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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 22.07.2009
Aktenzeichen: 2 A 359/08
Rechtsgebiete: StUG, SächsBG


Vorschriften:

StUG § 21 Abs. 3
SächsBG § 15 Abs. 1 Nr. 1 a. F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az.: 2 A 359/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Rücknahme der Ernennung in das Beamtenverhältnis

hier: Berufung

hat der 2. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Dr. Grünberg, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dehoust und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Hahn aufgrund der mündlichen Verhandlung

vom 22. Juli 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 17. Januar 2008 - 3 K 337/07 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis.

Der am geborene Kläger war nach Ableistung seines Wehrdienstes ab 1981 Angehöriger der ehemaligen Deutschen Volkspolizei, zuletzt im Dienstgrad eines Polizeimeisters.

Zur Vorbereitung der Prüfung seiner Weiterbeschäftigung im Polizeidienst des Freistaates Sachsen beantwortete er in einem vorformulierten Fragebogen am 11.12.1990 sämtliche dort gestellten Fragen bezüglich einer offiziellen oder inoffiziellen, hauptamtlichen oder sonstigen Arbeit für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für nationale Sicherheit mit "nein". Auch die Frage nach Kontakten, die zu seiner Anwerbung führen sollten, wurde mit "nein" beantwortet. Nach Auswertung dieses Fragebogens beschloss das Sächsische Staatsministerium des Innern am 9.1.1991 die Übernahme des Klägers in den Polizeidienst des Freistaates Sachsen. Mit Wirkung vom 1.1.1992 wurde er unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Polizeihauptmeister ernannt.

Unter dem 24.1.1995 teilte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Bundesbeauftragter) mit, dass der Kläger vom früheren MfS unter dem Decknamen " " als inoffizieller Mitarbeiter zur Sicherung und Durchdringung gesellschaftlicher Bereiche oder Objekte vom 3.12.1985 bis zur Auflösung des MfS/AfNS geführt wurde. Die Auskunft wurde auf Grundlage der Erfassung zu diesem Vorgang erteilt; weitere Akten seien zum damaligen Zeitpunkt nicht auffindbar gewesen. Am 21.3.1995 wurde der Kläger zu dieser Auskunft angehört; laut dem Protokoll dieser Anhörung gab der Kläger darauf an, dass er der Meinung gewesen sei, nicht für das MfS gearbeitet zu haben, sondern dass er sich nur an eine Befragung erinnern könne. Zu den dabei angesprochenen "Jugendliche Gruppierungen" habe er nichts berichten können, so dass es zu keiner Zusammenarbeit gekommen sei. Sodann habe er eine Schweigeverpflichtung, offensichtlich mit dem vereinbarten Decknamen, unterschreiben müssen. Im Anschluss wurde eine Verbeamtung des Klägers auf Lebenszeit zunächst nicht vorgenommen. Am 31.1.1997 teilte der Bundesbeauftragte dem Polizeipräsidium Leipzig mit, dass eine weitere Recherche über die Person des Klägers keine weiteren Erkenntnisse erbracht habe. Das Sächsische Staatsministerium des Inneren beurteilte daraufhin die weitere Beschäftigung des Klägers im öffentlichen Dienst als zumutbar. In der erneut angeforderten Erklärung zu seiner früheren MfS-Tätigkeit verneinte der Kläger am 7.7.1997 abermals die Frage Nummer 1 des Erklärungsbogens zu einer früheren MfS-Tätigkeit. Mit Wirkung vom 5.11.1997 wurde er zum Beamten auf Lebenszeit und schließlich mit Wirkung vom 29.5.2004 zum Polizeioberkommissar ernannt.

