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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 23.03.2009
Aktenzeichen: A 5 B 376/07
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG, RL 2004/83/EG


Vorschriften:

AsylVfG § 78
AufenthG § 60 Abs. 1
RL 2004/83/EG Art. 8
Eine Tatsachenfrage ist nicht allein deshalb grundsätzlich klärungsbedürftig, weil sie durch das angerufene Berufungsgericht noch nicht in einem Berufungsverfahren geklärt wurde. (Anschluss an HessVGH, Beschl. v. 13.9.2001 - 8 ZU 944/00.A -.)

Inländische Fluchtalternative für tschetschenische Asylbewerber in den übrigen Landesteilen der Russischen Förderation.


SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: A 5 B 376/07

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Anerkennung als Asylberechtigte und Abschiebungsschutzes

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 5. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Raden, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Düvelshaupt und die Richterin am Verwaltungsgericht von Wedel

am 23. März 2009

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 3. April 2007 - A 1 K 30174/04 - wird verworfen, soweit die auf Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte gerichtete Klage abgewiesen wird.

Im Übrigen wird der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 3. April 2007 - A 1 K 30174/04 - abgelehnt.

Der Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihrer Rechtsanwältin für das Verfahren in der zweiten Instanz wird abgelehnt.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens tragen die Kläger als Gesamtschuldner.

Gründe:

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 3. April 2007 - A 1 K 30174/04 - hat keinen Erfolg.

I.

Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht Leipzig die auf die Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte und auf Feststellung von Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz - AufenthG - gerichtete Klage abgewiesen. Die Kläger waren im Oktober 2002 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Das Verwaltungsgericht Leipzig vertrat im Wesentlichen die Rechtsauffassung, dass den Klägern wegen ihrer Einreise aus einem sicheren Drittstaat gemäß Art. 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes - GG - und § 26a Abs. 1 Satz 1 und 2 Asylverfahrensgesetz - AsylVfG - die Berufung auf das Asylgrundrecht verwehrt sei. Sie hätten aber auch keinen Anspruch auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, weil das Gericht nach den Schilderungen der Kläger bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt und im Gerichtsverfahren keinen Zweifel daran habe, dass die Kläger Tschetschenien bzw. die Russische Föderation aus asylfremden Gründen verlassen hätten. Sie seien unverfolgt ausgereist und es könne nicht angenommen werden, dass ihnen bei ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung drohe. Selbst wenn man zu Gunsten der Kläger unterstellte, dass diese vor ihrer Ausreise unmittelbar von asylbegründenden Verfolgungsmaßnahmen bedroht oder betroffen gewesen seien, hätten sie keinen Anspruch auf Abschiebungsschutz, weil Ihnen nunmehr eine inländische Fluchtalternative i. S. v. § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG bzw. interner Schutz i. S. v. Art 8 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29.4.2004 (ABl. EU Nr. L 304 S. 12 vom 30.9.2004; Qualifikationsrichtlinie, im Folgenden: RL 2004/83/EG) in Gebieten außerhalb Tschetscheniens zur Verfügung stehe. Das Verwaltungsgericht ging insoweit davon aus, dass den Klägern vernünftigerweise zugemutet werden könne, ihren Aufenthalt außerhalb Tschetscheniens in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation zu nehmen. Es führte weiter aus, dass die Kläger zu 1. und 2. über einen neuen, gültigen russischen Inlandspass verfügten, so dass sie trotz der bekannten Schwierigkeiten, die es für Tschetschenen gebe, welche sich außerhalb Tschetscheniens registrieren lassen wollten, außerhalb Ingutschetiens, Moskaus und St. Petersburgs eine Registrierung erhalten und mit dieser das soziale und wirtschaftliche Existenzminimum der Familie sichern könnten. Daher könne dahingestellt bleiben, ob die Kläger wegen ihrer tschetschenischen Volkszugehörigkeit in Tschetschenien einer regionalen Gruppenverfolgung ausgesetzt gewesen seien und bei ihrer Rückkehr wiederum ausgesetzt wären. Schließlich lägen auch keine Anhaltspunkte für Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vor.

