Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 18.02.2005
Aktenzeichen: 4 B 421/04
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 61 Nr. 2
VwGO § 63 Nr. 3
VwGO § 65
ZPO § 239
ZPO § 246
ZPO § 512
1. Mit dem Ende der Wahlperiode eines Gemeinderates und dem Beginn der sich daran anschließenden Wahlperiode des neuen Gemeinderates hat eine Fraktion ihren Zweck erreicht und besteht als Träger gemeindeinterner Mitwirkungsbefugnisse nicht mehr weiter. Mit ihrer Beendigung ist sie als ein in ein verwaltungsgerichtliches Verfahren einbezogener Beteiligter gleichsam "weggefallen", wodurch auch ihre Beteiligungsfähigkeit nach § 61 Nr. 2 VwGO entfallen ist.

2. Beiladungsbeschlüsse eines Verwaltungsgerichts sind nach § 65 Abs. 4 Satz 3 VwGO unanfechtbar und unterliegen damit nach § 173 VwGO i.V.m. § 512 ZPO nicht der Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts.

3. Entfällt die Beteiligungsfähigkeit eines erstinstanzlich Beigeladenen in der Rechtsmittelinstanz, dann kann zur Klarstellung des in der Rechtsmittelinstanz bestehenden wirklichen Prozessverhältnisses diese Beiladung für das Rechtsmittelverfahren aufgehoben werden; dies gilt nicht, wenn der Beigeladene bereits ein Rechtsmittel eingelegt hat.


SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

wegen der Wahl von Beigeordneten durch einen Stadtrat

hier: Beiladung

hat der 4. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Künzler, den Richter am Oberverwaltungsgericht Rottmann und den Richter am Verwaltungsgericht Wefer am 18. Februar 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Beiladungen der Beigeladenen zu 8. bis 10. durch die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Dresden vom 13. Januar 2003 und 27. Januar 2004 - 12 K 2496/01 - sind in dem Berufungsverfahren 4 B 421/04 unwirksam.

Gründe:

Die von dem Verwaltungsgericht Dresden beschlossenen Beiladungen der Beigeladenen zu 8. bis 10. sind für das Berufungsverfahren 4 B 421/04 unwirksam, weil diese beigeladenen Fraktionen des Stadtrates der Landeshauptstadt Dresden mit dem Ende der Wahlperiode aufgelöst und nicht mehr beteiligungsfähig nach § 61 Nr. 2 VwGO sind.

Nach § 65 Abs. 1 VwGO kann das Gericht Dritte beiladen, wenn deren Interessen durch die Entscheidung berührt werden; nach § 65 Abs. 2 VwGO muss die Beiladung erfolgen, wenn die Entscheidung auch dem Beigeladenen gegenüber nur einheitlich erfolgen kann. Durch die Beiladung erlangt der Beigeladene nach § 63 Nr. 3 VwGO die prozessuale Stellung eines Beteiligten des Verwaltungsstreitverfahrens. Beteiligter eines solchen Verfahrens kann nur sein, wer nach § 61 VwGO beteiligtenfähig ist. Eine solche Beteiligtenfähigkeit, die in jedem Verfahrensstadium von Amts wegen zu prüfen ist, haben die Beigeladenen zu 8. bis 10. hier nicht mehr, weil ihre rechtliche Existenz mit Ablauf der Wahlperiode des Stadtrates zum 30.6.2004 geendet hat.

