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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 12.06.2002
Aktenzeichen: 9 Sa 170/02
Rechtsgebiete: EntgeltFG


Vorschriften:

EntgeltFG § 3 Abs. 1
EntgeltFG § 3 Abs. 3
EntgeltFG § 4 Abs. 1
Arbeitnehmer, die unmittelbar nach Abschluss ihrer Berufsausbildung vom bisherigen Ausbilder übernommen werden, müssen im Falle ihrer Arbeitsunfähigkeit die Wartezeit nach § 3 Abs. 3 EntgeltFG nicht erneut erfüllen. Derartige Arbeitsverhältnisse stehen vielmehr in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem vorangegangenen Berufsausbildungsverhältnis.
Sächsisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes URTEIL

9 Sa 170/02

Verkündet am 12. Juni 2002

In dem Rechtsstreit

hat das Sächsische Landesarbeitsgericht - Kammer 9 - durch den Richter am Arbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Herrn ... und Herrn ... auf die mündliche Verhandlung vom 12.06.2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 08.01.2002 - 7 Ca 5983/01 - wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im zweiten Rechtszug nur noch um die Frage, ob ein Auszubildender, der im Anschluss an die Berufsausbildung unmittelbar vom Ausbilder/Arbeitgeber übernommen wurde, innerhalb der ersten vier Wochen des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat.

Der Kläger war bei der Beklagten ab dem 01.09.1998 als Auszubildender für das Dachdeckerhandwerk beschäftigt. Mit Bescheid der Handwerkskammer ... vom 18.08.2001 wurde das Bestehen der Gesellenprüfung festgestellt. Hiervon erhielt die Beklagte spätestens am 21.08.2001 Kenntnis. Der Kläger war weiterhin bei der Beklagten als sog. Jungdachdecker-Geselle beschäftigt, ohne dass hierzu besondere Absprachen getroffen worden wären. In dem Zeitraum vom 21.08. bis 10.09.2001 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt und hatte dies der Beklagten durch entsprechende Bescheinigungen nachgewiesen. Die Beklagte leistete insoweit keine Entgeltfortzahlung. Krankengeld von der Krankenkasse hat der Kläger nach den tatbestandlichen Feststellungen des Arbeitsgerichts nicht bezogen. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer Arbeitgeberkündigung vom 06.09.2001, die dem Kläger am 07.09.2001 zugegangen war. Erstinstanzlich stritten die Parteien noch um die Vergütung für den 21.09.2001.

Die Beklagte zahlte an den Kläger für den 20.08.2001 für acht Arbeitsstunden insgesamt 121,12 DM brutto (15,14 DM/Stunde) und für die Zeit vom 11. bis 20.09.2001 pro Arbeitsstunde 16,50 DM brutto, insgesamt 965,25 DM brutto.

Der Kläger hat erstinstanzlich - soweit für das Berufungsverfahren von Bedeutung - vertreten, er habe für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von 1.076,18 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG vom 09.06.1998 seit 16.10.2001 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat eingewandt, der Anspruch auf Entgeltfortzahlung entstehe in dem neu begründeten Arbeitsverhältnis erst nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 08.01.2002 antragsgemäß verurteilt. In den Entscheidungsgründen (Bl. 63 bis 65 d. A.) wird - soweit für das Berufungsverfahren von Bedeutung - ausgeführt, die zum Kündigungsschutzgesetz entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze seien auch bei der Entgeltfortzahlung zu berücksichtigen; deshalb werde keine neue Wartezeit in Gang gesetzt. Bei Übernahme eines bereits bekannten Auszubildenden müsse der Arbeitgeber nicht in gleicher Weise wie bei Neueinstellungen geschützt werden.

