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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 26.08.2008
Aktenzeichen: A 1 B 499/07
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 1
Hindus sind in Afghanistan einer sie kollektiv treffenden Verfolgungsgefahr im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt. Eine öffentlichkeitswirksame religiöse Betätigung ist ihnen nicht ohne konkrete Gefahr für Leib und Leben möglich.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az.: A 1 B 499/07

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Abschiebungsschutz

hat der 1. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch die Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Dahlke-Piel, den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Schmidt-Rottmann aufgrund der mündlichen Verhandlung

vom 26. August 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beteiligten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 21. März 2007 - A 1 K 30746/03 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens trägt der Beteiligte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Beteiligte wendet sich mit seiner vom Senat zugelassenen Berufung gegen die Verpflichtung der Beklagten durch das Verwaltungsgericht zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans zugunsten der Kläger. Die Kläger zu 1 und 2 reisten nach ihren Angaben am 18.3.2001 von Afghanistan kommend auf dem Landweg in die Bundesrepublik ein und beantragten am 30.3.2001 Asyl. Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) gaben sie an, als Hindus nicht mehr in Afghanistan leben zu können. Die Taliban hätten den Kläger zu 1 aufgefordert, sich einen Bart wachsen zu lassen und Moslem zu werden. Einige Leute an ihrem letzten Wohnort in Kandahar hätten gewusst, dass sie Hindus seien und sie aufgefordert, in die Moschee zu gehen. Sämtliche Geschwister des Klägers befänden sich in der Bundesrepublik. Von seiner Familie halte sich niemand mehr in Afghanistan auf. Gleiches berichtete die Klägerin von ihrer Familie. Sie habe in Afghanistan Angst gehabt aus dem Haus zu gehen und sich vor den Taliban gefürchtet. Der im Jahre 2002 geborene Kläger zu 3 wurde in das Asylverfahren seiner Eltern einbezogen.

Ihren Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 29.9.2003 ab. Zugleich stellte es fest, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch des § 53 AuslG vorlägen und drohte ihnen ihre Abschiebung nach Afghanistan an. Nach seiner Auffassung drohen den Klägern weder aus religiösen Gründen, noch der Klägerin wegen ihres Geschlechts beachtliche Gefahren in Afghanistan.

