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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 15.04.2008
Aktenzeichen: 5 BS 239/07
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 146 Abs. 4 S. 3
VwGO § 146 Abs. 4 S. 6
VwGO § 80 Abs. 7
Nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist Vorgebrachtes ist nicht zu berücksichtigen, wenn es zu einem neuen Streitgegenstand führt. Dies gilt auch für den Vortrag des Beschwerdegegners.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 5 BS 239/07

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Abwasserbeitrages, Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

hier: Beschwerde

hat der 5. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Raden, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dehoust und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Düvelshaupt

am 15. April 2008

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 29. Mai 2007 - 1 K 294/07 - geändert und die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21. Dezember 2006 angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.968,55 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 29.5.2007, mit dem dieses die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Abwasserbeitragsbescheid des Antragsgegners vom 21.12.2006 abgelehnt hat, hat Erfolg.

Die Beschwerde gegen den Bescheid vom 21.12.2006 ist trotz Erlasses des Änderungsbescheides vom 7.4.2008 noch zulässig, weil der ursprüngliche Bescheid noch wirksam ist. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b SächsKAG i. V. m. § 124 Abs. 2 AO bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Wird ein Verwaltungsakt zurückgenommen oder abgeändert, so endet seine Wirksamkeit mit der Unanfechtbarkeit des Rücknahme- oder Abänderungsbescheides (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 43 Rn. 40 zum wortgleichen § 43 Abs. 2 VwVfG). Hier ist der Bescheid vom 7.4.2008 indes noch nicht bestandskräftig. Der Änderungsbescheid wird auch nicht qua Gesetzes Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. § 365 Abs. 3 Satz 1 AO, wonach der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Einspruchsverfahrens wird, wenn der angefochtene Verwaltungsakt geändert oder ersetzt wird, ist auf Kommunalabgaben nicht anwendbar (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 7 SächsKAG). Zudem gilt die Vorschrift des § 365 Abs. 3 AO auch nur für das Einspruchsverfahren, nicht aber für Änderungen außerhalb des Einspruchsverfahrens (vgl. BFH, Urt. v. 7.11.2006, NVwZ-RR 2007, 649, 650).

Der Antrag ist auch begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu Unrecht abgelehnt. Der angegriffene Abgabenbescheid vom 21.12.2006 ist bereits deshalb rechtswidrig, weil er nur das Flurstück Nr. F1..., nicht jedoch das gesamte, auf Blatt des Grundbuchs von Z.... unter Nummer 2 eingetragene Grundstück veranlagt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senates sind Abwasserbeiträge grundsätzlich für das Buchgrundstück festzusetzen. Abweichungen vom bürgerlich-rechtlichen Grundstücksbegriff sind nur dann zulässig, wenn es nach dem Inhalt und Sinn des Beitragsrechts gröblich unangemessen wäre, den bürgerlich-rechtlichen Grundstücksbegriff zugrunde zu legen, z. B. weil das Buchgrundstück etwa bei unzureichender Größe allein nicht bebaubar wäre, zusammen mit angrenzenden Grundstücken desselben Eigentümers jedoch ohne weiteres baulich angemessen genutzt werden darf (BVerwG, Urt. v. 16.9.1998 - 8 C 8.97 -, zitiert nach juris, zu Erschließungsbeiträgen nach dem BauGB). Wird in einem Beitragsbescheid nur ein Flurstück als Teilfläche veranlagt, verstößt dies gegen § 17 Abs. 1 Satz 1 SächsKAG und den abgabenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz (SächsOVG, Urt. v. 12.7.2007 - 5 B 566/05 - sowie Beschl. v. 9.2.2007 - 5 BS 307/06 -, zitiert nach juris).