Die Kläger halten die Frage für grundsätzlich und entscheidungserheblich, ob Tschetschenen, die in Tschetschenien ihre letzte Meldeanschrift haben, in Russland eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht. Das vorliegende Beweismaterial zur Situation der Tschetschenen in Russland werde durch das erstinstanzliche Gericht falsch gewertet. Insbesondere ergebe sich aus dem Bericht des Menschenrechtszentrums "MEMORIAL" über "Menschen aus Tschetschenien in der Russischen Föderation Juli 2005 bis Juli 2006", dass es weder in Tschetschenien selbst noch in der Russischen Föderation für Menschen aus Tschetschenien Sicherheit gebe, (Dieser Bericht, der der Antragsschrift auf Diskette beigefügt sein sollte, war allerdings nicht beigefügt). Das Verwaltungsgericht habe zwar in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu verfolgungssicheren Orten geprüft, ob die Kläger in der Russischen Föderation das wirtschaftliche Existenzminimum erlangen könnten und hierbei zutreffend einen Zusammenhang mit der Registrierungsmöglichkeit hergestellt, da die Registrierung den Zugang zum legalen Arbeitsmarkt, zu Sozialleistungen, Gesundheitsfürsorge und Schulbildung eröffne. Aus den vorliegenden Erkenntnisquellen, die das Gericht fehlerhaft würdige, ergebe sich jedoch für die Kläger keine realistische Möglichkeit einer polizeilichen Anmeldung. Selbst wenn es den einen oder anderen Ort in der Russischen Föderation gebe, an dem die Registrierung möglich sei, sei dieser Ort weder den Klägern noch dem Verwaltungsgericht bekannt. Eine monatelange Irrfahrt durch Russland sei den Klägern, einer Familie mit drei Kindern, wegen der damit verbundenen Kosten und Gefahren nicht zumutbar. Nach den verlässlichen Auskünften von MEMORIAL sei indessen nur in seltenen Einzelfällen bislang eine Registrierung in Russland gelungen. Diese Ausnahmefälle dürften nicht als Beweis für die Möglichkeit der Registrierung in Russland interpretiert werden. Die amtlichen Auskünfte des Auswärtigen Amtes (Lagebericht vom 30.8.2005) verhielten sich lediglich zur Gesetzeslage der Russischen Föderation und gingen nicht auf deren Umsetzung vor Ort ein. Die Verweigerung der Registrierung sei eine asylerhebliche Verfolgungsmaßnahme, die an die tschetschenische Volkszugehörigkeit anknüpfe. Auf der Grundlage dieser Auskünfte sei das Oberverwaltungsgericht Bremen in seinem Urteil vom 31.5.2006 bei einer Familie, die ebenso wie die Kläger über russische Inlandspässe verfügten, zu dem Ergebnis gelangt, dass der existentielle Lebensbedarf in Frage gestellt und somit eine inländische Fluchtalternative nicht gegeben sei. Auch andere erstinstanzliche Gerichte hätten bereits anerkannt, dass es vereinzelte Orte geben könnte, an denen sich Tschetschenen legal aufhalten dürften und ihren Lebensunterhalt auf Dauer bestreiten könnten, dass aber die Suche nach diesen Orten einem unkalkulierbaren Risiko gleichkomme. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof komme in seinem Urteil vom 2.2.2006 zu dem Schluss, dass die Rückführung von Tschetschenen nicht zu verantworten sei, wenn davon ausgegangen werde, dass sie keine Registrierung bekommen könnten. Denn dann müssten sie doch nach Tschetschenien einreisen oder seien der Illegalität, Krankheit, Hunger, Armut und schließlich auch dem Tod ausgesetzt. Im Übrigen seien Tschetschenen speziellen Diskriminierungen und rassistischen Übergriffen ausgesetzt, die dem Staat zuzurechnen seien, weswegen den Klägern auch eine Rückkehr nach Russland unzumutbar sei. Besondere Problem entstünden für Tschetschenen, die aus der Europäischen Union abgeschoben würden. Weiterer Vortrag der Kläger erfolgte nach Ablauf der zweiwöchigen Frist des § 78 AsylVfG in der bis zum 26.8.2007 gültigen Fassung (vgl. § 87 Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG), zuletzt mit Schriftsatz vom 20.2.2009.

II.