Mit Urteil vom 21.3.2007 stellte das Verwaltungsgericht auf die Rücknahme der Asylklage das Verfahren ein und verpflichtete das Bundesamt im Übrigen zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in der Person der Kläger. Dabei ließ es offen, ob die Kläger zu 1 und 2 bereits vorverfolgt ausgereist sind. Jedenfalls drohe ihnen wegen ihrer Zugehörigkeit zur Minderheit der Hindus in Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4c AufenthG. Zweifel an ihrer hinduistischen Religionszugehörigkeit hätten die Kläger in der mündlichen Verhandlung ausgeräumt. Gemäß Art. 10 Abs. 1 b der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatenangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen die anderweitig internationalen Schutz benötigten, und über den Inhalt des gewährten Schutzes - ABl EG Nr. L 304 S. 12, ber. ABl EG vom 5.8.2005 Nr. L 204 S. 24 - sog. Qualifikationsrichtlinie - werde nunmehr auch der öffentliche Bereich als Gegenstand der Religionsausübung geschützt. Insbesondere mit der Bestimmung, dass der Begriff der Religion auch die Teilnahme an religiösen Riten nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Bereich umfasse und darüber hinaus auch alle sonstigen religiösen Betätigungen oder Meinungsäußerungen sowie Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft beinhaltet, gehe eine erhebliche Ausweitung des bislang in der Bundesrepublik angenommenen Schutzbereiches einher. Allerdings stelle nicht jede Diskriminierung eine Verfolgung wegen der Religion dar. Sie müsse vielmehr das Maß überschreiten, das lediglich zu einer durch die Diskriminierung eintretenden Bevorzugung anderer führe, sich mithin als ernsthafter Eingriff in die Religionsfreiheit darstelle. Dies sei jedenfalls dann der Fall, wenn die auf die Religionsausübung gerichtete Maßnahme zugleich auch mit einer Gefahr für Leib und Leben verbunden sei oder zu einer dementsprechenden Ausgrenzung führe. Ob den Klägern selbst in eigener Person individuell eine Verfolgung aus religiösen Gründen drohe, könne dahinstehen. Sie seien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als Hindus in Afghanistan einer Gruppenverfolgung ausgesetzt. Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln unterlägen Hindus in Afghanistan einer mit Verfolgung gleichzusetzenden Diskriminierung, die darauf gerichtet sei, die Hindus auf Dauer aus dem gesellschaftlichen Leben zu verdrängen und ihre religiöse und kulturelle Identität zu untergraben. Sie seien dort als religiöse Minderheit nicht nur einer ernstlichen Einschränkung des Rechts, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, ausgesetzt, sondern auch des Zugangs zu den normalerweise verfügbaren Bildungseinrichtungen, sowie in der Ausübung ihrer Riten und Gebräuche. Ihre Existenz als eigenständige Minderheit sei akut bedroht. Zwar seien Häufigkeit und Intensität von Übergriffen gegenüber Hindus nicht in größerem Ausmaß feststellbar. Dies sei jedoch im Wesentlichen auf ihre geringe Zahl zurückzuführen. Die Zahl der Hindus und Sikhs in Afghanistan sei seit der Zeit der Regierung Nadjibullah von 130.000 bis 200.000 auf 1.500 bis 5.000 gesunken. Mit der Machtübernahme der Mudjahedin im Jahre 1992 habe ihre Verfolgung begonnen. Tempel und Gebetshäuser der Hindus seien zerstört worden und ihre Vertreibung habe begonnen. Schon traditionell hätten Hindus in der tief islamisch geprägten afghanischen Gesellschaft mit religiöser Diskriminierung zu rechnen. Zwar sehe die neue afghanische Verfassung vor, dass Nichtmuslime ihre Religion ausüben dürften. Gleichwohl seien die religiösen und gesellschaftlichen Benachteiligungen von Hindus und Sikhs nicht zu verleugnen. Sie seien stärker von illegalen Vertreibungen aus ihren Häusern betroffen. Ihnen sei es auch derzeit nicht möglich, ihr Eigentum zurück zu erhalten, so dass ihnen nur die Möglichkeit bleibe, in ihren Tempeln zu leben. Dies grenze sie aus dem gesellschaftlichen Leben aus. Zudem seien die Lebensbedingungen in den Tempelbezirken extrem schwierig. In den Möglichkeiten der Religionsausübung seien sie gesellschaftlichem Druck und Einschränkungen ausgesetzt. Im Jahre 2003 sei der Hindu- und Sikh-Gemeinde in Kabul die Nutzung der traditionellen Verbrennungsplätze für das Totenritual untersagt worden. Dieses Ritual stelle hingegen für Hindus ein zentrales religiöses Element dar. Auch werde davon berichtet, dass die Durchführung anderer religiöser Riten untersagt oder eingeschränkt werde. Des Weiteren werde immer wieder davon berichtet, dass Hindu-Schüler aus Angst vor Diskriminierung und Ausgrenzung die staatlichen Schulen mieden. Dies führe dazu, dass sie später als Analphabeten keinen Zugang zum normalen Arbeitsmarkt hätten. Es ereigneten sich Zwangsbekehrungen von Hindu-Mädchen und ihre Zwangsverheiratung mit Muslimen. Auf der Straße komme es zu täglichen Übergriffen auf Hindus und zu Beleidigungen. Die aufgezeigten Fälle gesellschaftlicher Diskriminierung der Hindus aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit belegten eine religiös motivierte Verfolgung von Hindus mit asylrelevanter Intensität. Die Referenzfälle erreichten von der Anzahl der Rechtsverletzungen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Hindu-Gruppe von maximal 3.000 Personen eine Verfolgungsdichte, die zu einer Gruppenverfolgung führe. Für diese kleine Gruppe erweise sich die Anzahl der Übergriffe als bedrohlicher als im Fall einer größeren Gruppe. Die Übergriffe müssten in einer Gesamtschau als Summe betrachtet werden, die eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure mit dem Ziel darstellten, die Hindus zu assimilieren oder sie zu veranlassen, das Land zu verlassen. Insofern sei davon auszugehen, dass die Existenz der Hindus als eigenständige Minderheit akut bedroht sei. Es sei nicht ersichtlich, dass der Staat oder Parteien oder Organisationen im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG einschließlich internationaler Organisationen vor der geschilderten gesellschaftlichen Diskriminierung genügenden Schutz böten.

