschaftlichen Folgen ergeben hatte, dass die Fortführung des Betriebshofs ... dauerhaft defizitär sein würde. Die Beklagte bezieht sich hierzu auf ein Schaubild "Ergebnisentwicklung - BH ..." vom 12.10.2004 (Anlage B 4, Bl. 44 d. A.).

Mit Schreiben vom 16.11.2004 (Bl. 46 bis 48 d. A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung von vier Mitarbeitern in ..., u. a. war der Kläger aufgeführt, an. Sie teilte dem Betriebsrat mit, dass mit der Schließung des Betriebshofs ... alle dortigen Arbeitsplätze entfielen und vorgesehen sei, von den zehn dortigen Mitarbeitern vier (Fahrer) an die Betriebsstätte ... sowie einen Mitarbeiter (Fahrer) an den Betriebshof ... zu versetzen und - neben den vier betriebsbedingten Kündigungen - einen Mitarbeiter über Altersteilzeit "freizusetzen". Der Betriebsrat widersprach der Kündigung des Klägers mit Schreiben vom 26.11.2004 (Bl. 49 d. A.), da bereits mehrere Leiharbeitnehmer "freigesetzt" würden.

Die Beklagte kündigte sodann das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 30.11.2004 zum 30.06.2005 (Bl. 5/6 d. A.). Das Schreiben ging dem Kläger am 30.11.2004 zu.

Mit am 20.12.2004 beim Arbeitsgericht eingegangener Klage hat der Kläger insbesondere geltend gemacht, ein Kündigungsgrund läge nicht vor, die Aufgaben aus ... würden im Wesentlichen nach ... ausgelagert, deshalb bestünde dort ein höherer Bedarf an Arbeitskräften, schon in der Vergangenheit habe es dort Engpässe gegeben, deshalb seien inzwischen auch die anderen drei Kündigungen zurückgenommen worden. Im Hinblick auf § 3 des Arbeitsvertrages könne der Kläger auch in anderen Standorten eingesetzt werden. Nach dem Sozialtarifvertrag seien zunächst Qualifizierungen und/oder Versetzungen vor einer Kündigung zu prüfen. Auch sei die Sozialauswahl fehlerhaft. Der Kläger sei mit verschiedenen Arbeitnehmern in ... und in ... vergleichbar, die kürzer im Betrieb und die jünger seien. Zwar verfügten diese über einen Lkw-Führerschein; einen solchen könnte aber auch der Kläger erwerben. Außerdem seien in ... und ... Arbeitnehmer beschäftigt, die zwar im Besitz eines Lkw-Führerscheins seien, jedoch nur als Beifahrer/Lader beschäftigt würden.

Schließlich sei der Betriebsrat - was zu bemängeln wäre - nur schlagwortartig informiert worden.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 30.11.2004 nicht beendet wird,

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Lader/Beifahrer weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach Ansicht der Beklagten seien weder die Arbeitnehmer in ... noch diejenigen in anderen Betriebsstätten mit dem Kläger vergleichbar. Es würde kein anderer Beifahrer/Lader beschäftigt. Der Kläger hätte auch nicht im Wege des Direktionsrechts in einen anderen Betriebshof versetzt werden können. Im Übrigen habe es sich bei dem Betriebshof ... um einen eigenständigen Betrieb gehandelt. Schließlich habe der Kläger keine anderen Arbeitnehmer für die Sozialauswahl benannt. Eine Qualifizierung des Klägers als Fahrer sei nicht zumutbar. Der Erwerb eines Lkw-Führerscheins dauere ca. sechs Monate. Auch sei kein geeigneter freier Arbeitsplatz vorhanden.

