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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 29.07.2008
Aktenzeichen: 2 B 214/08
Rechtsgebiete: SchulG


Vorschriften:

SchulG § 39
Zum Ausschluss eines Schülers aus der Schule wegen der Erstellung eines Handyvideos im Unterricht und dessen Weitergabe an Mitschüler zum Zwecke der Bearbeitung des Videos.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 2 B 214/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Schulausschluss; Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

hier: Beschwerde

hat der 2. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Dr. Grünberg, den Richter am Oberverwaltungsgericht Munzinger und die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Henke

am 29. Juli 2008

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 11. Juni 2008 - 2 L 193/08 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- € festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist nicht begründet.

Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, lassen nicht erkennen, dass das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 4.6.2008 anzuordnen, zu Unrecht abgelehnt hat.

1. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Wahl einer Ordnungsmaßnahme nach § 39 Abs. 2 SchulG eine pädagogische Ermessensentscheidung des Schulleiters darstellt, die als solche einer gerichtlichen Kontrolle weitgehend entzogen ist. Die gerichtliche Prüfung beschränkt sich deshalb darauf, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 39 Abs. 4 SchulG vorliegen, der Schulleiter seine pädagogische Entscheidung auf hinreichend ermittelte und zutreffende Tatsachen und Feststellungen gestützt hat, Verfahrensvorschriften eingehalten wurden, die Entscheidung frei von sachfremden Erwägungen ist und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird. Dieser rechtliche Prüfungsmaßstab wird vom Antragsteller im Grundsatz nicht in Frage gestellt.

2. Ohne Erfolg macht der Antragsteller geltend, der den Bescheid vom 4.6.2008 erstellende Schulleiter oder das Verwaltungsgericht seien von einem unrichtigen oder nicht hinreichend ermittelten Sachverhalt ausgegangen und Verfahrensvorschriften seien nicht beachtet worden.

a) Unerheblich ist, ob der Antragsteller, wie er geltend macht, seinem Klassenkammeraden ..... das gesamte 15-minütige Handyvideo übermittelt hat oder, wovon im Bescheid ausgegangen wird, nur einzelne Szenen. In seiner schriftlichen Darstellung hat der Antragsteller ausgeführt, ..... sei nach dem gemeinsamen Anschauen des Films die Idee gekommen, ein kurzes Video herzustellen, das die "lustigen" Szenen enthält, also insbesondere die Szene mit der Armbewegung der Lehrerin. Da der Antragsteller dem ..... Bildmaterial gerade zu diesem Zwecke zur Verfügung gestellt hat, ist es unerheblich, ob dies technisch in der Weise erfolgt ist, dass der ganze Film oder nur einzelne Szenen übermittelt wurden.

b) Dahinstehen kann auch, ob der Antragsteller, wie er geltend macht, andere Mitschüler gebeten hat, das von ..... hergestellte Video zu löschen, nachdem er erkannt hatte, dass das Video zu anderen Mitschülern gelangt ist. Der Antragsteller wusste seinem eigenen Vortrag gemäß, dass noch der weitere Mitschüler .... an der Herstellung eines Videos beteiligt war, da dieser das Video mit Musik unterlegt hat. Ist das Video aber im Besitz mehrerer Mitschüler, ist es der Kontrolle des Antragstellers entzogen, ob der Film an weitere Mitschüler weitergegeben und weiter bearbeitet wird. Diese durch den Antragsteller geschaffene Gefahr hat sich hier gerade verwirklicht. Mit der vom Antragsteller behaupteten Bitte, das Video zu löschen, konnte die Verbreitung des Videos nicht verhindert werden.