Auf den Antrag des Beteiligten hat der Senat die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts mit Beschluss vom 24.8.2007 - A 1 B 307/07 - zugelassen. Die von ihm aufgeworfene Frage, ob Angehörige der Hinduminderheit in Afghanistan landesweit, namentlich im Raum Kabul, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in nötiger Verfolgungsdichte von an ihre Religion anknüpfender Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure bedroht seien, stelle eine Frage grundsätzlicher Bedeutung dar. Zur Begründung seiner Berufung bezieht er sich auf seine Ausführungen im Antrag auf Zulassung der Berufung. Dort führte er aus: Bei seiner Gesamtschau beziehe das Verwaltungsgericht umfassend sämtliche Arten und Formen von Diskriminierungen unabhängig von deren tatsächlich asylerheblicher Intensität und insbesondere auch solche ein, von denen nicht unterschiedslos alle Hindus betroffen wären. Damit lege es seiner Entscheidung die Auffassung zu Grunde, dass im Fall einer von Diskriminierung betroffenen kleinen Gruppe sämtliche Diskriminierungshandlungen unabhängig von ihrer Intensität und davon, wem sie gelten, zusammengerechnet werden könnten. Dies stehe im Widerspruch zu Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Hiernach dürften auch bei einer Gesamtschau nur asylrechtlich beachtliche Verfolgungsgründe berücksichtigt werden. So könne für erwachsene Hindus etwa keine Berücksichtigung finden, ob die zumutbare Möglichkeit eines Besuchs staatlicher Schulen bestehe. Auch aus einer Gefahr der Zwangsverheiratung für Frauen lasse sich keine Gefährdung von hinduistischen Männern ableiten. Das Verwaltungsgericht sei hingegen nur unter umfassender Einbeziehung aller Diskriminierungen und Eingriffe zum Schluss auf eine für eine Gruppenverfolgung hinreichende Verfolgungsdichte gekommen. Dieser Schluss stehe zudem im Widerspruch zu der überwiegenden Rechtsprechung. So handele es sich bei der illegalen Vertreibung aus den eigenen Häusern und verweigerter Eigentumsrückgabe um ein allgemeines Problem in Afghanistan. Auch hinsichtlich der Möglichkeit zur Religionsausübung fehle es an einer hinreichenden Intensität. So stehe den Hindus eine neue Verbrennungsstätte für ihre Toten zur Verfügung. Auch unter Berücksichtigung der Qualifikationsrichtlinie könne keine erhebliche Beeinträchtigung der Religionsausübung angenommen werden, wenn das Verwaltungsgericht selber davon ausgehe, dass den Hindus die Ausübung ihrer Religion in ihren Tempeln möglich sei. Für die vom Verwaltungsgericht angenommenen "täglichen Übergriffe auf Hindus" nenne es schon keine Quellen. Sie stehe auch im Widerspruch zu der Darstellung des Sachverständigen Dr. Danesch. Bei einer allgemeinen Arbeitslosigkeit von 80 bis 90 % könne eine hinreichende Verfolgungsdichte auch nicht unter Verweis auf unzureichende Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt begründet werden. Insgesamt zeige sich die Auskunftslage nicht ausreichend tragfähig für die vom Verwaltungsgericht gezogenen Schlussfolgerungen.

Der Beteilige beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 21. März 2007 - A 1 K 30746/03 - zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit ihr stattgegeben wurde.

Die Beklagte stellt keinen Antrag.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise

festzustellen, dass ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt.

Zur Begründung führen sie insbesondere aus, dass für Hindus in Afghanistan eine freie Religionsausübung im Sinne der Qualifikationsrichtlinie nicht gewährleistet sei.

Dem Senat liegen eine Akte des Bundesamts, die Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts Leipzig im Verfahren A 1 K 30746/03 (ein Band) und die Gerichtsakten des Oberverwaltungsgerichts (A 1 B 307/07 und A 1 B 499/07 - jeweils ein Band) vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt dieser Akten Bezug genommen. Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der die Berufung führende Beteiligte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war. Dieser ist in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Recht zu der Feststellung verpflichtet, dass für die Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegen. Hindus sind dort einer sie als Gruppe treffenden nichtstaatlichen Verfolgung ausgesetzt, ohne dass ihnen hierzu eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht. Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.

