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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 06.07.2000
Aktenzeichen: 1 Sa 164/99
Rechtsgebiete: KSchG, ZPO, ArbGG


Vorschriften:

KSchG § 2
KSchG § 1
ZPO § 97
ZPO § 543 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 3 a
Liegen die Voraussetzungen für eine korrigierende Rückgruppierung vor, so ist eine mit dem gleichen Ziel ausgesprochene Änderungskündigung unverhältnismäßig und daher unbegründet. Das Urteil des BAG vom 09.07.1997 (4 AZR 635/95 - NZA 98, 494) zur Rechtswirksamkeit einer sog. überflüssigen Änderungskündigung ist nicht einschlägig.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 09.02.1999, Az.: 8 Ca 1718/98, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand:

Zwischen den Parteien ist die Rechtswirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen Änderungskündigung streitig.

Der Kläger war seit 01.08.1977 beim Rechtsvorgänger der Beklagten, dem Rat der Stadt, als Lehrer beschäftigt. Seit 01.05.1990 erfolgte der Einsatz des Klägers in der sog. Schülerakademie, einer außerschulischen Einrichtung. Das Arbeitsverhältnis des Klägers ging im Jahre 1991 mit der Übernahme der Trägerschaft der staatlichen Schulen durch das Land auf dieses über. Der Kläger wurde als Lehrer in die Vergütungsgruppe III BAT-O eingruppiert. Die Schülerakademie verblieb eine Einrichtung der Kommune, also der Beklagten. Der Kläger war vom Land bis 31.12.1993 als Lehrer zur Schülerakademie abgeordnet. Nach Ablauf der Abordnung übernahm die Beklagte das an der Schülerakademie tätige Lehrpersonal. Der Kläger bewarb sich bei der Beklagten und begründete mit dieser aufgrund des Arbeitsvertrages vom 13.12.1993 ab 01.01.1994 ein Arbeitsverhältnis. Das Arbeitsverhältnis mit dem Land wurde durch Aufhebungsvertrag beendet.

Der Kläger wurde von der Beklagten als Bereichsleiter Informatik im Amt für Volkshochschule, Musikschule und Schülerakademie eingestellt und in die bereits beim Vorarbeitgeber innegehabte Vergütungsgruppe III BAT-O eingruppiert.

Im Jahre 1997 übertrug die Beklagte im Wege einer Organisationsänderung die Aufgaben der ehemaligen Schülerakademie auf das Schulverwaltungsamt, dort die Abteilung Schülerfreizeit. Im Zusammenhang damit wurde eine neue Stellenbeschreibung für den Kläger erstellt.

Die Beklagte gelangte dabei zu der Auffassung, daß die Eingruppierung des Klägers in die für Lehrer geltenden Eingruppierungsmerkmale von Anfang an unzutreffend gewesen sei, da der Kläger nur zu 10 % der Arbeitszeit eine eigene Unterrichtstätigkeit ausübe. Die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit rechtfertige nur eine Eingruppierung in die Vergütungsgruppe IV a Fallgruppe 1 a. Sie - die Beklagte - habe die Eingruppierung des Landes aus dem Vorarbeitsverhältnis irrtümlich übernommen.

Mit Änderungskündigung vom 19.03.1998 hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30.09.1998 gekündigt und dem Kläger gleichzeitig die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen dahingehend angeboten, daß er in die Vergütungsgruppe IV a Fallgruppe 1 a BAT-O eingruppiert wird.

Der Kläger hat das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt angenommen, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist.

Die Beklagte hat sich für die Rechtfertigung der Änderungskündigung ausdrücklich auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 09.07.1997 (Az.: 4 AZR 635/95) bezogen.

Das Arbeitsgericht hat der gegen die Änderungskündigung gerichteten Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben.

Die von der Beklagten ausgesprochene Änderungskündigung ist unwirksam, weil sie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Die Beklagte macht selbst geltend, daß die Voraussetzungen für eine korrigierende Rückgruppierung vorlägen (Klageerwiderung vom 23.09.1998, Bl. 10 - entspricht Bl. 54 d. A.). Die Beklagte könnte demnach das erstrebte Ziel auf eine einfachere Weise erreichen als durch den Ausspruch einer Änderungskündigung (Künzl in Ascheid u. a., Großkommentar zum Kündigungsrecht, § 2 KSchG Anm. 105; Rost, KR, 5. Aufl., § 2 KSchG Anm. 106 a).