c) Soweit der Antragsteller geltend macht, eine Anhörung seiner Eltern sei nicht erfolgt, setzt er sich mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses, wonach eine etwaig unterbliebene Anhörung inzwischen durch den Schulleiter nachgeholt wurde, nicht auseinander (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Die Behördenakten sind entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht unvollständig, da die Blattierung in der Weise erfolgt ist, dass jedes Blatt auf der Vorderseite fortlaufend mit einer ungeraden Zahl versehen wurden. Aus dem Gesprächsprotokoll vom 27.5.2008 ergibt sich nicht, dass die Mutter des Antragstellers vom Schulleiter falsch informiert wurde. Es heißt dort: " : Schüler gibt die Tat zu und bestätigt genau die Szenen, die von ihm stammen." Aus der Verwendung des Wortes "und" ergibt sich nicht, dass der Mutter gesagt wurde, der Antragsteller hätte einen Beitrag über das Erstellen des Ausgangsvideos und dessen Weitergabe hinaus geleistet.

Hinsichtlich der nach § 39 Abs. 5 Satz 2 SchulG erforderlichen Anhörung der Klassenkonferenz geht der Antragsteller auf die vom Verwaltungsgericht berücksichtigte zweite außerplanmäßige Klassenkonferenz vom 10.6.2008 nicht ein. Gemäß dem hierüber gefertigten Protokoll wurde die Klassenkonferenz über die Einzelentscheidungen zu den jeweiligen Schülern informiert. Der unterschiedliche Tatbeitrag der einzelnen Schüler war der Klassenkonferenz somit bekannt.

d) Unrichtig ist die Behauptung des Antragstellers, die Mitschüler ..... und .... seien nicht von der Schule ausgeschlossen worden. Nach den Angaben des Antragsgegners, hinsichtlich deren Richtigkeit der Senat keine Zweifel hat, wurden im Zusammenhang mit der Erstellung des hier in Rede stehenden Videos zwei weitere Schulausschlussbescheide erlassen. Ein vierter Schüler hat vor dem Ausschluss die Schule verlassen.

3. Aus dem Vorbringen des Antragstellers ergibt sich nicht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 39 Abs. 4 Satz 1 SchulG, also das Vorliegen eines schweren oder wiederholten Fehlverhaltens, nicht vorliegen.

Der Antragsteller macht geltend, das von ihm aufgenommene 15-minütige Video gebe lediglich einen Ausschnitt aus dem Unterricht wieder, wie er zum Zeitpunkt der Aufnahme tatsächlich stattgefunden habe. In seiner Gesamtheit führe das Material weder zu einer beleidigenden noch zu einer verunglimpfenden Darstellung der betroffenen Lehrerin. Bei der Erstellung des Videos habe der Antragsteller nicht die Absicht gehabt, das Bildmaterial anschließend selbst zu bearbeiten oder Dritten zur Bearbeitung zur Verfügung zu stellen. Erst nach der Fertigung der Aufnahmen habe er zusammen mit ..... eine kürzere Sequenz erstellen wollen, die nur die lustigen Szenen enthalte und vorgebe, die Lehrerin würde tanzen. Mit der Bearbeitung der Szenen mit rechtem Hintergrund habe er nichts zu tun gehabt. Hiervon habe er auch nichts gewusst.