Auf Grundlage des Kabinettsbeschlusses vom 25.5.2004 ("Rosenholz-Datei") wurden sämtliche Beschäftigte im öffentlichen Dienst des Freistaates Sachsen nochmals auf eine frühere Zusammenarbeit mit dem MfS überprüft. Unter dem 9.3.2006 teilte der Bundesbeauftragte mit, dass sich aus den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR Hinweise auf eine inoffizielle Tätigkeit des Klägers ergäben. Mit der Auskunft übersandt wurden zwei Beschlüsse des MfS vom 11.11.1982 und 9.2.1984, ein Bericht zur Kontaktaufnahme vom 1.11.1982, ein Bericht zum zweiten Kontaktgespräch vom 5.11.1982, ein Aktenvermerk vom selben Tage, ein Bericht zum dritten Kontaktgespräch vom 8.11.1982, ein Bericht zum vierten Kontaktgespräch vom 10.12.1982, eine Information des Vorlaufs-IM vom 4.1.1983, ein Abschlussbericht vom 8.2.1984, ein "Vorschlag zur Wiederaufnahme" vom 1.10.1985, eine "Übersicht zu den wesentlichsten Maßnahmen und Ergebnissen ..." vom 22.1.1986, ein Vermerk vom 25.1.1986, ein Auszug aus einem Treffbericht vom 7.1.1986, eine "Beschreibung zu den Skizzen ..." vom 4.2.1986, ein Treffbericht vom 2.5.1986, eine Information des IMS " " vom 26.5.1986, und Kopien der Karteikarten F 16/F 22 des MfS. Nach diesen Unterlagen sei der Kläger in einem IM-Vorlauf vom 11.11.1982 bis 9.2.1084 erfasst gewesen. Das Ziel der Kontaktaufnahme habe darin bestanden, dass der Kläger zur politisch operativen Absicherung der Volkspolizei, Angehörige des Volkspolizeikreisamtes , gewonnen werden sollte. In den weiteren Unterlagen sind drei Gespräche dokumentiert, in denen der Kläger über seine Familienangehörigen und speziell zu einer den Staatssicherheitsdienst interessierenden Person (der Schwager des Klägers), die in einer operativen Personenkontrolle wegen des Verdachts der Republikflucht bearbeitet wurde, berichtet haben soll. Ausweislich der Unterlagen habe der Kläger sein Einverständnis erteilt, ein Gespräch zur "Kirchenproblematik" zu führen. Im Abschlussvermerk vom 8.2.1984 wird ausgeführt, dass die Informationen des Klägers operativ interessant gewesen seien. Nach der dienstlichen Versetzung des Klägers nach wurde der Vorlauf eingestellt. Unter dem 7.1.1986 bis 24.6.1986 sei der Kläger als inoffizieller Mitarbeiter unter dem Decknamen " " kontaktiert worden. Ausweislich der Unterlagen habe der Kläger entsprechend dem Ziel der Werbung zu einer in einem operativen Vorgang abgelegten Person berichtet und detaillierte Angaben zu deren Wohnhaus gemacht. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte 2 (Auskunft BStU "Rosenholzdateien") des Beklagten verwiesen.