Soweit das Verwaltungsgericht Leipzig die Klage der Kläger auf Anerkennung als Asylberechtigte abgelehnt hat, bezeichnen die Kläger in dem - an keiner Stelle auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen beschränkten, und damit immer noch auf die Anerkennung als Asylberechtigte gerichteten - Berufungszulassungsantrag noch nicht einmal einen Zulassungsgrund, so dass ihr Antrag insoweit zu verwerfen ist.

Im Übrigen hat die Rechtssache nicht die von den Klägern behauptete grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 und 4 AsylVfG).

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Asylsache nur dann, wenn mit ihr eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich und obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortbildung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Die Darlegung dieser Voraussetzungen erfordert die Bezeichnung der konkreten Frage, die sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, als auch für das Berufungsverfahren erheblich sein würde. Darüber hinaus muss die Antragsschrift zumindest einen Hinweis auf den Grund enthalten, der die Anerkennung der grundsätzlichen, d. h. über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der Sache rechtfertigen soll (SächsOVG, Beschl. v. 6.2.2007 - A 5 B 608/05 -; st. Rspr.).

1. Der Senat versteht die von den Klägern formulierte Grundsatzfrage, "ob Tschetschenen, die in Tschetschenien ihre letzte Meldeanschrift haben, in Russland eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht" dahingehend, dass die Kläger nicht die Rechtsfrage der Voraussetzungen einer innerstaatlichen Fluchtalternative für grundsätzlich klärungsbedürftig halten, sondern in dem angestrebten Berufungsverfahren die weitergehende Klärung der tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsstaat der Kläger erreichen wollen. Da das erstinstanzliche Gericht die Frage einer derzeit bestehenden regionalen Gruppenverfolgung von tschetschenischen Volkszugehörigen in Tschetschenien selbst offen gelassen hat, reicht es grundsätzlich aus, dass die Kläger mit ihren Rügen die Bejahung einer inländischen Fluchtalternative angreifen (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 21.1.2000 - 2 BvR 2125/97 -, InfAuslR 2000, 308 [311])

a) Der bei der Frage der inländischen Fluchtalternative anzuwendende rechtliche Prüfungsmaßstab ist durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Dieses hat zuletzt in seinem Urteil vom 29.5.2008 (10 C 11/07, DVBl 2008, 1251 f.) ausgeführt, hinsichtlich des Prüfungsmaßstabs des § 60 Abs. 1 AufenthG n. F. werde im Hinblick auf die durch Satz 5 der Vorschrift erfolgte Umsetzung des Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG an dem Erfordernis des landesinternen Vergleichs zum Ausschluss nicht verfolgungsbedingter Nachteile und Gefahren nicht mehr festgehalten. Von dem Antragsteller könne nur dann vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhalte, wenn er am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Im Falle fehlender Existenzgrundlage sei eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben; dies gelte auch dann, wenn im Herkunftsgebiet die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht seien. Für die Frage, ob der Antragsteller vor Verfolgung sicher sei und eine ausreichende Lebensgrundlage bestehe, komme es danach allein auf die allgemeinen Gegebenheiten im Zufluchtsgebiet und die persönlichen Umstände des Antragstellers an. Der Senat folgt dieser Rechtsauffassung.

b) Aus der Begründung des Zulassungsantrags vor allem mit den fehlenden Möglichkeiten einer Registrierung und den daran anknüpfenden Schwierigkeiten bei der Erlangung des Existenzminimums und mit allgemeinen Diskriminierungen und rassistischen Übergriffen in der Russischen Föderation ist hinreichend deutlich ersichtlich, dass der Zulassungsantrag allein auf die tatsächliche Bewertung der allgemeinen Gegebenheiten im Zufluchtsgebiet durch das erstinstanzliche Gericht zielt. Es ist im Übrigen auch nicht ansatzweise dargetan, inwiefern eine grundsätzliche Bedeutung der Sache aus den persönlichen Verhältnissen der Kläger herrühren könnte. Die individuellen Verhältnisse des Einzelfalles sind zwar - wie oben bereits ausgeführt wurde - bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. Art. 8 RL 2004/83/EG zu beachten. An diese individuellen Verhältnisse anknüpfende Bewertungen des Vorhandenseins einer innerstaatlichen Fluchtalternative sind indessen gerade nicht verallgemeinerungsfähig und damit einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Dagegen stellt sich sowohl die Frage der grundsätzlichen Registrierungsmöglichkeit als Voraussetzung der Gewährleistung des Existenzminimums für tschetschenische Asylbewerber bei einer Rückkehr in die Russische Föderation als auch die Sicherheit tschetschenischer Rückkehrer vor asylerheblichen Verfolgungshandlungen in der Russischen Föderation nicht nur in dem angestrebten Berufungsverfahren, sondern auch in den Verfahren anderer Asylbewerber aus Tschetschenien, auch wenn der Zulassungsantrag diese Frage nicht näher darlegt oder vertieft.