Hiermit stellt der Antragsteller die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses nicht in Frage. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass es zu den Pflichten eines Schülers gehört, die Persönlichkeitsrechte aller im Schulalltag vereinten Menschen zu achten und dass eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der betroffenen Lehrerin bereits in der unerlaubten Erstellung des Videos im Unterricht und in einer sinnverändernden Bearbeitung des Bildmaterials liegt. Unerheblich ist insoweit, dass der Antragsteller das Bildmaterial nicht selbst bearbeitet hat. Er hat, wie oben bereits ausgeführt, dem ..... Bildmaterial überlassen zu dem Zweck, ein kurzes Video herzustellen, das die "lustigen" Szenen enthält. Auch wusste er von weiteren Manipulationen durch den Mitschüler ..... Damit war dem Antragsteller, wie bereits ausgeführt, die Kontrolle über die weitere Verwendung des Videos entzogen. Nicht entscheidend ist, ob der Antragsteller die Absicht, das Bildmaterial einem Mitschüler zur Bearbeitung zur Verfügung zu stellen, bereits zum Zeitpunkt der Erstellung des Videos oder erst später hatte. Das Verwaltungsgericht geht auch zu Recht davon aus, dass das Ausgangsvideo beleidigendes und verunglimpfendes Material enthält. Der Schulleiter hat im Bescheid vom 4.6.2008 ohne Rechtsfehler ausgeführt, dass die Einlassung des Antragstellers, die Armbewegung der Lehrerin sei nur eine lustige Szene, als Schutzbehauptung zu bewerten sei. Die vom Antragsteller in seiner schriftlichen Stellungnahme angesprochenen "lustigen" Szenen sind diejenigen mit den Armbewegungen der Lehrerin. Diese können, wovon sich der Senat durch die Augenscheinnahme des Videos in seiner letzten Fassung überzeugt hat, nicht als lustig bewertet werden. Sie machen vielmehr ausschließlich im Zusammenhang mit rechtsradikaler Symbolik Sinn.

4. Aus den vom Antragsteller dargelegten Gründen ergibt sich nicht, dass die Entscheidung, den Antragsteller aus der Schule auszuschließen, ermessensfehlerhaft ist oder gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt.

a) Soweit der Antragsteller geltend macht, die Wahrung des Bildungs- und Erziehungsauftrags sei durch mildere gleich taugliche Mittel möglich, setzt er seine persönliche Einschätzung an die Stelle der maßgeblichen pädagogischen Ermessensentscheidung des Schulleiters. Auf die persönliche Einschätzung des Antragstellers kommt es indes nicht an. Der Schulleiter ist in Übereinstimmung mit der von den Lehrern bei der Klassenkonferenz geäußerten Auffassung davon ausgegangen, dass aufgrund des Fehlverhaltens des Antragstellers das Vertrauensverhältnis zwischen dem Antragsteller und der betroffenen Lehrerin sowie den übrigen Lehrkräften und Mitschülern grundlegend und dauerhaft gestört sei, weshalb ein dauerhaftes Zusammenleben im schulischen Alltag nicht mehr denkbar sei. Diese Einschätzung des Schulleiters lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Der Schulleiter ist entgegen dem Vorbringen des Antragstellers nicht in willkürlicher, gleichheitswidriger Weise ausschließlich gegen den Antragsteller vorgegangen, sondern, wie oben ausgeführt, auch gegen weitere an der Erstellung des Videos beteiligte Schüler. Dass der Antragsteller in der Vergangenheit keine Auffälligkeiten im schulischen Alltag gezeigt hat, wurde vom Schulleiter berücksichtigt. Dieser Umstand führte jedoch im Hinblick auf die nicht mehr denkbare weitere Zusammenarbeit der betroffenen Lehrerein mit dem Antragsteller nicht zur Verhängung einer milderen Maßnahme.

b) Der Schulausschluss verstößt schließlich nicht gegen das Recht des Antragstellers auf Bildung.

Der gemäß §§ 26 ff. SchulG schulpflichtige Antragsteller hat nach § 1 Abs. 1 SchulG ein Recht auf eine seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Erziehung und Bildung. Dieses Recht bleibt gewährleistet. Denn der Antragsteller konnte durch den Wechsel auf das Gymnasium noch im laufenden Schuljahr 2007/2008 weiterhin ein Gymnasium besuchen, in dem in der vom Antragsteller besuchten Klassenstufe Russisch als zweite Fremdsprache angeboten wird. Mehr fordert § 1 Abs. 1 SchulG nicht. Insbesondere folgt hieraus kein Anspruch darauf, in sportlicher Hinsicht unabhängig von einem Fehlverhalten an einem Gymnasium mit vertiefter sportlicher Ausbildung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SOGY) gefördert zu werden. Ob der Antragsteller vom Sportgymnasium zu Recht abgelehnt wurde, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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