Am 26.6.2006 wurde der Kläger vom Leiter der Abteilung Verwaltung der Polizeidirektion Westsachsen zu den vorstehenden Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes angehört. An dem Gespräch nahmen neben diesem Leiter eine Angestellte als Protokollführerin sowie zwei Vertrauenspersonen teil. Das Protokoll ist von diesen Personen unterschrieben worden; der Kläger hat das Protokoll nicht unterschrieben und handschriftlich hinzugefügt "zum gegenwärtigen Zeitpunkt möchte ich keine Unterschrift leisten". Im Protokoll wird zu den Angaben des Klägers ausgeführt, das sei alles schon so lange her, er wisse aber, dass er damals in einer polizeieigenen Wohnung gewohnt und Mitarbeiter des MfS wegen der Montags-Demos beherbergt habe. Er erinnere sich noch an seine Versetzung im Jahre 1984/1985 nach . Dort habe er Streifendienst an der Grenze und Missionsschutz leisten sollen. Er habe dabei keinen Kontakt zum MfS gehabt. Auch als er im Februar 1985 nach zurückgekommen sei, habe er keinen Kontakt zum MfS gehabt. Er könne sich noch erinnern, dass das MfS in den frühen 80er Jahren Informationen über ein Kirchenobjekt von ihm hätte haben wollen. Es sei dort um politische Aktivitäten Jugendlicher gegangen. Er habe Lichtbildaufnahmen, die er in "schwarz/weiß" gehabt habe, übergeben sollen. Außerdem habe ein Mitarbeiter des MfS Informationen über seinen damaligen Vorgesetzten, Herrn , abgefragt, über den er nur Positives berichtet habe. Dies habe sich nach seiner Erinnerung erst nach der Rückkehr von nach zugetragen. Er könne sich auch daran erinnern, dass er Informationen über das Zimmer seines Schwagers habe übermitteln sollen. Über das Grundstück seines Schwagers habe er auch berichtet. Er habe den Auftrag gehabt, dieses Grundstück einzusehen, ob dort irgendwelche Utensilien aufbewahrt würden, die den Verdacht eines ungesetzlichen Verlassens der Republik rechtfertigten (mittels Fesselballon). Den Decknamen " " habe er sich selber gewählt; dies sei der Spitzname seines Vaters gewesen. Auch in dem Pfarrhaus in habe er sich etwas umschauen und Informationen sammeln sollen. Die Kontakte mit dem MfS habe er nicht selber hergestellt. Man habe ihn manchmal angerufen und einen Besuch in seiner Wohnung verabredet. Über die Häufigkeit dieser Kontaktaufnahmen könne er heute nichts mehr sagen. Er habe ausschließlich mündlich den Mitarbeitern des MfS gegenüber berichtet. Er habe dienstliche Konsequenzen befürchtet wegen des kriminellen Verhaltens seines ehemaligen Schwagers. Daher habe er auch über diesen berichtet, wobei er nicht mehr so genau wisse, was er berichtet habe. Er habe auch am 1.1.1986 einen Neujahrsspaziergang nach Höfgen gemacht, um den damaligen Pfarrer auszukundschaften. Er sei über die schriftlichen Berichte überrascht, da er wegen seiner mündlichen Berichterstattungen gegenüber dem MfS darauf vertraut habe, dass keine Berichte von ihm aufgefunden werden können.

Unter dem 28.6.2006 fragte die Polizeidirektion Westsachsen bei dem Vorsitzenden der damaligen Prüfungskommission des Sächsischen Staatsministeriums des Inneren, Polizeidirektor a. D. , an, ob er bei Kenntnis des wahren Sachverhaltes ebenfalls die Übernahme in den Polizeidienst empfohlen hätte. Unter dem 20.7.2006 teilte dieser daraufhin mit, dass die Zusammenarbeit mit dem MfS des Klägers relativ kurz und offensichtlich auch nicht besonders intensiv gewesen sei. Wenn ihn der Bedienstete zudem bei der mündlichen Befragung, die er in jedem Falle bei einem entsprechenden Bekenntnis im Fragebogen durchgeführt hätte, davon überzeugt hätte, dass er wirklich reinen Tisch machen will und ihm auch noch versichert hätte, dass der Zielperson durch seine Informationen keine erkennbaren Nachteile entstanden sind, hätte er in diesem Falle einer Verbeamtung zugestimmt.

Unter dem 11.10.2006 wurde dem Kläger angekündigt, seine Ernennung zum Beamten auf Probe nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 SächsBG (a. F.) zurückzunehmen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Unter dem 11.10.2006 zeigte der dbb seine Prozessvollmacht an und beantragte Akteneinsicht. Unter dem 23.10.2006 wurde Fristverlängerung zur Anhörung beantragt, die nicht gewährt wurde. Mit Schreiben vom 25.10.2006 nahm der dbb für den Kläger Stellung.