Der Betriebsrat sei i. S. der subjektiven Determination ordnungsgemäß angehört worden.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 03.06.2005 nach den Klageanträgen erkannt, der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt sowie den Streitwert auf 7.756,80 € - ausgehend von einen Monatsbruttoverdienst des Klägers in Höhe von 1.939,20 € - festgesetzt. Es hat in den Entscheidungsgründen, auf welche im Übrigen Bezug genommen wird (Bl. 82 bis 85 d. A.), u. a. ausgeführt, die Stellen in ... seien nicht ersatzlos weggefallen, die Beklagte habe sich entschieden, verbleibende Leistungen nach ... zu verlegen, dort gebe es deshalb einen höheren Arbeitsanfall, welcher offensichtlich nicht von den dortigen Mitarbeitern zusätzlich übernommen werden könne. Nach unbestrittenem Vortrag des Klägers sei es in ... schon in der Vergangenheit zu Engpässen gekommen. Dafür spräche auch, dass vier Fahrer nach ... versetzt worden seien, dass die Kündigungen der drei anderen Arbeitnehmer zurückgenommen worden seien. Von den zehn Arbeitnehmern aus ... würden also sieben in ... weiterbeschäftigt.

Aus dem Vortrag der Beklagten ergäbe sich nicht, weshalb sieben Arbeitnehmer weiterbeschäftigt werden könnten, der Kläger als Lader/Beifahrer jedoch nicht. Die Behauptung, ein freier Arbeitsplatz, der für die Qualifikation des Klägers geeignet sei bzw. der im Rahmen von zumutbaren Fortbildungsmaßnahmen hätte angeboten werden können, sei nicht vorhanden, sei nicht nachvollziehbar.

Gegen dieses ihr am 23.08.2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 12.09.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangene und am 12.10.2005 ausgeführte Berufung der Beklagten.

Die Beklagte führt aus, dass nach der Kündigung des Hauptauftrages durch die ...Entsorgung in ... nur noch ein Auftragsbestand von ca. 20 % verblieben sei, welcher die Beschäftigung von ein bis zwei Fahrern gerechtfertigt hätte. Nur dieser Auftragsbestand sei nach ... verlagert worden. Lediglich der Auftrag der ...-Entsorgung hätte die Tätigkeit eines Beiladers erfordert.

In ... habe auch aufgrund anderer Aufträge ein erhöhter Beschäftigungsbedarf bestanden. Sämtliche dortigen Beschäftigten hätten über einen Lkw-Führerschein verfügt. Die zusätzlichen vier freien Arbeitsplätze seien für Fahrer bestimmt. Nur bei einzelnen Versorgungsfahrten würden zwei Fahrer eingesetzt; einer dieser Fahrer übe dann die Tätigkeit eines Beiladers aus. Die Beklagte sei jedoch darauf angewiesen, dass sämtliche Mitarbeiter auch als Fahrer eingesetzt werden könnten. Reine Beilader würden in ... nicht beschäftigt.

Da der Kläger über keinen Lkw-Führerschein verfüge, sei er mit den anderen Arbeitnehmern nicht austauschbar. Prüfungsvorbereitungen und Fahrschule würden einen Zeitaufwand von mindestens sechs Monaten beanspruchen; zudem handele es sich um eine andere Tätigkeit. Ferner habe der Kläger auch keine Initiative zur Erlangung des Führerscheins ergriffen.

Die Standorte ..., ... und ... bildeten keinen einheitlichen Betrieb. Die vom Kläger genannten Arbeitnehmer seien deshalb in einem anderen Betrieb der Beklagten tätig.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter dahingehender Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Leipzig - 15 Ca 8424/04 - abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger wendet ein:

Der Beschluss der Beklagten laute dahingehend, die Betriebstätigkeit in dem betreffenden Teil ... in ... zu "zentralisieren". Es werde bestritten, dass lediglich ca. 20 % der Aufträge in ... übrig geblieben seien. Die Beklagte eine Vielzahl von Aufträgen akquiriert. Das sei bereits daraus zu schließen, dass sie drei der vier Kündigungen zurückgenommen habe. In ... würden auch Arbeitnehmer als Beifahrer/Lader eingesetzt, ohne dass hierfür eine Lkw-Fahrberechtigung notwendig sei. Mindestens drei Lkws würden dort betrieben, die jeweils mit einem Fahrer und einem Beifahrer unterwegs seien. Ferner gäbe es in ... drei und in ... einen Leiharbeitnehmer. Der Kläger hätte auch als Schlosser eingesetzt werden können.

