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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 11.12.2008
Aktenzeichen: 4 B 141/06
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, URaG


Vorschriften:

VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 2
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO § 173
ZPO §§ 239 ff
URaG Art 1 § 4 Abs. 3
1. Mit der im Rahmen der Verwaltungsreform vorgenommenen - auch organisatorischen - Neustrukturierung der behördlichen Zuständigkeiten im Freistaat Sachsen sollte ersichtlich ein umfassender Übergang der Sachbefugnis in allen von dem Gesetz zur Neuordnung der Sächsischen Verwaltung vom 29.1.2008 - SächsVwNG - angesprochenen Sachgebieten einher gehen.

2. Eine Gefährdungslage i. S. v. Art. 1 § 4 Abs. 3 URaG liegt schon dann vor, wenn aufgrund tatsächlicher Umstände ein Schadensverdacht begründet ist.


SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 4 B 141/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Altlasten-Freistellung

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 4. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Künzler, den Richter am Oberverwaltungsgericht Meng und den Richter am Oberverwaltungsgericht Heinlein

am 11. Dezember 2008

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 10. Januar 2006 - 13 K 795/06 - wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht.

Der Streitwert für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht wird auf 40.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

Der zulässige Antrag des im Wege des Parteiwechsels in den Verwaltungsrechtsstreit eingetretenen Beklagten (siehe 1.) ist nicht begründet; die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; siehe 2.), der besonderen Schwierigkeiten und der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO) liegen nicht vor (siehe 3.).

1. Mit Wirkung vom 1.8.2008 ist in dem Verfahren ein gesetzlicher Parteiwechsel (§ 173 VwGO i. V. m. §§ 239 ff ZPO) eingetreten; der Landkreis Görlitz ist an Stelle des Freistaats Sachsen, vertreten durch das Regierungspräsidium Dresden als Beklagter getreten. Das Rubrum des Verfahrens ist entsprechend zu ändern.

Nach den zum 1.8.2008 in Kraft getretenen Regelungen in § 13 Abs. 1 Nr. 3, § 13 a Abs. 1 des Sächsischen Abfallwirtschafts- und Bodenschutzgesetzes - SächsABG - (Art. 67 Nr. 6, Art. 81 des Gesetzes zur Neuordnung der Sächsischen Verwaltung vom 29.1.2008 - SächsVwNG -) sind für den Vollzug von u.a. dem Umweltrahmengesetz die Landkreise und kreisfreien Städte als untere Verwaltungsbehörden zuständig, soweit nichts anderes bestimmt ist. Eine i. d. S. andere Bestimmung wurde in der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Umwelt und Landwirtschaft über die Zuständigkeiten bei der Durchführung abfallrechtlicher und bodenschutzrechtlicher Vorschriften vom 26.6.2008 nicht getroffen. Der Zuständigkeitswechsel betrifft auch Verfahren, bei denen - wie hier - vor dem 1.8.2008 eine behördliche Entscheidung getroffen wurde. Mit der im Rahmen der Verwaltungsreform vorgenommenen - auch organisatorischen - Neustrukturierung der behördlichen Zuständigkeiten im Freistaat Sachsen sollte ersichtlich ein umfassender Übergang der Sachbefugnis in allen von dem SächsVwNG angesprochenen Sachgebieten einher gehen. Der umfassende Übergang der Sachbefugnis bewirkt einen Funktionswechsel, mit der Folge des Eintritts in die aus einer früheren Aufgabenerledigung erwachsenen Rechte und Pflichten (siehe dazu: BVerwG, Beschl. v. 6.4.1992, NVwZ-RR 1992, 428; Urt. v. 2.11.1973, BVerwGE 44, 148).

2. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils sind nicht wegen der Einwendung des Beklagten veranlasst, das Verwaltungsgericht habe die Ablehnung des Antrags der Klägerin auf Freistellung von der zivilrechtlichen Haftung fehlerhaft aufgehoben. Das Verwaltungsgericht dürfte vielmehr zu Recht beanstandet haben, dass der Beklagte die ablehnende Entscheidung fehlerhaft mit dem Ausschluss einer Gefährdungslage begründet hat. Eine Gefährdungslage i. S. v. Art. 1 § 4 Abs. 3 URaG liegt schon dann vor, wenn aufgrund tatsächlicher Umstände ein Schadensverdacht begründet ist.