Die von den Klägern bezeichnete Grundsatzfrage, die nach den vorstehenden Erläuterungen in die zwei Einzelkomplexe Registrierungsmöglichkeit und Verfolgungssicherheit tschetschenischer Rückkehrer in der Russischen Föderation aufgeteilt werden kann, ist indessen nicht klärungsbedürftig.

aa) Wie bereits ausgeführt wurde, kann der Vortrag der Kläger zum einen nur so zulässig interpretiert werden, dass sie - unabhängig von ihren persönlichen Verhältnissen - anzweifeln, dass es tschetschenischen Rückkehrern in die Russische Föderation grundsätzlich überhaupt gelingen kann, in der Russischen Föderation eine Registrierung und damit Zugang zu staatlichen Leistungen wie Sozialhilfe, Krankenversorgung etc. und damit die Sicherung des wirtschaftlichen Existenzminimums zu erlangen.

Die so verstandene Tatsachenfrage ist in dem angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Urteil indessen in Übereinstimmung mit einer gefestigten und übereinstimmenden obergerichtlichen Rechtsprechung dahingehend beantwortet worden, dass es für tschetschenische Rückkehrer zwar ebenso wie für andere Volksgruppen Schwierigkeiten bei der durch die russischen Gesetze gewährleisteten Möglichkeit der Wahl eines Aufenthaltsortes gebe, dass diese Schwierigkeiten aber überwindbar seien und sie deswegen grundsätzlich einen legalen Aufenthalt begründen können. Eine inländische Fluchtalternative mit der Gewährleistung des Existenzminimums sei daher grundsätzlich vorhanden.

Als im April 2007 das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig erging, beurteilten bereits folgende Obergerichte bei der Prüfung einer inländischen Fluchtalternative die von den Klägern aufgeworfene Tatsachenfrage anhand der vorhandenen Erkenntnismittel ebenso: OVG Schl.-H., Urt. v. 3.11.2005 - 1 LB 211/01 -, VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.10.2006 - A 3 S 46/06 -, OVG Saarland, Beschl. v. 29.5.2006, - 3 Q 1/06 -, NdsOVG, Beschl. v. 16.1.2007 - 13 LA 67/06 -, BayVGH, Urt. v. 19.6.2006 - 11 B 02.31598 -, OVG Bremen, Urt. v. 31.5.2006 - 2 A 112/06.A - und HessVGH, Urt. v. 2.2.2006 - 3 UE 3021.03.A -, alle Entscheidungen zitiert nach juris, letzteres Urteil allerdings leicht differenzierend: Ob eine Registrierung gelingen könne, hänge von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.

Das Vorbringen der Kläger in ihrem Zulassungsantrag bietet vor diesem Hintergrund jedoch keinen Anlass, diese Frage auch noch durch das Sächsische Oberverwaltungsgericht einer weiteren oder erneuten Klärung in einem Berufungsverfahren zuzuführen.

Denn es reicht für die Bejahung der Klärungsbedürftigkeit nicht aus, dass das angerufene Berufungsgericht die von den Klägern aufgeworfene Tatsachenfrage noch nicht in einem Berufungsverfahren geklärt hat. Im Hinblick auf Tatsachenfragen, die keine landesrechtlichen Besonderheiten aufweisen, kommt der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe eine vereinheitlichende Wirkung zu. Die Kläger hätten vor dem Hintergrund dieser einhelligen Rechtsprechung vielmehr mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit darlegen müssen, dass nicht die der obergerichtlichen Rechtsprechung entsprechenden Erkenntnisse und Feststellungen des Verwaltungsgerichts, sondern vielmehr ihre gegenteiligen Behauptungen in der Antragsschrift zutreffend sind und hierfür abweichende verwaltungs- oder oberverwaltungsgerichtliche Entscheidungen, gegensätzliche Auskünfte, Stellungnahmen, Gutachten, Presseberichte oder sonstige Erkenntnisquellen benennen müssen (vgl. HessVGH, Beschl. v. 13.9.2001 - 8 ZU 944/00.A - juris).