Fraktionen innerhalb des Gemeinde- oder Stadtrates (§ 27 Abs. 2 SächsGemO) werden in den Regelungen der SächsGemO zwar nicht ausdrücklich angesprochen, sind jedoch gleichwohl als vertragliche Zusammenschlüsse von mindestens zwei Gemeinderäten zulässig (Gern, Sächsisches Kommunalrecht, 2. Aufl., RdNr. 460 m.w.N.). Zweck einer solchen Fraktionsbildung ist insbesondere die Gewährleistung einer gleichgerichteten und damit wirksamen politischen Ausübung der ihren Mitgliedern zustehenden Kompetenzen sowie die Steuerung des Ablaufs der Meinungsbildung und Beschlussfassung im Gemeinderat. Daraus folgt, dass eine Fraktion nur für die Dauer der Wahlperiode des Gemeinderates angelegt sein kann; mit dem Ende der Wahlperiode und dem Beginn der sich daran anschließenden Wahlperiode des neuen Gemeinderates hat sie ihren Zweck erreicht und besteht als Träger gemeindeinterner Mitwirkungsbefugnisse nicht mehr weiter. Mit ihrer Beendigung ist sie als ein in ein verwaltungsgerichtliches Verfahren einbezogener Beteiligter gleichsam "weggefallen", wodurch auch ihre Beteiligungsfähigkeit nach § 61 Nr. 2 VwGO entfallen ist (NdsOVG, Beschl. v. 17.1.2002, NdsVBl. 2002, 135; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 27.3.1990, NVwZ-RR 1990, 505; HessVGH, Urt. v. 3.9.1985, NVwZ 1986, 328; jeweils m.w.N.).

Die Auflösung einer beteiligungsfähigen Vereinigung hat in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren den Wegfall eines Beteiligten zur Folge. Angesprochen ist damit zum einen der Wegfall der Beteiligungsfähigkeit nach § 61 Nr. 2 VwGO und des Weiteren der Wegfall eines Beteiligten i.S.v. § 63 VwGO (Czybulka, in: NK-VwGO, § 61 RdNr. 10). Wegen des Wegfalls der Beteiligungsfähigkeit nach § 61 Nr. 2 VwGO fehlt es an einer Sachurteilsvoraussetzung, weshalb eine Sachentscheidung dem nicht Beteiligungsfähigen gegenüber nicht ergehen kann (Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 62 RdNr. 15). Fehlt einem Beigeladenen die Fähigkeit an einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren i.S.v. § 61 VwGO beteiligt zu sein und als dritte Person in einen anhängigen Prozess einbezogen zu werden, so ist dessen Beiladung unwirksam (BVerwG, Beschl. v. 17.10.1985, NVwZ 1986, 555). Zwar enthalten die §§ 239 ff. ZPO, die nach § 173 VwGO auch bei der Auflösung einer Vereinigung nach § 61 Nr. 2 VwGO entsprechende Anwendung finden, Sonderregelungen, aufgrund derer ungeachtet des Fehlens einer Sachurteilsvoraussetzung eine Sachentscheidung nicht ausgeschlossen, sondern das Verfahren zu einem - vorläufigen - rechtlichen Stillstand oder - im Falle der Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten nach § 246 Abs. 1 ZPO - fortgeführt werden kann (Czybulka, aaO). Daraus folgt jedoch nicht, dass in Fällen wie hier, ein Verwaltungsrechtsstreit unter Einbeziehung der durch einen Prozessbevollmächtigten vertretenen und nicht mehr beteiligungsfähigen Beigeladenen fortgeführt werden könnte (zur Verfahrensunterbrechung bei Tod eines notwendig Beigeladenen sh.: BVerwG, Beschl. v. 23.10.1998, Buchholz 310 § 65 VwGO Nr. 129).

Der in § 246 Abs. 1 ZPO angesprochene Ausschluss einer Unterbrechung des Verfahrens setzt, wie sich aus der Verweisung auf § 239 ZPO ergibt, den Nachfolgetatbestand der Rechtsnachfolge voraus (Feiber, in: Münchener Kommentar, ZPO, 1992, Band 1, § 239 RdNr. 15 und § 246 RdNr. 12). Eine Anwendung der §§ 239, 246 ZPO kommt demnach nicht in Betracht, wenn eine Rechtsnachfolge nicht eintreten kann (zur Frage der Notwendigkeit einer Ge-samtrechtsnachfolge: Schenke, in: aaO, § 63 RdNr. 11 m.w.N.). Ein solcher Nachfolgetatbestand ist hier nicht gegeben, weil die beigeladenen Fraktionen als freiwilliger Zusammenschluss ihrer Mitglieder - anders als Bundestagsfraktionen (§ 46 Abs. 1 AbgG) und Fraktionen des Sächsischen Landtags (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Sächs. Fraktionsrechtsstellungsgesetz) - nicht rechtsfähig sind. Damit kann eine Rechtsnachfolge durch die Bildung einer neuen Fraktion nicht eintreten, weshalb eine entspr. Anwendbarkeit der Regelungen in §§ 239, 246 ZPO hier nicht in Betracht kommt.