Hinsichtlich der Frage einer Bedrohung wegen der Religion ist jetzt gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 ergänzend anzuwenden. Nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie haben die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung der Verfolgungsgründe zu berücksichtigen, dass der Begriff der Religion insbesondere die theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind, umfasst.

Hierzu hat der 2. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 28.3.2007 - A 2 B 38/06 - ausgeführt:

"Der Wortlaut lässt auf einen weit gefassten Schutzbereich schließen. So ist die Definition der Religion als theistischer, nichttheisitischer und atheistischer Glaubensüberzeugung ebenso weit gespannt wie die verschiedenen Arten der Glaubensüberzeugung (Teilnahme an religiösen Riten; sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen), der Rahmen, in dem die Ausübung des Glaubens stattfindet (im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen) und die Motivationslage der religiösen Handlung (gestützt auf eine religiöse Überzeugung oder nach dieser vorgeschrieben).

Für die Annahme einer Verfolgung genügt indes nicht jede Beeinträchtigung der in diesem Sinne umschriebenen Religionsausübung. Vielmehr bedarf es gemäß Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie einer Verknüpfung der in Art. 10 der Richtlinie genannten Gründe und den in Art. 9 Abs. 1 als Verfolgung eingestuften Handlungen. Dabei kann es sich sowohl um einmalige oder wiederholte Handlungen derselben Art (Buchst. a) als auch um eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen (Buchst. b) handeln. Stets sind aber nur solche Handlungen als Verfolgung einzustufen, die so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen oder eine Person in ähnlicher Weise betreffen.

Im Ergebnis gehen Art. 9 und Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie damit über die bisherige Rechtsprechung hinaus, ... . Über das danach ausschließlich geschützte "forum internum" kommt unter der Geltung der Richtlinie grundsätzlich auch der Schutz des "forum externum" in Betracht. Voraussetzung ist wegen der nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie erforderlichen Verknüpfung zwischen den in Art. 10 genannten Verfolgungsgründen und den in Art. 9 Abs. 1 als Verfolgung eingestuften Handlungen jedoch stets, dass sich der Eingriff in die Religionsausübung als mit der Wahrung der Menschenwürde unvereinbar darstellt. Dies kommt zum Einen dann zum Tragen, wenn die Religionsausübung mit Sanktionen verbunden ist, die bereits selbst den Charakter einer Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 der Richtlinie aufweisen (VGH BW, Urt. v. 16.11.2006 - A 2 S 1150/04 -). Zum Anderen kann aber auch die bloße Unterbindung bestimmter Formen der religiösen Betätigung eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn unabdingbare Elemente des religiösen Selbstverständnisses des Betroffenen in Rede stehen (so zutreffend: Hinweise des Bundesministerium des Innern zur Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG, S. 9)."

Diese Ausführungen macht sich der Senat für die vorliegende Entscheidung zu Eigen. Gemessen an diesen Maßstäben fällt sowohl der Besuch öffentlicher Gottesdienste als auch die sonstige öffentlichkeitswirksame religiöse Betätigung in den Bereich der durch Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie geschützten religiösen Betätigung (ebenso: SächsOVG, Urt. v. 3.4. 2008 - A 2 B 36/06 -; BayVGH, Urt. v. 23.10.2007, Asylmagazin 12/2007, 15f.).

Ist der Schutzsuchende unverfolgt aus seinem Heimatland ausgereist, gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit für die in Rede stehende Bedrohung (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.11.1992 - 9 C 21.92, NVwZ 1993, 486). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn bei einer "zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts" die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßstab ist letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Betroffenen nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (BVerwG, Urt. v. 5.11.1991 - 9 C 118.90, NVwZ 1992, 582).

