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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 30.11.2009
Aktenzeichen: 3 B 174/08
Rechtsgebiete: AufenthG, Beschluss des Assoziationsrates EWG/Türkei


Vorschriften:

AufenthG § 81 Abs. 4
AufenthG § 83
Beschluss des Assoziationsrates EWG/Türkei Art. 6 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 3 B 174/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen nachträglicher Verkürzung einer Aufenthaltserlaubnis; Feststellung der Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG; Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (§ 123 VwGO) hier: Beschwerde

hat der 3. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Freiherr von Welck, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Drehwald und den Richter am Verwaltungsgericht Jenkis

am 30. November 2009

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden vom 17. April 2008 - 3 L 145/08 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht Dresden hat den Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihm eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG auszustellen bzw. seinen Aufenthalts vorläufig weiterhin zu dulden, zu Recht abgelehnt. Die dagegen mit der Beschwerde vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO beschränkt ist, sind nicht geeignet, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Dresden in Frage zu stellen.

Das Gericht hat das in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 VwGO auf die Feststellung gerichtete Begehren, der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11.7.2007, mit dem die Geltungsdauer seiner ursprünglich bis zum 19.1.2009 befristeten Aufenthaltserlaubnis nachträglich verkürzt worden war, komme aufschiebende Wirkung zu, so dass durch den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG ausgelöst werden könne, mit dem Hinweis darauf abgelehnt, dass der Verlängerungsantrag nicht rechtzeitig gestellt worden sei. Es handele sich auch nicht um eine nur geringfügige und damit unbeachtliche Verspätung, da ein - mündlich gestellter - Antrag am 24.1.2008 nicht habe festgestellt werden können und die mit Schreiben des damaligen Bevollmächtigten des Antragstellers vom 3.3.2008 beantragte Verlängerung nicht mehr in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gestanden habe. Bei einer "Verspätung" von mehr als sechs Wochen könne allein aufgrund des verflossenen Zeitraums schon begrifflich nicht mehr von einer Verlängerung des ursprünglichen Titels gesprochen werden; dies gelte umso mehr, als der anwaltlich vertretene Antragsteller bereits zuvor durch den Widerspruchsbescheid auf den fehlenden Antrag hingewiesen worden sei. Der Antragsteller könne auch kein im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu sicherndes Aufenthaltsrecht geltend machen; insbesondere könne er sich nicht auf einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei berufen, da er nicht (mehr) als Arbeitnehmer beschäftigt sei.

Das hiergegen gerichtete Beschwerdevorbringen führt nicht zum Erfolg. Folgt man der Sichtweise des Verwaltungsgerichts Dresden, dass hier ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft ist, hat es unter Heranziehung der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 22.2.2007 - 3 BS 276/05 -) zutreffend darauf hingewiesen, dass die Fiktionswirkung von § 81 Abs. 4 AufenthG auch bei verspätet gestellten Anträgen eintritt, die in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Ablauf des bisherigen Aufenthaltstitels stehen. Dabei ist das Gericht ebenfalls zutreffend davon ausgegangen, dass ein - mündlich gestellter - Antrag des Antragstellers am 24.1.2008 nicht nachweisbar war. Maßgeblich für die Beurteilung der Erheblichkeit der Verspätung ist daher der mit Schriftsatz vom 3.3.2008 gestellte Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers. Diesen Feststellungen ist der Antragsteller in seiner Beschwerde auch nicht mehr entgegengetreten. Der bis dahin verstrichene Zeitraum von gut sechs Wochen seit Auslaufen der ursprünglichen Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis kann, jedenfalls wenn - wie hier - keine besonderen Umstände hinzutreten, nicht mehr als geringfügig angesehen werden. Hierbei orientiert sich der Senat an einem Zeitraum von bis zu einer Woche nach Auslaufen der Aufenthaltserlaubnis, innerhalb dessen ein Verlängerungsantrag noch die Fiktionswirkungen des § 81 Abs. 4 AufenthG auslösen kann (vgl. hierzu BayVGH, zuletzt Beschl. v. 28.9.2009 - 19 CS 09.1610 -, zitiert nach juris, m. w. N.). Da eine entsprechende Verwaltungspraxis im Freistaat Sachsen nicht erkennbar und auch nicht vorgetragen ist, ist die vom Antragsteller geschilderte Verwaltungspraxis in Berlin für die Beurteilung dieser Frage unerheblich.

Außergewöhnliche Umstände, die es rechtfertigen könnten, dem am 3.3.2008 gestellten Verlängerungsantrag noch die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG zukommen zu lassen, sind nicht vortragen. Insbesondere folgen sie nicht aus der Verletzung einer aus § 82 Abs. 3 Satz 1 AufenthG abzuleitenden Hinweis- und informatorischen Betreuungspflicht der Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller, deren Verletzung in Anwendung des Rechtsgedankens der §§ 242, 162 BGB eine Berufung auf die Fristversäumung verbieten könnte (vgl. hierzu Funke-Kaiser in: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Stand Oktober 2009, § 82 Rd. 57 m. w. N.). Eine entsprechende Pflicht bestand entgegen dem Vorbringen des Antragstellers nämlich nicht.

