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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 06.10.2009
Aktenzeichen: 3 B 187/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 81 b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 3 B 187/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen erkennungsdienstlicher Maßnahmen; Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz

hier: Beschwerde

hat der 3. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Freiherr von Welck, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Drehwald und den Richter am Verwaltungsgericht Jenkis am 6. Oktober 2009

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen Nummern 2 bis 4 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 21. April 2008 - 3 L 20/08 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe ergeben nicht, dass das Verwaltungsgericht Leipzig die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 30.10.2007 gegen Nummern 1 und 2 des Bescheids des Antragsgegners vom 22.3.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.10.2007 zu Unrecht wiederhergestellt beziehungsweise angeordnet hat.

Im Beschwerdeverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO darauf beschränkt, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts anhand derjenigen Gründe nachzuprüfen, die der Beschwerdeführer innerhalb der einmonatigen Begründungfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO darlegt. Dabei können nur Gründe berücksichtigt werden, deren Vortrag den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügt. Nach dieser Vorschrift muss die Beschwerdebegründung die Gründe darlegen, aus denen die angefochtene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit dieser Entscheidung auseinandersetzen. Dies bedeutet, dass die Beschwerdebegründung auf die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts eingehend aufzeigen muss, weshalb sie der Beschwerdeführer für unzutreffend hält.

Das Verwaltungsgericht Leipzig hat die aufschiebende Wirkung der am 30.10.2007 erhobenen Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22.3.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.10.2007 wiederhergestellt, soweit gegen den Antragsteller erkennungsdienstliche Maßnahmen angeordnet wurden, und angeordnet, soweit diesem Zwangsmittel angedroht wurden, weil nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung die Maßnahmen rechtswidrig sein dürften. Die Voraussetzungen für die Durchführung präventiv-polizeilicher erkennungsdienstlicher Maßnahmen nach § 81b 2. Alt. StPO dürften - so das Verwaltungsgericht Leipzig - nicht vorliegen. Es seien keine hinreichend gewichtigen Anhaltspunkte ersichtlich, die im Rahmen der zu treffenden Prognoseentscheidung des Antragsgegners die Annahme rechtfertigten, dass der Antragsteller in Zukunft strafrechtlich in einer Weise in Erscheinung treten werde, die die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nach § 81b 2. Alt. StPO begründen könnte. Der Antragsgegner habe im Rahmen der zu treffenden Entscheidung Art und Schwere der dem Antragsteller zu Last gelegten Taten nicht ausreichend gewürdigt. Darüber hinaus habe der Antragsgegner im Rahmen seiner Prognoseentscheidung mit Blick auf künftig zu erwartende Straftaten die Persönlichkeit des Täters nicht zutreffend gewürdigt.

Das Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, die Richtigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen in Frage zu stellen.

Gemäß § 81b 2. Alt. StPO dürfen, sofern es für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist, Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen sowie Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden. Da der Antragsteller zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Maßnahmen Beschuldigter eines gerichtlichen Verfahrens war, ist insoweit nicht auf die landesrechtliche Regelung des § 20 SächsPolG abzustellen, auch wenn der Antragsteller im Verlauf des Verwaltungsverfahrens durch Abschluss des Verfahrens vor dem Strafgericht seine Eigenschaft als Beschuldigter verloren hat (BayVGH, Beschl. v. 17.11.2008 - 10 C 08.2872 -, zitiert nach juris; BVerwG, Urt. v. 23.11.2005, NJW 2006, 1225). Die hiernach möglichen Maßnahmen können allerdings nur angeordnet werden, wenn sie notwendig sind. Dies bemisst sich danach, ob der Sachverhalt, der anlässlich des gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahrens festgestellt wurde, nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Beschuldigte in den Kreis Verdächtiger einer noch aufzuklärenden anderen strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen - den Beschuldigten letztlich überführend oder entlastend - fördern könnten.