In Betracht kommt auch eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure die an eine Gruppenzugehörigkeit anknüpft. In diesem Fall muss, um eine private Gruppenverfolgung mit der Regelvermutung individueller Betroffenheit annehmen zu können, auch das Erfordernis der Verfolgungsdichte erfüllt sein. Über das Vorliegen dieser Voraussetzungen bei einer Gruppe in einem bestimmten Herkunftsstaat ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu befinden. Anzahl und Intensität der Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a und b AufenthG zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Die gruppenbezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen zudem zur Größe der Gruppe in Beziehung gesetzt werden, da eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe Verfolgter bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer größeren Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urt. v. 18.7.2006 - 1 C 15/05 -, Rn. 24 bei juris). Dabei ist dieser abstrakte Maßstab für die erforderliche Verfolgungsdichte auch bei kleinen Gruppen einschlägig; im Einzelfall kann aber "eine weitere Quantifizierung der Verfolgungsschläge" entbehrlich sein (BVerwG, Beschl. v. 23.12.2002 - 1 B 42/02 -, Rn. 5 bei juris).

Ist der Betroffene bereits vorverfolgt ausgereist, ist auch im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab anzuwenden, wonach asylrechtlicher Schutz nur dann versagt werden kann, wenn bei Rückkehr in den Verfolgerstaat eine Wiederholung der Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist. Die Rückkehr in den Heimatstaat ist in diesen Fällen nur dann zumutbar, wenn mehr als überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Betroffene im Fall seiner Rückkehr vor Verfolgung sicher ist (BVerwG, Urt. v. 18.2.1997 - 9 C 9.96 -, NVwZ 1997, 1134).

a) Nach diesen Maßstäben haben die Kläger zu 1 und 2 nicht glaubhaft gemacht, vor ihrer Ausreise aus Afghanistan von individueller politischer Verfolgung bedroht gewesen zu sein. Ihre Angaben hierzu sind eher allgemein gehalten und lassen kein nachhaltiges Verfolgungsinteresse erkennen. So hat der Kläger zu 1 bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt vorgetragen, von den Taliban dazu aufgefordert worden zu sein, sich einen Bart wachsen zu lassen und Moslem zu werden. Erfolgte oder auch nur angedrohte Sanktionen wusste er nicht zu berichten, obwohl anzunehmen ist, dass er dieser Aufforderung nicht nachgekommen ist. Die Klägerin hat ihre Ausreise damit begründet, aus Furcht vor den Taliban sich nicht getraut zu haben, das Haus zu verlassen. Von erfolgter oder angedrohter Verfolgung wusste sie nichts zu berichten. Eine Vorverfolgung des Klägers zu 3 kommt wegen seiner erst im Anschluss an die Ausreise erfolgten Geburt nicht in Betracht.

b) Der Senat lässt offen, ob die Kläger (zu 1 und 2) bis zum Zeitpunkt ihrer Ausreise und damit vor Geltung der Richtlinie 2004/83/EG vom 29.4.2004 als Hindus in Afghanistan von einer Gruppenverfolgung bedroht waren. Bei kursorischem Blick auf die Erkenntnislage für den Zeitraum bis zur Ausreise der Kläger ergibt sich der Eindruck, dass die maßgeblichen Verfolgungshandlungen - die dann auch (mit-) ursächlich für die Ausreise des ganz überwiegenden Teils der Hindus aus Afghanistan waren - sich bereits Anfang der 90`er Jahre nach der Machtübernahme der Mudjahedin ereignet haben. So sollen sie unmittelbar nach dem Machtwechsel vielfach Opfer brutaler Übergriffe auf ihre körperliche Integrität und ihr Eigentum geworden sein (vgl. OVG NRW, Urt. v. 5.6.2008, 20 A 2454/07.A u. a., m. w. N.; UA 8). Es wird für diesen Zeitraum von der Tötung zahlreicher Hindus, Geiselnahmen zum Zwecke der Lösegelderpressung, Vergewaltigung von Frauen, Beschlagnahme von Häusern und sonstigem Eigentum und der Zerstörung von Häusern und Tempeln berichtet (OVG NRW, ebd.). Als Ursache hierfür wird überwiegend ihre verhältnismäßig wohlhabende Stellung angesehen, so dass sie in Ansehung des allgemeinen Mangels und fehlender öffentlicher Sicherheit bevorzugte Opfer von Plünderungen waren. Bis 1992 wird die wirtschaftliche Bedeutung der Hindus in Afghanistan als ungleich größer als es ihr prozentualer Anteil an der Bevölkerung erwarten ließ dargestellt (Schweizerische Flüchtlingshilfe - SFH - Afghanistan: aktuelle Lage afghanischer Hindus v. 13.9.2007, S. 3). Sie spielten eine große Rolle im Wirtschaftsleben Afghanistans. Typisch für sie waren das Betreiben von Läden und der Beruf des Devisenhändlers. Die Hindu-Gemeinden in den afghanischen Großstädten werden als seinerzeit wohlhabend bezeichnet (Danesch, Gutachten an das Sächsische Oberverwaltungsgericht vom 21.8.2008, S. 2). Unter der Herrschaft der Taliban (1996 - 2001) sollen zumindest in den ersten Jahren keine Übergriffe auf Hindus wegen ihrer Religions- oder Volkszugehörigkeit erfolgt sein (SFH, a. a. O., S. 5). Im Mai 2001 verkündete ihr Minister der Religionspolizei eine Kennzeichnungspflicht für Hindus. Dies bedeutete für Frauen, dass sie eine gelbe Burka und für Männer, dass sie gelbe Hosen und ein tunikaähnliches Oberteil (Kamiz) zu tragen hatten. Auch von einer Kennzeichnungspflicht für hinduistische Geschäfte war die Rede (SFH, ebd.). Berichte über eine an diese Stigmatisierung anknüpfende Übergriffe liegen allerdings nicht vor (s. OVG NRW, ebd., UA 11).

