Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 08.12.2004
Aktenzeichen: 5 B 111/03
Rechtsgebiete: GG, GrStG, AO, GrStDV, BBewG, RBewDB, DGO


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GrStG § 41
GrStG a.F. § 12
AO § 184 Abs. 2 Satz 1
AO § 227
GrStDV 1937 § 29
GrStDV 1937 § 30
BBewG § 21
RBewDB § 33
RBewDB § 34
RBewDB § 36
DGO § 4
1. Eigentümer von Grundstücken in einem Teil einer Gemeinde, der in diese nach dem 1.1.1935 eingegliedert wurde und für den nach § 41 Satz 1 GrStG in Verbindung mit § 29 GrStDV 1937 eine höhere Steuermesszahl als für die bereits bis zum 1.1.1935 zu der Gemeinde gehörenden Teile zugrunde gelegt wird, haben einen Anspruch auf teilweisen Erlass der Grundsteuer in Höhe des sich infolge der Anwendung der höheren Steuermesszahl ergebenden Differenzbetrags (wie BVerwGE 8, 334, für die in den alten Ländern bis 1973 geltende Rechtslage).

2. Setzt der Gesetzgeber ein Regelungswerk, das bereits in einem vergangenen Zeitraum gültig war, unverändert wieder in Kraft, sind prinzipiell auch die zu den betreffenden Normen ergangenen grundlegenden obergerichtlichen und höchstrichterlichen Entscheidungen beachtlich.

3. Die Vorschriften der §§ 29 und 30 GrStDV 1937 folgen dem Grundsatz der zeitnahen Aktualisierung der Gemeindegrößenverhältnisse mit der Folge zeitnaher Vereinheitlichung der Steuermesszahlen innerhalb einer Gemeinde.

4. Der mit § 29 GrStDV 1937 verfolgte Zweck der Abmilderung von Belastungserhöhungen für Grundstücke in größeren Gemeinden aufgrund der Grundsteuerreform von 1936 tritt jedenfalls seit 1991 hinter den Grundsatz der steuerrechtlichen Binnengerechtigkeit innerhalb einer Gemeinde zurück.

5. Die Steuererlasskompetenz folgt grundsätzlich der Steuerertragskompetenz.


SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Grundsteuererlasses

hat der 5. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Raden, den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Schaffarzik aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 8. Dezember 2004 am 8. Dezember 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 10. Dezember 2002 - 8 K 1419/98 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt den teilweisen Erlass der Grundsteuer aus Billigkeitsgründen zum Ausgleich der Folgen der Anwendung unterschiedlich hoher Grundsteuermesszahlen im Bereich der Beklagten.

Die Klägerin ist Eigentümerin der im Stadtgebiet der Beklagten gelegenen Grundstücke J. straße N1 und N2 , K1 straße und K2 straße . Diese gehören zum Stadtteil S. , der früher eine eigene Stadt gebildet hatte und mit Wirkung vom 1.7.1950 in die Beklagte eingegliedert wurde. Die Stadt S. war ihrerseits aus der zum 1.10.1935 erfolgten Vereinigung der zuvor selbständigen Gemeinden S1 und S2 hervorgegangen. Diese Gemeinden hatten (nach dem Stand der allgemeinen Volkszählung vom 16.6.1933) zusammengenommen eine Einwohnerzahl von unter 25.000 Einwohnern. Mit Bescheiden vom 1.10.1997 und 4.10.1997 setzte das Finanzamt für die Grundstücke der Klägerin die Grundsteuermessbeträge auf 4.391,20 DM, 3.358,40 DM, 3.049,60 DM bzw. 1.088,- DM fest. Es ging dabei von Einheitswerten in Höhe von 548.900,- DM, 419.800,- DM, 381.200,- DM bzw. 136.000,- DM aus und vervielfältigte diese jeweils mit einer Steuermesszahl von 8 v.T. Zur Begründung wies es auf die Abstufung der Steuermesszahlen je nach Grundstücks- und Gemeindegruppen in § 29 der Verordnung zur Durchführung des Grundsteuergesetzes für den ersten Hauptveranlagungszeitraum vom 1.7.1937 - GrStDV - hin. Es ordnete insoweit die Grundstücke der Gruppe III - Geschäftsgrundstücke mit Neubauten (bezugsfertig nach dem 31.3.1924) - zu und legte die Gemeindegruppe a - bis 25.000 Einwohner - zugrunde. Mit Bescheiden vom 13.11.1997 und 27.11.1997 setzte die Beklagte für die vier Grundstücke die Grundsteuer jeweils für die Jahre 1992 bis 1997 auf 90.458,72 DM, 69.183,04 DM, 62.821,76 DM bzw. 22.412,80 DM fest.

Mit Schreiben vom 19.12.1997 beantragte die Klägerin den teilweisen Erlass der Grundsteuer. Sie machte geltend, soweit die in § 30 Abs. 3 GrStDV vorgesehene Zurechnung eines durch eine nach dem 1.1.1935 rechtswirksam gewordene Umgemeindung betroffenen Gemeindeteils zu der ohne die Umgemeindung einschlägigen Gemeindegruppe dazu führe, dass eine höhere Steuermesszahl über den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Umgemeindung hinaus anwendbar bleibe, habe der Steuerpflichtige nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5.6.1959 (BVerwGE 8, 334) einen Anspruch auf Erlass aus Billigkeitsgründen in dem Verhältnis, in dem die für andere Gemeindeteile anwendbare niedrigere Steuermesszahl hinter der höheren Steuermesszahl zurückbleibe. Da im Bereich des Stadtkerns der Beklagten die Steuermesszahl von 7 v.T. für Gemeinden über 25.000 bis 1.000.000 Einwohner (Gemeindegruppe b) angewandt werde, sei ein Erlass um ein Achtel zu gewähren.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 6.5.1998 ab. Zur Begründung hieß es, der Gesetzgeber habe dadurch, dass er in der für das Beitrittsgebiet geltenden Sonderregelung des § 41 GrStG auf §§ 29 ff. GrStDV verwiesen und nicht etwa eine einheitliche Steuermesszahl festgelegt habe, die ungleichmäßige Besteuerung und die betreffende sachliche Härte bewusst in Kauf genommen. Auf den dafür etwa maßgebenden Grund - möglicherweise die steuerliche Entlastung der Eigentümer von Grundstücken in den Stadtzentren - komme es nicht an. Daher könne das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1959 nicht mehr herangezogen werden. Angesichts eines Gebietsanteils der nach dem 1.1.1935 als neue Stadtteile in die Beklagte eingegliederten Gemeinden von über 50 % und einer Anzahl von mehr als 10.000 betroffenen Steuerpflichtigen würde ein Steuererlass zu einer Regelentscheidung, die erhebliche Einnahmeverluste zur Folge hätte. Ein Steuererlass müsse aber die Ausnahme bleiben.

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.6.1998 zurück. § 41 GrStG sei keine Übergangsregelung und deshalb unbefristet gültig. Der begehrte Grundsteuererlass würde diese Vorschrift umgehen. Bei einem Steuererlass von Amts wegen müsste überdies angesichts der Vielzahl der Fälle zusätzliches Personal bereitgestellt werden.

Zur Begründung ihrer Klage vom 17.7.1998 auf Verpflichtung der Beklagten, über den Erlassantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden, trug die Klägerin vor, die Ablehnungsentscheidung leide an einem Ermessensfehlgebrauch. Ein Billigkeitserlass könne auch für Gruppen gleichgelagerter Fälle gewährt werden. Die Gesichtspunkte des höheren Personalbedarfs und der Einnahmeverluste dürften keine Rolle spielen. Es gebe keinen Anhaltspunkt für eine auf steuerliche Begünstigung der Stadtzentren gerichtete Zwecksetzung des § 41 GrStG. Die amtliche Begründung lasse nicht einmal den Schluss zu, dass dem Gesetzgeber die sachliche Härte überhaupt bewusst gewesen sei. Er habe schlicht die §§ 29 ff. GrStDV übernehmen, die Korrektur einer sich daraus ergebenden Unbilligkeit im Erlassweg aber nicht ausschließen wollen.

Die Beklagte erwiderte, die Anwendung der niedrigeren Steuermesszahl von 7 v.T. sei ihr verwehrt, weil sie an die bestandskräftigen Festsetzungen der Steuermesszahl von 8 v.T. durch die Grundsteuermessbescheide des Finanzamts gebunden sei. Das sei auch nicht unbillig. Das Bundesverwaltungsgericht habe einen Anspruch auf Steuererlass nur für den Fall jahrzehntelanger Anwendung höherer Steuermesszahlen angenommen. Für einen begrenzten Zeitraum sei die unterschiedliche Besteuerung jedoch hinzunehmen. Eine solche Situation liege hier vor, denn § 41 GrStG stelle nur eine Übergangslösung dar.

Das Verwaltungsgericht gab der Klage mit Urteil vom 10.12.2002 statt und ließ die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin habe nach § 227 AO einen Anspruch auf Erlass der Grundsteuer in Höhe eines Achtels. § 29 GrStDV verfolge mit der Abstufung der Steuermesszahlen nach der Gemeindegröße das Ziel, die Unterschiede zwischen den Hebesätzen auszugleichen, die in größeren Gemeinden regelmäßig höher als in kleineren Gemeinden festgelegt würden, um derart eine gleiche Endbelastung zu erreichen. Diese Absicht würde durch die Regelung des § 30 Abs. 3 GrStDV, der zufolge die höheren Steuermesszahlen auch nach einer später als zum 1.1.1935 erfolgten Umgemeindung heranzuziehen seien, in ihr Gegenteil verkehrt, weil auch für die Grundstücke in eingemeindeten Gebieten die einheitlichen höheren Hebesätze gälten. Infolge dessen würden die betreffenden Eigentümer höher als die Eigentümer von Grundstücken im Stadtkern - bei gleichem Einheitswert - besteuert. Gegen einen Steuererlass spreche nicht, dass sich eine größere Anzahl von Steuerpflichtigen in gleicher Lage wie die Klägerin befinde, da es auch Gruppenunbilligkeitsfälle geben könne. Die Anzahl der betreffenden Fälle sei andererseits nicht so groß, dass die allgemeine Wirksamkeit des § 41 GrStG praktisch aufgehoben würde. Denn insoweit sei nicht allein auf die Beklagte, die mehrere Eingemeindungswellen erlebt habe, sondern auf das Beitrittsgebiet insgesamt abzustellen; in letzterer Hinsicht könne von einer Aufhebung der allgemeinen Geltung des § 41 GrStG bei Gewährung des Billigkeitserlasses nach § 227 AO aber keine Rede sein. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5.6.1959 lasse sich auf den vorliegenden Zusammenhang ohne weiteres übertragen. Es sei auf den (Übergangs-)Zeitraum bis zur nächsten Hauptfeststellung der Einheitswerte bezogen gewesen, die in den alten Bundesländern zum 1.1.1964 erfolgt sei. § 41 GrStG sei in gleicher Weise nur als Übergangslösung gedacht. Der Gesichtspunkt des höheren Verwaltungsaufwands sei bei der im Rahmen von § 227 AO vorzunehmenden Abwägung unerheblich. Der Aufwand könne zudem gering gehalten werden, wenn der Erlass bereits im Rahmen des Festsetzungsverfahrens nach § 163 AO gewährt würde. Das Interesse der Beklagten an ungeschmälerten Steuereinnahmen trete hinter das Interesse des Steuerpflichtigen an der Einhaltung von Gleichheitsgrundsätzen zurück. Ferner könne der Steuerausfall im Fall der Klägerin die Haushaltswirtschaft der Beklagten nicht beeinträchtigen. Erlassanträge Dritter seien dem Verwaltungsgericht nicht bekannt. Allerdings scheide ein Vornahmeurteil aus, da die Klägerin nur die Verpflichtung zur Neubescheidung begehre.

Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Berufung vor, die weitere Anwendung der höheren Steuermesszahlen auch nach erfolgter Umgemeindung sei vom Gesetzgeber mit der Regelung in § 41 GrStG in Verbindung mit § 30 Abs. 3 GrStDV gerade beabsichtigt gewesen, zumal der (umgekehrte) Fall einer zur Schaffung kleinerer Gemeinden führenden Umgemeindung praktisch kaum vorgekommen sei und daher für eine - wenn auch grundsätzlich von den Vorschriften erfasste - weitere Anwendung einer niedrigeren Steuermesszahl praktisch kein Raum sei. Die Beklagte sei zudem nicht berechtigt, die Festsetzung der Steuermessbeträge durch Steuererlass zu korrigieren, weil sie damit in den Zuständigkeitsbereich der Finanzverwaltung eindringen würde. Die Grundsteuermessbescheide seien auch nicht offensichtlich fehlerhaft. Die Klägerin hätte im Übrigen rechtzeitig Einspruch gegen diese Bescheide einlegen und in dem betreffenden Verfahren die Rüge der Verfassungswidrigkeit des § 41 GrStG erheben können, doch habe sie die Einspruchsfrist ungenutzt verstreichen lassen. Sie hätte sich von einem Einspruch gegen die Grundsteuermessbescheide auch nicht in der Erwartung abhalten lassen dürfen, die Beklagte werde sich nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5.6.1959 richten. Der seinerzeit entschiedene Fall sei insofern anders gelagert gewesen, als die Festsetzung der Grundsteuer in einem zeitlichen Abstand von zwölf Jahren nach der Festsetzung des Grundsteuermessbetrags erfolgt und die Umgemeindung in diesen Zeitraum gefallen sei. Die Eingliederung der Stadt S. in die Beklagte liege demgegenüber bereits Jahrzehnte zurück.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 10. Dezember 2002 - 8 K 1419/98 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, der Umstand, dass die Umgemeindung der Stadt S. schon Jahrzehnte zurückliege, spreche gerade dafür, nunmehr die Ungleichbehandlung der Besteuerung zu beseitigen. Der Gesetzgeber sei überdies bei der Regelung des § 41 GrStG, die der Rechtslage in den alten Bundesländern nach 1945 entspreche, davon ausgegangen, dass auch die zu jener Rechtslage ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anzuwenden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsvorgänge, die Akte des Verwaltungsgerichts und die Verfahrensakte im Berufungsverfahren verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Klägerin hat einen Anspruch auf teilweisen Erlass der Grundsteuer in dem von ihr begehrten Umfang. Der Anspruch findet seine Grundlage in der nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 und § 3 Abs. 2 AO für Grundsteuern geltenden Vorschrift des § 227 Hs. 1 AO. Deren Voraussetzungen sind erfüllt.

Nach § 227 Hs. 1 AO können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Eine solche Situation läge hier vor, soweit die Klägerin höhere Grundsteuern als Eigentümer von Grundstücken in anderen Stadtteilen der Beklagten trotz jeweils gleicher Grundstückseinheitswerte entrichten müsste. Das wäre bei unveränderter Anwendung von § 41 Satz 1 GrStG in Verbindung mit § 30 Abs. 3 der Verordnung zur Durchführung des Grundsteuergesetzes für den ersten Hauptveranlagungszeitraum vom 1.7.1937 - GrStDV - (RGBl. I S. 733) der Fall. Danach rechnen bei nach dem 1.1.1935 rechtswirksam gewordenen Umgemeindungen die betroffenen Gemeindeteile weiterhin zu der Gemeindegruppe, der sie ohne die Eingemeindung zuzurechnen sind. Der am 1.7.1950 in die Beklagte eingegliederte Stadtteil S. , in dem die Grundstücke der Klägerin liegen, ist folglich so zu stellen, als handele es sich nach wie vor um die rechtlich selbständige Stadt S. . Dann wäre für die dort gelegenen Grundstücke der - hier unstreitig einschlägigen - Gruppe III (Neubauten mit Ausnahme von Einfamilienhäusern) weiterhin die für Gemeinden mit bis zu 25.000 Einwohnern (Gemeindegruppe a) vorgesehene Steuermesszahl von 8 v.T. zugrunde zu legen, während für Grundstücke der Gruppe III in Stadtteilen, die bereits am 1.1.1935 zur Beklagten gehörten, die für Gemeinden mit über 25.000 bis zu 1.000.000 Einwohnern (Gemeindegruppe b) festgelegte niedrigere Steuermesszahl von 7 v.T. gilt (vgl. § 29 GrStDV); maßgebend sind insoweit die Einwohnerzahlen nach dem Ergebnis der allgemeinen Volkszählung vom 16.6.1933 (§ 30 Abs. 1 GrStDV). Dementsprechend ist das Finanzamt auch vorgegangen; es hat die Grundsteuermessbeträge hinsichtlich der Grundstücke der Klägerin unter Heranziehung der Steuermesszahl von 8 v.T. festgesetzt. Verbliebe es dabei, käme es - angesichts dessen, dass die Beklagte die Grundsteuer mit einem einheitlichen Hebesatz (§ 25 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 GrStG) erhebt - zu einer durch unterschiedliche Steuermesszahlen bedingten ungleichmäßigen Besteuerung der Grundstückseigentümer je nach der Lage ihrer Grundstücke im Stadtgebiet der Beklagten. Darin liegt eine Unbilligkeit, die im Fall der Klägerin zwecks Gleichstellung mit Eigentümern von bereits am 1.1.1935 im Gebiet der Beklagten gelegenen Grundstücken durch Erlass der Grundsteuer um ein Achtel zu beseitigen ist.

A.

Dass die Einziehung eines höheren als sich unter Heranziehung einer Steuermesszahl von 7 v.T. ergebenden Steuerbetrags unbillig wäre, folgt bereits daraus, dass mit dem Erlass des für das Beitrittsgebiet geltenden § 41 Satz 1 GrStG zugleich mit den Bestimmungen der §§ 29 bis 33 GrStDV auch die zu § 30 Abs. 3 GrStDV ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beachtlich geworden ist (I.). Das Bundesverwaltungsgericht führte in seinem Urteil vom 5.6.1959 (BVerwGE 8, 334) aus, dass die Grundsteuern erhebende Gemeinde hinsichtlich eines Gemeindeteils, der früher eine selbständige Gemeinde bildete, nach dem 1.1.1935 in die aufnehmende Gemeinde eingegliedert wurde und für den jahrzehntelang weiterhin nach §§ 29 und 30 Abs. 3 GrStDV die höheren Steuermesszahlen der - für die frühere Gemeinde vorgesehenen - niedrigeren Gemeindegrößenklasse zugrunde gelegt wurden, zu einem Ausgleich durch Billigkeitserlass verpflichtet ist (II.). Diese Entscheidung ist auch auf den vorliegenden Fall übertragbar (III.).

I.

Will der Gesetzgeber ein normatives Regelungswerk, das bereits in einem vergangenen Zeitraum gültig war, später aber aufgehoben wurde, erneut in Kraft setzen, wird er prüfen, welche Auslegung die betreffenden Normen seinerzeit in der Rechtsprechung gefunden haben. Je nachdem, ob die Rechtsprechung seine Zustimmung findet, wird er die Normen en bloc wieder in Geltung setzen oder aber - im Hinblick auf solche Erkenntnisse der Rechtsprechung, die ihm problematisch erscheinen mögen - die aus seiner Sicht nötigen normativen Klarstellungen oder Veränderungen vornehmen, d. h. das ehemals gültige Regelungswerk in modifizierter Form in Wirksamkeit treten lassen. Werden die Normen unverändert wieder in Kraft gesetzt, belegt dies den Willen des Gesetzgebers, an den Ergebnissen der den Normenkomplex betreffenden Rechtsprechung festzuhalten. Das gilt namentlich für die grundlegenden obergerichtlichen und höchstrichterlichen Entscheidungen. Daher geht die Auffassung der Beklagten fehl, der Bundesgesetzgeber habe mit der erneuten Ingeltungsetzung der §§ 29 bis 33 GrStDV zum Ausdruck bringen wollen, dass die zu § 29 und § 30 Abs. 3 GrStDV ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gerade keine Anwendung finden solle. Diese Sichtweise liefe zudem darauf hinaus, die Normen in ihren Urzustand im Zeitpunkt ihres erstmaligen Erlasses zurückzuversetzen und die einschlägige Judikatur und mit dieser auch die durch Gerichtsentscheidungen maßgeblich mitgestaltete Lebenswirklichkeit für unbeachtlich zu erklären. Damit würden die von der Rechtsprechung zu erfüllenden essentiellen Funktionen der Normkonkretisierung und der Prägung juristischer Leitsätze leerlaufen und dem Rechtsanwender der Ertrag dieser Tätigkeit vorenthalten. Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, dem Gesetzgeber eine solche Absicht zu unterstellen.

