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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 21.07.2009
Aktenzeichen: 1 Sa 142/09
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 157
Die Bewilligung und Fortzahlung einer betrieblichen Zusatzversorgung kann einen Anspruch aus betrieblicher Übung begründen.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 25.02.2009 - 5 Ca 2149/08 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung einer Betriebsrente in Höhe von monatlich € 77,33 seit dem 1. Juni 2005.

Der 1938 geborene Kläger war ab 1957 bis zum Ablauf des Monats November 1998 bei der Beklagten und ihren Rechtsvorgängern tätig. Mit dem 1.12.1998 trat er in den Rentenstand. Er bezog in der Folge von der Beklagten eine betriebliche Zusatzversorgung in Höhe von 151,24 DM (entspr. € 77,33). Insofern verlangte § 2 Abs. 4 TVV Energie, dass kein Anspruch auf eine andere Zusatzversorgung bestehen dürfe.

Der Kläger erfüllte in der Sache die Voraussetzungen für eine Zusatzversorgung nach dem AAÜG der DDR, allerdings bestand keine förmliche Zusage. Durch Entscheidungen des BSG aus dem Jahre 1998 wurde klargestellt, dass eine Teilhabe an den Zusatzversorgungssystemen z. B. für die technische Intelligenz nicht von einer solchen Zusage abhänge (Urteile vom 24.3.1998 und vom 30.6.1998 B 4 RA 27/97 und B 4 RA 11/98). Folgerichtig äußerte das BAG in einer nicht zu den tragenden Gründen zählenden Passage im Urteil vom 21.1.2003 - 3 AZR 35/02 -, dass eine Zusatzversorgung nach dem AAÜG im Hinblick auf § 2 Abs. 4 TVV Energie der Gewährung einer betrieblichen Altersversorgung entgegenstehe. Diese Entscheidung wurde der Beklagten nach dem eigenen Vortrag im Juli 2003 bekannt. Gleichwohl zahlte die Beklagte in Kenntnis eines fehlenden Verpflichtungsgrundes die Betriebsrente bis zum Ablauf des Monats Mai 2005 weiter. Mit Schreiben vom 28. April 2005 wendete sich die Beklagte u. a. an den Kläger, und erklärte:

"Da wir auf der Grundlage der bestehenden Zuerkennungspraxis der Rentenversicherungsträger davon ausgehen, dass ihrem Antrag stattgegeben wird bzw. stattgegeben wurde, stellen wir mit Wirkung vom 31.5.2005 die Zahlung der Zusatzrente ein. Sollte unerwartet ihrem Rentenantrag nicht entsprochen werden, nehmen wir bei entsprechendem Nachweis von Ihnen selbstverständlich die Zahlung einschließlich anfallender Nachzahlungen wieder auf." (Blatt 13 GA).

Einige Rentner, die über die Thüringer Gasversorgung und die TEAG zur Beklagten gelangten, erhielten Bezüge sogar bis November 2005.

Ebenfalls in Kenntnis der fehlenden Verpflichtung aus dem Tarifvertrag zahlte die Beklagte Mitarbeitern, die nach dem Urteil des BAG in Ruhestand getreten waren, Betriebsrenten, und zwar

- einem Herrn St. ab September 2003

- einer Frau I. ab Oktober 2003

- einer Frau G. ab Dezember 2003

- einem Herrn Bl. ab März 2004

- einem Herrn Br. ab April 2004

- einem Herrn H. ab April 2004.

Auch gegenüber diesen Rentnern wurde die Zusatzversorgung mit Ablauf des Mai 2005 eingestellt.

Der Kläger hat vorgetragen, Grundlage für einen weiteren Bezug der Versorgung sei eine unwiderrufliche Versorgungszusage, die durch die vorbehaltlose Weitergewährung ab 2003 bestätigt worden sei.

Der Kläger hat beantragt,

1. Festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger über den 30.11.08 hinaus eine betriebliche Zusatzrente in Höhe von monatlich 77,33 EUR zu zahlen.

2. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.247,86 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils monatlich 77,33 EUR ab 01.07.05, 01.08.05, 01.09.05, 01.10.05, 01.11.05, 01.12.05, 01.01.06, 01.02.06, 01.03.06, 01.04.06, 01.05.06, 01.06.06, 01.07.06, 01.08.06, 01.09.06, 01.10.06, 01.11.06, 01.12.06, 01.01.07, 01.02.07, 01.03.07, 01.04.07, 01.05.07, 01.06.07, 01.07.07, 01.08.07, 01.09,07, 01.10.07, 01.11.07, 01.12.07, 01.01.08, 01.02.08, 01.03.08, 01.04.08, 01.05.08, 01.06.08, 01.07.08, 01.08.08, 01.09.08, 01.10.08, 01.11.08 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, eine Anspruchsgrundlage sei nicht erkennbar. Aus der Entwicklung der Rechtsprechung ergebe sich die mangelnde Ergiebigkeit der tariflichen Grundlage. Insbesondere sei nicht nach außen getreten, dass die Beklagte freiwillige Zahlungen leisten wolle. Ihr Verhalten nach Kenntnis der Entscheidung des BAG spätestens im Juli 2003 begründet die Beklagte damit, dass es ihr um eine Gleichbehandlung gegangen sei. Es gehe immerhin um etwa 200 Mitarbeiter mit einer Zusatzversorgung, deren Akten aus einer größeren Anzahl von Personalakten herauszufiltern gewesen sei. Einige der Unterlagen seien auf unleserlichen Thermokopien gespeichert. Der Arbeitsanfall und die Notwendigkeit, vertrauenswürdige Mitarbeiter einzusetzen hätten den Zeitbedarf bis zum Schreiben im April 2005 begründet.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 25. Februar 2009 - Az. 5 Ca 2149/08 - stattgegeben. Ein Anspruch auf Zahlung der Rente sei zwar weder aus Tarifnorm noch aus vertraglicher Zusage, wohl aber auf der Grundlage einer betrieblichen Übung begründet. Die Beklagte habe trotz der infolge der höchstrichterlichen Entscheidungen deutlichen Rechtslage weitere Leistungen gewährt, für welche aus Sicht des Klägers und der anderen Betroffenen ein klarer Grund nicht zu erkennen gewesen ist. Die von der Beklagten vorgetragene Prüfung sei nicht transparent gemacht worden.

Gegen diese dem Bevollmächtigten der Beklagten am 25.3.2009 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte mit am 20.4.2009 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und das Rechtsmittel mit am 11. Mai 2009 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Beklagte meint, ein Anspruch aus betrieblicher Übung setze voraus, dass der Kläger darlege, aus welchen Umständen er geschlossen habe, dass die Beklagte sich ihm gegenüber habe verpflichten wollen. Sie habe nur aus Gründen der Gleichbehandlung den Rentnern, die nach der Rechtsprechungserkenntnis des BAG im Januar 2003 in den Ruhestand getreten seien, dasjenige gewährt, was die zuvor aus dem Arbeitsleben Ausgeschiedenen zugewendet erhalten haben.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Erfurt vom 25.2.2009 - 5 Ca 2149/08 - die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die Kammer hat bereits in zwei vorausgegangenen Entscheidungen - Urteil vom 11.3.2008 1 Sa 521/07 und Urteil vom 17.2.2009 1 Sa 332/08 - vertreten, dass die Beklagte sich aus den Grundsätzen der betrieblichen Übung und unter der Pflicht zur Gleichbehandlung neu verpflichtet hat, die betriebliche Rente weiterzugewähren. Daran hat sich nichts geändert. Das Gegenteil ist der Fall.

Es kann als übereinstimmende Ansicht gewertet werden, dass weder der Tarifvertrag noch eine einzelvertragliche Erklärung im Zusammenhang mit der Verrentung des Klägers den Anspruch auf Zahlung einer Betriebsrente tragen. Das hat das Arbeitsgericht herausgearbeitet, und der Kläger ist dem in zweiter Instanz nicht mehr entgegengetreten.