Mit Verfügung vom 26.10.2006 nahm die Polizeidirektion Westsachsen die Ernennung des Klägers in das Beamtenverhältnis auf Probe unter Anordnung des Sofortvollzuges zurück. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 SächsBG (a. F.) sei die Ernennung zurückzunehmen, weil der Kläger diese durch arglistige Täuschung herbeigeführt habe. Denn er habe in Kenntnis der Unrichtigkeit die im Fragebogen vom 11.12.1990 gestellten Fragen nach einer Mitarbeit bei dem MfS verneint. Die inoffizielle Mitarbeit des Klägers werde aber durch den Auskunftsbericht des Bundesbeauftragten vom 9.3.2006 nebst Anlagen hinreichend belegt. Der Bescheid wurde am 30.10.2006 dem Kläger übergeben. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben mit Schreiben vom 3.11.2006 Widerspruch erhoben und am 10.11.2006 einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gestellt, der auf die Beschwerde des Klägers gegen die erstinstanzliche Entscheidung (3 K 1360/06) Erfolg hatte, indem das Sächsische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 21.5.2007 (2 BS 43/07) den Sofortvollzug im Bescheid aufhob. Die im Anschluss erneut erfolgte Anordnung des Sofortvollzugs der Rücknahme der Ernennung vom 4.6.2007 wurde im Beschwerdeverfahren vor dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht vom Beklagten aufgehoben. Mit Bescheid vom 5.11.2007 verbot der Beklagte dem Kläger unter Anordnung des Sofortvollzugs die Weiterführung der Dienstgeschäfte; im Beschwerdeverfahren wurde die aufschiebende Wirkung der Klage gegen diesen Bescheid unter Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung (3 K 1175/07) wiederhergestellt (Beschluss v. 25.6.2008 - 2 B 75/08 -). Auf den Antrag des Klägers vom 26.6.2008 hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 30.7.2008 - 2 B 228/08 - die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Rücknahmeverfügung vom 26.10.2006 angeordnet.

Mit Bescheid vom 16.2.2007, zugestellt am 12.3.2007, wurde der Widerspruch gegen die Rücknahme der Ernennung zurückgewiesen. Die am 2.4.2007 erhobene Klage wird damit begründet, dass mit der am 29.12.2006 in Kraft getretenen Änderung des Gesetzes über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz - StUG) i. d. F. der Bekanntmachung vom 18.2.2007 (BGBl. 2007 I S. 162 ff.) im Falle des Klägers die Verwendung der Stasi-Unterlagen im Rahmen der Rücknahme der Ernennung nicht mehr zulässig gewesen sei, da der Widerspruchsbescheid erst am 16.2.2007 ergangen sei. Außerdem sei die Rücknahme auch inhaltlich rechtswidrig, weil er zum Zeitpunkt seiner Erklärung vom 11.12.1990 davon ausgegangen sei, dass er nicht für die Staatssicherheit gearbeitet habe. Er sei immer als Mitglied der Volkspolizei angesprochen worden. Dies sei auch durch die Stellungnahme des Leiters der Kreisdienststelle des MfS, , am 27.10.2006 bestätigt worden. Auch sei ausweislich des Schreibens des Polizeidirektors a. D. vom 20.7.2006 klargestellt worden, dass die Ernennung nicht durch die Täuschungshandlung kausal herbeigeführt worden sei. Schließlich sei die Rücknahme der Ernennung nach § 15 Abs. 4 SächsBG (a. F.) verfristet, da über die im Raume stehenden Kontakte zum MfS die Einstellungsbehörde schon im Jahr 1995 informiert gewesen sei. Der Kläger beantragte die Aufhebung der Rücknahmeverfügung vom 26.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.2.2007.

Der Beklagte beantragte die Klageabweisung. Die Änderung des Stasiunterlagengesetzes schließe die Verwendung der Unterlagen nicht aus. Die Voraussetzungen des § 15 SächsBG (a. F.) seien eingehalten. Die Tätigkeit des Klägers beim MfS sei ihm bei Abgabe der Erklärung offensichtlich bewusst gewesen. Mit der Nichtangabe liege eine Täuschung in objektiver und subjektiver Hinsicht vor. § 15 Abs. 4 SächsBG (a. F.) stünde einer Rücknahme nicht entgegen, da die frühere Tätigkeit im Jahre 1994/1995 nicht bekannt gewesen sei.