c) Jedenfalls derzeit sind Hindus in Afghanistan einer sie kollektiv treffenden Verfolgungsgefahr im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt. Eine öffentlichkeitswirksame religiöse Betätigung ist ihnen nicht ohne konkrete Gefahr für Leib und Leben möglich. Die vorliegenden Erkenntnismittel lassen nur den Schluss dass, dass Hindus in Afghanistan stets mit Verfolgungsmaßnahmen der muslimischen Bevölkerung rechnen müssen, sobald sie religiöse Handlungen im öffentlichen Raum vornehmen. Staatlicher Schutz dagegen ist für sie nicht erreichbar.

aa) Eine Verfolgungsgefahr wegen öffentlichkeitswirksamer religiöser Betätigung folgt noch nicht aus der (verfassungs-) rechtlichen Situation in Afghanistan. Die aktuelle Verfassung von 2003 erklärt in ihrem Art. 2 den Islam zur Staatsreligion. Zugleich wird den Angehörigen anderer Religionen das Recht gewährt, ihre Religion frei auszuüben, wobei sich dieses allerdings "innerhalb des gesetzlichen Rahmens" zu halten hat. Der einschränkende Charakter dieser Regelung wird deutlich bei einem Blick auf Art. 3 der Verfassung, wonach kein Gesetz gegen die heilige Religion des Islam verstoßen darf. Eine gesonderte Erwähnung von Hindus findet in der Verfassung nicht statt. Diese Tatsache wird generell eher als Verschlechterung der verfassungsrechtlichen Stellung der afghanischen Hindus gewertet (SFH, a. a. O., S. 4 m. w. N.). Berichte über die Hindus diskriminierende Gesetze liegen nicht vor.

bb) Die Gefahr abschiebungsschutzrelevanter Verfolgung von Hindus im Fall von öffentlichkeitswirksamer religiöser Betätigung ist hingegen in tatsächlicher Hinsicht gegeben.

Das Leben der Hindus in Afghanistan ist von ausgeprägten Vermeidungsstrategien geprägt. Sie versuchen sich in jeder Hinsicht so unauffällig wie möglich zu verhalten. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass sie andernfalls jederzeit und an jedem öffentlichen Ort Gefahr laufen, massiven Übergriffen der muslimischen Bevölkerung ausgesetzt zu sein.

Die Auskünfte gehen übereinstimmend davon aus, dass die noch in Afghanistan verbliebenen Hindus versuchen, sich nicht als solche zu erkennen zu geben (Auswärtiges Amt - AA -, Lagebericht v. 7.3.2008, S. 15). Die meisten Hindu-Mitglieder verzichteten auf das Anbringen des roten Punktes auf der Stirn, damit sie auf der Straße nicht sofort als Personen hinduistischer Religions- und Volkszugehörigkeit erkennbar sind. Zudem verzichteten sie in der Öffentlichkeit aus eben diesem Grund auf den Gebrauch ihrer Sprache (SFH, a. a. O., S. 9). Diese Vermeidungsstrategie ist insoweit erfolgreich, als es in den letzten Jahren zu keinen allein an die Ethnie anknüpfenden Übergriffen der muslimischen Bevölkerung gekommen sein soll.