Ferner könnte der Kläger nach zumutbarer Umschulung als Lkw-Fahrer eingesetzt werden. Der Erwerb der Lkw-Fahrberechtigung dauere keineswegs sechs Monate. Im Übrigen sei auch eine solche Einarbeitungszeit angesichts der Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Monatsende zumutbar.

Der Kläger bestreite die Vornahme einer Sozialauswahl. In den Betriebsteilen ... und ... seien sog. Anlagenarbeiter, die eine Großpresse bedienten, tätig. Mit diesen - die viel kürzer im Betrieb und jünger als der Kläger seien - sei der Kläger vergleichbar. Der Kläger habe bis 2002 auch an Pressen gearbeitet. Ferner sei der Kläger mit Arbeitnehmern, die die Waage bedienten oder einen Gabelstapler führten, vergleichbar.

Ferner werde die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats bestritten. Es sei nicht dargetan worden, weshalb nur vier Arbeitnehmern gekündigt worden sei, die übrigen jedoch weiterbeschäftigt werden könnten.

Ziffer 2 des Tenors des angegriffenen Urteils sei in Rechtskraft erwachsen, da die Berufung darauf nicht eingehe. Der Weiterbeschäftigungsantrag werde auch auf § 102 Abs. 5 BetrVG gestützt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze bei den Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß § 64 Abs. 2 c ArbGG statthafte Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erfasst - wie sich aus dem Berufungsantrag ergibt - auch den mit Ziffer 2 des Urteilstenors entschiedenen Streitstoff.

Zwar enthält die Berufungsbegründung zu diesem Teil keine gesonderten ausdrücklichen Ausführungen. Das hat jedoch nicht die Teilunzulässigkeit der Berufung gemäß §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 520 ZPO zur Folge. Der Kläger hatte den Weiterbeschäftigungsantrag in erster Instanz nicht auf § 102 Abs. 5 BetrVG gestützt, sondern mit diesem Antrag die vorläufige Weiterbeschäftigung - gerichtet auf eine tatsächliche Weiterbeschäftigung - gekoppelt an das Obsiegen mit dem Kündigungsfeststellungsantrag gestellt. Es handelte sich somit um einen unechten Hilfsantrag (vgl. auch BAG vom 08.04.1988, in AP Nr. 4 zu § 611 BGB Weiterbeschäftigung).

Dem Antrag war zu entsprechen, nachdem das Gericht erster Instanz die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt hatte und die Beklagte zur Abwehr keine über die Ungewissheit des Prozessausgangs hinausgehende Umstände, aus denen sich ihr überwiegendes Interesse an der Nicht-Weiterbeschäftigung des Klägers ergeben könnte, vorgetragen hatte. Dementsprechend ist das Arbeitsgericht verfahren. Es bedurfte deshalb - wollte die Beklagte auch in zweiter Instanz, wie geschehen, keine gesonderten Abwehrgründe gegen den Weiterbeschäftigungsantrag vorbringen - zur Abwehr dieses Antrags keiner Ausführungen. Vielmehr wäre der Weiterbeschäftigungsantrag, hätte der Kündigungsfeststellungsantrag auf die Berufung abgewiesen werden müssen, als nicht (mehr) zur Entscheidung angefallen festgestellt werden müssen.

II.

Die Berufung ist unbegründet. Die streitgegenständliche Kündigung ist sozial ungerechtfertigt i. S. des § 1 Abs. 2 KSchG und damit rechtsunwirksam. Ferner folgt die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung auch aus § 102 Abs. 1 BetrVG.

1. Gemäß der hier anwendbaren Vorschrift des § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung dann sozial ungerechtfertigt, wenn sie (u. a.) nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.

Das dringende betriebliche Erfordernis zur Kündigung entfällt auch dann, wenn der Beschäftigungsbedarf zwar am konkreten Arbeitsplatz des Arbeitnehmers entfallen ist, jedoch eine anderweitige Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem freien Arbeitsplatz im Unternehmen des Arbeitgebers besteht.

