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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 07.11.2002
Aktenzeichen: 1 Sa 43/02
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 208
InsO § 209
1) Nach angezeigter Masseunzulänglichkeit können auch Masseforderungen im Rang des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO (sog. Neumasseverbindlichkeiten) nur im Wege der Feststellungsklage geltend gemacht werden.

2) Der erste Termin i. S. des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO, zu dem der Verwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte, richtet sich ausschließlich nach der objektiv gegebenen Kündigungsmöglichkeit des Verwalters, nicht aber danach, wann der Verwalter die unternehmerische Entscheidung trifft, den Betrieb des Schuldners stillzulegen.


Tenor:

1) Auf die Berufung des Beklagten wird, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen, das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 28.11.2001, Az.: 4 Ca 4028/00, abgeändert.

Es wird festgestellt, dass der Klägerin ein Massenschuldanspruch in Höhe von 3.799,68 ? brutto abzüglich vom Arbeitsamt gezahlter 1.466,99 ? netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz

- für den Zeitraum vom 01.02. bis 15.02.2001 aus 1.899,84 ? brutto

- für den Zeitraum ab 16.02.2001 aus 1.899,84 ? abzüglich vom Arbeitsamt gezahlter 746,41 ? netto,

- ab dem 01.03.2001 aus einem Betrag in Höhe von 1.899,84 ? brutto abzüglich vom Arbeitsamt gezahlter 720,57 ? netto

zusteht.

2) Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3) Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Feststellung der Gehälter der Klägerin für die Monate Januar und Februar 2001 als Masseverbindlichkeiten und den Rang dieser Forderung.

Die Klägerin war seit 01.10.1995 im Betrieb E. der Fa. M. GmbH & Co. KG beschäftigt. Über das Vermögen der Arbeitgeberfirma wurde mit Beschluss vom 01.11.1999 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte als Insolvenzverwalter bestellt.

Der Beklagte hat im Juli 2000 gegenüber dem Insolvenzgericht angezeigt, dass Masseunzulänglichkeit vorliegt. Die Anzeige wurde am 19.07.2000 öffentlich bekannt gemacht.

Der Beklagte führte das Unternehmen der Gemeinschuldnerin zunächst fort.

Der Beklagte hat mit Schreiben vom 21.11.2000 das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 28.02.2001 gekündigt. Der Beschäftigungsbetrieb der Klägerin stellte seine Einzelhandelstätigkeit am 16.02.2001 ein. Die Klägerin wurde für die Monate Januar und Februar 2001 von der Arbeitsleistung freigestellt.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass der Beklagte die Gehälter für die Monate Januar und Februar 2001 abzüglich der auf das Arbeitsamt übergegangenen Ansprüche als Masseverbindlichkeiten im Rang des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO schulde. Es handele sich um Ansprüche gem. § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO, nämlich um Ansprüche aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Beklagte nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte.

Die Klägerin hat, soweit im Berufungsrechtszug noch erheblich, beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 7.431,52 DM brutto abzüglich vom Arbeitsamt gezahlter 2.869,18 DM netto nebst Zinsen in Höhe von 5 % -Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz für den Zeitraum vom 01. bis 15.02.2001 aus 3.715,76 DM brutto und für den Zeitraum ab 16.02.2001 aus 3.715,76 DM brutto abzüglich 1.459,86 DM netto sowie ab dem 01.03.2001 aus einem Betrag in Höhe von 3.715,76 DM abzüglich 1.409,32 DM netto zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, die von der Klägerin erhobene Leistungsklage sei unzulässig, da nach Anzeige der Masseunzulässigkeit nur auf Feststellung geklagt werden könne.

Auch handele es sich nicht um Ansprüche im Rang des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO, sondern um Masseverbindlichkeiten gem. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO.

Ein Fall des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO i. V. mit Abs. 2 Nr. 2 liege nicht vor. Die Entscheidung, den Betrieb in E. zu schließen, sei vom Gläubigerausschuss in der Sitzung vom 23.10.2000 getroffen worden. Die Umsetzung der Schließung zum 28.02.2001 sei erst am 26.10.2000 mit den leitenden Angestellten der Gemeinschuldnerin erörtert worden und in einen Schließungsplan umgesetzt worden. Erst ab diesem Zeitpunkt hätten die Voraussetzungen für den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen vorgelegen. Die Kündigungen sämtlicher Arbeitnehmer des Betriebes in E. seien dann auch noch im November 2000 ausgesprochen worden.