Die Beklagte beruft sich für die Wirksamkeit der Änderungskündigung zu Unrecht auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 09.07.1997 - 4 AZR 635/95 (AP Nr. 233 zu BAT 1975 bzw. NZA 1998, 494). Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts betraf den Fall, daß ein einzelvertraglicher Anspruch auf eine bestimmte Vergütung nicht bestand und eine rückwirkend eingetretene Tarifänderung den Inhalt des Arbeitsverhältnisses unmittelbar geändert hatte (Tarifautomatik). In Bezug auf diese bereits eingetretene Vertragsänderung sprach der Arbeitgeber eine Änderungskündigung aus, die der Arbeitnehmer unter dem Vorbehalt des § 2 KSchG angenommen hatte. Das Bundesarbeitsgericht hielt diese "überflüssige" Änderungskündigung nicht wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für unwirksam, weil es im Verfahren nicht mehr um den Bestand, sondern um den Inhalt des Arbeitsverhältnisses gehe. Unverhältnismäßig könne nur das Element der Kündigung sein, nicht aber das mit der Kündigung verbundene Änderungsangebot.

Es kann dahinstehen, ob die an der genannten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts geübte grundsätzliche Kritik (Berkowsky NZA 1999, 293; Künzl, a. a. O., Anm. 106 - 108) durchgreift. Die Entscheidung ist nämlich für die Fälle nicht einschlägig, in denen die fehlerhafte Eingruppierung auf einem Irrtum des Arbeitgebers beruht. Mit ihrer Behauptung, die Ausgangseingruppierung des Klägers beruhe darauf, daß seine Tätigkeit irrtümlich den Eingruppierungsmerkmalen für Lehrer zugeordnet worden sei, wird das Klageabweisungsbegehren der Beklagten unschlüssig.

Die beiden Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, in denen eine Änderungskündigung für wirksam gehalten wurde, obwohl sie sich auf Arbeitsbedingungen bezog, die bereits aus anderen Gründen ohnedies galten und die von daher "überflüssig" war, betrafen Fälle, in denen eine Entscheidung des Arbeitgebers, die einen Vertrauenstatbestand hätte setzen können, nicht vorlag. In der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 15.11.1995 (AP Nr. 20 zu § 1 TVG Tarifverträge: Lufthansa) ging es um einen zulässig ausgeübten Widerruf, in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 09.07.1997 (a. a. O.) um eine - die Arbeitsbedingungen verschlechternde - rückwirkende Tarifänderung. Die Fälle der irrtümlich erfolgten zu hohen Eingruppierung sind dagegen zum einen dadurch gekennzeichnet, daß der Arbeitgeber die Eingruppierung vorzunehmen hat und zum anderen dadurch, daß der Arbeitnehmer - zumindest im öffentlichen Dienst - davon ausgehen kann, daß sich der Arbeitgeber an das Tarifrecht hält und grundsätzlich keine übertarifliche Vergütung zahlen wird. Die vom Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes vorgenommene Eingruppierung hat daher eine Richtigkeitsvermutung für sich und bewirkt, daß der Arbeitnehmer auch ein gesteigertes Vertrauen in die Richtigkeit der Eingruppierung haben kann. Dies ist der erklärte Grund dafür, daß das Bundesarbeitsgericht für die korrigierende Rückgruppierung vom Arbeitgeber die nachvollziehbare Darlegung verlangt, daß und inwieweit er sich bei der ursprünglichen Stellenbewertung geirrt hat und deshalb die jetzige Stellenbewertung zutreffend sein soll (BAG vom 11.06.1997, AP Nr. 6 zu § 20 BMT-G II).

Diese für die korrigierende Rückgruppierung aufgestellten Darlegungsregeln können nicht auf das Verfahren einer gegen die Änderungskündigung gerichteten Klage übertragen werden. Die Begründung der Fehlerhaftigkeit der Ausgangseingruppierung kann sich nämlich nicht auf einen Kündigungsgrund, der zur sozialen Rechtfertigung der Änderungsofferte i. S. des § 2 KSchG geeignet wäre, beziehen. Der Irrtum des Arbeitgebers stellt keinen der in § 1 KSchG genannten Kündigungsgründe dar und hat von daher im Kündigungsschutzverfahren unberücksichtigt zu bleiben. Damit wären Umstände, die für die korrigierende Rückgruppierung zu prüfen wären, im Kündigungsschutzverfahren der Prüfung entzogen.

Aus den genannten Gründen ist die sog. "überflüssige" Änderungskündigung keine zulässige Alternative zur Korrektur einer fehlerhaft vorgenommenen Eingruppierung.

Nicht mehr erheblich ist folglich auch, ob die Behauptung der Beklagten zutrifft, sie habe sich bei der Ausgangseingruppierung des Klägers in die Vergütungsgruppe III BAT-O im Irrtum befunden. Der Kläger hat allerdings zutreffend darauf hingewiesen, daß es der Beklagten bekannt gewesen sein muß, daß er beim Vorarbeitgeber (dem Land) trotz gleicher Tätigkeit wie nunmehr bei der Beklagten nach den für Lehrer einschlägigen Merkmalen eingruppiert war.

Die Beklagte hat gem. § 97 ZPO die Kosten des ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich. Die Aufnahme dieser Feststellung in den Urteilstenor gem. § 72 Abs. 1 S. 2 i. V. mit § 64 Abs. 3 a ArbGG in der seit 01.05.2000 geltenden Fassung ist versehentlich unterblieben.

Ende der Entscheidung

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