Mit dieser informatorischen Betreuungspflicht soll nach der gesetzgeberischen Zielsetzung auf eine wenigstens annäherende Waffengleichheit des Ausländers gegenüber der Behörde hingewirkt und eine Effektivierung des Verwaltungsverfahrens erreicht werden. Ist der Ausländer aus Sicht der Ausländerbehörde ausreichend sach- und/oder rechtskundig und wird er insbesondere durch eine rechtskundige Person, etwa einen Rechtsanwalt, vertreten, besteht eine solche Pflicht hingegen nicht, es sei denn, es muss sich der Behörde aufdrängen, dass der Vertreter - etwa der Rechtsanwalt - selbst beratungsbedürftig ist (Funke-Kaiser, a. a. O., § 82 Rd. 51). So lag der Fall hier aber nicht. Der Antragsteller war zum damaligen Zeitpunkt anwaltlich vertreten und führte ein von diesem betriebenes Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 11.7.2007. Abgesehen davon, dass § 82 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausdrücklich nur eine Hinweispflicht auf die u. a. in § 81 AufenthG geregelten Verpflichtungen vorsieht, musste es sich der Antraggegnerin bei Aushändigung der ausländerrechtlichen Bescheinigung am 24.1.2008 an den Antragsteller nicht aufdrängen, dass der Bevollmächtigte des Antragstellers eines entsprechenden Hinweises bedurft hätte. Denn aus Sicht der Antragsgegnerin konnte die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG schon deshalb nicht mehr eintreten, weil die Aufenthaltserlaubnis mit dem aus ihrer Sicht rechtmäßigem Bescheid vom 11.7.2007 nachträglich verkürzt worden und eine Verlängerung dieser so verkürzten Aufenthaltserlaubnis aus den Gründen, die diesem Bescheid zu Grunde lagen, auch nicht möglich war. Aus Sicht der Antragsgegnerin war daher die Vermutung durchaus naheliegend, dass sich der anwaltlich vertretene Antragsteller im weiteren Verlauf darauf beschränken wollte, den Bescheid vom 11.7.2007 zu Fall zu bringen und nicht - wie bereits in der Vergangenheit zweimal geschehen - rechtzeitig um Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nachzusuchen. Wegen der anwaltlichen Vertretung spielt auch seine vom Antragsteller angesprochene kurz vorher abgelaufene Minderjährigkeit in diesem Zusammenhang keine Rolle.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Dresden stellt sich aber auch aus einem anderen Grund als zutreffend dar, denn der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist bereits unzulässig. Es fehlt für die hier beantragte, entsprechend § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Feststellung, dass der Klage aufschiebende Wirkung zukommt, das Rechtsschutzbedürfnis. Der Antragsteller ist nämlich unabhängig von dem Suspensiveffekt seines Rechtsbehelfs, mit dem allein die Vollziehbarkeit seiner Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AuslG vereitelt werden kann (vgl. § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG), gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig. Da die nachträgliche Befristung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG weiterhin Wirksamkeit entfaltet, hätte der Verlängerungsantrag, auch wenn seine Rechtzeitigkeit unterstellt werden könnte, die Fortgeltungsfiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG nicht auszulösen vermocht. Die Fortgeltungsfiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG scheitert hier daran, dass zum Zeitpunkt des Verlängerungsantrags infolge der nachträglichen Befristung kein Aufenthaltstitel mehr vorhanden war, der hätte verlängert werden können. Damit besteht eine vollziehbare Ausreisepflicht gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Vorläufigen Rechtsschutz zur Verhinderung der Abschiebung ist in diesem Falle - wie der Senat in seinem Beschluss vom 6.10.2009 (3 B 159/08, zitiert nach juris) im Hinblick auf die Rücknahme einer Aufenthaltserlaubnis jüngst entschieden hat - allein gemäß § 123 VwGO zu gewähren.

Den hierfür erforderlichen Anordnungsanspruch hat der Antragsteller aber - worauf das Verwaltungsgericht Dresden zu Recht hingewiesen hat - nicht glaubhaft zu machen vermocht. Dabei geht insbesondere sein Hinweis fehl, er sei Arbeitnehmer i. S. von Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei, weil er als Gesellschafter der ...... OHG dem weiteren Gesellschafter, seinem Vater, gegenüber weisungsgebunden sei. Der Antragsteller ist kein Arbeitsnehmer in diesem Sinne, da ihm jedenfalls nach den für seine Rechtsstellung als Gesellschafter in einer OHG maßgeblichen Regelungen des Handelsgesetzbuchs als Gegenleistung für die von ihm erbrachten Leistungen kein Arbeitslohn als Vergütung zusteht, sondern er gemäß § 120 HGB an Gewinn und Verlust der OHG teilhat. Dabei ergibt sich aus der bei den Behördenakten (AS 94) befindlichen Gewerbeanmeldung, dass der Antragsteller zum 1.10.2007 als Gesellschafter in die ...... OHG eingetreten war. Die von ihm vorgetragene Weisungsgebundenheit gegenüber dem Mitgesellschafter ist daher als im Gesellschaftsvertrag enthaltene Regelung zu der Vertretungsbefugnis nach § 125 HGB zu verstehen. Andere, ihm ein vorläufiges Bleiberecht vermittelnde Gründe sind nicht vorgetragen, so dass auch der Hilfsantrag keinen Erfolg haben kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i. d. F. der am 7./8.7.2004 beschlossenen Änderung (Streitwertkatalog 2004; abgedr. in NVwZ 2004, 1327), wobei wegen der Vorläufigkeit des Verfahrens der hälftige Hauptsachestreitwert anzusetzen war.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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