Dies haben die Kläger nicht getan.

Zum einen räumen die Kläger ein, dass selbst der die Rückkehrsituation von tschetschenischen Asylbewerbern in die Russische Föderation äußerst kritisch beurteilenden Hilfsorganisation MEMORIAL Fälle bekannt sind, in denen eine Registrierung erlangt werden konnte. Damit ist die im Rahmen der Grundsatzfrage aufgestellte Behauptung der Kläger, tschetschenische Rückkehrer hätten in der Russischen Föderation grundsätzlich keine realistische Möglichkeit, die legale Registrierung zu erlangen, schon durch ihren eigenen Vortrag in Frage gestellt, so dass die Klärung der Grundsatzfrage im Sinne der Kläger durch ein Berufungsverfahren nicht möglich ist.

Zum anderen tragen die Kläger auf S. 7 ihrer Antragsschrift vor, dass es "den einen oder anderen Ort in Russland" gebe, an dem eine Registrierung möglich sei. Insoweit entsprechen das erstinstanzliche Urteil und die genannten obergerichtlichen Entscheidungen der Bewertung durch die Kläger. Wenn diese anschließend darauf verweisen, dass den Klägern das Suchen und Aufsuchen dieses Ortes aufgrund der familiären und finanziellen Situation der Kläger entgegen der erstinstanzlichen Bewertung nicht zumutbar sei, geht es um die individuellen Verhältnisse der Kläger, die (s. o.) einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich sind.

Auf S. 10 der Antragsschrift benennen die Kläger zwei Urteile des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 10.3.2004 (hier ist anscheinend ein unzutreffendes Aktenzeichen benannt; es dürfte sich entweder um die Entscheidungen zu dem Aktenzeichen A 11 K 12494/03 oder dem Aktenzeichen A 11 K 12230/03 handeln) und vom 23.8.2005 (A 11 K 10918/05). Damit möchten sie belegen, dass die vorhandenen Erkenntnismittel so zu würdigen sind, dass grundsätzlich die Registrierung verweigert und damit eine inländische Fluchtalternative entgegen den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Leipzig nicht gegeben sei. Dies begründet nach der Auffassung des Senates indessen keine grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit. Denn die Bewertung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe beruht auf der Sachlage im jeweiligen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung. Bereits im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Leipzig im April 2007 waren diese - von anderen Gerichten nicht geteilten - Bewertungen sowohl nach der Sachlage als auch rechtlich durch die Entscheidung des VGH Bad.-Württ. vom 25.10.2006 - A 3 S 46/06 -, juris, überholt. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat nach den dem Senat zur Verfügung stehenden Recherchemöglichkeiten an dieser früheren Bewertung der Tatsachenlage nicht festgehalten, so dass ein Bedürfnis nach grundsätzlicher Klärung nicht besteht.

Das von den Klägern als Beleg für ihre Einschätzung der Lage in der Russischen Föderation ausführlich herangezogene Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bremen vom 31.5.2006 - 2 A 112/06.A -, juris, ist unvollständig wiedergegeben. Die Kläger zitieren gerade nicht die grundsätzliche Bewertung des Oberverwaltungsgerichts Bremen, dass tschetschenische Rückkehrer vornehmlich in Südrussland einen legalen Aufenthalt begründen können, die der Bewertung des Verwaltungsgerichts Leipzig entspricht, sondern ausschließlich die Würdigung der individuellen Verhältnisse der Kläger. Wie bereits mehrfach dargelegt wurde, sind individuelle Umstände einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Eine Umdeutung in die Divergenzrüge scheidet schon deshalb aus, weil die behauptete Abweichung nicht das Sächsische Oberverwaltungsgericht beträfe. Eine grundsätzliche Bedeutung ist aber auch nicht auf Grund der vermeintlichen Abweichung zu der Entscheidung des Oberverwaltungsgericht Bremen anzunehmen, denn das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig enthält keine tragenden Gründe, die im Widerspruch zu der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Bremen stehen, weil schon die Sachverhalte nicht vergleichbar sind. Während in dem von dem Oberverwaltungsgericht Bremen entschiedenen Sachverhalt davon ausgegangen wurde, dass das dortige Familienoberhaupt die Interimsphase bis zur grundsätzlich möglichen Registrierung mangels einer in der "Schattenwirtschaft" gefragten Ausbildung nicht hinreichend würde überbrücken können, hat das Verwaltungsgericht Leipzig angenommen, dass der Kläger zu 1. mit einer Berufsausbildung und früheren -tätigkeit als Kraftfahrer das wirtschaftliche Existenzminimum der Familie sichern könne.