Das wird namentlich am Beispiel des Bürgerlichen Gesetzbuchs deutlich, auf das die Klägerin im Verhandlungstermin zutreffend hingewiesen hat. Das BGB galt in der DDR bis zur Ablösung durch das Zivilgesetzbuch zum 1.1.1976 fort. Als es im Beitrittsgebiet am 3.10.1990 wieder in Kraft trat, wurden - unbeschadet der im Einigungsvertrag getroffenen Sonderregelungen - die von der Rechtsprechung geprägten Strukturen des bürgerlichen Rechts in ihrem Gesamtzusammenhang rezipiert, und zwar einschließlich der vor und während der Übergangsphase der Geltung des ZGB in der DDR vom Bundesgerichtshof und den Obergerichten in den anderen Teilen Deutschlands erlassenen Leitentscheidungen. Auch diese gehören zu dem von den neuen Ländern (wieder) übernommenen Bestand des bürgerlichen Rechts.

Setzt der Gesetzgeber - sei es für das gesamte Bundesgebiet oder sei es für einen seiner Teile - ein Regelungswerk erneut in Kraft, soll dieses mithin prinzipiell in seiner früheren bzw. bisherigen Ausformung durch die Obergerichte und das zuständige Gericht des Bundes wirksam werden. Das gilt nicht nur für die Norminterpretation und Rechtsfortbildung zur Schließung von Gesetzeslücken, sondern auch - und zwar in hohem Maße - für die Beseitung normativer Defizite. Weisen die Vorschriften Schwächen auf oder führen sie in der Umsetzung zu Unstimmigkeiten, sind die Gerichte vor die Aufgabe gestellt, solchen Mängeln möglichst abzuhelfen. Die von ihnen insoweit gefundenen Lösungen beanspruchen daher in besonderer Weise Beachtung, weil sie dazu beitragen, dass sich die wieder in Geltung gesetzten Normen in ihrer praktischen Verwirklichung erneut bewähren können.

II.

Nach diesen Grundsätzen gehört das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5.6.1959 zweifellos zu den Entscheidungen, die kraft der mit § 41 Satz 1 GrStG erfolgten bundesgesetzlichen Geltungsanordnung zusammen mit den §§ 29 bis 33 GrStDV zu beachten sind. Es handelt sich um die zentrale, grundlegende Entscheidung zu § 30 Abs. 3 GrStDV. Das Bundesverwaltungsgericht hat die fortgesetzte Anwendung dieser Vorschrift in Anbetracht der durch sie bewirkten Perpetuierung der Gemeindegrößenverhältnisse vom 1.1.1935 und der daraus resultierenden unterschiedlichen Besteuerung innerhalb ein und derselben Gemeinde für gleichheitswidrig gehalten und zur Bereinigung dieser Diskrepanzen die Verpflichtung der Gemeinde zur Gewährung eines teilweisen Grundsteuererlasses aus Billigkeitsgründen ausgesprochen. Damit hat es eine Lösung zur Beendigung der steuerlichen Ungleichbehandlung entwickelt und derart das mit dieser verbundene verfassungsrechtliche Problem bewältigt. Führt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mithin zur Beseitigung eines wesentlichen Norm(anwendungs)defizits, kann sie vom Willen des Gesetzgebers zur Wiedereinführung der §§ 29 bis 33 GrStDV nicht ausgenommen gewesen sein.

Etwas anderes wäre nur dann anzunehmen, wenn der Bundesgesetzgeber die ungleichmäßige Besteuerung entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts für verfassungskonform gehalten und dies hinreichend verdeutlicht hätte. Unter jener Hypothese hätte der gegebene Weg darin bestanden, im Zusammenhang mit der erneuten Inkraftsetzung des § 30 Abs. 3 GrStDV einen teilweisen Billigkeitserlass ausdrücklich auszuschließen. Das ist jedoch nicht geschehen. Auch die amtlichen Erläuterungen zur Einfügung der §§ 40 ff. in das Grundsteuergesetz durch Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschnitt II Nr. 30 zum Einigungsvertrag lassen nicht ansatzweise eine Distanzierung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erkennen. Sie enthalten lediglich eine Begründung für die grundsätzliche Entscheidung des - dem Einigungsvertrag zustimmenden - Gesetzgebers, für das Beitrittsgebiet anstelle der in § 15 GrStG festgelegten einheitlichen Steuermesszahlen die abgestuften Steuermesszahlen nach § 29 GrStDV wieder für gültig zu erklären, und verweisen insoweit darauf, dass allein diese Zahlen mit den nach Maßgabe des § 41 Satz 1 GrStG in Verbindung mit § 132 BewG heranzuziehenden Einheitswerten von 1935 in Beziehung stehen, die Steuermesszahlen aus § 15 GrStG dagegen auf die nur in den alten Ländern auf den 1.1.1964 festgestellten Einheitswerte zugeschnitten sind. Für die Annahme der Beklagten, der Gesetzgeber habe die sich bei Anwendung speziell des § 30 Abs. 3 GrStDV ergebenden sachlichen Härten hinnehmen und die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Korrektur ausschließen wollen, fehlt indes jeglicher Anhaltspunkt.

Es ist insoweit auch unerheblich, dass der Steuerpflichtige nach der Spruchpraxis der Finanzgerichte keine Möglichkeit hat, unter Berufung auf das Prinzip der Steuergerechtigkeit erfolgreich gegen die Heranziehung unterschiedlich hoher Steuermesszahlen in derselben Gemeinde vorzugehen. Jene Entscheidungen (vgl. BFH, Urt. v. 9.12.1966, BFHE 87, 572 [574 f.]; Urt. v. 7.11.1969, BFHE 98, 364 f.; Urt. v. 20.10.2004 - II R 55/02 -, zit. nach juris; FG Bbg, Urt. v. 27.8.2002, EFG 2003, 796 f.) betreffen das vorgelagerte Verfahren der Festsetzung der Grundsteuermessbeträge durch das Finanzamt und lassen die zum Steuererlass auf der Ebene der Erhebung der Grundsteuer durch die Gemeinde ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unberührt.

III.

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist auch hier beachtlich, weil die Verhältnisse in jenem und in diesem Fall einander entsprechen. Die Beklagte hat nicht darzulegen vermocht, warum es darauf ankommen soll, dass in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall die Umgemeindung im Zeitraum zwischen der Festsetzung des Grundsteuermessbetrags und der zwölf Jahre später erfolgten Festsetzung der Grundsteuer geschah, während die Eingliederung der Stadt S. weit mehr als 50 Jahre zurückliegt. Überdies lässt sich die von ihr geschilderte zeitliche Reihenfolge der Ereignisse anhand des Urteils vom 5.6.1959 nicht nachvollziehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat demgegenüber zu dem von ihm entschiedenen Fall allein hervorgehoben, dass in dem betreffenden Ortsteil die höheren Steuermesszahlen jahrzehntelang zugrunde gelegt wurden; dabei handelte es sich offenbar um die Zeit zwischen der Umgemeindung (im Jahr 1942) bis zu dem Tag, ab dem der Erlass begehrt wurde.

Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, ob die "jahrzehntelange" Dauer der Anwendung der höheren Steuermesszahlen nur eine hinreichende oder eine notwendige Voraussetzung für den Billigkeitserlass darstellt. Da das Bundesverwaltungsgericht die ungleichmäßige Besteuerung unter dem Aspekt des Art. 3 Abs. 1 GG als verfassungswidrig erachtet hat und allgemein kein Grund dafür ersichtlich ist, einen verfassungswidrigen Zustand längere Zeit hinnehmen zu müssen, ist insoweit nicht von einer notwendigen Voraussetzung auszugehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat demnach nur festgestellt, dass jedenfalls nach jahrzehntelanger Anwendung der höheren Steuermesszahlen ein Billigkeitserlass stattfinden muss. Diese Frage kann jedoch letztlich offen bleiben. Denn die Behörden der DDR legten, soweit sie Grundsteuern erhoben - insoweit blieben allerdings weite Bereiche wie Nachkriegsmietwohnungen, ab 1961 errichtete Einfamilienhäuser und das (Grund-)Eigentum des Volkes ausgenommen - die einschlägigen reichsrechtlichen Vorschriften auch dann zugrunde, wenn sie - wie die Grundsteuerdurchführungsverordnung - keinen förmlichen Bestandteil des Rechts der DDR bildeten (vgl. die Erläuterung bei Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschnitt II Nr. 26 zu § 129 BewG und die allgemeine Erläuterung zu Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschnitt II Nr. 30 zum Einigungsvertrag). Daher ist davon auszugehen, dass auch Grundstückseigentümer im Stadtteil S. nach seiner Eingliederung in die Beklagte noch viele Jahre lang nach Maßgabe der höheren Steuermesszahlen nach §§ 29 und 30 Abs. 3 GrStDV zur Grundsteuer herangezogen wurden. Außerdem ist nach der Wiederbegründung der allgemeinen Grundsteuerpflicht im Beitrittsgebiet den Grundstückseigentümern in den von § 30 Abs. 3 GrStDV erfassten Gemeindeteilen eine nochmals Jahrzehnte andauernde höhere Besteuerung im Verhältnis zu den Grundstückseigentümern in den anderen Gemeindeteilen, die das Bundesverwaltungsgericht bereits 1959 als gleichheitswidrig und korrekturbedürftig ansah, nicht zuzumuten. Der Grundsatz der Steuergerechtigkeit verlangt insoweit eine Realisierung von Beginn des Jahres 1991 an. Der vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Billigkeitserlass wird schließlich nicht dadurch gehindert, dass dieser damals seine Grundlage in § 131 RAO fand, heute hingegen § 227 AO einschlägig ist. Die beiden Vorschriften unterscheiden sich nach den für die Annahme einer Unbilligkeit geltenden Anforderungen nicht voneinander (vgl. Kruse/Loose, in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Stand: November 2004, § 227 RdNr. 1).

B.