Doch hat der Kläger einen Anspruch aus betrieblicher Übung. Dies ergibt sich nunmehr sogar aus zwei Begründungssträngen.

Zum einen konnten diejenigen Bezieher von Betriebsrenten, die ihre Renten bereits vor Februar 2003 erhalten hatten, aufgrund der fast zweijährigen Fortgewährung davon ausgehen, dass die Renten nunmehr freiwillig und unabhängig von der bisherigen tariflichen Grundlage fortgewährt werden würden. Die Kammer bezeichnet diese Fälle der Einfachheit halber als "Altrentner".

Zum anderen, und dies ist die zweite Begründung, können die "Altrentner" auch verlangen, so gestellt zu werden wie die "Neurentner", welchen die Beklagte in Kenntnis der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21.1.2003 (3 AZR 35/02), also im Bewusstsein eines nicht gegebenen Rechtsgrundes erstmals Renten auszahlte.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. etwa BAG vom 28.6.2006 - 10 AZR 385/05) wird unter einer betrieblichen Übung die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Dieses Verhalten des Arbeitgebers erlaubt den Schluss auf Seiten des Arbeitnehmers, ihm solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Es bildet die Grundlage einer schlüssigen Erklärung des Arbeitgebers, die vom Arbeitnehmer nach § 151 BGB angenommen werden kann. Auf diese Weise wird ein vertragliches Schuldverhältnis geschaffen, aus dem dann ein einklagbarer Anspruch auf die so vereinbarte Vergünstigung erwächst. Der Anspruch entsteht unabhängig von einem Verpflichtungswillen des Arbeitgebers. Wie bei Willenserklärungen üblich ist entscheidend der Horizont des Erklärungsempfängers, aus dessen Sicht eine Willenserklärung mit Rechtsbindungswillen erkennbar geworden ist. Eine den Arbeitgeber bindende betriebliche Übung liegt mithin vor, wenn der Arbeitnehmer nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrsitte im Hinblick auf die Begleitumstände von einem Bindungswillen des Arbeitgebers ausgehen durfte.

Eine solche Erklärung muss die Beklagte sich nach Überzeugung der Kammer zurechnen lassen. Allein der Umstand, dass die Beklagte in Kenntnis der Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 21.1.2003 - 3 AZR 35/02) die betriebliche Zusatzversorgung über einen Zeitraum von zwei Jahren weiterzahlte, vermag allerdings nach der übereinstimmenden Rechtsprechung der Kammern des Thüringer Landesarbeitsgerichts einen Anspruch aus betrieblicher Übung noch nicht zu begründen (vgl. Urteile des LAG vom 1. März 2007- 2 Sa 29/06, vom 14. Februar 2007 - 4 Sa 26/06, vom 26. Juli 2007 - 2 Sa 249/06). Üblicherweise erschöpft sich die Fortsetzung einer übereinstimmend als geschuldet eingeschätzten Praxis in sich selbst; sie schafft keinen neuen Vertrauenstatbestand, der eine Anknüpfung und Begründung einer neuen Berechtigung erlaubte.

So liegen die Dinge hier aber nicht. Von einem subjektiven Konsens, es gehe nur um die Fortzahlung einer vermeintlich geschuldeten Zusatzrente, kann aufgrund der insgesamt feststellbaren Tatsachen nicht ausgegangen werden. Es darf nämlich nicht verkannt werden, dass mit der Rechtsprechung des BAG zu den Betriebsrenten und der Zusatzversorgung eine erhebliche Unruhe unter den Beteiligten in dem betroffenen Bereich eingetreten war. Es ist eine bekannte und offenkundige Tatsache, dass die verrenteten Mitarbeiter der Energieversorgungsunternehmen miteinander kommunizieren, dass sie vor allem relevante Daten und Informationen über ihre Altersversorgung austauschen. Nicht zufällig laufen in Thüringen die Mandate fast aller Kläger bei einer einzigen Prozessbevollmächtigten zusammen, die auch die Bevollmächtigte des Klägers ist. Auch die Beklagte räumt ein, dass sie im Juli 2003 durch Rundschreiben des Verbandes über die Rechtslage informiert wurde.