Mit Urteil vom 17.1.2008 wies das Verwaltungsgericht Leipzig die Klage ab. Der Rücknahmebescheid sei in der Gestalt des Widerspruchsbescheides rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Änderung des Stasiunterlagengesetzes stünde einer Verwertung der Auskunft des Bundesbeauftragten nicht entgegen. Zwar sei nach § 21 Abs. 1 StUG n. F. eine Überprüfung des Klägers nicht mehr möglich. Jedoch lägen der angefochtenen Entscheidung die Erkenntnisse aus einer vor dem 29.12.2006 durchgeführten Überprüfung zugrunde. Diese seien dem Kläger in einem Zeitpunkt entgegengehalten worden, zu dem dies nach dem alten Stasiunterlagengesetz noch zulässig gewesen sei. Selbst wenn man insoweit anderer Auffassung sein wollte, so könne sich der Kläger im Rahmen der Rücknahme einer durch arglistige Täuschung herbeigeführte Ernennung darauf nicht berufen. Denn unter Heranziehung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 31.1.1980 - 2 C 50/78 -) schließe ein gesetzlich geregeltes Vorhalte- und Verwertungsverbot grundsätzlich die Rücknahme einer Ernennung wegen arglistiger Täuschung und daraus resultierender Unwürdigkeit nicht aus, wenn das Verhalten der Betroffenen im Zeitpunkt der Ernennung vorgehalten werden konnte und hierüber auch eine Offenbarungspflicht bestanden habe. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 SächsBG (a. F.) lägen auch vor. Der Kläger habe mit der Nichtangabe seiner Tätigkeit beim MfS eine Täuschung begangen. Dies ergebe sich aus den vorliegenden Unterlagen des Beauftragten und den Angaben des Klägers in der Anhörung vom 26.6.2006. Soweit der Kläger die Inhalte des Anhörungsprotokolls infrage stelle, habe er nicht substanziiert dargetan, dass dieser Inhalt insgesamt nicht zutreffe. Er habe nur im Einzelfall "Richtigstellung" etwa bezüglich der Angaben zum Decknamen und der Angelegenheit mit dem Pfarramt in vorgenommen. Auch bestreite der Kläger im neueren Schriftsatzverkehr nicht, dass er Kontakt zum MfS gehabt habe. Vielmehr habe er diesen als rein dienstlichen Kontakt in seiner Funktion als Volkspolizist gewertet wissen wollen. Diese Einlassung des Klägers sei jedoch anhand des gesamten Akteninhalts als bloße Schutzbehauptung zu werten. Durch die arglistige Täuschung habe der Kläger seine Ernennung zum Beamten auch herbeigeführt; denn auch unter Zugrundelegung des Schreibens des Leitenden Polizeidirektors a. D. wäre bei einer Angabe der Mitarbeit bei dem MfS der Kläger jedenfalls nicht ohne vorherige weitere Prüfung und Erwägungen zum Beamten auf Probe ernannt worden. Schließlich stünde § 15 Abs. 4 SächsBG (a. F.) einer Rücknahme der Ernennung nicht entgegen. Im Jahre 1995 sei dem Beklagten gerade nicht bekannt gewesen, ob und in welchem Umfang und mit welcher Intensität der Kläger für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR gearbeitet habe. Der Kläger habe auch nicht das wahre Ausmaß seiner Tätigkeit für das MfS zu diesem Zeitpunkt offenbart, sondern nur eine Kontaktierung in einem Fall eingeräumt. Erst mit den neu vorgelegten Unterlagen sei zumindest eine weitere Tätigkeit des Klägers und deren genaues Ausmaß zutage getreten.