Soweit die Grundsteuer über den sich bei Heranziehung der Steuermesszahl von 7 v.T. errechnenden Betrag hinausgeht, wäre ihre Einziehung auch unabhängig von der Entscheidung des Bundesgesetzgebers, die §§ 29 bis 33 GrStDV in ihrer praktischen Handhabung auf dem vom Bundesverwaltungsgericht aufgezeigten Weg wieder für gültig zu erklären, verfassungswidrig und im Sinne des § 227 Hs. 1 AO unbillig. Denn § 30 Abs. 3 GrStDV führt im Fall der nach dem 1.1.1935 erfolgten Eingliederung einer Gemeinde mit bis zu 25.000 Einwohnern in eine größere Gemeinde dazu, dass in der aufnehmenden Gemeinde verschiedene Steuermesszahlen und damit unterschiedliche Grundsteuertarife gelten. Käme es bei der Erhebung der Grundsteuer zu keiner Anpassung, verstieße die Gemeinde, wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 5.6.1959 im Ergebnis richtig festgestellt hat, gegen das im allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verankerte Prinzip der Steuergerechtigkeit (so auch Troll, Grundsteuergesetz, 7. Aufl. 1997, § 41 RdNr. 4). Kraft ihrer Verfassungsbindung müsste die Gemeinde daher einen teilweisen Erlass der Grundsteuer in der entsprechenden Höhe selbst dann gewähren, wenn der einfache Gesetzgeber - was nach den Ausführungen unter A.I.-III. nicht zutrifft - bei der Schaffung des § 41 Satz 1 GrStG die Ungleichbehandlung bewusst in Kauf genommen hätte. Die verfassungsrechtlich gebotene Korrektur ist im Rahmen des § 227 Hs. 1 AO durchzuführen, weil diese Vorschrift u.a. den Sinn hat, eine verfassungswidrige Situation zu verhindern, die ohne einen Steuererlass aus Billigkeitsgründen einträte.

I.

Allerdings vermag der Senat dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts insoweit nicht beizutreten, als dieses das Motiv für die Staffelung der Steuermesszahlen nach der Gemeindegrößenklasse durch § 29 GrStDV in einem Ausgleich unterschiedlich hoher Hebesätze erblickt hat. Der Verordnunggeber sei davon ausgegangen, dass die Hebesätze in Gemeinden mit mehr als 25.000 Einwohnern durchgängig höher als in kleineren Gemeinden seien, und habe mit der Vorgabe niedrigerer Steuermesszahlen für größere Gemeinden daher eine gleiche Endbelastung der Grundsteuerpflichtigen erreichen wollen (BVerwG, Urt. v. 5.6.1959, BVerwGE 8, 334 f.). Unter jener Prämisse fiele in der Tat der sachliche Grund für die Differenzierung bei der Eingliederung der kleineren in die größere Gemeinde ohne weiteres weg. Es wäre gleichheitswidrig, wenn hinsichtlich der Grundstücke in dem eingemeindeten Gebiet weiterhin unverändert die höheren Steuermesszahlen anzuwenden wären, obwohl für diese nunmehr der höhere einheitliche Hebesatz gilt, so dass die für sie zu entrichtende Grundsteuer bei gleichen Einheitswerten höher als in den ursprünglichen Gemeindeteilen ausfiele.

Gegen die Annahme, § 29 GrStDV verfolge mit der Senkung der Steuermesszahlen für größere Gemeinden das Ziel der Kompensation eines höheren Hebesatzniveaus, spricht allerdings schon das seinerzeit erstmals eingeführte - und noch heute praktizierte - System der Grundsteuerberechnung. Danach war der nach den Vorschriften des Reichsbewertungsgesetzes vom 16.10.1934 - RBewG - (RGBl. I S. 1035) festzustellende Einheitswert mit der Steuermesszahl zu vervielfältigen (§§ 11 f. des Grundsteuergesetzes vom 1.12.1936 - GrStG a.F. - [RGBl. I S. 986]) und das Ergebnis, der Steuermessbetrag, mit dem von der Gemeinde festgesetzten Hebesatz zu multiplizieren (§ 21 GrStG a.F.; vgl. dazu SächsOVG, Urt. v. 16.2.1939, JbSächsOVG a.F. 41, 295 [296]; Urt. v. 1.6.1939, JbSächsOVG a.F. 41, 273 f.). Wurde somit der Hebesatz auf den mit dem Faktor der Steuermesszahl gebildeten Steuermessbetrag angewandt, konnte mit der Steuermesszahl nicht ihrerseits die Höhe des Hebesatzes beeinflusst werden (so im vorliegenden Zusammenhang auch VG Bremen, Urt. v. 15.4.1971, KStZ 1971, 251 [252]; Rössler, KStZ 1959, 221 [223 f.]). In der Abfolge der Entscheidungen - der Feststellung des Einheitswerts sowie der Festsetzung des Steuermessbetrags durch das Finanzamt und der Bemessung des Hebesatzes durch die Gemeinde - hat die Gemeinde (vorbehaltlich etwaiger verfassungsrechtlicher Anforderungen an die (Maximal-)Höhe des Hebesatzes) - "das letzte Wort". Sie könnte deshalb ohne weiteres den mit der Absenkung der Steuermesszahlen für die größeren Gemeinden bezweckten Ausgleichseffekt durch Festlegung eines noch höheren Hebesatzes zunichte machen.

II.

Nach der Struktur des Steuerberechnungsverfahrens kann die in § 29 GrStDV vorgesehene Abstufung der Steuermesszahlen vielmehr nur die Aufgabe einer Kompensation hoher Einheitswerte haben. Das wird im Einzelnen bei der Betrachtung der Vor- und Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift deutlich (1.). Die betreffende Ausgleichsfunktion ist allerdings unterdessen zwingend auch auf nach dem 1.1.1935 in Gemeinden der Größenklasse b eingegliederte Gemeinden der Größenklasse a zu beziehen (2.).

1.a) § 29 GrStDV fand seine gesetzliche Ermächtigung in § 12 Abs. 2 GrStG a.F. Danach konnte der Reichsfinanzminister der Finanzen im Einvernehmen mit den beteiligten Reichsministern für einzelne Gruppen von Steuergegenständen niedrigere Steuermesszahlen - im Verhältnis zur allgemeinen Steuermesszahl von 10 v.T. (§ 12 Abs. 1 GrStG a.F.) - bestimmen und damit den Gemeinden einen "Reichstarif" verbindlich vorgeben (vgl. Reinhardt, Realsteuerreform, 1937, S. 149; Renzi, Die Grundsteuer nach dem Grundsteuergesetz des Reichs vom 1. Dezember 1936, 1938, S. 10). Mit dieser Verordnungsermächtigung wollte der Gesetzgeber, der das Grundsteuerrecht mit dem Gesetz vom 1.12.1936 völlig umgestaltete, indem er für das gesamte Reichsgebiet als Grundlage der Besteuerung die - in der Hauptfeststellung auf den Stichtag des 1.1.1935 ermittelten - Einheitswerte sowie weitere die Grundsteuererhebung vereinheitlichende Vorschriften einführte, eine Milderung der mit der Grundsteuerreform verbundenen, zum Teil erheblichen Belastungsverschiebungen ermöglichen. Zwar konnte die Grundsteuerbelastung insgesamt (zunächst) nicht ansteigen, weil die Gemeinden (für den Übergangszeitraum des Jahres 1938) den Hebesatz nur in einer solchen Höhe festlegen durften, dass sich als Aufkommen der Grundsteuern im Gemeindegebiet voraussichtlich höchstens der bisherige Betrag ergeben würde (§ 8 des Einführungsgesetzes zu den Realsteuergesetzen vom 1.12.1936 [RGBl. I S. 961]). Innerhalb der jeweiligen Gemeinde waren jedoch im Vergleich zur bisherigen Lage teilweise mehr als doppelt so hohe Grundsteuerverpflichtungen zu erwarten (vgl. Reinhardt, aaO, S. 7; Renzi, aaO, S. 10).

Vor der reichsübergreifenden Regelung im Grundsteuergesetz vom 1.12.1936 hatten 16 verschiedene Grundsteuersysteme bestanden. Die Bestimmungen über den Gläubiger, den Gegenstand und die Höhe der Besteuerung wichen von Land zu Land stark voneinander ab. Das Grundsteueraufkommen floss dem Land und - in Form unterschiedlich bemessener Zuschläge - den Gemeinden, in einigen Ländern daneben noch höheren kommunalen Ebenen wie den Kreisen und den Bezirken zu. Steuerobjekt war nicht durchweg das Grundstück als solches. Manche Landesrechtsordnungen kannten die Boden- bzw. Flächensteuer einerseits und die Gebäude- bzw. Haussteuer andererseits. Daneben wurden vereinzelt Raumsteuern und Wohnnutzungsteuern erhoben. Alle diese Sonderrealsteuern wurden durch die reichseinheitliche Grundsteuer abgelöst. Die Unterschiede nach der - jetzt nur noch der Gemeinde zustehenden - Steuerberechtigung und dem Steuergegenstand wirkten sich naturgemäß auch auf die Höhe der Besteuerung aus. Zusätzlich wurde diese durch abweichende Berechnungsarten und Steuergrundlagen beeinflusst. Die verschiedenen wertbildenden Faktoren beruhten überwiegend noch auf Erhebungen aus der Zeit vor 1914. Die seitdem aufgrund des Ersten Weltkrieges, der Inflation von 1923 und der Wirtschafts- und Bankenkrise von 1931 eingetretenen grundlegenden Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse und speziell des Grundstücksmarktes waren bei der Besteuerung weitgehend unberücksichtigt geblieben (vgl. Reinhardt, aaO, S. 3 ff. und 104 ff.).

Die Vereinheitlichung und Aktualisierung der Steuergrundlagen hätte bei einer allein an den Einheitswerten von 1935 ausgerichteten Steuererhebung vor allem in Bezug auf Neubauten, d.h. die nach dem 31.3.1924 bezugsfertig gewordenen Gebäude (§ 31 Abs. 2 GrStDV), und Einfamilienhäuser, insbesondere in größeren Städten, zu einer erheblichen Steigerung der Belastung geführt. Diese musste umso stärker ins Gewicht fallen, als die Grundsteuer seinerzeit eine sehr aufkommensstarke Steuer mit ohnehin generell hohen Belastungseffekten darstellte (vgl. Reinhardt, aaO, S. 105; Troll, aaO; Halaczinsky, Grundsteuer-Kommentar, 2. Aufl. 1995, § 41 GrStG RdNr. 11). Deshalb legte der Verordnunggeber mit § 29 GrStDV niedrigere Steuermesszahlen für die Gruppen der mit Neubauten und Einfamilienhäusern bebauten Grundstücke fest und nahm insoweit eine weitere Differenzierung nach drei Gemeindegrößenklassen - bis 25.000 Einwohner (Klasse a), bis 1.000.000 (b) und über 1.000.000 Einwohner (c) - vor. Er ging dabei davon aus, dass die Mehrbelastung für die genannten Grundstücksgruppen unter Zugrundelegung der neuen Einheitswerte in den höheren Gemeindegrößenklassen nochmals jeweils sprunghaft gestiegen wäre. Die Ermäßigung der Steuermesszahlen für Neubauten und Einfamilienhäuser im Verhältnis zu den anderen bebauten Grundstücken fiel in den Größenklassen b und c daher weitaus höher als in den kleineren Gemeinden aus.