Eine Vermeidungsstrategie afghanischer Hindus wird auch für die Feier von religiösen Festen berichtet. Von dem formalen Recht zur Religionsausübung wird wegen fehlender Toleranz der überwältigenden Mehrheit von Moslems und mangels erreichbarem staatlichen Schutz vor Übergriffen kein Gebrauch gemacht (SFH, a. a. O., S. 16; OVG NRW, a. a. O., S. 18). Dies wird damit erklärt, dass es bei größeren Feierlichkeiten zu Ausschreitungen gegen über den Hindus kam (SFH, a. a. O. S. 18 unter Verweis auf U.S. Department of State v. September 2006). Sofern religiöse Feste in der Öffentlichkeit durchgeführt werden, beschränken sie sich auf ein Minimum. So hätten in den Jahren 2005 und 2006 ein oder zwei religiöse Feiern im öffentlichen Raum stattgefunden. Die Feierlichkeiten hätten sich aber dabei auf einen kurzen Straßenabschnitt beschränkt. Eine gemeinsame Durchführung des Visak-Festes in Jalalabad ist heute aus Sicherheitsgründen und aus Angst vor Übergriffen nicht mehr möglich. Es wird daher in jeder Provinz für sich gefeiert. Dabei werden die Feierlichkeiten zudem aus Angst vor Übergriffen zeitlich von 15 Tagen auf einen Tag reduziert. Das Divolifest wird nichtöffentlich begangen (SFH, a. a. O., S. 18, m. w. N.; s. a. Danesch, a. a. O., S. 11). Die Durchführung dieser Feste mag im Einzelnen gewissen Variationen unterliegen. Sie werden jedoch traditionell öffentlich begangen und sind ein zentraler Bestandteil der Religionsausübung (Danesch, a. a. O., S. 10; a. A. OVG NRW, a. a. O., S. 20 f. unter Hinweis auf nicht konkretisierte Auskünfte). Der von der moslemischen Mehrheitsgesellschaft faktisch erzwungene Verzicht auf ihre (öffentliche) Durchführung oder auch die massive räumliche und zeitliche Beschränkung dieser Feste als Ausdruck einer Vermeidungsstrategie einer Minderheit stellt eine schwerwiegende Verletzung der afghanischen Hindus in ihrem Recht auf eine freie öffentliche Religionsausübung dar, weil hierdurch massiv in ihr religiöses Selbstverständnis eingegriffen wird (Danesch, a. a. O., S. 10f.; a. A. OVG NRW, a. a. O., S. 20). Ihre Religionsausübung wird im Wesentlichen nur so weit geduldet, als sie für die moslemische Mehrheitsgesellschaft nicht wahrnehmbar ist.

Wenn es für Hindus aus religiösen Gründen nicht möglich ist, sich unauffällig in der sie umgebenden muslimischen - und religionsintoleranten - Gesellschaft zu verhalten, sind sie schutzlos den Übergriffen der Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt (s. SFH, a. a. O., S. 16 f.; Danesch, a. a. O., S. 4). Dies zeigt sich auch an der nicht bestehenden Möglichkeit zu einer ihrem Glauben entsprechenden Verbrennung ihrer Toten.