Eine Beiladung der für die am 1.7.2004 begonnene weitere Wahlperiode (§ 33 Abs. 1 und 2 Satz 1 SächsGemO) neu gebildeten Fraktionen nach § 65 VwGO kann des Weiteren ebenfalls nicht erfolgen, weil deren Beiladungsfähigkeit ebenso wenig wie diejenige für die Beigeladenen zu 8. bis 10. gegeben ist.

Nach § 65 VwGO kann - auch von Amts wegen - nur eine "andere" Person beigeladen werden. Angesprochen ist damit eine Personenverschiedenheit von den Hauptbeteiligten Kläger und Beklagter. Beklagter des (hier angesprochenen) Organstreitverfahrens ist der Stadtrat der Landeshauptstadt Dresden, mithin das gemeindliche Hauptorgan nach § 27 Abs. 1 SächsGemO. Die Fraktionen innerhalb dieses Hauptorgans sind als Zusammenschluss von Gemeinderäten, somit von Organteilen des Hauptorgans Stadtrat, selbst Organteile des Stadtrates (Gern, aaO, RdNr. 460 m.w.N.). Als Organteile des Hauptorgans sind sie bereits über dessen Prozessbeteiligung in den Rechtsstreit einbezogen und Zurechnungssubjekte des streitigen Rechtsverhältnisses. Von einer Bindungswirkung einer Entscheidung des Rechtsstreites werden sie aufgrund dieser Prozessbeteiligung ohnehin erfasst. Als Teil des beklagten Hauptorgans sind sie von diesem nicht personenverschieden und damit auch kein "anderer" i.S. von § 65 VwGO (sh. dazu: BVerwG, Beschl. v. 12.8.1981, NVwZ 1982, 243; Czybulka, in: NK-VwGO, § 65 RdNr. 73).

Obgleich somit die Voraussetzungen für eine Beiladung nach § 65 VwGO nicht vorlagen - den angesprochenen Beiladungsbeschlüssen lässt sich nicht entnehmen, ob einfache (§ 65 Abs. 1 VwGO) oder notwendige Beiladungen (§ 65 Abs. 2 VwGO) beschlossen wurden - kann eine Aufhebung dieser Beschlüsse von Amts wegen durch den Senat nicht erfolgen. Denn die Beiladungsbeschlüsse des Verwaltungsgerichts sind nach § 65 Abs. 4 Satz 3 VwGO unanfechtbar und unterliegen damit nach § 173 VwGO i.V.m. § 512 ZPO nicht der Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts.

Nach der in § 512 ZPO angesprochenen Regelung unterliegen Entscheidungen, die dem Endurteil vorausgegangen sind, der Beurteilung des Berufungsgerichts, sofern sie u.a. nicht unanfechtbar sind; einer Prüfungsbefugnis entzogen sind damit auch erstinstanzlich ergangene unanfechtbare Vorabentscheidungen. Der Beiladungsbeschluss nach § 65 Abs. 1 oder 2 VwGO ist eine solche der Prüfungsbefugnis des Berufungsgerichts entzogene Vorabentscheidung, da er zum einen nach § 65 Abs. 4 Satz 3 VwGO unanfechtbar ist und zudem einem erstinstanzlichen Urteil voraus geht. Denn durch die Beiladung wird die Rechtskraftwirkung eines Urteils nach § 121 VwGO auf den Beigeladenen - subjektiv - erstreckt; der Beiladungsbeschluss bezieht sich damit als eine dem Urteil vorausgegangene Entscheidung auf dieses und dessen Wirkungen. Eine Nachprüfbarkeit von dessen Rechtmäßigkeit kann durch das Berufungsgericht somit nicht erfolgen, weshalb ein erstinstanzlicher Beiladungsbeschluss im Berufungsverfahren nicht aufgehoben werden kann (zur Frage der Befugnis des Revisionsgerichts im Rahmen des Nichtzulassungsverfahrens einen Beiladungsbeschluss aufzuheben: BVerwG, Beschl. v. 3.8.1990, Buchholz 310 § 65 VwGO Nr. 99; May, Die rechtswidrige Beiladung im Revisionsverfahren, NVwZ 1997, 251; zur grdstzl. Problematik sh.: Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 65 RdNr. 40 m.w.N.).

