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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 20.07.2009
Aktenzeichen: 1 D 45/09
Rechtsgebiete: SGB VIII


Vorschriften:

SGB VIII § 35 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 1 D 45/09

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Eingliederungshilfe

hier: Beschwerde gegen die Nichtbewilligung von PKH

hat der 1. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Dr. Grünberg, den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dehoust

am 20. Juli 2009

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden vom 5. März 2009 - 1 K 1692/08 - geändert. Der Klägerin wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwältin , als Prozessbevollmächtigte beigeordnet. Gründe:

Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat ihren Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten zu Unrecht abgelehnt. Die Bewilligungsvoraussetzungen gemäß § 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO liegen vor. Die Klägerin ist bedürftig und ihre Klage bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Ausgehend von den verfassungsrechtlichen Vorgaben, dem Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, darf die Prüfung der Erfolgsaussichten nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren soll den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht ersetzen, sondern zugänglich machen. Die Anforderungen an die hinreichende Erfolgsaussicht dürfen deshalb nicht überspannt werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.6.2006, BayVBl. 2006, 677, und Beschl. v. 26.2.2007, NVwZ-RR 2007, 361). Mithin muss der Erfolg nicht gewiss sein, es genügt eine gewisse Wahrscheinlichkeit, die bereits gegeben ist, wenn ein Obsiegen ebenso wahrscheinlich ist wie ein Unterliegen (vgl. P. Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 166 Rn. 26). Prozesskostenhilfe muss nicht immer schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage noch nicht höchst- oder - bei der Anwendung von Landesrecht - obergerichtlich geklärt ist. Die Ablehnung der Gewährung kann ungeachtet einer solchen Klärung gerechtfertigt sein, wenn die Rechtsfrage angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf bereits vorliegende Rechtsprechung ohne Schwierigkeiten beantwortet werden kann. Ist dies dagegen nicht der Fall und steht eine höchst- oder obergerichtliche Klärung noch aus, läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussichten seines Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten. Denn dadurch würde der unbemittelten Partei im Gegensatz zu der bemittelten die Möglichkeit genommen, ihren Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen und von dort aus in die höhere Instanz zu bringen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.6.2006 a. a. O.).

Gemessen daran sind die Erfolgsaussichten der Klage als offen zu betrachten. Denn es ist fraglich, ob der Beklagte zu Recht die der Klägerin bewilligte Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII in Gestalt eines Fernstudiums zur Erlangung des Realschulabschlusses mit Wirkung für die Zukunft widerrufen hat. Der Aufhebungsbescheid lässt schon nicht deutlich erkennen, ob er in einer fehlenden Mitwirkung der Klägerin oder in einem mangelnden Erfolg ihres bisherigen Studienverlaufs begründet sein soll.

Soweit eine fehlende Mitwirkung in dem Bescheid referiert wird, stellt sich die Frage, inwieweit diese nicht gerade Ausdruck ihrer der Bewilligung von Eingliederungshilfe zu Grunde liegenden Krankheit ist. Die Klägerin leidet an einem Chronischen Erschöpfungssyndrom - CFS -. Bei diesem handelt es sich um eine komplexe Erkrankung, die sich vor allem in einer extremen Erschöpfung/Erschöpfbarkeit äußert. Zum CFS gehören auch Kopfschmerzen, Halsschmerzen, Muskel- und Gelenkschmerzen, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, nicht erholsamer Schlaf und die anhaltende Verschlechterung des Zustandes nach Anstrengungen (vgl. www.fatigo.de/index.php). Die näheren Einzelheiten hierzu hat die Klägerin mit ihrer 20-seitigen Beschwerdebegründung im Einzelnen dargelegt. Es erscheint deshalb nicht ohne weiteres als zulässig, der Klägerin ihre fehlende Mitwirkung vorzuhalten, da diese auch schlicht ein Ausdruck ihrer Erkrankung an CFS sein kann. Zudem fehlt es auch an den Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 SGB I.

Vor diesem Hintergrund überzeugt es auch nicht ohne weiteres, der Klägerin einen mangelnden Erfolg ihrer Studien in den ersten neun Monaten des Fernstudiums vorzuhalten und diese Hilfe vorzeitig abzubrechen. In diesem Zusammenhang leidet der Bescheid schon an dem Umstand, dass der Beklagte - mit welchem Rechtsgrund auch immer - den Vertrag der Klägerin mit der Fernschule "gekündigt" hat, bevor die Klägerin zu einer beabsichtigten Einstellung der Hilfeleistung auch nur angehört wurde. Gemäß dem Aktenvermerk der Beklagten vom 22.7.2007 über das Telefonat mit der Leiterin der Fernschule war der seinerzeit vom Beklagten angefragten Mitarbeiterin der Fernschule bei der Nachfrage des Beklagten zum Studienerfolg der Klägerin noch nicht einmal klar, dass die Klägerin erkrankt ist, geschweige denn, dass sie an CFS leidet. Zugleich ist dort die Aussage der Fernschule vermerkt, dass die (erbrachten) Leistungen der Klägerin gut seien, auch ein phasenweises Arbeiten möglich ist und im Fall einer Verlängerung der Laufzeit des Vertrages keine Mehrkosten entstünden. Hiermit setzen sich die angefochtenen Bescheide nicht auseinander, obwohl eine längere Laufzeit des Studienvertrages mit dann geringeren Leistungsanforderungen als bessere Hilfe in Betracht gekommen wäre.

Der hinreichenden Erfolgsaussicht steht letztlich auch nicht entgegen, dass die Klägerin bisher keine spezielle Therapie für ihr CFS absolviert hat. Hierzu hat die Klägerin ausgeführt, dass sie schon mehrmals fehlbehandelt worden sei, weil sich nur wenige Spezialisten mit CFS auskennen würden. Deren Kosten würden hingegen von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen. Hierbei handelt es sich um eine Frage, die im Klageverfahren näher aufzuklären sein wird und nicht schon im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens gemäß § 166 i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet und Gerichtskosten nach § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben werden.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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