b) Der Verordnunggeber wollte mit § 29 GrStDV noch unter einem anderen Gesichtspunkt eine Veränderung der am Maßstab der Einheitswerte orientierten Verteilung der Steuerlast herbeiführen. Der Einheitswert sollte nach der Konzeption des Reichsbewertungsgesetzes möglichst den Verkehrswert des Grundstücks widerspiegeln und die Grundsteuer dementsprechend in Abhängigkeit vom Verkehrswert erhoben werden (vgl. Rössler, aaO, S. 222). Dabei sollte die Grundsteuer mit dem Verkehrswert (damals als gemeiner Wert bezeichnet) grundsätzlich linear ansteigen. Die für die Einheitswertberechnung einschlägigen Bestimmungen hatten jedoch zur Konsequenz, dass die zum 1.1.1935 festgestellten Einheitswerte nur in den großen Städten den Verkehrswerten nahe kamen. Je kleiner hingegen die Gemeinde war, desto weiter blieben die Einheitswerte hinter den Verkehrswerten zurück (vgl. Reinhardt, aaO, S. 110; Renzi, aaO, § 12 Anm. 4 [S. 309]; Rössler, aaO, S. 222). Die rechtlich vorgeschriebenen Methoden der Berechnung der Einheitswerte führten derart zu einer Begünstigung der Grundstückseigentümer in kleinen Gemeinden gegenüber den Steuerpflichtigen in den größeren Gemeinden. Die Reduzierung der Steuermesszahlen in den höheren Gemeindegrößenklassen hatte deshalb die zusätzliche Funktion, auch diese Diskrepanzen der Einheitswertberechnung zumindest bis zu einem gewissen Grad zu bereinigen (vgl. Rössler, aaO, S. 222 f.).

Die Feststellung der Einheitswerte richtete sich bei bebauten Mietwohngrundstücken und gemischtgenutzten Grundstücken nach § 2 Abs. 1 der Verordnung über die Bewertung bebauter Grundstücke vom 10.11.1934 (RGBl. I S. 1106), der kurz darauf durch den inhaltsgleichen § 33 Abs. 1 der Durchführungsbestimmungen zum Reichsbewertungsgesetz für die Bewertung des Vermögens nach dem Stand vom 1. Januar 1935 - RBewDB - vom 2.2.1935 (RGBl. I S. 81) ersetzt wurde. Die Grundstücke waren demzufolge mit einem Vielfachen der Jahresrohmiete (vgl. § 3 der Bewertungsverordnung = § 34 RBewDB) zu bewerten; nach Maßgabe des § 2 Abs. 2 Satz 2 der Bewertungsverordnung (= § 33 Abs. 2 Satz 2 RBewDB) traf das auch auf Geschäftsgrundstücke zu. Die so zu berechnenden Einheitswerte waren idealtypisch mit den Verkehrswerten identisch, weil der Vervielfältiger grundsätzlich so bestimmt wurde, dass die Multiplikation des Betrags der Jahresrohmiete mit dem Vervielfältiger den auf dem freien Markt zu erzielenden Kaufpreis ergab (vgl. Renzi, aaO, § 10 Anm. 2 [S. 287]). Die Durchschnittskaufpreise waren zuvor durch umfangreiche, auf die einzelnen Gemeinden bzw. Gemeindeteile bezogene statistische Erhebungen und eingehende Beobachtungen und Analysen des Geschehens auf den Grundstücksmärkten ermittelt worden. Dabei zeigte sich, dass im Gegensatz zu den großen Städten, in denen sich die Kaufpreise mitunter nur auf das Zwölf- bis Vierzehnfache der - allerdings verhältnismäßig hohen - Jahresrohmiete beliefen, die Kaufpreise in kleinen Gemeinden zum Teil weit mehr als 25mal so hoch wie die - freilich verhältnismäßig niedrige - Jahresrohmiete lagen (vgl. Reinhardt, aaO, S. 109). Dementsprechend hätte die Schwankungsbreite der Vervielfältiger etwa zwischen 12 und an die 30 betragen müssen. Die Präsidenten der Landesfinanzämter, die durch § 5 Abs. 1 der Bewertungsverordnung (= § 36 Abs. 1 RBewDB [vgl. § 91 Abs. 3 RBewDB]) zur Bestimmung der Vervielfältiger ermächtigt waren, konnten für die kleinen Gemeinden den Vervielfältiger aber höchstens mit 12 bestimmen, weil ein Zinssatz von 5,5 % zu berücksichtigen war (vgl. Rössler, aaO, S. 252). Der Vervielfältiger für Grundstücke in größeren Gemeinden sank demgegenüber nicht in der entsprechenden Relation. Zwar wichen die von den Präsidenten der Landesfinanzämter gewählten Berechnungsmethoden nicht unerheblich voneinander ab. Der Befund einer im Verhältnis zur wirklichen Situation weniger weitgreifenden Spreizung der Vervielfältiger war jedoch für die meisten der verschiedenen Modelle charakteristisch. Das wird durch das Beispiel Sachsens belegt. Nach der Verordnung über die Bewertung bebauter Grundstücke im Gebiet der Landesfinanzämter Dresden und Leipzig vom 17.12.1934 (RMBl. S. 820) wurden die Gemeinden, zum Teil differenziert nach Gemeindeteilen, sieben verschiedenen Bezirken (I, II a, II b und III bis VI) zugeordnet. Zum Bezirk I zählten die größten Städte Chemnitz, Dresden und Leipzig mit Ausnahme einzelner Stadtteile, zum Bezirk VI die kleinsten Landgemeinden. Dabei reichte die Spanne der Vervielfältiger nur von 6 (Bezirk I) bis 11 (Bezirk VI); die tatsächliche weite Schwankung von etwa 12 bis 30 wurde mithin nicht ausgeschöpft. Noch dichter beieinander lagen die Vervielfältiger nach der Verordnung über die Bewertung bebauter Grundstücke im Gebiet des Landesfinanzamts Stuttgart vom 17.12.1934 (RMBl. S. 814); sie bewegten sich dort in einem sehr engen Bereich von 8 bis 11,5. Daher wären bei allen Unterschieden des Verfahrens der Berechnung der Einheitswerte im Detail die Grundsteuerpflichtigen mit steigender Einwohnerzahl der Gemeinde zunehmend benachteiligt worden. Insoweit sollte mit entsprechender Senkung der Steuermesszahlen durch § 29 GrStDV, wenn dessen Einteilung nach der Gemeindegröße auch relativ grob ausfällt, ein gewisser Ausgleich geschaffen werden.

2. Die mit § 29 GrStDV bezweckte Kompensation der Einheitswerte insbesondere mit Einfamilienhäusern bzw. Neubauten bebauter Grundstücke in Gemeinden der Größenklassen b und c, die sowohl im Vergleich zur Situation vor der Grundsteuerreform vor 1936 als auch im Verhältnis zu den in den kleineren Gemeinden der Größenklasse a gelegenen Grundstücken besonders hoch ausfielen, muss jedoch zur Vermeidung einer Verletzung des Prinzips der Steuergerechtigkeit auch den Grundstücken zugute kommen, die im Gebiet einer ehemals selbständigen, nach ihrer Einwohnerzahl der Größenklasse a zuzuordnenden Gemeinde liegen, welche nach dem 1.1.1935 in eine Gemeinde der Größenklasse b eingegliedert wurde.

a) Die steuerrechtliche Gleichstellung darf den Eigentümern dieser Grundstücke nicht mit der Erwägung vorenthalten werden, die in § 30 Abs. 3 GrStDV vorgeschriebene unveränderte Anwendung der höheren Steuermesszahlen trotz Eingliederung der kleineren Gemeinde in eine Gemeinde mit über 25.000 Einwohnern, d. h. die Geltung unterschiedlicher Steuertarife in derselben Gemeinde, sei verfassungsrechtlich gerechtfertigt, ja sogar geboten, weil die Steuermesszahlen auf die Einheitswerte vom 1.1.1935 ausgerichtet und diese in kleineren Gemeinden seinerzeit verhältnismäßig gering gewesen seien, so dass im Ergebnis keine höhere Besteuerung als in den bereits vor dem 1.1.1935 zu der Gemeinde der Größenklasse b gehörenden Gemeindeteilen erfolge und ein Ausgleich der Steuermesszahlen daher ausscheiden müsse (so aber VG Bremen, aaO, S. 251 f.; Rössler, aaO, S. 223).

Zwar mag es insofern auch heute noch folgerichtig erscheinen, im Einklang mit § 30 Abs. 3 GrStDV an den bisherigen höheren Steuermesszahlen festzuhalten, als die zum ersten Hauptfeststellungszeitpunkt am 1.1.1935 ermittelten Einheitswerte (vgl. § 79 Abs. 1 Satz 1 RBewG), auf welche die Steuermesszahlen des § 29 GrStDV ausgerichtet sind, quasi eingefroren wurden. Nach Art. I Nr. 2 der Verordnung zur Änderung der Durchführungsbestimmungen zum Reichsbewertungsgesetz und zum Vermögensteuergesetz vom 22.11.1939 (RGBl. I S. 2271) fand für die wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens eine Hauptfeststellung der Einheitswerte bis auf weiteres nicht mehr statt. Nachdem das Deutsche Reich am 1.9.1939 den Zweiten Weltkrieg ausgelöst hatte, wurde die nächste Hauptfeststellung auf unbestimmte Zeit verschoben. § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RBewG hatte hingegen Hauptfeststellungen in Zeitabständen von sechs Jahren vorgesehen. Da in den neuen im Gegensatz zu den alten Ländern, in denen zum 1.1.1964 nochmals eine Hauptfeststellung stattfand, bis heute keine weitere Hauptfeststellung durchgeführt wurde, sind hier nach § 41 Satz 1 GrStG nach wie vor die Einheitswerte von 1935 maßgebend. Insoweit ist es unerheblich, dass sich die Grundstückswertverhältnisse nach der Eingliederung in der aufnehmenden Gemeinde inzwischen angeglichen haben dürften.