Wegen dieser nicht möglichen Aufhebung der erstinstanzlichen Beiladungsbeschlüsse folgt allerdings hier nicht, dass die beschlossenen Beiladungen in diesem Berufungsverfahren aufrecht zu erhalten sind. Denn eine weitere Einbeziehung der mit Ablauf der Wahlperiode aufgelösten Fraktionen als Beigeladene in das Berufungsverfahren kann wegen deren fehlender Beteiligungsfähigkeit nicht bestehen bleiben.

Wird ein nicht Beteiligungsfähiger nach § 65 VwGO beigeladen, dann ist der Beiladungsbeschluss - wie angesprochen - unwirksam; zur Klarstellung des wirklichen Prozessverhältnisses kann dieser unwirksame Beiladungsbeschluss - deklaratorisch - aufgehoben werden (BVerwG, Beschl. v. 17.10.1985, aaO). Nichts anderes kann jedoch gelten, wenn der Beigeladene zunächst beteiligungsfähig war und diese Beteiligungsfähigkeit in der Rechtsmittelinstanz entfallen ist. Auch in diesem Fall kann er als nicht Beteiligungsfähiger nicht - weiter - in ein verwaltungsgerichtliches Verfahren als Beteiligter einbezogen sein. Ebenso wie im Fall der bereits erstinstanzlich fehlenden Beteiligungsfähigkeit ist auch bei einer zunächst vorliegenden und dann in der Rechtsmittelinstanz wegfallenden Beteiligungsfähigkeit eines Beigeladenen dessen Beiladung unwirksam. Daher kann auch in diesem Fall zur Klarstellung des in der Rechtsmit-telinstanz bestehenden wirklichen Prozessverhältnisses diese Beiladung für das Rechtsmit-telverfahren aufgehoben werden (im Ergebnis entsprechend durch eine Aufhebung eines Bei-ladungsbeschlusses mit Wirkung ex-nunc: OVG Saarland; Beschl. v. 22.1.2001, - 3 V 5/01 - zitiert nach juris; sh. dazu auch: OVG Saarland, Urt. v. 18.10.2002, - 2 Q 3/02 - zitiert nach juris).

Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn der Beigeladene bereits ein Rechtsmittel eingelegt hat. Eine Aufhebung der Beiladung hätte in diesem Fall zur Folge, dass damit zugleich die Statthaftigkeit seines Rechtsmittels entfiele (Czybulka, aaO, § 66 RdNr. 15). Ob ein Rechtsmittel zulässig und insbesondere statthaft ist, kann jedoch nur in einem Rechtsmittelverfahren nach den dafür geltenden Regelungen - bei einem Berufungsverfahren nach den §§ 124 ff. VwGO - entschieden werden. Da insoweit auch das Bestehen einer Beteiligungsfähigkeit Verfahrensgegenstand ist, gilt der Beigeladene bis zu einer Entscheidung hierüber als beteiligungsfähig. Demzufolge kann eine Beiladung in einem Berufungsverfahren, das von einem Beigeladenen als Berufungskläger geführt wird, von dem Berufungsgericht nicht außerhalb einer Berufungsentscheidung aufgehoben werden (OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 9.8.1961, MDR 1962, 162; Czybulka, aaO, § 65 RdNr. 184). Da die Beigeladene zu 7. hier Berufungsklägerin ist, kann daher ihre Beiladung - anders als die Beiladungen der Beigeladenen zu 8. bis 10. - nicht aufgehoben werden. Vielmehr gilt sie bis zu einer Entscheidung in dem von ihr geführten Rechtsmittelverfahren als beteiligungsfähig.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).



Ende der Entscheidung

Zurück