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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 11.06.2009
Aktenzeichen: 2 E 50/09
Rechtsgebiete: SächsPÜG, GVG, VwGO


Vorschriften:

SächsPÜG § 2 Abs. 3
GVG § 17a
VwGO § 40
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 2 E 50/09

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Übergabeverfügung (SächsPÜG)

hier: Beschwerde gegen den Verweisungsbeschluss

hat der 2. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Dr. Grünberg, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Hahn und die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Henke

am 11. Juni 2009

beschlossen:

Tenor:

Der Richter am Oberverwaltungsgericht ...... ist wegen Besorgnis der Befangenheit vom Verfahren ausgeschlossen.

Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 16. März 2009 - 3 K 982/08 - aufgehoben.

Der Verwaltungsrechtsweg ist gegeben.

Die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen.

Gründe:

1. ROVG ...... ist nicht bereits wegen Mitwirkung am vorausgegangenen Verwaltungsverfahren nach § 54 Abs. 2 VwGO von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen. Die Vorschrift betrifft das der konkreten Entscheidung vorausgegangene Verwaltungsverfahren, lässt sich jedoch nach ihrem Wortlaut nicht auf die Mitwirkung an einem Gesetzgebungsverfahren ausdehnen, mag dieses auch mit dem zu entscheidenden Sachverhalt in Zusammenhang stehen.

Die Besorgnis der Befangenheit setzt voraus, dass Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters aufkommen lassen. Hierbei muss es sich um solche Umstände handeln, die bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber.

Derartige Umstände liegen hier vor. Wie sich aus der dienstlichen Erklärung von ROVG ...... vom 10.10.2008 ergibt, war dieser bis zum 31.1.2007 als für Verfassungsrecht zuständiger Referatsleiter im Sächsischen Staatsministerium der Justiz u. a. mit dem Entwurf gesetzlicher Regelungen zum Personalübergang befasst. Er war in seiner damaligen Funktion an einer Vielzahl von Gesetzentwürfen zur Gebiets- und Funktionalreform in der Weise beteiligt, dass er Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit der Gesetzentwürfe, etwa zur Gesetzgebungsbefugnis des Freistaates Sachsen erstellte oder an diesen mitwirkte. Nachdem in mehreren der vorliegenden Beschwerde gleichgelagerten, ebenfalls bei dem entscheidenden Senat anhängigen Verfahren u. a. die Verfassungsmäßigkeit von Regelungen des Personalübergangsgesetzes im Streit steht, könnten bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an der Objektivität des Richters entstehen. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung des § 42 ZPO soll bereits der äußere Anschein von Befangenheit vermieden werden; nicht erforderlich ist dagegen, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Dem entsprechend ist in Zweifelsfällen die Besorgnis der Befangenheit anzunehmen (vgl. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 23. Aufl., § 42 Rn. 10 m. w. N.). Ausgehend von diesen Grundsätzen war auf die Anzeige des ROVG ...... die Besorgnis der Befangenheit aufgrund objektiver Umstände anzunehmen.

2. Die gemäß § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG, §§ 146 ff. VwGO zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht die Zulässigkeit des zu ihm beschrittenen Rechtswegs verneint.

Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Ob im Einzelfall der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist, bestimmt sich nach dem Streitgegenstand, d. h. nach dem rechtshängig gemachten prozessualen Anspruch, der auf einen bestimmten Lebenssachverhalt gestützt wird (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 90 Rn. 7).

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Aufhebung der auf § 2 Abs. 3 Satz 1 SächsPÜG gestützten Übergabeverfügung des Beklagten vom 28.7.2008, durch welche als neuer Arbeitgeber des Klägers der festgesetzt wurde. Welcher Rechtsnatur die Rechtsstreitigkeit ist, richtet sich nach der Rechtsnatur der materiellrechtlichen Normen, nach denen sich das Klagebegehren beurteilt. Die als Ermächtigungsgrundlage vom Beklagten herangezogene Bestimmung des § 2 Abs. 3 SächsPÜG ist öffentlich-rechtlicher Natur: Der Beklagte setzt hiernach gegenüber dem Arbeitnehmer den neuen Arbeitgeber durch Übergabeverfügung fest; Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Übergabeverfügung haben keine aufschiebende Wirkung. Damit ist die Übergabeverfügung nach der Konzeption des SächsPÜG als Verwaltungsakt (§ 35 VwVfG, § 1 SächsVwVfG) mit dem entsprechenden Rechtsschutz gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ausgestaltet.