Die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung bezieht sich zunächst nur auf vergleichbare freie Arbeitsplätze. Ist ein vergleichbarer Arbeitsplatz nicht frei, kann auch die Möglichkeit einer beiden Parteien zumutbaren Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz im Unternehmen zu geänderten Arbeitsbedingungen zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Zu beachten ist hierbei allerdings, dass das Kündigungsschutzgesetz das Arbeitsverhältnis nur in seinem bisherigen Bestand und Inhalt schützt. Der Arbeitgeber ist deshalb nicht gehalten, zur Vermeidung einer Beendigungskündigung einen freien Arbeitsplatz mit höherwertigen Arbeitsbedingungen anzubieten (vgl. BAG vom 29.03.1990 in EzA Nr. 29 zu § 1 KSchG Soziale Auswahl).

Handelt es sich bei dem freien Arbeitsplatz um eine solchen mit gleichwertigen Arbeitsbedingungen, bedarf es hierzu allerdings einer Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahme, so ist der Arbeitgeber dann verpflichtet, diesen dem Arbeitnehmer anzubieten, wenn die Übernahme für beide Seiten zumutbar ist. Für den Arbeitnehmer ist ein Arbeitsplatz zumutbar, der seinem sozialen und wirtschaftlichen Status entspricht. Die Zumutbarkeit für den Arbeitgeber bemisst sich zunächst danach, dass für ihn mit hinreichender Sicherheit voraussehbar ist, dass nach Abschluss der Umschulungs- bzw. Fortbildungsmaßnahme eine Beschäftigungsmöglichkeit aufgrund der nunmehr erworbenen Qualifikation besteht. Ferner muss dem Arbeitgeber gerade die Durchführung der Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme zumutbar sein. Hierzu ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Unzumutbar kann die Maßnahme für den Arbeitgeber dann sein, wenn der Aufwand der Umschulung unverhältnismäßig groß ist, sich über einen längeren Zeitraum hinzieht oder der Erfolg angesichts des Alters oder des Bildungsgrades des Arbeitnehmers ungewiss erscheint (vgl. hierzu auch KR-Etzel, 7. Auflage, § 1 KSchG Rdnr. 724 m. w. N.).

Ist schließlich die Anzahl der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten geringer als die Anzahl der hierfür infrage kommenden und ansonsten zu kündigenden Arbeitnehmer, ist zunächst durch eine betriebliche Auswahl zu ermitteln, wer - gemessen an den Anforderungen der neuen Arbeitsmöglichkeiten - für eine Weiterbeschäftigung infrage kommt. Ergibt sich hierbei, dass mehr Arbeitnehmer geeignet sind als Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen, ist eine Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG analog vorzunehmen (vgl. BAG vom 15.12.1994 in AP Nr. 66 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung).

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze kann nicht festgestellt werden, dass die streitgegenständliche Kündigung sozial gerechtfertigt i. S. des § 1 KSchG wäre.

Angesichts freier Arbeitsplätze in der Betriebsstätte ... wäre eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zu prüfen gewesen. Auch in Anbetracht dessen, dass die Beklagte an dieser Betriebsstätte aus nachvollziehbaren betrieblichen Gründen nur noch Arbeitnehmer mit einer Lkw-Fahrberechtigung beschäftigt, wäre es der Beklagten zumutbar gewesen, dem Kläger eine solche Beschäftigung - verbunden mit dem Angebot, den Lkw-Führerschein zu erwerben - zu machen. Die Zeit zum Erwerb dieses Führerscheins ist in der Regel wesentlich geringer als sechs Monate und unterschreitet auf jeden Fall die dem Kläger zustehende Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Monatsende.

Die "Fahrer-Arbeitsplätze" bei der Beklagten sind mit dem bisherigen Arbeitsplatz des Klägers gleichwertig. Auch die Beklagte behandelt diese Arbeitsplätze nicht als höherwertig verglichen mit dem des Klägers, wie die Entlohnung zeigt (siehe die Aufstellung Anlage B 5, Bl. 45 d. A.).