Vor dem Hintergrund der bereits vorhandenen einhelligen obergerichtlichen Bewertungen einer legalen und damit das Existenzminimum garantierenden Niederlassungsmöglichkeit für Tschetschenen in der Russischen Föderation können die weiteren, weitgehend unstrukturierten Ausführungen der Kläger zu dem Bericht des Menschenrechtszentrums MEMORIAL "Menschen aus Tschetschenien in der Russischen Föderation" Juli 2005 - Juli 2006, zu dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 7.11.2005 (Asylmagazin 12/2005, S. 15f), dem Schreiben des UNHCR an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 29.10.2003, Az.: 11 B 03.30165, zur Zeugenaussage der ehemaligen Leiterin des MEMORIAL Büros in Nasran (VG Braunschweig - 8 A 438/05 -), zum Schreiben von amnesty international an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 16.4.2004 - 11 B 03.30165 -, zu einem vermeintlichen Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 30.8.2005 - 3 A 210/03 -, (welches indessen in den allgemein zugänglichen Datenbanken durch den Senat nicht recherchiert werden konnte), zu Richtlinien des European Council on Refugees and Exiles (ECRE) zur Behandlung tschetschenischer Asylbewerber (vorgelegt in englischer Sprache), zu einem Bericht der Gesellschaft für bedrohte Völker "Abschiebung in den Tod", Göttingen 2006, zu einer Auskunft der Gesellschaft für bedrohte Völker an das Thüringische Oberverwaltungsgericht vom 19.7.2006 und zu einem Vortrag von Frau Svetlana G............ auf einem Verwaltungsrichterseminar am 25.11.2006, die grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit der von den Klägern aufgeworfenen Frage nicht stützen. Sie sind nicht geeignet, begründete Zweifel an der vom Verwaltungsgericht Leipzig in Übereinstimmung mit der benannten obergerichtlichen Rechtsprechung getroffenen Bewertung zu wecken. Denn einerseits gehen die meisten dieser Erkenntnismittel nicht von einer grundsätzlichen Unmöglichkeit der Registrierung aus, sondern beschreiben lediglich die auch durch das Verwaltungsgericht Leipzig gewürdigten und durch die einhellige Erkenntnislage bekannten Schwierigkeiten bei der Erlangung derselben. Andererseits stellen diese Erkenntnismittel, die im Übrigen von der zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung (teilweise sogar sehr ausführlich) gewürdigt wurden, nur Einzelfälle dar, soweit sie auf die Verweigerung der Registrierung hinweisen, ohne dass sie eine umfassende Aussagekraft hinsichtlich der gesamten Russischen Föderation für sich in Anspruch nehmen könnten. Der Senat teilt insofern auch die Bedenken des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (Urt. v. 19.6.2006 - 11 B 02.31598 - juris) und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschl. v. 16.1.2007 - 13 LA 67/06 - juris) hinsichtlich der Verallgemeinerungsfähigkeit der Stellungnahmen von MEMORIAL, da diese Organisation nur mit wenigen Mitarbeitern in bestimmten Gegenden der Russischen Föderation tätig ist.