Hier ist mit der Angabe der Flurstücksbezeichnung F1... nicht hinreichend klar, dass das gesamte Buchgrundstück veranlagt werden soll, und nicht nur die bezeichnete Teilfläche. Für die Antragstellerin ist allein aus dem Bescheid nicht erkennbar, ob sie für das gesamte Buchgrundstück herangezogen werden soll oder ob noch ein gesonderter Bescheid für die übrigen Flurstücke ergehen wird. Dies gilt auch angesichts dessen, dass es sich bei dem weiteren Flurstück F2... um eine öffentliche Verkehrsfläche handelt. Auch diese Tatsache ist aus dem Bescheid selbst nicht erkennbar. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist auch nicht nur die Begründung des Bescheides fehlerhaft, sondern dessen Inhalt. Wie der Senat bereits im Urteil vom 12.7.2007 - 5 B 566/05 - ausgeführt hat, handelt es sich bei der Bezeichnung des Grundstückes, für die der Beitrag erhoben wird, um ein inhaltliches Mindesterfordernis i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c SächsKAG i. V. m. § 157 Abs. 1 Satz 2 AO.

Der Senat kann diesen offenkundigen Umstand auch ohne ausdrücklichen Vortrag des Antragstellers berücksichtigen. Zwar ist das Oberverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung grundsätzlich nach § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO auf die Prüfung der vom Beschwerdeführer dargelegten Gründe beschränkt. Eine Ausnahme besteht aber bei offenkundigen Umständen, deren Berücksichtigung zu keiner Verfahrensverzögerung und zu keinem neuen Streitstand führt (SächsOVG, Beschl. v. 29.3.2007, SächsVBl. 2007, 167).

Dagegen ist der vom Antragsgegner auf Hinweis des Senates nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist am 4.7.2007 erlassene Änderungsbescheid vom 7.4.2008 im Beschwerdeverfahren nicht zu berücksichtigen.

Gem. § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO prüft das Oberverwaltungsgericht nur die vom Beschwerdeführer innerhalb der Beschwerdefrist dargelegten Gründe. Wie ausgeführt hindert § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO das Oberverwaltungsgericht nicht daran, neue unstrittige oder offenkundige Umstände nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist zu berücksichtigen. Das Oberverwaltungsgericht ist auch nicht gehindert, zu prüfen, ob sich der angegriffene Beschluss aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig darstellt. Dabei kann auch Vortrag des Beschwerdegegners, der nach Ablauf der für den Beschwerdeführer geltenden Beschwerdebegründungsfrist erfolgt, Berücksichtigung finden. Dies gilt indes nicht, wenn die vorgetragenen Tatsachen zu einem neuen Streitstand führen, wie z. B. bei einer Bescheidänderung (SächsOVG, Beschl. v. 5.10.2007, SächsVBl. 2008, 23). In diesem Fall würde das Oberverwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren gleichsam erstinstanzlich über einen Streitgegenstand befinden, zu dem es an einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung fehlt. Dies wäre mit Sinn und Zweck von § 146 Abs. 4 VwGO, der Entlastung des Oberverwaltungsgerichts und der Beschleunigung des Beschwerdeverfahrens, nicht zu vereinbaren. Deshalb ist nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist Vorgebrachtes, das zu einem neuen Streitgegenstand führt, im Beschwerdeverfahren nicht zu berücksichtigen. Dies gilt auch für den Vortrag des Beschwerdegegners. Zwar bezieht sich § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO nach seinem Wortlaut auf die Begründung des Beschwerdeführers. Das rechtsstaatliche Gebot der prozessualen Waffengleichheit (vgl. BVerfG-K, Beschl. v. 2.7.1992 - 1 BvR 1536/91 -, zitiert nach juris) sowie Sinn und Zweck von § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO sprechen aber dafür, auch den Vortrag des Beschwerdegegners, der zu einem neuen Sach- und Streitstand führt, nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist im Beschwerdeverfahren nicht mehr zu berücksichtigen (vgl. Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/v.Albedyll, VwGO, 3. Aufl., § 146 Rn. 36; a. A.: Happ, in: Eyermann, 12. Aufl., § 146 Rn. 29).

Hier wird mit der vorläufigen Vollziehbarkeit des Bescheides in Gestalt des Änderungsbescheides vom 7.4.2008 ein neuer Streitgegenstand in das Verfahren eingeführt. Der Antragsgegner kann dies nicht im Beschwerdeverfahren, sondern lediglich mit einem Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO beim Verwaltungsgericht geltend machen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung in Höhe von einem Viertel der in dem Bescheid festgesetzten Abgabenbetrages beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG (vgl. Nummer 3.1 und 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, abgedruckt z. B. bei Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., Anh. § 164 Rn. 14).

Ende der Entscheidung

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