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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 07.08.2007
Aktenzeichen: 5 E 164/07
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 87a Abs. 1 Nr. 3
VwGO § 166
ZPO § 114
Hat sich das Verfahren in der Hauptsache erledigt, bleibt für die Beschwerde gegen die erstinstanzliche Ablehnung von Prozesskostenhilfe der Senat zuständig. § 87a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 125 Abs. 1 VwGO sind nicht anwendbar.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 5 E 164/07

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Bewilligung von Ausbildungsförderung

hier: Beschwerde gegen die Nichtbewilligung von PKH

hat der 5. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Raden, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dehoust und den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober

am 7. August 2007

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 16. Mai 2007 - 5 K 550/06 - geändert.

Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt A. S. , Z. , beigeordnet.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Chemnitz, mit dem dieses den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Rechtsanwaltes abgelehnt hat, hat Erfolg.

Die Klägerin studierte seit dem Wintersemester 2000 im Studiengang Betriebswirtschaft an der Westsächsischen Hochschule Zwickau. Auf Anforderung des Beklagten vom 6.2.2001 übersandte die Klägerin dem Beklagten eine Bescheinigung der AOK mit Angaben zu ihrer Krankenversicherung. Dort war angekreuzt, dass die Klägerin beitragspflichtig versichert ist. Daraufhin gewährte der Beklagte der Klägerin Ausbildungsförderung unter Einbeziehung des Kranken- und Pflegeversicherungszuschlages nach § 13a BAföG. Ebenso verfuhr er auch in den folgenden Bewilligungszeiträumen, obwohl die Klägerin in ihren Anträgen auf Ausbildungsförderung jeweils zur Krankenversicherung die Angabe "Ich bin gesetzlich familienversichert" angekreuzt hatte. Mit Schreiben vom 27.7.2004 forderte die Beklagte von der Klägerin erneut eine Bescheinigung über ihre Krankenversicherung. Auf der Bescheinigung der AOK vom 10.8.2004 ist - zutreffend - angegeben, dass die Klägerin familienversichert ist. Mit Bescheid vom 30.9.2004 hob der Beklagte die Bewilligungsbescheide insoweit auf, wie sie Kranken- und Pflegeversicherungszuschläge enthielten und forderte die entsprechenden Leistungen zurück. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. Daraufhin erhob die Klägerin Klage. Das Verwaltungsgericht Chemnitz schlug den Beteiligten mit Schreiben vom 17.4.2007 eine Einigung dahingehend vor, dass die Klägerin die hälftige Überzahlung erstattet. Zur Begründung führte es an, der Beklagte hätte der Angabe der Klägerin, dass sie familienversichert sei - auch im Rahmen der Ermessensentscheidung bei der Rücknahme - Beachtung schenken müssen. Andererseits sei auch die Klägerin verpflichtet gewesen, die jeweiligen Bewilligungsbescheide sorgfältig zu prüfen.

Mit Beschluss vom 16.5.2007 lehnte das Verwaltungsgericht Chemnitz die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Das mit der Klage verfolgte Begehren der Klägerin habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Krankenversicherungszuschläge seien zu Unrecht geleistet worden. Die Jahresfrist für die teilweise Rücknahme der Bewilligungsbescheide sei gewahrt. Sie beginne erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des erlassenen Verwaltungsaktes erkannt und ihr für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt seien. Dies sei hier erst mit Eingang der zutreffenden Mitteilung der AOK der Fall gewesen.

Anschließend einigten sich die Beteiligten außergerichtlich auf den vom Gericht vorgeschlagenen Vergleich und erklärten die Hauptsache übereinstimmend für erledigt. Mit Beschluss vom 15.6.2007 stellte das Verwaltungsgericht Chemnitz das Verfahren ein und hob die Kosten gegeneinander auf.

Die gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe gerichtete Beschwerde der Klägerin ist zulässig und begründet.

1. Die Entscheidung hierüber obliegt dem Senat, weil § 87a Abs. 1 Nr. 3, § 125 Abs. 1 VwGO auf den vorliegenden Fall keine Anwendung finden.