Gegen das am 28.1.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 25.2.2008 einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, dem mit Beschluss des erkennenden Senats vom 25.6.2008 wegen des Vorliegens von ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung stattgegeben worden ist. Mit seiner Berufungsbegründung trägt der Kläger vor, dass eine Verwertung der Stasi-Unterlagen nach der Novellierung des Stasiunterlagengesetzes nicht mehr zulässig sei. Er habe auch keine arglistige Täuschung begangen, denn er habe die Fragen seiner Mitarbeit bei dem MfS nicht wahrheitswidrig beantwortet. Er habe nicht für das MfS "gearbeitet" und auch sonst auch keine "Kontakte" zu diesem gehabt. Eigene Berichte habe er nicht verfasst. Die vorliegenden Unterlagen beruhten einzig und allein auf Notizen anderer Personen. Auch sei keine Kausalität zwischen der angeblichen Täuschungshandlung und der Ernennung gegeben. Denn bereits 1995 habe der Beklagte gewusst, dass der Kläger als IMS " " beim MfS geführt worden sei. Kontakte dem Grunde nach habe schließlich auch der Kläger selbst eingeräumt. Dadurch sei der Beklagte zumindest über die Frage des "ob" der Kontakte informiert gewesen. Vor diesem Hintergrund sei die Rücknahme auf Grundlage von § 15 Abs. 4 SächsBG (a. F.) ausgeschlossen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 17. Januar 2008 - 3 K 337/07 - zu ändern und die Rücknahmeverfügung der Polizeidirektion Westsachsen vom 26.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.2.2007 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Behördenakten des Beklagten (9 Bände), die Akte des Verwaltungsgerichts Leipzig - 3 K 337/07 - und die Akten des Zulassungs- und Berufungsverfahrens verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der angefochtene Rücknahmebescheid vom 26.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.2.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 SächsBG in der hier maßgeblichen, zur Zeit des Erlasses der Rücknahmeverfügung und des Widerspruchsbescheides geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 14.6.1999 (SächsGVBl. S. 370), geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 12.3.2002 (SächsGVBl. S. 108) - im Folgenden: § 15 SächsBG a. F. -, ist eine Ernennung zurückzunehmen, wenn sie durch arglistige Täuschung herbeigeführt wurde. Eine solche arglistige Täuschung liegt vor, wenn der Ernannte durch Angaben, deren Unrichtigkeit ihm bewusst war oder deren Unrichtigkeit er für möglich hielt, jedoch in Kauf nahm, oder durch Verschweigen wahrer Tatsachen bei einem an der Ernennung beteiligten Bediensteten der Ernennungsbehörde einen Irrtum in dem Bewusstsein hervorrief, diesen durch Täuschung zu einer günstigen Entscheidung zu bestimmen. Unrichtige Angaben sind danach stets eine Täuschung, unabhängig davon, ob die Ernennungsbehörde hiernach gefragt hat oder nicht. Das Verschweigen von Tatsachen ist eine Täuschung, wenn die Ernennungsbehörde nach Tatsachen gefragt hat oder der Ernannte auch ohne Befragung weiß oder in Kauf nimmt, dass die verschwiegenen Tatsachen für die Entscheidung erheblich sind oder sein können (BVerwG, Urt. v. 24.10.1996, ZBR 1997, 97; SächsOVG, Beschl. v. 29.7.1997, ZBR 1999, 233). Diese Voraussetzungen liegen vor.

1. Der Kläger hat eine arglistige Täuschung i. S. v. § 15 Abs. 1 Nr. 1 SächsBG a. F. begangen, indem er in Kenntnis der Unrichtigkeit die Fragen verneint und damit unrichtig beantwortet hat. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die Ausführungen in dem angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Urteil (UA S. 9 ff.). Ergänzend ist auszuführen, dass auch dienstliche Kontakte, also eine beruflich veranlasste Kooperation mit dem MfS, eine Tätigkeit für das MfS darstellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.1999, SächsVBl. 1999, 205, 208). Der Kläger hat - wie das Verwaltungsgericht überzeugend dargelegt hat - während des gesamten Verfahrens nie in Abrede gestellt, dass es solche Tätigkeiten für das MfS gegeben hat. Insofern hat er es zumindest in Kauf genommen, dass er unrichtige Angaben bei der Beantwortung des Fragebogens gemacht hat.

2. Trotz der Novellierung des Stasiunterlagengesetzes vom 29.12.2006 (BGBl. 2007 I S. 162 - StUG n. F.) kann dem Kläger der Inhalt der ihn betreffenden Stasi-Unterlagen vorgehalten werden.

