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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 18.08.2008
Aktenzeichen: 5 A 254/08
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 60 Abs. 1
Beruht eine Fristversäumung auf Fehlern des Gerichts, sind die Anforderungen an eine Wiedereinsetzung mit besonderer Fairness zu handhaben. Aus Fehlern des Gerichts dürfen keine Verfahrensnachteile für die Beteiligten abgeleitet werden (wie BVerfG, Beschl. v. 26.2.2008, NJW 2008, 2167). Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Fehler des Gerichts nur mitursächlich für die Versäumung der Frist war.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 5 A 254/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Straßenausbaubeitrags; Antrag auf Zulassung der Berufung

hier: Wiedereinsetzungsantrag

hat der 5. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Raden, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dehoust und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Düvelshaupt

am 18. August 2008

beschlossen:

Tenor:

Auf Antrag der Beklagten wird ihr Wiedereinsetzung in die am 16. Juni 2008 abgelaufene Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung gewährt.

Gründe:

Der Beklagten ist auf deren Antrag hin Wiedereinsetzung zu gewähren, da sie ohne Verschulden verhindert war, die am 16.6.2008 abgelaufende Frist für die Begründung ihres Zulassungsantrages einzuhalten (§ 60 Abs. 1 VwGO).

Die Beklagte hatte fristgerecht mit Schriftsatz der die Sache bearbeitenden Rechtsanwältin beantragt, die Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil zuzulassen. Unmittelbar danach wurde die Tochter der die Sache bearbeitenden Rechtsanwältin aus der Universitätsklinik (Neonatologie) entlassen und die Rechtsanwältin ging in Elternzeit, um ihre Tochter zu Hause zu betreuen. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 29.5.2008 beantragt, "die Berufungsbegründungsfrist bis 28.7.2008" zu verlängern. Dies hat das Oberverwaltungsgericht mit Schriftsatz vom 5.6.2008 getan. Am 16.6.2008 lief die Frist zur Einreichung der Begründung des Zulassungsantrags ab. Am 24.7.2008 ging die Begründung des Zulassungsantrages beim Oberverwaltungsgericht ein. Die Beklagte begehrt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Die in der Verwaltungsgerichtsordnung festgelegte Möglichkeit, im Falle unverschuldeter Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, beruht auf einer Abwägung der Erfordernisse der Rechtssicherheit gegen die Forderung der materiellen Gerechtigkeit. Wiedereinsetzungsregelungen dienen somit unter Beachtung der rechtsstaatlichen Garantie der Verwirklichung der Einzelfallgerechtigkeit und einer rechtsstaatliche Anforderungen an das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 78 Abs. 2 SächsVerf) gewährleis-ten den Verfahrensgestaltung. Deshalb dürfen gesetzliche, die Wiedereinsetzung regelnde Vorschriften sowie ihre Anwendung und Auslegung die Anforderungen zur Erlangung der Wiedereinsetzung nicht überspannen (BVerfG, Beschl. v. 25.11.1994, NJW 1995, 711). Beruht eine Fristversäumung auf Fehlern des Gerichts, sind die Anforderungen an eine Wiedereinsetzung mit besonderer Fairness zu handhaben. Aus Fehlern des Gerichts dürfen daher keine Verfahrensnachteile für die Beteiligten abgeleitet werden (BVerfG, Beschl. v. 26.2.2008, NJW 2008, 2167). Hintergrund ist, dass Verfahrensbeteiligte grundsätzlich auf gerichtliche Auskünfte vertrauen dürfen.

Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist vorliegend Wiedereinsetzung zu gewähren. Zwar muss sich die Beklagte das Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten gem. § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Die sachbearbeitende Rechtsanwältin war wegen ihrer Elternzeit, die im Anschluss an den Krankenhausaufenthalt ihrer zu früh geborenen Tochter begann, gehindert, die Frist zur Begründung des Antrages auf Zulassung der Berufung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) einzuhalten. Allerdings ist insbesondere der in einer Sozietät tätige Anwalt gehalten, generell sicherzustellen, dass im Fall einer Erkrankung, eines Unfalls oder eines anderen plötzlichen und unerwarteten Hinderungsgrundes unaufschiebbare Prozesshandlungen vorgenommen werden können (vgl. OLG Dresden, Urt. v. 1.9.2005, NJW 2006, 1359). Hier hätte deshalb einer der anderen bei der Sozietät beschäftigten Rechtsanwälte die Begründung bis zum 16.6.2008 beim Oberverwaltungsgericht einreichen müssen. Auch der Antrag auf "angemessene Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 28. Juli 2008" war fehlerhaft. Das Verwaltungsgericht hatte in seiner Rechtsbehelfsbelehrung zutreffend darauf hingewiesen, dass gegen das Urteil das Rechtsmittel der Zulassung der Berufung gegeben war. Die Beklagte hatte zudem bereits zuvor mit Schreiben vom 5.5.2008 zutreffend beantragt, die Berufung gegen das angegriffene Urteil zuzulassen. Im Gegensatz zur Berufungsbegründungsfrist, die gem. § 124a Abs. 3 Satz 3 VwGO verlängert werden kann, ist eine Verlängerung der Frist zur Begründung des Zulassungsantrages nach § 124a Abs. 4 VwGO nicht möglich. All dies ist für einen Rechtsanwalt erkennbar.

Diese der Beklagten zuzurechnenden Fehler ihrer Prozessbevollmächtigten sind aber nur mitursächlich für die Versäumung der Frist nach § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO. Eine weitere und letztlich die entscheidende Ursache der Fristversäumung bildet das Schreiben des Oberverwaltungsgerichts, das fälschlich die - gar nicht laufende - Berufungsbegründungsfrist verlängert. Der Antrag auf Fristverlängerung ist beim Oberverwaltungsgericht am 29.5.2008 und damit zweieinhalb Wochen vor Ablauf der Frist zur Begründung des Zulassungsantrages eingegangen. Hätte das Oberverwaltungsgericht den Fehler der Rechtsanwältin bemerkt, hätte es - wie in vergleichbaren Fällen - umgehend darauf hingewiesen, dass ein Zulassungsantrag statthaft und die Frist nach § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht verlängerbar ist. Eine rechtzeitige Einreichung der Begründung des Zulassungsantrages durch die vertretende Rechtsanwältin wäre dann ohne weiteres noch möglich gewesen. Aus diesem Fehler des Oberverwaltungsgericht darf kein Verfahrensnachteil für die Beklagte abgeleitet werden. Die Versäumung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung war deshalb - nach dem fehlerhaften Hinweis des Oberverwaltungsgerichts - unverschuldet.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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