Wenn also die Verbände sich über die Rechtslage austauschen und auch die Beklagte für sich selbst das Wissen um die geänderte Rechtslage kurz nach der Veröffentlichung der Gründe der Entscheidung des BAG einräumt, dann kann auch ein ausreichender Informationsstand der Versorgungsempfänger der Beklagten unterlegt werden. Ebenso ist zu unterstellen, dass die Tatsache, dass die meisten Energieversorger angesichts der geänderten Rechtsprechung ihre Zahlungen einer Betriebsrente eingestellt hatten, sehr schnell bekannt geworden ist. Vor allem diese Tatsache kann sich nach aller Erfahrung nur wie ein Lauffeuer unter den Betroffenen und Personen mit ähnlicher Disposition verbreitet haben. Zutreffend hat das BAG an anderer Stelle bereits darauf hingewiesen, dass von einem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen ist, dass begünstigende Tatsachen - dort durch betriebliche Übung etabliert - allgemein bekannt werden (BAG 28.3.2007 - 10 AZR 720/05). Die Kammer ist davon überzeugt, dass sich die Kürzung bzw. der Fortfall einer Altersversorgung unter den hiervon Betroffenen nicht minder schnell und nachdrücklich herumspricht. Dies ist nur eine andere Ausgestaltungsform derselben allgemeinen Erfahrung.

Aus diesem Tatsachenzusammenhang lässt sich ableiten, dass Versorgungsempfänger der Beklagten - nicht notwendig der Kläger selbst - spätestens Ende 2003/Anfang 2004 in Erfahrung gebracht haben, dass der angenommene Rechtsgrund einer tariflichen Grundlage für die Zusatzversorgung neben der "Intelligenzrente" nicht wirklich besteht. Zugleich konnten sie unterstellen, dass auch die Beklagte - wie andere Unternehmen der Branche auch - den Erkenntniswechsel vollzogen hatte, nach welchem sie eine Betriebsrente neben der staatlichen Zusatzversorgung nicht schuldete. Wenn also bei beiderseits geänderter Bewusstseinslage gleichwohl über viele Monate weiter gezahlt wurde, dann liegt darin eine Neubegründung im Wege betrieblicher Übung.

Die Kammer hatte der Beklagte in vorgehenden Entscheidungen (Urteile vom 11.3.08 und vom 17.2.2009 s. o.) zu Gute gehalten, dass sie für sich eine Prüfzeit in Anspruch genommen hat, um die Versorgungsberechtigung des einzelnen Empfängers gründlich ins Auge zu fassen. Dies unterstellt konnte die Beklagte für sich Zweifel reklamieren, ob sie eine Versorgung schulde oder nicht. Fortzahlungen auf der Grundlage dieser Zweifel stünden dann der Annahme einer neuen Anspruchsbegründung entgegen.

Dieser Vortrag der Beklagten entlarvt sich spätestens mit Vorlage des Schreibens vom 29.4.2005 als nicht sehr geschickte Camouflage. Schon die Darstellung des Aufwands einer Sichtung von mehreren Tausend Personalakten, angeblich ohne eine Möglichkeit, EDV einzusetzen, überzeugt wenig. Dass in 2003 Zahlungen und Zahlungsempfänger nicht datentechnisch erfasst sind, widerstreitet bei einem modernen Unternehmen wie der Beklagten jeder Vorstellung. Deshalb musste zumindest die Erfassung der etwa 200 Versorgungsempfänger in kurzer Zeit möglich sein. Deren Akten zu bearbeiten, soll nun mehr als 21 Monate in Anspruch genommen haben. Auch das begegnet weiteren, erheblichen Zweifeln. Wenn aber im Ergebnis dieser angeblich zeit- und arbeitsintensiven Prüfung den Versorgungsempfängern mitgeteilt wird, es werde nur davon ausgegangen, dass einem Rentenantrag stattgegeben wurde, dann erschließt sich nicht mehr, was eigentlich Gegenstand dieser Überprüfung gewesen sein soll. Jedenfalls ermöglicht der Inhalt des Schreibens keinen Rückschluss auf eine wie auch immer geartete Prüfung. Das ist die Welt der Schutzbehauptung.