b) Dennoch darf die auf Ausgleich relativ hoher Einheitswerte bedachte Funktion des § 29 GrStDV nicht auf die bereits am 1.1.1935 zur Größenklasse b zählenden Gemeinden beschränkt werden. Es ist vielmehr verfassungsrechtlich geboten, diese Funktion auf die nach dem 1.1.1935 in Gemeinden der Größenklasse b eingegliederten kleineren Gemeinden der Größenklasse a zu übertragen, weil auch in diesen die Grundstücke typischerweise die für die Gemeinden der Klasse b kennzeichnenden hohen Einheitswerte erreichten. Denn Eingliederungen in größere Gemeinden mit über 25.000 Einwohnern kamen ab 1935 generell nur hinsichtlich derjenigen Gemeinden mit geringerer Einwohnerzahl in Betracht, die schon einen urbanen Charakter trugen und mit der benachbarten, sie aufnehmenden größeren Stadt städtebaulich, wirtschaftlich und verkehrsmäßig so eng verflochten waren, dass sie zusammen mit dieser einen einheitlichen Ballungsraum bildeten. Angesichts der städtischen Strukturen, deren Herausbildung das Ergebnis eines allmählichen Prozesses darstellte, beliefen sich die Einheitswerte der Grundstücke in diesen im Randbereich einer größeren Stadt liegenden Gemeinden regelmäßig bereits am 1.1.1935 auf gleich hohem Niveau wie in der Stadt selbst. Ländlich geprägte Gemeinden, in denen die Grundstückseinheitswerte gering waren, wurden hingegen ab 1935 grundsätzlich auch dann nicht in eine größere Stadt eingegliedert, wenn sie an diese unmittelbar angrenzten. Diese Unterscheidung hing mit der damaligen Entwicklung des Programms der Umformung der kommunalen Ebene zusammen.

aa) Eine Gemeindegebietsreform mit dem Ziel der Beseitigung kleinteiliger administrativer Einheiten stand prinzipiell im Widerspruch zur nationalsozialistischen "Weltanschauung", die unter Verwendung des Klischees von "Blut und Boden" die ländlichen Lebens- und Siedlungsformen zu stärken suchte und die Daseinsbedingungen der Großstadt als Ausdruck eines gesellschaftlichen Verfalls betrachtete. Trotz dieser ideologischen Ausrichtung setzte 1933 eine auf allen politischen Ebenen und in der Fachöffentlichkeit (vgl. die Nachweise bei Surén/Loschelder, Die Deutsche Gemeindeordnung, Band I, 1940, § 4 Anm. 4 [S. 144]) kontrovers geführte Diskussion über die Frage der Zweckmäßigkeit einer kommunalen Neugliederung ein. Diese knüpfte an die oldenburgische Verwaltungsreform an, die von der dortigen nationalsozialistischen Regierung unmittelbar nach ihrer Bildung im Mai 1932 eingeleitet und ein Jahr später verwirklicht wurde. Jene Reform bestand in der Aufhebung kleiner sowie in der Zusammenfassung leistungsschwacher und leistungsstarker Gemeinden und hatte die Vereinfachung der Verwaltung, die Schaffung leistungsfähiger Strukturen und einen wirtschaftlichen Ausgleich im vergrößerten Gemeindegebiet zum Ziel. Dadurch sollte die Erledigung wichtiger Aufgaben durch die Gemeinden als "Urzellen" des Staates ermöglicht und den Schwierigkeiten der Geltung einheitlicher Rechtsvorschriften für verschiedenartigste Gemeindegrößen begegnet werden (vgl. Theilen/Carstens, Die Oldenburgische Verwaltungsreform vom Jahre 1933, Teil 1, 1934, S. 27 ff. und 36). Dieses Modell fand sowohl Befürworter als auch - so in Preußen und Württemberg (vgl. Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, 1970, S. 344 ff.) - entschiedene Gegner. In den preußischen Westprovinzen, im Rheinland und in Westfalen, hielt man an den bisherigen Gemeindegrößen fest, schuf aber mit den Amtsverbänden eine zusätzliche Ebene, auf der die kommunalen Aufgaben professioneller erledigt werden konnten (vgl. Surén/Loschelder, aaO, § 4 Anm. 3 [S. 137 und 142]). Die Deutsche Gemeindeordnung - DGO - vom 30.1.1935 (RGBl. I S. 49) löste das Spannungsverhältnis zwischen den Forderungen der Aufrechterhaltung der überkommenen gemeindlichen Strukturen zur Wahrung der örtlichen Verbundenheit der Einwohner und der Zusammenlegung von Gemeinden zur Sicherung kommunaler Leistungsfähigkeit nicht auf, sondern hielt es bewusst in der Schwebe, indem § 4 DGO der Bemessung des Gemeindegebiets beide widerstreitende Ziele als Richtlinien vorgab (vgl. Nr. 4 der allgemeinen Begründung zur DGO, zitiert bei Surén/Loschelder, aaO, § 4 Anm. 3 [S. 137]). Nachdem die Neugliederungsüberlegungen jedoch zunehmend Unruhe in die Bevölkerung trugen, erließ der "Stellvertreter des Führers" im Juli 1935 ein an die Gliederungen der Partei gerichtetes Verbot, das Thema weiter öffentlich zu behandeln (vgl. Matzerath, aaO, S. 344). Damit fand auch die Erörterung in der Fachliteratur ein abruptes Ende (vgl. Schattenfroh, RVBl. 1939, 529 [530]); Surén/Loschelder, aaO, Anm. 4 [S. 144]). Infolgedessen kam es seit 1935 praktisch weder zu einer weiteren Vereinigung kleiner Gemeinden noch zur Eingliederung kleiner Gemeinden in größere Städte. Die Diskussion wurde ausschließlich innerhalb des Reichsministeriums des Innern weitergeführt und mündete am 6.1.1939 in den Runderlass über Maßnahmen zur Hebung der Verwaltungskraft kreisangehöriger Gemeinden (RMBliV S. 33), der unter Verzicht auf ein einheitliches Schema die nachgeordneten Behörden zur Ausarbeitung von Plänen für einen Neuzuschnitt der Gemeindegebiete anwies (siehe Surén/Loschelder; aaO, § 4 Anm. 3 [S. 138 ff.]; Matzerath, aaO, S. 346 ff.). Der Krieg verhinderte allerdings die Verwirklichung dieses Vorhabens.

bb) Die Situation urbanisierter Gemeinden im Umfeld größerer Städte wurde davon völlig abweichend behandelt. Während die oldenburgische Verwaltungsreform auf die großstadtfeindliche NS-Ideologie und die krasse Ablehnung vor 1933 erfolgter Eingemeindungen durch die Funktionäre der Partei eine gewisse Rücksicht nahm und daher ausschließlich bei städtebaulichen Zusammenhängen eine Eingliederung von Gemeinden - zum Teil nur hinsichtlich ihrer einzelnen städtisch geprägten Anteile - in größere Städte vornahm (vgl. Theilen/Carstens, aaO, S. 36 f. und 46), wurden andernorts ab 1933 in großem Stil den Städten auch reine Dorfgemeinden einverleibt. Diese Maßnahmen erfolgten regelmäßig auf Betreiben der neuen örtlichen Machthaber mit dem Ziel der Arrondierung ihres Kompetenzbereichs (vgl. Matzerath, aaO, S. 335 f.). Zwar wurde den weiteren Eingemeindungsbestrebungen durch den auf Intervention des Reichs- und Preußischen Ministers für Ernährung und Landwirtschaft und "Reichsbauernführers" ergangenen Runderlass des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern über die Eingliederung von Gemeinden in Städte vom 2.12.1935 - der Runderlass (Az.: V a I 1857 IV-VI/35) ist unveröffentlicht und in seinem wesentlichen Inhalt bei Matzerath, aaO, S. 337, wiedergegeben - insofern eine erhebliche Beschränkung auferlegt, als die Unterschiede zwischen Stadt und Land nicht weiter eingeebnet werden und daher Eingemeindungen nicht einfach zur Vergrößerung des Stadtgebiets oder zur Vermehrung der Einwohnerzahl der Städte erfolgen durften. Die Aufnahme bereits verstädterter Gemeinden in die benachbarten Städte blieb jedoch weiter zulässig und wurde regelmäßig durch Annahme dahin gehender praktischer Erfordernisse legitimiert. Diese erkannte man vor dem Hintergrund der expansiven politischen Pläne insbesondere in der Existenz von Betrieben und Kasernen mit zugehörigen Wohnbauten im städtischem Umland. Außerdem sollte ein längeres Auseinanderfallen der von der Gewerbesteuer profitierenden Städte mit Betriebssitzen und der sie umgebenden, mit den Aufgaben der Daseinsvorsorge belasteten reinen Wohnstädte verhindert werden (vgl. Schattenfroh, Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht 1937, S. 69 ff.). Die verbliebenen Möglichkeiten wurden in einem Maß genutzt, dass für die folgenden Jahre von einer neuen Eingemeindungswelle gesprochen wurde (vgl. am Beispiel von Stuttgart Steimle, RVBl. 1938, 262 ff.). Diese erhielt durch das mit dem Gesetz über die Neugestaltung deutscher Städte vom 4.10.1937 (RGBl. I S. 1054) verfolgte städtebaulich-architektonische Prestigeprojekt weiteren Auftrieb. Der Reichsgesetzgeber setzte mit dem Gesetz über Groß-Hamburg und andere Gebietsbereinigungen vom 26.1.1937 (RGBl. I S. 91) sogar unmittelbar die Eingliederung städtischer Gemeinden nach Hamburg, Lübeck und Wilhelmshaven durch.

c) Dem verfassungsrechtlichen Gebot der nach § 227 Hs. 1 AO zu bewirkenden steuerrechtlichen Gleichbehandlung der Grundstücke in den nach dem 1.1.1935 in Gemeinden der Größenklasse b eingegliederten - ebenso wie diese typischerweise städtisch geprägten - kleineren Gemeinden der Klasse a einerseits und der bereits am 1.1.1935 der Klasse b zuzuordnenden Grundstücke andererseits kann bereits wegen des normativen Vorrangs von Art. 3 Abs. 1 GG die Regelung des § 41 Satz 1 GrStG in Verbindung mit § 30 Abs. 3 GrStDV nicht entgegengehalten werden. Überdies wollte auch der Verordnunggeber selbst mit Erlass des § 30 Abs. 3 GrStDV den nach dem 1.1.1935 zu einer Gemeinde höherer Größenklasse gelangten Grundstücken die Gleichstellung keineswegs langfristig oder gar dauerhaft versagen. Es gab für ihn keinen Grund, die Grundstücke in den bis zum 1.1.1935 in eine größere Stadt eingegliederten Gemeinden - für welche die niedrigeren Steuermesszahlen galten (§ 30 Abs. 2 GrStDV) - definitiv besser als die erst danach mit einer kleineren Gemeinde zu einer größeren Stadt gekommenen Grundstücke zu stellen, zumal er nach der vorstehend geschilderten Entwicklung der Eingemeindungspolitik sogar nur für die letztere Kategorie grundsätzlich von einem urbanen Charakter der aufgenommenen Gemeinde mit den entsprechend - schon am 1.1.1935 bestehenden - hohen Einheitswerten ausgehen konnte und § 12 Abs. 2 GrStG a.F. gerade möglichst weitgehende Ausgleichseffekte erzielen wollte.

