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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 29.09.2009
Aktenzeichen: 1 A 667/08
Rechtsgebiete: BauGB, SächsWG


Vorschriften:

BauGB § 34 Abs. 1
SächsWG § 100a Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Sächsisches OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 1 A 667/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen baurechtlichen Nachbarschutzes

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 1. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Dr. Grünberg, den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober und die Richterin am Verwaltungsgericht Berger

am 29. September 2009

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 29. September 2008 - 3 K 1298/07 - wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500,- € festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat nicht gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - dargelegt, dass ein Zulassungsgrund vorliegt. Das Darlegungserfordernis verlangt, dass ein Antragsteller im Zulassungsverfahren zum einen zumindest einen Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 VwGO bezeichnet und zum anderen herausarbeitet, aus welchen Gründen die Voraussetzungen des bezeichneten Zulassungsgrundes erfüllt sind. Das Oberverwaltungsgericht ist bei seiner Entscheidung über die Zulassung der Berufung darauf beschränkt, das Vorliegen der von dem Antragsteller bezeichneten Zulassungsgründe anhand der von ihm vorgetragenen Gesichtspunkte zu prüfen.

Der Vortrag der Klägerin genügt bereits diesem Darlegungserfordernis nicht. Die Klägerin hat in keinem ihrer Schriftsätze einen Zulassungsgrund i. S. v. § 124 Abs. 2 VwGO bezeichnet.

Zu ihren Gunsten unterstellt, dass sie das Vorliegen von ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit der vom Verwaltungsgericht gefundenen Entscheidung als Zulassungsgrund geltend macht, liegt dieser Zulassungsgrund nicht vor. Denn an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dieser Zulassungsgrund dient der Gewährleistung der materiellen Richtigkeit der Entscheidung des jeweiligen Einzelfalls, mithin der Verwirklichung von Einzelfallgerechtigkeit. Er soll eine berufungsgerichtliche Nachprüfung des Urteils des Verwaltungsgerichts ermöglichen, wenn sich aus der Begründung des Zulassungsantrages ergibt, dass hierzu wegen des vom Verwaltungsgericht gefundenen Ergebnisses Veranlassung besteht. Ernstliche Zweifel sind deshalb anzunehmen, wenn tragende Rechtssätze oder erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten so in Frage gestellt werden, dass der Ausgang eines Berufungsverfahrens als ungewiss erscheint (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 23.6.2000, DVBl. 2000, 1458).

Das Verwaltungsgericht hat die auf die Aufhebung der dem Beigeladenen mit Bescheid vom 23.6.2006 erteilten Baugenehmigung gerichtete Klage mit der Begründung abgewiesen, diese verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Es läge kein Verstoß gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme vor. Das Grundstück des Beigeladenen liege weder in einem Überschwemmungsgebiet noch in einem Hochwasserentstehungsgebiet. Der Klägerin stehe kein Anspruch auf die Aufstellung eines Hochwasserschutzkonzeptes zur Seite. Hieraus könne sie auch keine drittschützenden Rechte für sich ableiten. Schließlich habe die dem Beigeladenen genehmigte Umnutzung der bereits vorhandenen Scheune keinen Einfluss auf die Hochwassersituation.

Die fristgerecht hiergegen vorgetragenen Einwendungen vermögen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit dieser verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht zu begründen. Die Klägerin macht geltend, es liege entgegen der Ausführungen des Verwaltungsgerichts ein Verstoß gegen das nachbarschützende Rücksichtnahmegebot vor. Tatsächlich liege das Grundstück, weil hochwassergefährdet, in einem Überschwemmungsgebiet. Die Abwehr von Hochwassergefahren stelle eine drittschützende Norm dar. Das Bauvorhaben des Beigeladenen habe Einfluss auf die Hochwassersituation auf ihrem Grundstück. Das Oberflächenwasser sämtlicher Grundstücke der Ortslage .............. werde in den Dorfbach als Vorfluter eingeleitet. In der unteren Ortslage, wo sich sowohl ihr als auch das Grundstück des Beigeladenen befänden, komme es wegen der Gestaltung der Durchlässe des Vorfluters und der Höhenlage der Dorfstraße bei Starkregen zu Überflutungen der Grundstücke. Schließlich habe sie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sowohl den Ermessensnichtgebrauch des Beklagten als auch ihre drittschützenden Belange an einem schadlosen Abfluss der geklärten Abwässer auf dem Grundstück des Beigeladenen hinreichend dargelegt.

Mit dieser Begründung ihres Antrages auf Zulassung der Berufung vermag die Klägerin die entscheidungstragenden Rechtssätze und Tatsachenfeststellungen des angegriffenen Urteils nicht derart in Frage zu stellen, dass der Ausgang eines Berufungsverfahrens als offen angesehen werden muss.

Nach § 59 Abs. 1 SächsBO bedürfen die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von Anlagen der Baugenehmigung. Diese ist zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind (§ 72 Abs. 1 SächsBO). Dem Beklagten steht bei dieser Entscheidung kein Ermessen zu. Ein dem Bauvorhaben benachbarter Grundstückseigentümer hat ein Abwehrrecht gegen die Baugenehmigung nur insoweit, als diese öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht und er hierdurch in eigenen, durch die Vorschriften zumindest auch geschützten Rechten verletzt wird (BVerwG, Urt. v. 30.9.1980, NJW 1984, 816). Eine Verletzung solcher nachbarschützender Normen kann die Klägerin jedoch nicht für sich geltend machen.