Wenn aber der Vortrag einer Prüfung durch die Beklagte nicht mehr als schlüssig zu werten ist, dann können der Beklagten auch keine Zweifel zu Gute gehalten werden. Sie "grübelte" nicht mehr auf der Grundlage der unterstellten Pflicht aus dem Tarifvertrag. Sie hat dann in Kenntnis der aktuell erkannten, höchstrichterlich belegten Rechtslage und im Wissen um den mangelnden Rechtsgrund weiter gezahlt. Die verschiedentlich kolportierte Behauptung, der ehemalige, inzwischen verstorbene Vorstand der Beklagten, Herr S., habe bewusst eine Entscheidung zugunsten der Rentner des Unternehmens getroffen, nimmt auf diese Weise Gestalt an und gewinnt eine gewisse Wahrscheinlichkeit. So gesehen hat die Beklagte nach der Überzeugung der Kammer bereits gegenüber den "Altrentnern" eine sie bindende, betriebliche Übung geschaffen.

Noch deutlicher wird die Verpflichtung gegenüber den "Neurentnern", die nach der Entscheidung des BAG im Januar 2003 und nach ihrem Bekanntwerden im Juli 2003 in den Ruhestand getreten sind und dabei erstmals Zahlungen der Beklagten erhielten. Hier hat die Beklagte mit der ersten Auszahlung der betrieblichen Rente jeweils erklärt, dass ein Anspruch auf diese Rente bestehe und mit der Auszahlung anerkannt werde. Es liegt zwar keine ausdrückliche Erklärung vor. Doch bilden das Verhalten und die Umstände in ihrer Wertung aus Sicht des Empfängers eine klare, schlüssige Willensbekundung. Insoweit hat die Kammer schon in ihrem Urteil vom 17.2.2009 - 1 Sa 332/08 - zu den Zahlungen ausgeführt: "Da es sich um neue Fälle handelt, ist im Rahmen einer ordnungsgemäßen Personalverwaltung, wie sie der Beklagten unterlegt werden darf, zu erwarten, dass vor die Zahlung einer ersten Betriebsrente eine Heranziehung der Personalakten, eine Überprüfung der rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen und eine Entscheidung hierüber geschaltet ist." Daran wird festgehalten. Es gibt mithin eine Auszahlung nach Prüfung.

Aus Sicht der Empfänger, der Mitarbeiter St., I., G., Bl., Br. und H., deren Ausscheiden aus dem aktiven Dienst übereinstimmend vorgetragen wurde, ist die jeweils erste Zahlung zugleich als Zahlungszusage zu werten. Sie konnten die Zahlung nicht, wie die anderen Mitarbeiter, dem Tarif zuordnen. Es war hier nicht die Fortsetzung einer aus der Vergangenheit überlieferten Leistung mit scheinbar anderem Rechtsgrund. In der Branche war bekannt, dass der Tarifvertrag der Energiewirtschaft infolge der Rechtserkenntnis des BAG nicht mehr tragfähig ist. (Dazu wurde bereits oben ausgeführt.). Diese Zuordnung war versperrt, weil andere Unternehmen die betriebliche Versorgung eingestellt hatten. Wenn also die Beklagte neu zahlt, und dieses Verhalten verstetigend fortsetzt, bleibt dem Empfänger nur der Schluss, dass diese Zahlungen unabhängig von der tariflichen Grundlage auf freiwilliger Basis erfolgen.