Dem Erfordernis zumindest mittelfristiger Gleichstellung wurde durch Begrenzung der Geltungsdauer des § 30 Abs. 3 GrStDV Rechnung getragen. Bereits nach der Langfassung der Bezeichnung der Verordnung war deren Wirksamkeit auf den ersten Hauptveranlagungszeitraum beschränkt. Demgemäß regelte § 67 Abs. 1 GrStDV, dass die §§ 1 bis 62 erstmals für die Grundsteuererhebung im Rechnungsjahr 1938 und letztmalig für die Grundsteuererhebung in dem dem nächsten Hauptfeststellungszeitpunkt für die Einheitsbewertung des Grundbesitzes folgenden Rechnungsjahr anzuwenden waren. Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 79 Abs. 1 RBewG musste die nächste Hauptfeststellung am 1.1.1941 stattfinden. Dass diese, wie oben ausgeführt wurde, Ende 1939 kriegsbedingt ausgesetzt wurde, war bei Erlass der Grundsteuerdurchführungsverordnung nicht vorhersehbar. Auch die dem Reichsminister der Finanzen durch § 21 Abs. 1 Satz 2 RBewG grundsätzlich eingeräumte Berechtigung zur Verlängerung der in § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RBewG mit sechs Jahren angegebenen Zeitabstände der Hauptfeststellungen der Einheitswerte konnte im Jahr 1937 nicht zu der Erwartung Anlass geben, die Grundsteuerdurchführungsverordnung werde zeitlich unbegrenzt gültig bleiben, zumal in der Vergangenheit - wenn auch nicht für den Zweck der Grundsteuererhebung - ebenfalls regelmäßig (zuletzt 1925, 1928 und 1931) Einheitswertfeststellungen erfolgt waren (vgl. Renzi, aaO, S. 10 f.). Vielmehr verdeutlicht auch die amtliche Kurzfassung ihrer Bezeichnung - GrStDV 1937 -, dass fortlaufend - im Zusammenhang mit weiteren Hauptfeststellungen - neue Grundsteuerdurchführungsverordnungen folgen sollten. Der Rhythmus konnte sogar durchaus noch rascher ausfallen, weil die Delegationsnorm des § 12 Abs. 2 GrStG flexible, an etwaige Änderungen des Grundstücksmarktes schnell anzupassende sachgerechte (Neu-)Regelungen ermöglichen wollte (vgl. Reinhardt, aaO, S. 151). Aus der Sicht des Jahres 1937 mussten die Eigentümer der von § 30 Abs. 3 GrStDV erfassten Grundstücke somit aller Voraussicht nach ab 1941 ebenfalls in den Genuss der Anwendung der niedrigeren Steuermesszahlen der Klasse b kommen. Es blieb - vorerst - nur deshalb bei der bisherigen Einstufung, weil für den maßgeblichen Zeitraum bis 1941 noch nicht vorhersehbar war, welche konkreten Neugliederungsmaßnahmen vorgenommen werden würden. Da nach dem 1.1.1935 noch keine weitere Hauptfeststellung erfolgt war, musste auch für die seitdem - bis zum Erlass der Grundsteuerdurchführungsverordnung - abgelaufene Zeitspanne noch der Gebietszuschnitt vom 1.1.1935 zugrunde gelegt werden. Die höhere Besteuerung konnte aber nur bis zum Ende des ersten Hauptfeststellungszeitraums hingenommen werden, dessen Dauer sich nach der Grundnorm des § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RBewG jedenfalls nicht allzu lange über die Regelvorgabe von sechs Jahren hinaus erstrecken durfte.

d) Das durch § 12 Abs. 2 GrStG a.F. in Verbindung mit §§ 29 und 30 GrStDV geschaffene normative System folgte mithin dem Grundgedanken, dass bei Eingliederung einer Gemeinde mit bis zu 25.000 Einwohnern in eine größere Gemeinde mit über 25.000 Einwohnern spätestens nach Ablauf des grundsätzlich auf sechs Jahre bemessenen Hauptfeststellungszeitraums einheitlich die niedrigeren Steuermesszahlen angewandt werden würden. Aus der Perspektive des Jahres 1937 lag allerdings kein Grund für die Annahme vor, dass diese Regel nur für den ersten Hauptfeststellungszeitraum praktiziert werden würde. Vielmehr musste nach dem Grundsatz der Systemgerechtigkeit davon ausgegangen werden, dass für die folgenden Hauptfeststellungszeiträume in gleicher Weise verfahren werden würde. Sofern auch insoweit noch zum Ausgleich von Belastungsverschiebungen mehrere Gemeindegrößenklassen mit unterschiedlichen Steuermesszahlen gebildet werden würden, war sicher damit zu rechnen, dass jeweils mit Beginn des neuen Hauptfeststellungszeitraums - dem Vorbild des § 30 Abs. 2 GrStDV entsprechend - die während des vergangenen Hauptfeststellungszeitraums erfolgten Umgemeindungen "nachvollzogen", d.h. in ihrer Hinsicht die aktuelle Gemeindegrößenklasse zugrunde gelegt werden würde. Nach dieser Regel der zeitnahen Aktualisierung der Gemeindegrößenverhältnisse mit der Folge zeitnaher Vereinheitlichung der Steuermesszahlen innerhalb einer Gemeinde wäre somit auch die Eingliederung der Stadt S. in die Beklagte im Jahr 1950 behandelt worden.

e) Aufgrund der den Vorschriften immanenten typisierenden Betrachtungsweise kommt es generell nicht darauf an, ob die nach dem 1.1.1935 in eine Gemeinde der Größenklasse b eingegliederte Gemeinde der Größenklasse a wirklich ein - sich in hohen Einheitswerten niederschlagendes - urbanes Gepräge aufwies. Das war indes bei der Stadt S. auch tatsächlich der Fall, was das gefundene Ergebnis zusätzlich bestätigt. Denn § 1 der Verordnung über die Bewertung bebauter Grundstücke im Gebiet der Landesfinanzämter Dresden und Leipzig vom 17.12.1934 reihte die seinerzeit noch selbständigen Gemeinden S1 und S2 jeweils in den dritthöchsten Bezirk II b mit dem Vervielfältiger 7 ein. Damit entsprachen sie nach ihrer Struktur nahezu der dem Bezirk I zugeordneten Stadt Chemnitz, für die der Vervielfältiger 6 festgesetzt war. Da somit die Einheitswerte der Grundstücke in S1 und S2 bereits am 1.1.1935 offenbar sehr hoch - nahe bei den Verkehrswerten - lagen (vgl. zu dieser Bedeutung der Bezirkseinteilung und der Vervielfältiger oben unter B.II.1.b), musste auch nach den tatsächlichen Verhältnissen eine Anpassung der Besteuerung an die für die Stadt Chemnitz geltenden Maßstäbe erfolgen.

III.

Unbeschadet dieser eine grundsteuerrechtliche Gleichstellung der Grundstücke im ursprünglichen Gemeindegebiet und im später eingegliederten, ebenfalls städtisch geprägten Gemeindegebiet fordernden Gründe - d. h. auch bei späterer Eingliederung ländlich strukturierter Gebiete - würde die auf § 30 Abs. 3 GrStDV gestützte ungefilterte Anwendung der in § 29 GrStDV bestimmten unterschiedlichen Steuermesszahlen innerhalb derselben Gemeinde im hier streitbefangenen Zeitraum der 1990er Jahre gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Denn sechs Jahrzehnte nach dem Erlass der §§ 29 bis 33 GrStDV ergibt die Abstufung der Steuermesszahlen nach einzelnen Teilen des Gemeindegebiets keinen Sinn mehr. Die ihr beigelegte Zielsetzung der Abmilderung der mit der Grundsteuerreform von 1936 vor allem für Neubauten und Einfamilienhäuser in größeren Städten verbundenen Erhöhung der Belastung im Verhältnis zur vorherigen Situation mag für eine Zeitspanne von etwa 20 bis 30 Jahren gerechtfertigt gewesen sein. Sie kann jedoch nicht für eine drei Generationen umfassende Zeit von 60 Jahren, die zudem durch einen mehrfachen Wechsel der politischen Systeme geprägt war, aufrecht erhalten werden. Die mögliche Geltungsdauer einer Umgewöhnungsphase oder Schonfrist war daher jedenfalls zu Beginn der 1990er Jahre abgelaufen. Dem steht nicht entgegen, dass im Beitrittsgebiet 1991 erstmals ohne Anpassungsregelungen überhaupt wieder generell Grundsteuern erhoben wurden. Denn die deutsche Wiedervereinigung führte in den neuen Ländern zwangsläufig zu einer (finanz-)verfassungsrechtlichen Umbruchsituation. Diese konnte schwerlich durch "Beibehaltung" einer längst überholten, unterschiedlichen Steuermesszahlen folgenden gemeindeinternen Differenzierung geschmeidiger gestaltet werden. Es musste sich vielmehr der Gedanke der steuerrechtlichen Binnengerechtigkeit innerhalb einer Gemeinde durchsetzen.

IV.

1. Die Beklagte ist an der Gewährung des teilweisen Grundsteuererlasses nicht dadurch gehindert, dass die Unbilligkeit einer Steuereinziehung in voller Höhe durch die Abstufung der Steuermesszahlen und damit einen Aspekt der den Finanzämtern übertragenen Festsetzung des Steuermessbetrags bedingt ist. Die Steuererlasskompetenz folgt kraft Natur der Sache generell der Steuerertragskompetenz, weil der Steuererlass unmittelbar die Schmälerung des Steueraufkommens bewirkt (vgl. auch Fritsch, in: Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, 2004, § 184 RdNr. 36). Die Beklagte, der die Ertragskompetenz hinsichtlich der Grundsteuer zusteht (Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG und § 1 Abs. 1 GrStG), unterliegt bei der Gewährung eines Steuererlasses daher keiner aus der Zuständigkeit anderer Behörden herzuleitenden Beschränkung. Ihre Erlasskompetenz bezieht sich auf jede denkbare Unbilligkeit im Zusammenhang mit allen steuerrechtlich relevanten Normen, auch wenn deren regelhafte Konkretisierung nicht zu ihren Aufgaben gehört.