Das Urteil des Arbeitsgerichts ist der Beklagten am 01.02.2002 zugestellt worden. Mit einem am 27.02.2002 beim Sächsischen Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte Berufung eingelegt und mit einem weiteren, am 27.03.2002 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagte vertieft ihre erstinstanzlichen Ausführungen und weist darauf hin, dass nach dem Wortlaut von § 3 Abs. 3 EFZG allein die Dauer des Arbeitsverhältnisses und nicht die Dauer eines davor bestandenen Ausbildungsverhältnisses maßgeblich sei. Für das Ausbildungsverhältnis gelte die speziellere Regelung des § 12 BBiG. Es gebe im Berufsausbildungsverhältnis auch keine Wartezeitregelung. Der unterschiedliche Vertragszweck verbiete eine Gleichsetzung von Ausbildungs- und Arbeitsverhältnis. Es könne deshalb auch nicht darauf ankommen, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer schon aufgrund des Ausbildungsverhältnisses her gekannt habe.

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

1. das Endurteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 08.01.2002, zugestellt am 01.02.2002, Az. 7 Ca 5983/01, - soweit es mit der Berufung angegriffen wurde - abzuändern;

2. die Klage im Umfang der Anfechtung abzuweisen.

Der Kläger beantragt

die Zurückweisung der Berufung.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil mit Rechtsausführungen.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des erst- und zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der von diesen geäußerten Rechtsansichten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze und ihre Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß § 64 Abs. 2 Buchstabe b ArbGG statthafte Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG; 519, 520 ZPO n. F.). Auch ist der Beschwerdewert von mehr als 600,00 € erreicht. Die Berufung wurde zwar auf die Verurteilung hinsichtlich der Entgeltfortzahlung beschränkt, diesbezüglich ist die Beklagte aber noch mit 1.008,69 € beschwert. Die Berufungsbegründung genügt auch den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Insoweit hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 08.04.2002 klargestellt, inwieweit das erstinstanzliche Urteil angefochten werden soll. Im Übrigen ist § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO Genüge getan, da die Beklagte die unzutreffende Rechtsanwendung durch das Arbeitsgericht gerügt hatte.

II.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.

1.

Der Kläger hat in dem Zeitraum vom 21.08. bis 10.09.2001 gemäß den §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe von 1.008,69 € brutto.

a) Der Kläger hatte am 21.08.2001 bereits die Wartezeit nach § 3 Abs. 3 EFZG erfüllt. Nach dieser Vorschrift entsteht der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses. Hierauf ist jedoch vorliegend die Zeit der Berufsausbildung anzurechnen. Zweck der Wartezeit ist es, die Kostenbelastung der Arbeitgeber zu reduzieren (vgl. Schmitt, EFZG, 4. Auflage 1999, Rdnr. 229 zu § 3 m. w. N.). Entgegen der Auffassung der Beklagten entsteht der Anspruch auf Entgeltfortzahlung auch im Berufsausbildungsverhältnis erst nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer (Leinemann/Taubert, BBiG, 2002, Rdnrn. 56 und 60 zu § 12). § 12 Abs. 1 Satz 2 BBiG enthält insoweit keine abweichende und für die Auszubildenden günstigere Regelung.

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 22.08.2001 (5 AZR 699/99) entschieden, dass bei einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen einem beendeten und einem neu begründeten Arbeitsverhältnis der Lauf der Wartefrist nach § 3 Abs. 3 EFZG nicht erneut ausgelöst wird. Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt ist mit dem vorliegenden zwar nicht identisch, weil hier ein Arbeitsverhältnis unmittelbar an ein Ausbildungsverhältnis anschließt. Indessen besteht auch bei der hier zu entscheidenden Konstellation zwischen beiden Vertragsverhältnissen ein enger sachlicher Zusammenhang. Hätte das Ausbildungsverhältnis mit dem Kläger nicht bestanden, so wäre nicht im unmittelbaren Anschluss ein Arbeitsverhältnis begründet worden. Wird nach Abschluss der Berufsausbildung mit dem ehemaligen Auszubildenden ein Arbeitsverhältnis begründet, so beruht dies nach allgemeiner Lebenserfahrung darauf, dass der Arbeitgeber die Person und die Fähigkeiten des jetzigen Arbeitnehmers schon einschätzen kann. Dies unterscheidet das Arbeitsverhältnis eines übernommenen Auszubildenden von einer Neueinstellung. Dem steht auch nicht entgegen, dass während der Berufsausbildung die Überwachung, Anleitung und auch Erziehung im Vordergrund steht, während im Arbeitsverhältnis die Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung maßgeblich ist. Das Bundesarbeitsgericht hat in der angeführten Entscheidung vom 22.08.2001 ausgeführt, dass dann, wenn zwischen zwei Arbeitsverhältnissen mit demselben Arbeitgeber ein enger sachlicher Zusammenhang besteht, das gesetzgeberische Ziel des § 3 Abs. 3 EFZG verwirklicht ist, wenn der Arbeitnehmer nach Beginn des ersten Arbeitsverhältnisses die Wartezeit des § 3 Abs. 3 EFZG erfüllt hat. Dieser Grundsatz lässt sich auch auf den vorliegenden Fall übertragen.