Nach Art 1 § 4 Abs. 3 Satz 1 URaG sind Eigentümer, Besitzer und Erwerber von Anlagen und Grundstücken, die gewerblichen Zwecken dienen oder im Rahmen wirtschaftlicher Unternehmungen Verwendung finden, für die durch den Betrieb der Anlage oder der Benutzung des Grundstücks vor dem 1.7.1990 verursachten Schäden nicht verantwortlich, soweit die zuständige Behörde im Einvernehmen mit der obersten Landesbehörde sie von der Verantwortung freistellt. Entsprechende Anträge konnten bis zum 29.3.1992 gestellt werden (Art. 1 § 4 Abs. 3 Satz 4 URaG), wobei im Freistaat Sachsen eine Suspendierung von dieser Antragsfrist erfolgte (§ 10 Abs. 6 des Ersten Gesetzes zur Abfallwirtschaft und zum Bodenschutz im Freistaat Sachsen). Der Zweck dieser Regelung ist die Beseitigung von Investitionshemmnissen und die Herstellung eines Investitionsschubes gerade im Anlaufzeitraum nach der Wiedervereinigung (BVerwG, Beschl. v. 20.12.2006 - 7 B 42/06 - zitiert nach juris; SächsOVG, Beschl. v. 5.1.1999, SächsVBl. 1999, 168). Mit der Freistellung soll der Investor vor Risiken befreit werden, mit denen seine Investitionsentscheidung ansonsten behaftet wäre. Solche Risiken bestehen gerade dann, wenn der Investor aufgrund tatsächlicher Umstände von der Begründetheit eines Schadensverdachtes ausgehen muss. Ein solcher konkreter Schadensverdacht dürfte hier im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens des Widerspruchsbescheids vom 24.2.2004 vorgelegen haben.

Die Klägerin hat am 30.12.1992 von der AG und der Treuhandanstalt den Betriebsteil des Geschäftsbetriebs der "Herstellung und Verkauf von Wasch-, Putz- und Reinigungsmittel" übernommen. Die AG erklärte dabei, dass hinsichtlich der verkauften Grundstücke das Bestehen von Altlasten nicht ausgeschlossen werden könne. Bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten (siehe dazu: BVerwG, Beschl. v. 20.12.2006, a. a. O.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 26.1.2006 - 11 B 3.05 - zitiert nach juris) wurde diese Altlastensituation nicht aufgeklärt (zur Frage der behördlichen Ermittlung: Michel, Altlastenfreistellung in der Rechtsprechung, LKV 2000, 465 <466>). Allerdings lagen tatsächliche Umstände vor, aufgrund derer ein Schadensverdacht begründet war. Das Staatliche Umweltfachamt Bautzen hat in seiner Stellungnahme vom 13.8.2002 etwa darauf hingewiesen, dass verschiedene Fragen zur Gefährdungssituation nicht vollständig und abschließend geklärt seien. Auch hinsichtlich der Flurstücke der Klägerin wird in der Stellungnahme auf die Erforderlichkeit einer belastbaren abschließenden Gefährdungsabschätzung hingewiesen. Dieser Auffassung hat sich das Landratsamt Löbau-Zittau in seinem Schreiben an das Regierungspräsidium Dresden vom 1.10.2002 ausdrücklich angeschlossen. Dass bei einer solchen Sachlage der Beklagte die Freistellung nicht mit der Begründung einer nicht bestehenden Schadenslage ablehnen konnte, ist nicht ernsthaft zweifelhaft.

Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung bestehen auch nicht wegen der Einwendung des Beklagten, wonach eine Aufhebung des Bescheids allenfalls hinsichtlich der abgelehnten Freistellung von der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit, nicht jedoch insgesamt hätte vorgenommen werden dürfen. Mit dem Bescheid sei neben der Ablehnung der Freistellung von der zivilrechtlichen Freistellung eine Entscheidung über die Freistellung von der Kostenlast getroffen und schließlich ein Eigenanteil der Klägerin festgesetzt worden. Selbst wenn die Ablehnung der zivilrechtlichen Freistellung rechtswidrig wäre, hätte eine Aufhebung auch nur insoweit erfolgen dürfen. Entgegen der Auffassung des Beklagten liegt hier kein teilbarer, sondern ein unteilbarer Ermessensakt vor, der von dem Gericht nicht teilweise aufgehoben werden kann.

Nach Art. 1 § 4 Abs. 3 Satz 2 URaG kann die Freistellung erfolgen, wenn dies unter Abwägung der Interessen des Eigentümers, des Besitzers, des Erwerbers, der durch den Betrieb der Anlage oder die Benutzung des Grundstücks möglicherweise Geschädigten, der Allgemeinheit und des Umweltschutzes geboten ist. Die Regelung räumt der Behörde nach ihrem Wortlaut Ermessen ein; das eingeräumte Ermessen ist nicht eingeschränkt auf eine Freistellungsentscheidung ausgerichtet (BVerwG, a. a. O.; OVG M-V, Urt. v. 8.3.2007 - 3 L 110/97 - zitiert nach juris). Bei der Ermessensausübung sind die in der Regelung angesprochenen - gegenläufigen - Interessen, die in den Hinweisen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Auslegung der sog. Freistellungsklausel im Einigungsvertrag (VIZ 1991, 101) konkretisiert werden, abzuwägen. Ergebnis der Abwägung kann die Ablehnung einer Freistellung, eine vollständige Freistellung von der ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit oder eine teilweise Freistellung sein. Die teilweise Freistellung enthält typischerweise mehrere Teilregelungen, wie etwa eine Freistellung - gfls. beschränkt auf die Kostenlast - unter Festsetzung eines Eigenanteils und unter weiteren Auflagen. Die Teilregelungen sind insgesamt das Ergebnis des Abwägungsvorgangs. Bei Ermessensakten bilden der - allein gerichtliche überprüfbare - Abwägungsvorgang und der "Ergebnisspruch" eine Einheit. Ist daher der Abwägungsvorgang fehlerhaft, so führt dies zur Aufhebung des "Ergebnisspruchs". Eine Teilaufhebung des Ergebnisspruchs kann nur dann ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Behörde die weiteren Teilregelungen auch ohne die aufgehobene Teilregelung getroffen hätte. Die Voraussetzungen einer Teilaufhebung liegen hier nicht vor.

Die Behörde hat eine teilweise Freistellung getroffen, indem sie im Wesentlichen eine Freistellung von der Kostenlast, die Festsetzung eines Eigenanteils, die Ablehnung der Freistellung von der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit und mehrere Auflagen verfügt hat. Die Teilregelungen insgesamt sind das Ergebnis der behördlichen Abwägung der Interessen i. S. v. Art. 1 § 4 Abs. 3 Satz 2 URaG. Mit der Gesamtheit der Teilregelungen sollte der Vielzahl der vorhandenen Interessen aus Sicht der Behörde Rechnung getragen werden. Anhaltspunkte dafür, dass bei Aufhebung der Teilregelung "Ablehnung der Freistellung von der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit" die übrigen Teilregelungen gleichwohl inhaltsgleich getroffen worden wären, liegen nicht vor.

3. Bestehen damit an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung keine ernstlichen Zweifel, so kann die Berufung auch nicht wegen der geltend gemachten besonderen Schwierigkeiten der Rechtssache zugelassen werden. Aus den unter 2. genannten Gründen ergibt sich, dass solche Schwierigkeiten nicht vorliegen. Daraus ergibt sich auch, dass die Rechtssache keine entscheidungserheblichen grundsätzlichen Fragen aufwirft, die nur in einem Berufungsverfahren zu klären wären.

Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen Die Festsetzung des Streitwerts für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht beruht auf § 72 GKG i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG und geht von dem vom Verwaltungsgericht für das erstinstanzliche Verfahren festgesetzten Streitwert aus, gegen den die Beteiligten keine Einwände erhoben haben.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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