Diese Grundsätze gelten auch für die Festsetzung der Steuermessbeträge. Es müsste vielmehr umgekehrt das Finanzamt, das insoweit eine Billigkeitsmaßnahme beabsichtigt, in der Regel die Zustimmung der Gemeinde einholen, weil diese infolge der Maßnahme Steuerausfälle erleiden würde (vgl. Fritsch, aaO, § 184 RdNr. 37). Zwar existiert in § 184 Abs. 2 Satz 1 AO eine Sonderregelung, nach der das Finanzamt bei der Festsetzung des Grundsteuermessbetrags eine Billigkeitsmaßnahme ohne Zustimmung der Gemeinde treffen darf, soweit sie sich auf eine entsprechende Richtlinie der Bundesregierung oder einer obersten Landesfinanzbehörde stützen kann. Abgesehen davon, dass eine solche Richtlinie in Bezug auf die praktische Handhabung der §§ 29 ff. GrStDV nicht existiert, würde eine derartige Richtlinie einem Billigkeitserlass durch die Gemeinde nach § 227 Hs. 1 AO nicht entgegenstehen. Denn § 184 Abs. 2 Satz 1 AO begründet eine Ausnahmebefugnis für das Finanzamt, ohne diesem damit eine ausschließliche Zuständigkeit einzuräumen.

2. Angesichts der umfassenden Kompetenz der Beklagten zum Grundsteuererlass kann die Klägerin nicht auf ein (rechtzeitiges) Vorgehen gegen die Grundsteuermessbescheide verwiesen werden. Im Übrigen durfte sie auch deshalb eine solche Möglichkeit unversucht lassen und statt dessen den vom Bundesverwaltungsgericht eröffneten Weg des Billigkeitserlasses beschreiten, weil unmittelbar gegen die Anwendung der Steuermesszahlen durch das Finanzamt gerichtete Rechtsbehelfe nach der Rechtsprechung der Finanzgerichte aussichtslos erscheinen (vgl. oben unter A.II.).

3. Der teilweise Erlass der Grundsteuer scheitert ferner nicht daran, dass außer der Klägerin auch alle anderen Eigentümer von Grundstücken in denjenigen Teilen einer Gemeinde der Größenklasse b, die zu dieser durch eine nach dem 1.1.1935 erfolgte Eingliederung einer zuvor zur Größenklasse a gehörenden Gemeinde gekommen sind, ein entsprechendes Verlangen erheben können. § 227 Hs. 1 AO erfasst außer der persönlichen auch die auf eine größere Gruppe von Einzelfällen zutreffende sachliche Unbilligkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.6.1959, BVerwGE 8, 334 [335]). Ein Gruppenunbilligkeit liegt vor, wenn der Gesetzgeber die Situation - hätte er sie erkannt - allgemein im Sinne der im Einzelfall begehrten Billigkeitsmaßnahme geregelt hätte (vgl. Fritsch, aaO, § 227 RdNr. 33). Diese Annahme ist hier zweifellos gerechtfertigt. Dass die Grundsteuerreform von 1936 aufgrund des mit ihr eingeführten Systems der Feststellung der Grundstückseinheitswerte auch in den zur Eingemeindung anstehenden städtisch geprägten Gemeinden der Größenklasse a zu erheblichen Belastungsverschiebungen führte, hat der Gesetzgeber bei der Regelung des § 41 Satz 1 GrStG offenbar ebenso wenig wie den spätestens nach 60 Jahren eingetretenen Wegfall eines entsprechenden Differenzierungserfordernisses bedacht. In den entstehungsgeschichtlichen Materialien deutet nichts darauf hin, dass er sich über diese Gesichtspunkte im Klaren gewesen wäre, die steuerrechtliche Ungleichbehandlung aber gleichwohl in Kauf genommen hätte.

Die Anwendung des § 227 Hs. 1 AO aus Gründen einer gruppenbezogenen sachlichen Unbilligkeit zur Korrektur verfassungswidriger Folgen einer gesetzlichen Vorschrift scheidet nur dann aus, wenn diese dadurch insgesamt leerliefe, weil der Steuererlass in jedem denkbaren Fall gewährt werden müsste. Dann wäre vielmehr die Vorschrift als solche verfassungswidrig. Das Institut des Billigkeitserlasses erlaubt es nicht, die in einer Norm zum Ausdruck kommende Wertung des Gesetzgebers im Ergebnis vollständig zu überspielen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.4.1978, BVerfGE 48, 102 [116]). So verhält es sich hier indes keineswegs.

Zunächst ist zu beachten, dass der Gesetzgeber mit § 41 Satz 1 GrStG auf den Normenbestand der §§ 29 ff. GrStDV insgesamt verwiesen hat. Für sich genommen wird § 41 Satz 1 GrStG bei einem auf die Folgen des § 30 Abs. 3 GrStDV beschränkten Billigkeitserlass damit nicht komplett wirkungslos; die tatsächliche Umsetzung aller anderen Bestimmungen der §§ 29 ff. GrStDV bleibt davon unberührt. Auch bei isolierter Betrachtung des § 30 Abs. 3 GrStDV hat der Billigkeitserlass weder eine umfassende Durchbrechung noch überhaupt eine Relativierung der normativen Wertung zur Folge. Wie unter B.II.2.c) ausgeführt ist, war diese Bestimmung nur für den normalerweise am 31.12.1940 endenden ersten Hauptfeststellungszeitraum konzipiert, weil eine länger andauernde Wirksamkeit - im Gegensatz zu den sonstigen Regelungen der §§ 29 ff. GrStDV - zu einer grundlosen Ungleichbehandlung der vor und nach dem 1.1.1935 erfolgten Umgemeindungen geführt hätte. Nach ihrem Regelungsgehalt hatte sie sich somit selbst von vornherein keinen zeitlich unbegrenzten, nicht einmal einen längerfristigen, sondern nur einen vorübergehenden Geltungsanspruch beigemessen. Im Zeitpunkt ihres Erlasses war von ihrer baldigen Funktionslosigkeit auszugehen. Der Gesetzgeber des § 41 Satz 1 GrStG vermochte ihr durch eine schlichte Verweisung aber keine stärkere Kraft zu verleihen, als ihr originär zukam. Unter diesen Umständen spricht nichts gegen einen teilweisen Erlass der Grundsteuer aus Billigkeitsgründen zur verfassungsrechtlich gebotenen Abwendung der mit § 30 Abs. 3 GrStDV verbundenen Folgen.

Überdies verbleibt § 30 Abs. 3 GrStDV - ohne dass es darauf noch ankommt - ein relevanter Anwendungsbereich für die Situation, in der ein bisheriger Teil einer Gemeinde einer höheren Größenklasse nach dem 1.1.1935 aus dieser ausgemeindet und zu einer einer niedrigeren Größenklasse zuzuordnenden selbständigen Gemeinde erhoben oder in eine solche Gemeinde eingegliedert wurde. Den davon betroffenen Grundstücken wird dann die geringere Steuermesszahl erhalten (so auch Troll, aaO; Halaczinsky, aaO, § 41 GrStG RdNr. 13). Wenn diese Geltungsrichtung des § 30 Abs. 3 GrStDV auch im Hinblick auf die allgemeine Tendenz zur Vergrößerung der Gemeinden nur für eine erheblich geringere Anzahl von Fällen Bedeutung hat, kann deshalb der Billigkeitserlass nicht die praktische Aufhebung der gesamten Regelung zur Folge haben. Da diese den übergreifenden Ausdruck der "Umgemeindung" verwendet, wird der Verordnunggeber die Ausgemeindungsfälle ebenfalls im Blick gehabt haben, zumal das wenige Monate zuvor ergangene Groß-Hamburg-Gesetz neben den bereits angesprochenen gemeindlichen Eingliederungen in § 7 auch eine Ausgliederung vornahm. Nach 1945 sind im Übrigen nicht wenige Eingemeindungen der 1930er Jahre revidiert worden (vgl. z.B. Gesetz über die Neubildung von Gemeinden im Niedersächsischen Verwaltungsbezirk Oldenburg vom 26.4.1948 [NdsGVBl. S. 50]).

4. Der Hinweis der Beklagten auf steuerliche Mindereinnahmen führt nicht weiter. Finanzielle Verluste sind bei einem Steuererlass aus Billigkeitsgründen vorprogrammiert. Sie lassen sich hier unter Umständen auch durch eine Veränderung des Hebesatzes auffangen. Überdies können größere Steuerausfälle überhaupt nur auftreten, wenn für die Grundstücke in den Eingemeindungsgebieten ein Erlass von Amts wegen ausgesprochen würde. Ob die Beklagte dazu verpflichtet ist, muss der Senat in diesem Verfahren nicht klären. Im Übrigen würde sich ein entsprechender administrativer Mehraufwand in Grenzen halten, wenn bereits im Festsetzungsverfahren (§ 163 AO) die Ermäßigung vorgenommen würde. Damit wäre nur ein zusätzlicher Rechenschritt verbunden; alle insoweit maßgebenden Grundlagen werden der Beklagten in den Steuermessbescheiden des Finanzamts mitgeteilt.

V.

Da die Besteuerung aufgrund der §§ 29 und 30 Abs. 3 GrStDV zu einer mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbaren Ungleichbehandlung führt und die Verwirklichung grundrechtlicher Vorgaben keine Ermessensentscheidung darstellt, wird das in § 227 Hs. 1 AO normierte Ermessen insoweit verfassungsrechtlich auf Null reduziert. Die Beklagte ist mithin zum teilweisen Grundsteuererlass in Höhe eines Achtels verpflichtet. Da die Klägerin lediglich ein Bescheidungsurteil (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) beantragt hat, muss es aber bei diesem bleiben; ein Vornahmeurteil (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) konnte im Hinblick auf § 88 VwGO nicht ergehen.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 15.650,41 € festgesetzt.

Gründe

Der Beschluss beruht auf § 72 Nr. 1 GKG in Verbindung mit § 13 Abs. 2 GKG a.F. Eine Ermäßigung im Hinblick darauf, dass die Klägerin lediglich eine Bescheidungsklage erhoben hat (vgl. Nr. 1.4. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 7./8.7.2004), ist nicht veranlasst, weil sie in der Sache einen definitiven Anspruch auf teilweisen Grundsteuererlass erhebt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a.F.).



Ende der Entscheidung

Zurück