§ 21 Abs. 3 Satz 1 StUG vom 20.12.1991 (BGBl. I S. 334 - StUG a. F.) lässt eine Verwendung der Stasi-Unterlagen nur bis zum Ablauf einer Frist von 15 Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes, also bis zum 31.12.2006 zu; außerdem kann einem Mitarbeiter nach Ablauf dieser Frist die Tatsache einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten werden (§ 21 Abs. 3 Satz 2 StUG a. F.). Diese Frist wurde mit § 21 StUG n.F. nur für den in seinem Absatz 1 Nr. 6, 7, 8 und 9 genannten Personenkreis verlängert, zu dem der Kläger offensichtlich nicht gehört.

Trotz dieser Änderung sind die aus den Stasi-Unterlagen folgenden Erkenntnisse dem Kläger weiter vorzuhalten und können verwendet werden, weil nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 31.1.1980 - 2 C 50/78 - juris), der sich der Senat anschließt, ein Vorhalte- oder Verwertungsverbot die Rücknahme einer Ernennung wegen arglistiger Täuschung und Unwürdigkeit dann nicht ausschließt, wenn zum Zeitpunkt der Ernennung die zugrunde liegenden Sachverhalte dem Betroffenen vorgehalten und verwertet werden konnten. Auf die oben dargestellte Rechtsänderung kann sich der Kläger für das Verschweigen seiner Tätigkeit für das MfS im Fragebogen nicht berufen, weil die Beschränkung der Verwertbarkeit zu der Zeit, als er den Fragebogen ausfüllte und unterschrieb, und auch im Zeitpunkt seiner Ernennung zum Beamten auf Probe am 1.1.1992 noch nicht galt. Ob nach der oben dargestellten Änderung jedenfalls bei Erlass des Widerspruchsbescheides am 16.2.2007 die Tätigkeit für das MfS dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und zusätzlich nicht zu seinem Nachteil verwertet werden durften, hat auf die Rechtmäßigkeit der auf § 15 Abs. 1 Nr. 1 SächsBG a. F. gestützten Rücknahme der Ernennung keinen Einfluss und bedarf deshalb keiner Prüfung. Der Rücknahmetatbestand regelt einen Fall, in dem die Entschließungsfreiheit der Ernennungsbehörde durch unlauteres Verhalten beeinträchtigt worden ist. Durch die Rücknahme der Ernennung soll die Entschließungsfreiheit wiederhergestellt und dem berufspolitischen Interesse an der Reinhaltung des Berufsbeamtentums von Personen, die durch unlauteres Verhalten die Entschließungsfreiheit der Ernennungsbehörde eingeschränkt haben, Rechnung getragen werden. Bereits im Wortlaut der Vorschrift kommt zum Ausdruck, dass allein das in der Vergangenheit liegende, zur Ernennung führende (Täuschungs-) Verhalten maßgeblich ist. Dem Vorhalte- und Verwertungsverbot des StUG liegt der Rehabilitationsgedanke zugrunde. Mit Ausnahme der in § 21 Abs. 1 Nr. 6 bis 9 StUG n. F. genannten Personen soll ein "Schlussstrich" unter die rechtliche Aufarbeitung der früheren Tätigkeit für das MfS gezogen werden (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs des Bundesrates vom 30.11.2006 - BR-Drs. 16/3653). Diese Entscheidung wirkt in die Zukunft. Sie kann nicht den Mangel ausgleichen, der einer zurückliegenden, durch Täuschung herbeigeführten Ernennung zum Beamten anhaftet. Insoweit gilt das Prinzip der Restitution, nämlich der Wiederherstellung der Integrität des Beamtenstandes.