Bei der nach kriminalistischer Erfahrung anzustellenden Prognoseentscheidung, deren gerichtliche Kontrolle sich lediglich darauf beschränkt, ob die Prognose auf zutreffender Tatsachengrundlage beruht und ob sie nach gegebenem Erkenntnisstand unter Einbeziehung des kriminalistischen Erfahrungswissens sachgerecht und vertretbar ist (vgl. OVG Saarland, Beschl. v. 13.3.2009 - 3 B 34/09 -, zitiert nach juris), sind alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Art, Schwere und Begehungsweise der dem Beschuldigten zu Last gelegten Straftaten, seine Persönlichkeit und der Zeitraum, während dessen er strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist, als Anhaltspunkte für die Annahme heranzuziehen, ob der Beschuldigte künftig oder gegenwärtig mit guten Gründen in den Kreis Verdächtiger einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden darf. Die Anforderungen an die zu treffende Prognoseentscheidung, insbesondere an die hierbei zu beachtende Wiederholungsgefahr, sind um so geringer, je höherwertiger das gefährdete Rechtsgut ist (BayVGH, a. a. O.). Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der präventive Charakter der erkennungsdienstlichen Maßnahmen verlangen ferner eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer effektiven Verhinderung und Aufklärung von Straftaten und dem Interesse des Beschuldigten, nicht als potenzieller erneuter Rechtsbrecher behandelt zu werden (BVerwG, a. a. O.; NdsOVG, v. 20.11.2008 - 11 ME 297/08 -, zitiert nach juris).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Leipzig nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner hat hierzu darauf hingewiesen, dass die Wiederholungsgefahr bei einem Betäubungsmitteldelikt, insbesondere bei den hier konsumierten Betäubungsmitteln Crystal und Extacy, wegen des darin zu Tage tretenden Suchtpotenzials besonders hoch sei. Dies wiederum führe bei einem Rückfall dazu, dass in strafrechtlich relevanter Weise der Suchtkonsum grundsätzlich durch die Beschaffung dieser Betäubungsmittel sichergestellt werden müsse. Trotz beim Antragsteller zu erkennender Anhaltspunkte für eine positive Sozialprognose sei der therapeutische Erfolg der begonnenen Behandlungsmaßnahmen noch offen. Gerade bei jugendlichen Konsumenten - wie bei dem Antragsteller - könnten insbesondere die dem jugendlichen Alter geschuldete Labilität und die hier vom Jugendrichter festgestellte Reifeverzögerung den Behandlungserfolg gefährden. Auch die geordneten Lebensverhältnisse des Antragstellers böten keine Gewähr dafür, dass dieser nicht in alte Suchtstrukturen zurückfalle. Daher lägen beim Antragsteller hinreichende Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass er in Bezug auf Betäubungsmitteldelikte erneut straffällig werden könnte. Für die erkennungsdienstlichen Maßnahmen bestehe im Übrigen auch wegen des Gefahrenpotenzials des Konsums illegaler Betäubungsmittel, der entsprechenden Marktstrukturen und der darauf aufbauenden Vorgaben des Gesetzgebers ein überragendes öffentliches Bedürfnis.

Mit diesem Vorbringen kann die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Leipzig allerdings nicht in Frage gestellt werden. Es ist zwar allgemein nicht von der Hand zu weisen, dass eine kriminalpolizeiliche Einschätzung auf die besonderen Suchtgefahren bei Betäubungsmittelkonsum und die daraus folgende erhöhte Wiederholungsgefahr abstellen kann. Auch kann aus dem jugendlichen Alter des Beschuldigten und einer Reifeverzögerung auf eine erhöhte Wiederholungsgefahr geschlossen werden (vgl. hierzu BayVGH, Beschl. v. 15.7.2009 - 10 CS 09.1433 - , zitiert nach juris). Schließlich ist auch gerichtlich anerkannt, dass Betäubungsmitteldelikte wegen ihrer statistisch signifikant erhöhten Rückfallgefahr bereits bei erstmaliger Begehung die Annahme einer Wiederholungsgefahr nahelegen (vgl. OVG Saarland, a. a. O.). Allerdings befreit das den Antragsgegner nicht von der Pflicht, alle Umstände des Einzelfalls in seine Prognoseentscheidung einzubeziehen. In diesem Zusammenhang hat Berücksichtigung zu finden, dass der Antragsteller zum für die Beurteilung insofern maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. OVG Saarland, a. a. O.; NdsOVG, a. a. O.) seit längerem einer geregelten beruflichen Tätigkeit nachgeht, mit professioneller Unterstützung keine Betäubungsmittel mehr zu sich nimmt und augenscheinlich auch keinen Kontakt zu dem entsprechenden Milieu mehr pflegt (vgl. zum Zeitmoment jüngst SächsOVG, Beschl. v. 6.1.2009 - 3 D 12/08 -). Darüber hinaus dürfte angesichts seines Alters davon auszugehen sein, dass die seinerzeit möglicherweise festgestellten Reifedefizite zwischenzeitlich behoben sind und daher dem Antragsteller nicht mehr entgegengehalten werden können. Schließlich hatte auch keine hinreichende Würdigung gefunden, dass sich der Antragsteller mit dem unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln einer Straftat schuldig gemacht hat, die nach der Wertung des Gesetzgebers ein geringeres Gefährungspotential aufweist als andere, im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln begangene Straftaten, zumal der Antragsteller zu Recht darauf hingewiesen hat, dass er - anders als in der Beschwerdebegründung vom 26.5.2008 vorgetragen - bislang keinen Anlass für die Vermutung gegeben habe, er werde in Zukunft Straftaten im Zusammenhang mit der Beschaffung unerlaubter Betäubungsmittel begehen können. Die Hinweise des Antragsgegners darauf, der therapeutische Erfolg sei noch nicht nachgewiesen, auch in geordneten Lebensverhältnissen seien Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz nicht auszuschließen, der Konsum von Betäubungsmittel stelle ein erhebliches Suchtpotenzial dar und im Hinblick auf das Gefahrenpotenzial des Konsums illegaler Betäubungsmittel bestehe ein überragendes öffentliches Bedürfnis an der Sammlung erkennungsdienstlicher Unterlagen über den Antragsteller, stellen Überlegungen generalpräventiver Natur dar, lassen aber nicht erkennen, dass sich der Antragsgegner mit den besonderen Umständen des vorliegenden Falls befasst hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Absätze 1, 2 GKG i. V. m. Nr. 35.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 7./8.7.2004 beschlossenen Änderungen (Streitwertkatalog 2004; abgedruckt in NVwZ 2004, 1327). Der hiernach anzusetzende Auffangstreitwert i. H. v. 5.000,00 € ist gemäß Nr. 1.5 Streitwertkatalog 2004 zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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