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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 24.11.2008
Aktenzeichen: 2 B 370/08
Rechtsgebiete: VwGO, EV


Vorschriften:

VwGO § 123
EV Art. 37 Abs. 1 S. 2
1. Das Recht eines Antragstellers auf fehlerfreie Ermessensentscheidung kann durch eine Regelung nach § 123 VwGO gesichert werden. Dabei kann der Antragsgegner zu einer Neuverbescheidung mit vorläufiger Wirkung verpflichtet werden.

2. Zur Frage der teilweisen Gleichwertigkeit einer Ausbildung als Kinderkrippenerzieherin mit der Erzieherausbildung.


Sächsisches OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 2 B 370/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Zulassung zum Anpassungsfortbildungslehrgang; Antrag nach § 123 VwGO

hier: Beschwerde

hat der 2. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Dr. Grünberg, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dehoust und die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Henke

am 24. November 2008

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden vom 5. November 2008 - 5 L 1768/08 - geändert.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, über die Zulassung der Antragstellerin zum Anpassungsfortbildungslehrgang im Fortbildungswerk Sachsen GmbH, Bischofswerda, vorläufig neu zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Antragstellerin und der Antragsgegner tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- € festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden vom 5.11.2008 hat nur teilweise Erfolg. Mit dem Beschluss hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin, sie vorläufig zum Anpassungsfortbildungslehrgang zuzulassen, abgelehnt.

Das Verwaltungsgericht geht in der angegriffenen Entscheidung davon aus, dass es der Antragstellerin an einem Anordnungsanspruch fehle. Sie habe weder einen Anspruch aus Art. 37 des Einigungsvertrages noch aus der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus über die Landesregelungen zur Anerkennung als "Staatlich anerkannter Erzieher/Staatlich anerkannte Erzieherin" (VwV Erzieheranerkennung) vom 1.10.1996. Der Antragsgegner habe den Antrag der Klägerin auf Teilanerkennung ihres Berufsabschlusses vom 1.10.2007 bereits mit Bescheid vom 15.10.2007 bestandskräftig abgelehnt. Darüber hinaus habe die Antragstellerin ihren Abschluss nicht in der ehemaligen DDR, sondern nach bundesdeutschem Recht erworben.

Hiergegen wendet die Antragstellerin in ihrer Beschwerdebegründung ein, sie habe ihre Ausbildung bei der Medizinischen Fachschule Dresden 1989 zu Zeiten der DDR begonnen. Sie habe in dem dreijährigen Fachschulstudium an sämtlichen Ausbildungsabschnitten teilgenommen, die für den Erwerb der Berufsbezeichnung "Kinderkrippenerzieherin" in der ehemaligen DDR notwendig gewesen seien. Der Abschluss "Kinderkrippenerzieher/Kinderkrippenerzieherin" sei teilweise gleichwertig zum bundesdeutschen Abschluss "Staatlich anerkannter Erzieher/Staatlich anerkannte Erzieherin". Sie habe aber dann keinen Abschluss als Kinderkrippenerzieherin bekommen, sondern als "Staatlich geprüfte Kinderpflegerin". Schüler, die ein Jahr zuvor ihre Ausbildung beendet hätten, hätten dagegen bei gleicher Ausbildung noch den Abschluss als "Kinderkrippenerzieher/Kinderkrippenerzieherin" bekommen. Sie wolle so gestellt werden, wie dies ihrem Ausbildungsstand faktisch entspreche.

Der Antrag hat im tenorierten Umfang Erfolg.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO ergeht eine einstweilige Anordnung, wenn das Bestehen eines zu regelnden Anspruchs, des sog. Anordnungsanspruchs, und die Dringlichkeit einer vorläufigen Entscheidung, der sog. Anordnungsgrund, überwiegend wahrscheinlich sind.

Hier hat die Antragstellerin einen Anspruch darauf, dass der Antragsgegner zeitnah erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates über ihr Begehren entscheidet, zum Anpassungsfortbildungslehrgang zugelassen zu werden. Der Antrag auf vorläufige Neubescheidung ist in dem weitergehenden Leistungsantrag enthalten. Die Befriedigung dieses Anspruches ist auch eilbedürftig.

Die Zulassung der Antragstellerin zum Anpassungsfortbildungslehrgang setzt eine Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen, insbesondere eine Prüfung der Gleichwertigkeit ihrer Abschlussprüfung, voraus. Eine solche hat der Antragsgegner bisher nicht ausreichend vorgenommen. Dem Oberverwaltungsgericht ist eine abschließende Prüfung auf Grundlage der im erstinstanzlichen und im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen nicht möglich. Das Recht der Antragstellerin auf eine fehlerfreie Entscheidung kann durch eine Regelung nach § 123 VwGO gesichert werden (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 11.9.2002, SächsVBl. 2003, 45; VGH BW, Beschl. v. 21.2.1997, DÖV 1997, 694; VG Leipzig, Beschl. v. 7.8.2000, AuAS 2000, 226; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 123 Rn. 12, 28 m. w. N.).

Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin einen Anspruch aus Art. 37 Abs. 1 Satz 2 Einigungsvertrag i. V. m. Nummern 4, 3.1, 2.3, 2.4 und 2.5 VwV Erzieheranerkennung, dass der Antragsgegner über ihre Zulassung zum Anpassungsfortbildungslehrgang sachlich entscheidet. Diesen Anspruch hat der Antragsgegner bislang nicht erfüllt. Er hat sich zum einen auf die Bestandskraft seines Schreibens vom 15.10.2007 berufen und zum anderen vorgetragen, die Teilanerkennung eines nach bundesdeutschem Recht erworbenen Erziehungsabschlusses könne nicht erteilt werden. Diese Erwägungen greifen indes beide nicht durch.

Bei dem Schreiben vom 15.10.2007 an die Antragstellerin handelt es sich um keinen Verwaltungsakt i. S. v. § 1 SächsVwVfG i. V. m. § 35 VwVfG. Insoweit fehlt es an einer für die Antragstellerin erkennbaren verbindlichen Regelung. Dem Antragsgegner ist zwar zuzugeben, dass die Tatsache, dass die Antragstellerin mit vorangegangenem Schreiben vom 1.10.2007 einen Antrag auf Teilanerkennung gestellt hatte, für eine Verbindlichkeit des Antwortschreibens sprechen könnte. Auch Teile des Textes, wie die Sätze, dass eine Teilanerkennung nicht ausgestellt werden könne und der erworbenen Abschluss dem Abschluss "Staatlich anerkannter Erzieher/Staatlich anerkannte Erzieherin" nicht gleichwertig sei, könnten - isoliert betrachtet - auf verbindliche Regelungen oder Feststellungen hindeuten. Der übrige Text des Schreibens sowie die äußere Form sprechen aber gegen eine verbindliche Regelung. Im Schreiben wird die Antragstellerin zu einem persönlichen Gespräch eingeladen und um eine Terminvereinbarung gebeten. Das Schreiben enthält weder einen "Tenor" noch eine Kostenentscheidung noch eine Rechtsbehelfsbelehrung. Mithin lässt das Schreiben vom 15.10.2007 für die Adressatin nicht hinreichend deutlich erkennen, dass es sich um eine verbindliche Entscheidung handeln soll. Es ist ebenso gut der Rückschluss möglich, dass es sich lediglich um die tatsächliche Mitteilung der Rechtsauffassung des Antragsgegners in Vorbereitung eines Beratungsgespräches handeln sollte. Ein konkreter Regelungs- und Bindungswille der Behörde kann dem Schreiben nicht hinreichend deutlich entnommen werden.

Auch die Tatsache, dass der von der Klägerin erworbene Abschluss nach Ablauf des 2.10.1990 und damit nach der Vereinigung erworben wurde, steht seiner Teilanerkennung nicht entgegen. Von Art. 37 Abs. 1 Satz 2 Einigungsvertrag, der die Gleichstellung und bundesweite Anerkennung von Prüfungen regelt, sind nicht nur alle Prüfungen und Befähigungsnachweise erfasst, die bis zur Vereinigung abgelegt oder erworben wurden, sondern auch spätere Abschlüsse, die auf Ausbildungen beruhen, mit denen vor diesem Zeitpunkt begonnen wurde (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.1997 - 6 C 6.97 - juris: "wohl auch spätere Abschlüsse"). Denn auch in den letztgenannten Fällen liegt jene einigungsbedingte bildungspolitische Problemlage vor, die Art. 37 Einigungsvertrag lösen will.

Der Antragsgegner hat deshalb mit vorläufiger Wirkung erneut über einen möglichen Anspruch der Antragstellerin, zum Anpassungsfortbildungslehrgang zugelassen zu werden, zu entscheiden. Ein solcher Anspruch könnte sich aus Art. 37 Abs. 1 Satz 2 Einigungsvertrag ergeben. Danach stehen die im Gebiet der ehemaligen DDR oder in anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin (West) abgelegten Prüfungen oder erworbenen Befähigungsnachweise einander gleich und verleihen die gleichen Berechtigungen, wenn sie gleichwertig sind. Die Gleichwertigkeit wird auf Antrag von der jeweils zuständigen Stelle festgestellt. Sofern somit die von der Antragstellerin 1992 abgelegte Prüfung zumindest teilweise der Prüfung oder dem Abschluss als "Staatlich anerkannter Erzieher/Staatlich anerkannte Erzieherin" gleichwertig ist, hat sie nach Nummern 4, 3.1, 2.3, 2.4 und 2.5 der VwV Erzieheranerkennung einen Anspruch auf Teilnahme am Anpassungsfortbildungslehrgang.