Aus den vorgenannten Gründen ist die von den Klägern aufgeworfene Frage hinsichtlich des Teilkomplexes der grundsätzlichen Möglichkeit einer legalen Niederlassung und damit Sicherung des Existenzminimums in der Russischen Föderation nicht grundsätzlich klärungsbedürftig. Hinzuweisen sei an dieser Stelle noch auf weitere, seit dem Zulassungsantrag der Kläger ergangene obergerichtliche Rechtsprechung, die an keiner Stelle die zumindest grundsätzliche Möglichkeit der Registrierung mit dem daraus folgenden Zugang zu Sozialleistungen und dem Existenzminimum (auch bei abweichender Beurteilung der inländischen Fluchtalternative auf Grund von individuellen Besonderheiten) in Frage stellt: z.B. BayVGH. Urt. v. 11.12.2008 - 11 B 03.31261 -; OVG Sachs.-Anh., Urt. v. 31.7.2008 - 2 L 23/06 -; BayVGH, Urt. v. 12.1.2009 - 11 B 06.30900 -, alle zitiert nach juris.

bb) Es besteht auch keine grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit bei der Teilfrage, ob eine inländische Fluchtalternative auf Grund der asylerheblichen Verfolgung tschetschenischer Rückkehrer in der Russischen Föderation auszuschließen ist. Diesbezüglich setzt sich der Zulassungsantrag schon nicht hinreichend mit Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts Leipzig auseinander, welches im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung die Landesteile außerhalb Tschetscheniens in der Russischen Föderation für tschetschenische Volkszugehörige als "verfolgungssicher" einschätzt, auseinander. Eine Auseinandersetzung mit der zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung, die teilweise bei der Annahme der Verfolgungssicherheit eine umfangreiche Würdigung der vorhandenen Erkenntnismittel vornimmt, erfolgt ebenfalls nicht.

Die rechtlichen Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich geklärt (vgl. z. B. BVerwG, Urt. v. 1.2.2007 - 1 C 24.06 -, juris). Hierbei ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichtlichen Verfolgung eine bestimmte "Verfolgungsdichte" voraussetzt, die die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Der Zulassungsantrag beschränkt sich indessen zunächst auf den Auszug einzelner Textpassagen aus einer von den Klägern wie folgt zitierten Quelle: "Über die Einhaltung des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung aller Formen von Rassendiskriminierungen; Alternativer Bericht der NRO vom Dezember 2002". Unabhängig davon, dass dem Gericht dieses Erkenntnismittel nicht vorgelegt wird, erläutern die Kläger schon nicht näher, inwiefern die 2002 zusammengetragenen Erkenntnisse im Zeitpunkt ihres Zulassungsantrages noch als aktuell anzusehen sind. Zusammen mit dem Vortrag einzelner Menschenrechtsverletzungen, Diskriminierungen und einer tschetschenienfeindlichen Stimmung in Russland ist nicht ansatzweise dargetan, dass eine Bewertung dieser Tatsachen in dem angestrebten Berufungsverfahren zur Annahme einer Gruppenverfolgungssituation für Personen tschetschenischer Volkszugehörigkeit in der gesamten Russischen Föderation und damit zum Ausschluss von verfolgungssicheren Gebieten führen könnte.

c) Die Klärungsbedürftigkeit der bezeichneten Fragen ist schließlich auch nicht deshalb anzunehmen, weil innerhalb des Gerichtsbezirks des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts zu der aufgeworfenen Frage divergierende Ansichten vertreten würden. Zwar fällt dem Berufungsgericht grundsätzlich die Aufgabe zu, innerhalb seines Gerichtsbezirkes auf eine einheitliche Beurteilung gleicher oder ähnlicher Sachverhalte hinzuwirken, dem Senat ist jedoch kein aktueller Fall bekannt, in dem ein Verwaltungsgericht in Sachsen bei tschetschenischen Asylsuchenden mit russischer Staatsangehörigkeit das Bestehen einer inländischen Fluchtalternative zumindest für den überwiegenden Teil der Russischen Föderation aus nicht in der Person des Ausländers liegenden Gründen verneint hätte. Soweit das Verwaltungsgericht Leipzig mit Urteil vom 25.7.2008 (- A 1 K 30508/04 -, juris) zu Gunsten der dortigen Klägerin ein Abschiebungsverbot in die Russische Föderation festgestellt hatte, handelte es sich um einen Einzelfall, in dem wegen der dort bestehenden besonderen gesundheitlichen Beeinträchtigung der Klägerin die ansonsten nicht asylrelevante, vorübergehende Verweigerung der Registrierung ausnahmsweise die Schwelle zur Asylrelevanz überstieg.

3. Dem Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann nicht entsprochen werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den vorstehenden Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 159 Satz 2 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylVfG nicht erhoben.

Mit dieser Entscheidung wird das Urteil rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Ende der Entscheidung

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