Der Verbrennung der Verstorbenen kommt im hinduistischen Glauben eine zentrale Bedeutung zu (SFH; a. a. O., S. 18; zu den Einzelheiten s. Danesch, a. a. O., S. 6 f). Zu den Möglichkeiten der rituellen Totenverbrennung liegen unterschiedliche Aussagen vor. So wird berichtet, dass es den Hindus grundsätzlich gestattet sei, Verstorbene gemäß ihren religiösen Riten zu bestatten. In der Regel erfolge dies ohne Zwischenfälle, da die Verbrennung innerhalb der "Wohn-Compounds" stattfinde, in denen die Hindugemeinschaften lebten. Sofern Verbrennungen öffentlich stattfänden, könne es zu Störungen durch Anwohner kommen. Einen solchen Fall habe es im Sommer 2007 gegeben. Dieser sei aber unter Vermittlung der Vereinten Nationen geklärt worden und die Verbrennungen könnten weiterhin stattfinden (AA v. 22.1.2008 an VG Karlsruhe). Nach Darstellung von Danesch könnten Hindus hingegen weder in Kabul noch anderswo in Afghanistan die rituellen Vorschriften über die Verbrennung der Toten befolgen (a. a. O., S. 6). Von ihrem angestammten und in ihrem Eigentum stehenden Verbrennungsplatz im Süden von Kabul im Viertel "Kalatsche" seien sie mehrmals von der dortigen muslimischen Bevölkerung unter Anwendung von Gewalt vertrieben worden. Die zur Hilfe gerufene Polizei sei nicht erschienen, so dass die Trauergemeinde unter Mitnahme ihrer Toten vor der muslimischen Menge hätte flüchten müssen. Im Widerspruch zu ihren religiösen Geboten seien sie darauf verwiesen, ihre Toten im ehemaligen Kabuler Zentraltempel in Kart-e Parwan zu verbrennen. Aus Angst vor Übergriffen gingen sie dabei so verstohlen wie möglich vor (Danesch, ebd.). Auch nach Darstellung der SFH haben afghanische Hindus noch immer keinen Platz, an dem sie ihre Toten entsprechend ihrem Glauben verbrennen könnten. Auch sie verweist auf Berichte, denen zufolge die traditionelle Verbrennungsstätte wegen Übergriffen der ortsansässigen Bevölkerung nicht genutzt werden könne (a. a. O., S. 18 f.). Auch nach den Erkenntnissen der SFH finden die Verbrennungen im Tempel von Kart-e Parwan statt. Aber auch dort soll es zu Protesten der Nachbarn gekommen sein (Afghan Hindu und Sikh Verband Deutschland e.V. - Afghan Hindu e.V. -, Zur Lage der Hindus und Sikh-Minderheit im heutigen Afghanistan, von Januar 2006, S. 9). Einen nach Informationen der SFH (a. a. O., S. 17) im April oder Mai 2007 auf Intervention des Vorstehers der Hindu-Gemeinde, Ravindar Singh, von Präsident Karzai an der Jalalabad-Straße zugewiesenen Verbrennungsplatz könnten die Hindugemeinde - wegen der weiten Entfernung - nur nutzen, "wenn die Security da ist".

Hiernach ergibt sich der Eindruck, dass Totenverbrennungen auf den angestammten und wohl öffentlich einsehbaren Plätzen derzeit nicht möglich sind, jedoch auf dem vorgenannten Tempelgelände Verbrennungen erfolgen, welche nicht den religiösen Vorschriften entsprechen und als alternativloser Notbehelf angesehen werden müssen. Diese Praxis ist Ausdruck der Suche nach einem Minimum an religionskonformen Totenritualen unter weitgehender Vermeidung einer Öffentlichkeitswirksamkeit ihrer Durchführung, um unkontrollierte Übergriffe der moslemischen Mehrheitsgesellschaft zu verhindern. Diese erzwungene Praxis widerspricht den religiösen Verpflichtungen der Hindus (Danesch, a. a. O., S. 6 ff.). Dabei schließt selbst dieses Ausweichen auf das Tempelgelände Konflikte nicht aus. So berichtet Danesch davon, dass die Anwohner gegen die Verbrennung auf dem Tempelgelände protestieren und die Drohung ausgestoßen wurde, den Tempel zu zerstören, wenn sie weitere Verbrennungen dort vornähmen (S. 8); ähnlich Afghan Hindu e. V., a. a. O., S. 9). Mangels gangbarer Alternativen werden die Toten dort jetzt "etappenweise" verbrannt, um so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erzeugen (Danesch, a. a. O., S. 9).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Hindus als kleine Minderheit in Afghanistan, deren Zahl von 1992 bis heute von 50 - 200.000 Mitgliedern auf 2.500 - 5.000 Mitglieder geschrumpft ist (SFH, a. a. O., S. 5 f.; Afghan Hindu e.V., a. a. O., S. 3), für den Fall öffentlicher Religionsbetätigung, insbesondere im Zusammenhang mit der Veranstaltung von religiösen Festen und der Durchführung von Totenritualen, einer kollektiven Verfolgungsgefahr im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt sind, da sie den mit Gefahr für Leib und Leben verbundenen Übergriffen der muslemischen Mehrheitsbevölkerung schutzlos ausgeliefert sind. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen. 22. September 2008

Ende der Entscheidung

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