Nach § 87a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 VwGO entscheidet der Vorsitzende oder Berichterstatter nach Erledigung des Rechtsstreites in der Hauptsache auch über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe, wenn die Entscheidung im vorbereitenden Verfahren ergeht. Diese Vorschrift findet nach § 125 Abs. 1 VwGO auch im Berufungsverfahren Anwendung. Die Entscheidung des Senates über die Beschwerde gegen die Ausgangsentscheidung des Verwaltungsgerichts über "einen Antrag auf Prozesskostenhilfe" ist jedoch nicht ihrerseits eine Entscheidung "über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe", sondern eine Sachentscheidung im Rechtsmittelverfahren (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 20.6.2006 - 5 E 49/06 -, zitiert nach juris, für die Entscheidung über eine Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss). § 87a Abs. 1 Nr. 3 VwGO will eine Befassung des gesamten Spruchkörpers dann entbehrlich machen, wenn nach Erledigung der Hauptsache im erledigten Verfahren nur noch Nebenentscheidungen zu treffen sind. So liegt der Fall hier aber nicht. Im Beschwerdeverfahren ist keine Nebenentscheidung zu treffen, sondern (allein) zu entscheiden, ob der Klägerin zu Recht Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug versagt wurde. Eine Erledigung ist insoweit nicht eingetreten. Auch die Tatsache, dass es sich bei § 87a Abs. 1 Nr. 3 VwGO um eine Ausnahmevorschrift zur grundsätzlichen Kammer- oder Senatszuständigkeit handelt, spricht dagegen, sie über ihren Wortlaut hinaus erweiternd auszulegen (ebenso: BayVGH, Beschl. v. 11.8.2005 - 24 C 05.1190 -; VGH Bad.-Württ, Beschl. v. 21.11.2006 - 11 S 1918/06 -, zitiert nach juris). Auch die Kontrollfunktion der Rechtsmittelinstanz kann für eine Zuständigkeit des Senats ins Feld geführt werden (Ortloff/Wiese in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 87a RdNr. 34 b).

Der Gegenauffassung, die eine Zuständigkeit des Berichterstatters annimmt (OVG NW, Beschl. v. 13.9.2006 - 18 E 895/06 - sowie OVG Hamburg, Beschl. v. 12.9.2006 - 3 Bs 387/05 -, zitiert nach juris; Geiger in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 87a RdNr. 12 a), ist zuzugestehen, dass es der Prozessökonomie diente, wenn der Berichterstatter nach Erledigung der Hauptsache nicht nur über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren zweiter Instanz, sondern auch über eine Beschwerde der Versagung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren entscheiden könnte. Da eine solche Regelung aber das Recht der Beteiligten auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) berührt, müsste eine solche Entscheidung nach Auffassung des Senates vom Gesetzgeber ausdrücklich getroffen werden.

2. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Hier bot die Klage der bedürftigen Klägerin Aussicht auf Erfolg. Zwar spricht - wie das Verwaltungsgericht Chemnitz in dem angegriffenen Beschluss vom 16.5.2007 ausgeführt hat - viel dafür, dass die Jahresfrist für die teilweise Rücknahme der Bewilligungsbescheide gewahrt ist. Wie das Verwaltungsgericht Chemnitz in seinem Hinweisschreiben vom 17.4.2007 aber ebenfalls zutreffend dargelegt hat, beruht die Überzahlung der Ausbildungsförderung seit September 2001 vor allem auch auf dem Verschulden des Beklagten, der trotz der Angabe der Klägerin, dass sie gesetzlich familienversichert sei, die Ausbildungsförderung unter Einbeziehung der Kranken- und Pflegeversicherungszuschläge festgesetzt hat. Dieser Umstand hätte, wie vom Verwaltungsgericht Chemnitz in dem Schreiben ausgeführt, bei der Entscheidung über die Rücknahme der Bescheide Berücksichtigung finden müssen. Der angegriffene Bescheid und der Widerspruchsbescheid lassen indes nicht erkennen, dass diese Tatsache bei der Ermessensentscheidung berücksichtigt wurde. Eine Ermessensentscheidung, die wesentliche Gesichtspunkte außer acht lässt, die zu berücksichtigen waren, ist aber rechtswidrig (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 114 RdNr. 12 m.w.N.).

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Chemnitz ist deshalb abzuändern und der Klägerin ihr Prozessbevollmächtigter beizuordnen, weil eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint (§ 166 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO).

Eine Kostenentscheidung ist nicht erforderlich. Gerichtskosten fallen gem. § 188 Satz 2 VwGO nicht an und außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Ende der Entscheidung

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