Sie kann sich nicht auf die Verletzung nachbarschützender Normen des Sächsischen Wassergesetzes stützen. Das Grundstück des Beigeladenen liegt nicht in einem Überschwemmungsgebiet i. S. v. § 100 Abs. 1 SächsWG. Diese werden, wie sich bereits aus dem Wortlaut der Norm ergibt, durch Rechtsverordnung festgelegt. An einer solchen Festlegung fehlt es hier unstreitig. Ohne ausdrückliche Festsetzung durch Rechtsverordnung gelten als Überschwemmungsgebiete nur die in § 100 Abs. 2 Satz 1 SächsWG bezeichneten Gelände zwischen Ufer und Deichen, Hochwasserschutzräume von Talsperren und Rückhaltebecken sowie Flutungspolder. In einem solchen Gebiet befindet sich der Vorhabenstandort des Beigeladenen nicht. Die - von der Klägerin auch nicht aufgeworfene - Frage, ob der Vorschrift des § 100a Abs. 1 SächsWG, nach welcher die Errichtung oder wesentliche Änderung baulicher Anlagen in Überschwemmungsgebieten nur zulässig ist, wenn diese den Hochwasserabfluss und die Hochwasserrückhaltung nicht wesentlich beeinträchtigen, auch drittschützender Charakter zukommt, stellt sich im vorliegenden Verfahren deshalb nicht. Im Übrigen lässt sich nach dem Vortrag der Klägerin im Berufungszulassungsverfahren auch nicht erkennen, in welcher Weise durch die streitbefangene Genehmigung der Nutzungsänderung der bereits vorhandenen Scheune auf dem Grundstück des Beigeladenen Hochwasserabfluss und Hochwasserrückhaltung beeinflusst werden könnten. Wesentlich kann dieser Einfluss jedenfalls nicht sein. Die von der Klägerin geschilderte Problematik des nur begrenzten Fassungsvermögens des der Aufnahme des Oberflächenabwassers dienenden Vorfluters im Ort und die mangelhafte Durchlässigkeit an dessen verrohrten Abschnitten bestehen unabhängig von der in diesem Verfahren zu prüfenden Baugenehmigung.

Auch eine Verletzung des nachbarschützenden Rücksichtnahmegebotes hat die Klägerin nicht dargetan. Wie das Verwaltungsgericht von der Klägerin unbeanstandet ausführte, befindet sich das Bauvorhaben des Beigeladenen in einem unbeplanten Innenbereich i. S. v. § 34 Abs. 1 BauGB. Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Das Rücksichtnahmegebot ist ein inhaltlicher Bestandteil dieser Vorschrift, der in dem Begriff des "Einfügens" aufgeht (BVerwG, Urt. v. 13.3.1981, DVBl 1981, 928). Die an das Gebot der Rücksichtnahme zu stellenden Anforderungen hängen von den Umständen des Einzelfalles ab. Einerseits kann umso mehr an Rücksichtnahme verlangt werden, je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Nachbarn ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt. Andererseits braucht derjenige, der ein Bauvorhaben verwirklichen will, umso weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm mit seinem Vorhaben verfolgten Interessen sind. Die hierbei vorzunehmende Interessenabwägung hat sich an dem Kriterium der Unzumutbarkeit auszurichten. Das Gebot der Rücksichtnahme ist verletzt, wenn dem betroffenen Nachbarn die nachteiligen Einwirkungen des streitigen Bauwerkes billigerweise nicht mehr zuzumuten sind (BVerwG, Urt. v. 13.3.1981, a. a. O.). Hiervon ist im vorliegenden Fall nicht auszugehen. Die Klägerin befürchtet, dass im Falle des Eintretens einer Überschwemmung auf dem Grundstück des Beigeladenen die dort im Zusammenhang mit der Umnutzung des Gebäudes zu Wohnzwecken eingerichtete Kläranlage Schaden nehmen und in der Folge Abwässer bzw. Rückstände aus der Kläranlage in den Vorfluter gelangen könnten. Eine ihr gegenüber bestehende Unzumutbarkeit der genehmigten Nutzungsänderung lässt dieser Vortrag nicht erkennen.

Zugunsten der Klägerin unterstellt der Senat weiter, dass sie einen Verfahrensmangel i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geltend macht. Die Berufung ist aber auch deswegen nicht zuzulassen. Die Klägerin rügt, das Verwaltungsgericht habe den Aufklärungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO verletzt. Es habe versäumt, eine gutachterliche Stellungnahme zu der von ihr behaupteten Gefahr einzuholen, die von der Klärgrube des Beigeladenen ausgehe. Die Aufklärungsrüge ist nicht begründet. Im Zulassungsantrag hätte dargelegt werden müssen, dass in der mündlichen Verhandlung entweder auf eine Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Verwaltungsgericht die bezeichneten Ermittlungen hätten aufdrängen müssen (SächsOVG, Beschl. v. 6.9.2007, 1 B 53/07, m. w. N.). Daran fehlt es hier.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes - GKG in Verbindung mit Ziffer 9.7.1. des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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