Die Beklagte hat sich hier darauf berufen, sie habe diese Personen nicht anders behandeln wollen als die "Altrentner". Das überzeugt nicht, jedenfalls nicht in einer "ex-ante- Betrachtung." Denn die Änderung der Erkenntnisse zur Rechtslage gibt einen Distinktionsgrund, der ein daran orientiertes Verhalten der Beklagten nicht willkürlich erscheinen lässt. Den "Altrentnern" waren Zahlungen gewährt worden, und hier scheint eine Prüfung jedenfalls denkbar - auch wenn die Beklagte nicht schlüssig zu der von ihr angeblich durchgeführten Prüfung vorträgt. Eine solche Prüfung kann dahin gehen, ob die Zahlungen einer Betriebsrente auf der Grundlage des vermeintlich tragenden Tarifvertrages oder aufgrund abweichender, individueller Voraussetzungen gewährt worden waren. Hier die Zahlungen zunächst weiter fortzusetzen macht - jedenfalls in der Theorie - vom Außenbild her Sinn, wirkt doch ein abrupter Abbruch wenig seriös, wenn eine spätere Prüfung dann doch eine Zahlungspflicht offenbart. Das Schreiben der Beklagten vom 29.4.2005 zerstört allerdings dieses vorgebliche Bild einer harmonischen Beendigung. Es offenbart die eher unvermittelte Strategie, die Einstellung der Zahlungen in wenigen Wochen anzukündigen, und den Zahlungsempfängern die Darlegungslast aufzuerlegen, doch nachzuweisen, ob ein weiterlaufender Anspruch vielleicht doch bestehe, weil keine staatliche Zusatzrente bezogen werde. Die von der Beklagten behauptete Prüfung wäre nur dann wirklich plausibel, wenn es um eine Schonung ihrer Rentner ginge, um ein Schwanken in der Behandlung zu vermeiden.

Keinen Sinn macht dagegen, über zwei Jahre zu schweigen, gegenüber "Neurentnern" Zahlungen zu bewirken, und damit so zu tun, als sei nichts geschehen. Der dann folgende, beinahe abrupte Zahlungsstopp ist Ausdruck einer konfrontativen Personalpolitik, die nicht so recht ins Muster passen möchte.

Auch das Argument einer Gleichbehandlung ist insofern nicht tragfähig, jedenfalls nicht ohne weitere Erläuterung. Die Beklagte hatte es in der Hand, darauf hinzuweisen, dass diese Zahlungen an Alt- und Neurentner erfolgten, obwohl prinzipiell eine Grundlage nicht gegeben sei, weil die Rechtsprechung des BSG zunächst eine staatliche Zusatzrente einräumte und das BAG dann die Anrechenbarkeit dieser Zusatzrente feststellte. Sie konnte damit den Neurentner deutlich machen, dass ein Anspruch nicht mehr existiert, sie konnte auch den Altrentner bedeuten, dass derzeit eine Überprüfung der Rentenberechtigung stattfinde, die aber noch "etwas" Zeit in Anspruch nehme. Sie hat sich auf ein Schweigen bei der Zahlung verlegt. Das geht zu ihren Lasten. Denn sie hat auf diese Weise den Erklärungstatbestand gesetzt, Zahlungen ohne den bisherigen Verpflichtungsgrund aufzunehmen.

Die Beklagte hat über fast zwei Jahre - bei Neurentnern entsprechend ab dem Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand - Zahlungen gewährt, obwohl durch die Rechtsprechung in der Branche bekannt geworden war, dass der Tarifvertrag nur dann eine Grundlage gibt, wenn keine staatliche Rente gewährt wird. Sie hat dies bei Neurentnern begonnen, obwohl sie wusste oder wissen musste, dass diese staatliche Rente beziehen und deshalb die betriebliche Rente nur als unabhängig von der Zusatzrente begreifen konnten. Damit ist mit der ersten Zahlung und deren Entgegennahme jeweils ein schlüssiger Vertrag über die Verpflichtung zu einer zusätzlichen Zahlung zustande gekommen.