Im Übrigen ist bei der Berechnung der Wartezeit nach § 1 KSchG anerkannt, dass Zeiten beruflicher Ausbildung zu berücksichtigen sind (vgl. etwa BAG vom 02.12.1999 - 2 AZR 139/99 - EZA Nr. 60 zu § 622 BGB n. F.). Schließlich spricht auch § 3 Abs. 2 BBiG dafür, dass der Gesetzgeber Berufsausbildungsverhältnisse und Arbeitsverhältnisse gleichstellen wollte.

b) Die Höhe der geltend gemachten Forderungen ist zwischen den Parteien nicht streitig. Insbesondere hat die Beklagte die Arbeitsleistung des Klägers für den Monat August 2001 (20.08.) auf der Grundlage von 15,14 DM brutto und für September 2001 in Höhe von 16,50 DM brutto je Arbeitsstunde vergütet. Da die Entscheidung des Arbeitsgerichts zur Berechnung im Hinblick auf deren Unstreitigkeit auf Ausführungen verzichtet hat, ist zum Verständnis lediglich Folgendes anzumerken:

In dem Zeitraum vom 20.08. bis 31.08.2001 sind ein Arbeitstag (20.08.2001) sowie neun Tage Entgeltfortzahlung zu je acht Stunden (vgl. § 3 Ziffern 2 und 3 des Rahmentarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer im Dachdeckerhandwerk vom 27.11.1990 in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 26.03.2001, allgemeinverbindlich ab 01.01.2001) zu vergüten. Dies ergibt einen Gesamtbetrag von 1.211,20 DM. Hiervon hat die Beklagte bereits 121,12 DM brutto für den 20.08.2001 gezahlt. Insoweit verbleibt im August 2001 ein Differenzbetrag von 1.090,08 DM brutto.

In dem Zeitraum 01.09. bis 20.09.2001 hat die Beklagte für erbrachte Arbeitsleistung ab dem 11.09.2001 bereits 965,25 DM brutto geleistet. Insofern ist für weitere sechs Tage (03.09. bis 10.09.2001) Entgeltfortzahlung für jeweils acht Stunden zu leisten. Erstinstanzlich war schließlich noch die Vergütung für den 21.09.2001 streitig. Insgesamt hat die Beklagte für 15 Arbeitstage Entgeltfortzahlung bzw. Arbeitsentgelt in Höhe von 1.980,00 DM zu zahlen. Abzüglich der geleisteten Zahlung verbleibt eine Differenz von 1.014,75 DM brutto. Dies ergibt für beide Monate eine Gesamtvergütungsdifferenz in Höhe von 2.104,83 DM bzw. 1.076,18 € brutto, die das Arbeitsgericht ausgeurteilt hat. Die Beklagte hat jedoch von ihrer Berufung die Verurteilung zur Vergütungszahlung für den 21.09.2001 (8 x 16,50 DM = 132,00 DM = 67,49 €) ausgenommen. Insofern standen nur noch 1.008,69 € brutto im Streit.

2.

Die Entscheidung über die Zinsen ergibt sich aus den §§ 284 Abs. 2 Satz 1, 288 Abs. 1 BGB i. V. m. § 27 Satz 1 des für allgemeinverbindlich erklärten Rahmentarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer im Dachdeckerhandwerk.

Die Berufung musste daher im Ergebnis erfolglos bleiben.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

IV.

Gegen diese Entscheidung war wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zuzulassen, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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