Zudem ergibt sich die öffentlich-rechtliche Natur der Streitigkeit aus der vom Beklagten gewählten Handlungsform. Der als Übergabeverfügung bezeichnete Bescheid trifft verbindliche Regelungen und ist mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen; die Maßnahme wurde für den Kläger objektiv erkennbar zur einseitig hoheitlichen Regelung eines Einzelfalles mit Außenwirkung getroffen. Unabhängig von der Rechtsnatur der Ermächtigungsgrundlage stellt eine derartige Regelung einen Verwaltungsakt i. S. v. § 35 VwVfG dar, für dessen Anfechtung der Verwaltungsrechtsweg gemäß §§ 40 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 1 VwGO eröffnet ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 9.11.1984 - 7 C 5/84 - und Urt. v. 17.8.1995 - 1 C 15/94 -, beide juris). Dem entsprechend hat der Kläger erstinstanzlich angekündigt, in der Sache die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids des Beklagten zu beantragen.

Daneben ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten vorliegend nicht eröffnet. Zwar sind die Arbeitsgerichte gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG für die Entscheidung zuständig, ob eine bürgerlich-rechtliche Beendigung des privatrechtlichen Arbeitsverhältnisses vorliegt bzw. das Arbeitsverhältnis fortbesteht (so SächsLAG, Beschl. v. 10.12.2008 - 2 SaGa 19/08 - juris). Anders als in der zitierten Entscheidung richtet sich das konkrete Klagebegehren jedoch gerade nicht auf die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht, sondern ausdrücklich auf die Aufhebung der Übergabeverfügung. An dieses Begehren ist das Gericht gebunden und darf darüber nicht hinausgehen (§ 88 VwGO).

Der Senat weist aus gegebenem Anlass vorsorglich darauf hin, dass hieraus kein genereller Ausschluss der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für Streitigkeiten nach dem SächsPÜG folgt. Vielmehr hängt die Zuständigkeit vom jeweiligen Klagebegehren im Einzelfall ab. Richtet sich dieses - wie hier - ausschließlich auf die Aufhebung der Übergabeverfügung, ist allein der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Begehrt der Kläger dagegen die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis - ungeachtet der Übergabeverfügung - nach bürgerlichem Recht fortbesteht, sind für diese Entscheidung die Arbeitsgerichte zuständig. Das SächsPÜG ermöglicht dem Kläger die Wahl des Rechtswegs abhängig von seinem Begehren im Einzelfall. Demgemäß kommt je nach Fallkonstellation auch eine doppelte Zuständigkeit von Verwaltungs- und Arbeitsgerichtsbarkeit in Betracht, wenn nämlich - wie in der bisherigen Praxis mehrfach geschehen - der Kläger sich mit unterschiedlichen Anträgen an beide Gerichtsbarkeiten wendet.

Eine derartige Aufspaltung des Rechtswegs ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts dem deutschen Rechtssystem nicht fremd: Verwiesen sei etwa auf die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte einerseits und der Richterdienstgerichte andererseits, wenn ein Richter sich gegen eine dienstliche Maßnahme wie eine Beurteilung wendet, durch die er sich gleichzeitig in seiner richterlichen Unabhängigkeit verletzt sieht (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.6.1983 - 2 C 34/80 - juris sowie BGH, Urt. v. 31.1.1984 - BGHZ 90, 41 und BGH, Urt. v. 10.8.2001 - NJW 2002, 359 -). Auch kann in einer doppelten Zuständigkeit keine unzulässige Verkürzung des verfassungsrechtlich gebotenen effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gesehen werden: Der Rechtsschutz des Betreffenden wird durch die Eröffnung eines zusätzlichen Rechtswegs im Zweifel eher erweitert. Dabei kann an dieser Stelle offen bleiben, ob und unter welchen Umständen die Arbeitsgerichte ihre Verfahren wegen Vorgreiflichkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung über den Bestand der Übergabeverfügung aussetzen müssten.