Die Altrentner nun können damit wenigstens im Wege der Gleichbehandlung verlangen, so gestellt zu werden wie die Neurentner - wenn auch möglicherweise unwillentlich - gestellt worden sind. Dem Gleichbehandlungsgrundsatz kommt bei Ruhegehältern eine grundlegende Bedeutung zu (ErfKomm/Preis, 9. Aufl., § 611 BGB Rn. 593 mwN). Konnte es während der Prüfung durchaus einen Sinn machen, bereits ins Leben gerufene Rentenzahlungen von noch nicht geprüften Rentenanwartschaften zu unterscheiden, so entfällt diese Unterscheidung bei Zahlungen, die insgesamt aktiviert sind, wo lediglich das Datum der Aufnahme eine dann notwendig willkürliche Zäsur erlaubt. Wenn die Beklagte der Gruppe von Neurentnern, aktuell sind sechs Fälle bzw. Personen vorgetragen, eine im Ergebnis freiwillige und unabhängige betriebliche Rente zahlt, dann muss sie die gleiche Vergünstigung auch den Altrentnern gewähren. Die Bindung gegenüber der einen Gruppe führt zur Bindung gegenüber der anderen Gruppe, da aus Sicht der Kammer ein Merkmal, welches eine Unterscheidung zwischen beiden Gruppen erlaubt, nicht erkennbar ist.

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung sind der Kammer die Gründe des Urteils der 8. Kammer des Thüringer LAG bekannt geworden (Urteil vom 29.5.2009 - 8 Sa 273/08), nach welcher die Zahlung "an mindestens zwei sogenannte Neu-Rentner" für die dort erkennende Kammer keinen Anspruch zu begründen vermögen. Diese Entscheidung überzeugt nicht. Zum einen werden der individualrechtliche Ansatz der Vertragstheorie und die Begründung über den Gleichheitsgrundsatz nicht klar getrennt. Zum anderen wird nicht erkannt, dass nicht die Anzahl der Neurentner entscheidend ist, nicht hinnehmbar ist vielmehr, dass auf diese Weise der Zeitpunkt des Renteneintritts zum maßgeblichen und damit willkürlichen Unterscheidungskriterium wird. Die Betriebsrente wird ab dem 1.6.2005 geltend gemacht. Von daher ist nicht verständlich, warum die 8. Kammer es als problematisch ansieht, ab wann von einer Berechtigung (des dortigen Klägers) auszugehen ist. Im Übrigen führt nach der Überzeugung der hier erkennenden Kammer eine Unterscheidung zwischen Altrentnern und Neurentnern zu einer unzulässigen Gruppenbildung.

Offenkundig liegt damit eine Divergenz in den Rechtsauffassungen zweier Kammern des Thüringer LAG vor. Diese lässt sich nicht allein durch Unterschiede in den jeweils zur Entscheidung anstehenden Sachverhalten begründen. Da das Urteil der 8. Kammer von den Parteien nicht in vollem Umfang eingeführt worden war, sondern nur in der mündlichen Verhandlung Erwähnung gefunden hat, verhält sich der am Ende der Verhandlung verkündete Tenor nicht zu einer Revision, weil die Kammer über die Möglichkeit einer inhaltlichen Divergenz nur unzureichend informiert war. Anders als im Geltungsbereich der ZPO (Zöller- Heßler, ZPO, 27. Aufl. § 543 Rn. 17 mwN) ist eine Zulassung allein in den Gründen im Geltungsbereich des Arbeitsgerichtsgesetzes nicht möglich (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG § 72 Rn. 35). Dafür wird folgerichtig eine Ergänzung der Entscheidung nach §§ 72 Abs. 1 S. 2; 64 Abs. 3a ArbGG, 321 ZPO als möglich angesehen (Müller-Glöge, aaO, Rn. 36). Eine solche ist angeregt und beantragt.

Die Kosten des Rechtsmittels fallen der Beklagten zur Last.

Ende der Entscheidung

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