Problematisch wäre allerdings die Frage der betrieblichen Auswahl, sofern eine größere Anzahl von zu kündigenden Arbeitnehmern zur Verfügung stehen als Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in ... bestehen. Hier wäre es in der Tat der Beklagten möglich gewesen, zunächst diejenigen Arbeitnehmer auszuwählen, die ohne eine Umschulung/Fortbildung die freien Arbeitsplätze hätten einnehmen können. Hierbei hätte es sich um die Arbeitnehmer mit bereits vorhandener Lkw-Fahrberechtigung gehandelt. Dagegen hätte der Kläger bei einer sodann folgenden Sozialauswahl analog § 1 Abs. 3 KSchG gegenüber den "konkurrierenden" Arbeitnehmern erheblich schwächere Sozialdaten aufzuweisen (siehe die Aufstellung der Anlage B 5, Bl. 45 d. A.), wäre damit vorzuziehen gewesen.

Unklar blieb jedoch, weshalb schließlich sämtliche anderen Arbeitnehmer in ... übernommen werden konnten, somit Arbeitsmöglichkeiten für diese bestanden, jedoch für einen einzigen - nämlich den Kläger - nicht. Hierzu fehlte es an einer genaueren Darlegung des Bedarfs in ....

Zwar obliegt im Allgemeinen dem Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für das Vorhandensein eines freien Arbeitsplatzes. Ergibt sich jedoch, dass gegenüber der Zahl freier Arbeitsplätze eine größere Zahl von Arbeitnehmern, die ihren bisherigen Arbeitsplatz verloren haben, vorhanden ist, so sind an die Darlegungslast des Arbeitgebers höhere Anforderungen zu stellen. Er muss dann darlegen, dass gerade für den nun gekündigten Arbeitnehmer kein Platz mehr vorhanden ist. Das ist hier nicht geschehen. Vielmehr hat die Beklagte vor allem darauf abgehoben, der Kläger habe nicht die notwendige Qualifikation, der Erwerb derselben sei der Beklagten auch nicht zumutbar.

Es ist deshalb davon auszugehen, dass sich auch für den Kläger eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in ... geboten hätte, verfügte er denn über eine Lkw-Fahrberechtigung.

3. Im Übrigen fehlt es an einer ausreichenden Information des Betriebsrats über die Kündigungsgründe.

Das Anhörungsschreiben vom 16.11.2004 informiert den Betriebsrat weder darüber, dass keine "Beifahrer/Lader" mehr beschäftigt werden sollen noch darüber, dass der Kläger nicht über einen Lkw-Führerschein verfügt noch darüber, dass er nicht als Fahrer beschäftigt werden könnte. Dies sind jedoch wesentliche Details, die für die Beurteilung eines dringenden betrieblichen Erfordernisses zur Kündigung eine Rolle spielten. Dies gilt gerade auch dann, wenn man von der Rechtsansicht der Beklagten zur Frage der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ausgeht. Die Kündigung muss deshalb auch gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG für unwirksam erklärt werden.

4. Der eventual-kumulierte Weiterbeschäftigungsantrag fiel nach Stattgabe des Kündigungsfeststellungsantrags zur Entscheidung an. Diesem war aus den zutreffenden Gründen des arbeitsgerichtlichen Urteils stattzugeben.

Soweit der Kläger darüber hinaus in zweiter Instanz den Weiterbeschäftigungsanspruch auch aus § 102 Abs. 5 BetrVG herleitet, konnte dem nicht gefolgt werden. Dieser - vom Kündigungsfeststellungsantrag zunächst losgelöste - Antrag setzt zu seiner Begründetheit einen ordnungsgemäßen Widerspruch des Betriebsrats nach § 102 Abs. 3 BetrVG voraus. Daran fehlt es hier jedoch, da das Widerspruchsschreiben des Betriebsrats keinen der in § 102 Abs. 3 BetrVG genannten abschließenden Widerspruchsgründe aufgreift.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Gegen diese Entscheidung gibt es kein Rechtsmittel. Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst.

Auf die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72 a ArbGG) wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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