Neben den genannten formellen Erwägungen sprechen auch materiell-rechtliche Gründe gegen eine ausschließliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichte: Die vom Kläger begehrte Aufhebung der Übergabeverfügung kann ausschließlich durch das Verwaltungsgericht erfolgen. Dem Arbeitsgericht fehlt hierzu die Entscheidungskompetenz. So ist in der Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass die Gerichte aller Gerichtszweige an das Bestehen und den Inhalt von wirksamen Verwaltungsakten gebunden sind, soweit ihnen nicht die Kontrollkompetenz eingeräumt ist (sog. Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten). Dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig ist; eine solche Bindung entfällt nur, wenn der Verwaltungsakt nichtig ist (vgl. BAG, Urt. v. 11.2.1987 - 5 AZR 18/86 - m. w. N. zu Rechtsprechung und Literatur; ebenso BGH, Urt. v. 26.1.2007 - V ZR 137/06 - juris). Demzufolge muss der Kläger - da für eine Nichtigkeit der Übergabeverfügung keine Anhaltspunkte vorliegen - den Verwaltungsrechtsweg beschreiten, um den Eintritt der Bestandskraft zu verhindern; das arbeitsgerichtliche Verfahren hemmt den Eintritt der Bestandskraft gerade nicht. Eine Verweisung des Rechtsstreits würde deshalb dem Kläger die Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes nehmen.

Diesem Ergebnis steht schließlich nicht die vom SächsLAG vertretene Auffassung entgegen, wonach ein privatrechtliches Arbeitsverhältnis nicht durch einen Verwaltungsakt unmittelbar geändert werden könne (SächsLAG, Urt. v. 17.12.2008 - 2 SaGa 23/08 -). Im Verfahren 2 B 148/09 hat der Senat zu dieser Frage durch Beschluss vom 10.3.2009 entschieden:

"Zwar weist des SächsLAG zurecht darauf hin, dass das Bundesarbeitsgericht (Urteil v. 17.1.2006 - 9 AZR 226/05 - zitiert nach juris, dort LS 2 und Rn. 31) entschieden hat, ein privatrechtliches Arbeitsverhältnis könne nicht durch einen Verwaltungsakt unmittelbar geändert werden. Diese Aussage bezieht sich indes auf Regelungsbereiche, in denen der Bund von seiner verfassungsrechtlichen Regelungskompetenz Gebrauch gemacht hat. Sobald der Landesgesetzgeber für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses regelungsbefugt ist, unterliegt es seiner Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Form dieses beendet wird. Angesichts der eigenständigen Regelungskompetenz ist hier kein Raum für den Rechtsgrundsatz, dass Bundesrecht Landesrecht bricht, Art. 31 GG.

Der Senat ist darüber hinaus der Auffassung, dass einem in einem Individualrechtsstreit ergangenen Urteil entwickelten Obersatz keine rechtlich verbindliche Wirkung für den (Landes-)Gesetzgeber zukommt. Sofern keine ausdrücklichen prozessualen Vorschriften bestehen, ergeht das Urteil nur inter pares; eine solche Vorschrift ist hier nicht ersichtlich. Auch der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt keine gesetzliche Wirkung zu: ,Die Gerichte können aber nicht Normen setzen, sondern wenden Recht an. Auch rechtsfortbildendes Richterrecht ist im wesentlichen Rechtsauslegung; die Gerichte bilden das Recht fort, indem sie es anwenden ...Auch die rechtsfortbildende Entscheidung bleibt also Richterspruch eines Einzelfalls und wird nicht zur Rechtsquelle für künftige Entscheidungen' (BAG, Urt. v. 26.4.1998 - 1 AZR 399/86 - zitiert nach juris, dort Rn. 32). Somit ist der sächsische Gesetzgeber nicht durch Bundesrecht gehindert, die Arbeitsverhältnisse durch eine Übergabeverfügung zu einem neuen Arbeitgeber überzuleiten."

Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und der Verwaltungsrechtsweg für zulässig zu erklären.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten (vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 41 [§§ 17 - 17b GVG] Rn. 45 m. w. N.).

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG liegen nicht vor. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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