Für eine Anerkennung der "Gleichwertigkeit" nach Art. 37 Abs. 1 Satz 2 Einigungsvertrag genügt es, wenn die "Niveaugleichheit" der Prüfung oder des Abschlusses vorliegt. Die Niveaugleichheit setzt die Feststellung der Erfüllung der Anforderungen an die Ausbildung, die Bildungseinrichtungen, den Umfang der Ausbildung, die Struktur des Ausbildungsangebotes sowie die Vergleichbarkeit der Verfahrenserlangung des Abschlusses voraus (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.4.2008 - 6 B 15.08 - juris). Hier spricht zwar die im der Antragstellerin erteilten Abschlusszeugnis genannte Berufsbezeichnung "Staatlich geprüfte Kinderpflegerin/Staatlich geprüfter Kinderpfleger" gegen eine teilweise Gleichwertigkeit des Abschlusszeugnisses der Antragstellerin. Die zweijährige Ausbildung "Staatlich geprüfter Kinderpfleger/Staatlich geprüfte Kinderpflegerin" setzt regelmäßig lediglich einen Hauptschulabschluss voraus und befähigt nur zu einer sozialpädagogischen Assistententätigkeit. Offen ist aber, ob die von der Klägerin abgelegte Prüfung und das Verfahren zur Erlangung des Abschlusses nicht teilweise niveaugleich mit dem Abschluss der Ausbildung "Staatlich geprüfter Erzieher/Staatlich geprüfte Erzieherin" waren. Aus den dem Senat vorliegenden Unterlagen ist weder erkennbar, an welcher Art von Abschlussprüfung die Antragstellerin teilgenommen hat, noch ob die dort geprüften Inhalte eher dem Ausbildungsniveau einer "Kinderkrippenerzieherin" oder eher dem Ausbildungsniveau einer "Staatlich geprüften Kinderpflegerin" entsprachen. Dies muss indes geprüft werden, um die Gleichwertigkeit der von der Antragstellerin abgelegten Prüfung beurteilen zu können. Nach den Bestimmungen des Einigungsvertrages reicht es, wenn die von der Antragstellerin abgelegte Prüfung und vorangegangene Ausbildung niveaugleich waren. Auf das ausgestellte Abschlusszeugnis und die Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen, kommt es dagegen nicht entscheidend an. Bei der Beurteilung ist kein strenger, sondern ein eher "großzügiger" Maßstab anzulegen (BVerwG, Beschl. v. 30.4.2008 - 6 B 15.08 - juris). Dabei ist auch von Bedeutung, dass die Antragstellerin hier keine unmittelbare Zulassung als "Staatlich anerkannte Erzieherin" begeht, sondern lediglich die (vorläufige) Zulassung zum Anpassungsfortbildungslehrgang.

Der Antragstellerin ist das Abwarten der Hauptsacheentscheidung nicht zumutbar. Ein Anpassungsfortbildungslehrgang in Bischofswerda hat gerade begonnen. In ihm sind noch freie Plätze vorhanden. Ob künftig weitere Kurse dieser Art an Ausbildungsstellen durchgeführt werden, die die Antragstellerin zumutbar erreichen kann, ist nicht sicher. Die Sache ist deshalb eilbedürftig.

Soweit die Antragstellerin darüber hinaus im Wege der einstweiligen Anordnung bereits ihre vorläufige Zulassung zum Anpassungsfortbildungslehrgang begehrt, ist die Beschwerde unbegründet. Nach dem Vorbringen der Antragstellerin in der Beschwerdeschrift sowie dem Inhalt der Gerichtsakte ist es zumindest gegenwärtig nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf Zulassung zum Anpassungsfortbildungslehrgang hat. Zwar dürfte ihre Ausbildung teilweise niveaugleich mit der Erzieherausbildung gewesen sein. Ob auch die abgelegte Prüfung teilweise niveaugleich war, ist aber offen und bedarf einer Prüfung durch den Antragsgegner.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG. Wegen der zumindest teilweise begehrten Vorwegnahme der Hauptsache erscheint eine Halbierung des Auffangstreitwertes nicht angezeigt (vgl. Nummer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, abgedruckt z. B. bei Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., Anh § 164 Rn. 14).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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