In diesem Ergebnis kommt der dem Wortlaut und dem Sinn des Gesetzes zu entnehmende Grundgedanke des § 15 Abs. 1 Nr. 1 SächsBG a. F. zum Ausdruck, dass für die Rücknahme einer Ernennung die Umstände maßgeblich sind und bleiben, die zum Zeitpunkt der Ernennung bestanden und diese in einer Weise beeinflusst haben, dass sie an einem unheilbaren Fehler leidet; späteres Wohlverhalten des Beamten in der Zeit nach der Ernennung ist unerheblich (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.1980, a. a. O.; Urt. v. 12.5.1966, DÖD 1966, 193, 194). Maßgeblicher Zeitpunkt ist somit der Zeitpunkt der Ernennung, nicht der heutige Zeitpunkt der Entscheidung. Eine hiervon abweichende Betrachtungsweise ist auch unter Berücksichtigung der Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes nicht gerechtfertigt. Sie würde zu beträchtlicher Rechtsunsicherheit und zu ungereimten Ergebnissen führen. Die Möglichkeit einer Rücknahme der Ernennung hinge dann - bei im übrigen gleichen Sachverhalten - davon ab, ob die Behörde die begangene und für die Ernennung ursächliche Täuschung - mehr oder weniger zufällig - vor oder nach Ablauf der im Stasi-Unterlagen-Gesetz bestimmten Fristen entdeckt (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.1980, a. a. O.).

Da bei Ernennung des Klägers zum Beamten auf Probe zum 1.1.1992 die Stasi-Unterlagen nach § 21 Abs. 3 StUG a. F. uneingeschränkt verwendet und ihm vorgehalten werden konnten, steht ein etwaiges Verwertungsverbot dieser Unterlagen der Einbeziehung in die streitgegenständliche Rücknahmeverfügung nicht entgegen.

3. Mit der arglistigen Täuschung hat der Kläger seine Ernennung zum Beamten auch herbeigeführt, § 15 Abs. 1 Nr. 1 SächsBG a. F. Das ist dann der Fall, wenn die Ernennungsbehörde - in der Person des Dezernenten oder des maßgeblich an der Entscheidung beteiligten Sachbearbeiters - bei Kenntnis des wahren Sachverhalts von der Ernennung, jedenfalls zu diesem Zeitpunkt, Abstand genommen hätte (SächsOVG, Urt. v. 6.5.1998, SächsVBl. 1998 S. 218, 222 m. w. N.). Maßgeblich ist danach, ob die Ernennungsbehörde ohne die Täuschung tatsächlich, insbesondere unter Berücksichtigung ihrer damaligen Verwaltungspraxis, von der Ernennung abgesehen hätte. Dies ist ausweislich der vom Beklagten im Laufe des Verwaltungsverfahrens eingeholten Stellungnahme des früheren Leitenden Polizeidirektors a. D. , der als Vorsitzender der Überprüfungskommission die Vorbereitung der Einstellungsentscheidung zu verantworten hatte, der Fall. Denn dieser gibt zwar an, dass die sich aus den vom Bundesbeauftragten im März 2006 vorgelegten Unterlagen ergebenden Sachverhalte eine Ernennung nicht ausgeschlossen hätten; er macht indes diese Entscheidung davon abhängig, dass der Kläger vorab "wirklich reinen Tisch machen will" und noch versichert hätte, dass der Zielperson durch die Informationen keine erkennbaren Nachteile entstanden seien. Vor diesem Hintergrund ist die Täuschung kausal für die Ernennung gewesen, da diese jedenfalls nicht ohne weitere Ermittlungen oder Angaben erfolgt wäre.

4. Die Rücknahme der Ernennung erfolgte auch unter Beachtung der in § 15 Abs. 4 SächsBG a. F. vorgesehenen Jahresfrist. Denn diese beginnt erst mit vollständiger Kenntnis der Behörde von den für ihre Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkten zu laufen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.12.1984, BVerwGE 70, 356). Dem Kläger ist insoweit nicht zu folgen, dass bereits im Jahr 1995 mit dem Bekanntwerden des Sachverhalts, dass er unter dem Decknamen " " als IMS tätig gewesen sei, die Frist begonnen hätte. Denn erst mit Vorlage des kompletten Vorganges mit Schreiben vom 9.3.2006 durch den Bundesbeauftragten konnte eine vollständige Einschätzung seiner Verstrickung erfolgen. Da der Rücknahmebescheid vom 26.10.2006 datiert, ist die Frist des § 15 Abs. 4 SächsBG eingehalten worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Beschluss

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 35.159,54 € festgesetzt.

Gründe

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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