Das Arbeitsgericht hat der Leistungsklage stattgegeben. Es hat angenommen, der Beklagte hätte die Kündigung der Klägerin zu einem Termin vor dem 28.02.2001 aussprechen können, da die Anzeige der Masseunzulänglichkeit bereits Mitte des Jahres erfolgt sei. Es liege ein Fall des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO vor. Die Vergütungsansprüche der Klägerin seien im Rang des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu berichtigen.

Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten.

Die Klägerin ist im Berufungsrechtszug von der Leistungsklage zur Feststellungsklage übergegangen.

Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nur teilweise begründet. Sie ist begründet, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Leistung richtet.

I) Die Feststellungsklage ist zulässig.

Die Klägerin ist - wie im Rahmen der Begründetheit zu erörtern sein wird - sog. Neumassegläubigerin. Ihre Forderung ist im Rang des § 209 Abs.1 Nr. 2 InsO zu berichtigen.

Hinsichtlich dieses Anspruchs greift das Vollstreckungsverbot des § 210 InsO nicht ein, denn es gilt ausdrücklich nur für die sog. Altmasseverbindlichkeiten i. S. des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Wegen des Vollstreckungsverbotes fehlt einer zur Geltendmachung einer Altmasseverbindlichkeit erhobenen Leistungsklage ausnahmsweise das sonst bei Leistungsklagen grundsätzlich gegebene Rechtsschutzbedürfnis. Ein nicht vollstreckungsfähiges Leistungsurteil hätte keine über die Feststellung hinausgehenden Wirkungen. Zulässig ist daher in den Fällen des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO lediglich die Feststellungsklage (BAG vom 11.12.2001, AP Nr. 1 zu § 209 InsO).

Im Umkehrschluss aus § 210 InsO wäre zu folgern, dass Masseforderungen im Rang des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO an sich im Wege der Leistungsklage geltend gemacht werden können (Zwanziger u. a., Lakies, Arbeitsrecht, § 120 Rnr. 42). Dem steht jedoch entgegen, dass nach angezeigter Masseunzulänglichkeit i. S. des § 208 Abs. 1 InsO bereits feststeht oder aber zu erwarten ist, dass die Masse nicht ausreicht, um die sonstigen Masseverbindlichkeiten - dies sind alle Masseverbindlichkeiten mit Ausnahme der Kosten des Insolvenzverfahrens - zu erfüllen. Der Fall kann eintreten, dass die Masse weder zur Befriedigung der Ansprüche der Altmassegläubiger (§ 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO) noch zur vollen Befriedigung der Ansprüche der Neumassegläubiger (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO) ausreicht. Der Insolvenzverwalter kann daher auch in den Fällen des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO nicht mehr uneingeschränkt zur Leistung verurteilt werden. Nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit ist daher stets Feststellungsklage zu erheben, eine vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit erhobene Leistungsklage ist auf eine Feststellungsklage umzustellen (Lakies, a. a. O.; Berscheid, Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz, Teil I, Rnr. 777).

Die Klägerin ist im Berufungsrechtszug gem. § 264 Nr. 2 ZPO zulässig von der Leistungsklage zur Feststellungsklage übergegangen. Die Feststellungsklage ist zulässig, weil Leistungsklage nicht erhoben werden kann und die Klägerin ein rechtliches Interesse daran hat, den vom Beklagten bestritten Rang der Forderung feststellen zu lassen.

II) Die Klage ist begründet.

Die Vergütungsansprüche die Klägerin für die Monate Januar und Februar 2001 sind Masseverbindlichkeiten i. S. des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Es handelt sich um Verbindlichkeiten i. S. des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO, mithin um Verbindlichkeiten für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Beklagte nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte.

Die vom Beklagten im Juli 2000 angezeigte Masseunzulänglichkeit wurde am 19.07.2000 öffentlich bekannt gemacht. Gem. § 208 Abs. 3 InsO besteht die Pflicht des Verwalters zur Verwaltung und zur Verwertung der Masse auch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit fort. In Wahrnehmung dieser Pflicht hat der Beklagte den Beschäftigungsbetrieb der Klägerin fortgeführt, um eine Chance auf Erhalt und sanierende Übertragung zu sichern. Erst als sich im Oktober 2000 herausstellte, dass die Betriebsfortführung wirtschaftlich nicht mehr vertretbar war, leitete der Beklagte Maßnahmen zur Schließung des Beschäftigungsbetriebes der Klägerin ein. Im Zuge dieser Maßnahmen wurde der Klägerin im November 2000 unter Wahrung der Frist des § 113 InsO zum 28.02.2001 gekündigt.

Der Beklagte hat mit der Kündigung den ersten Kündigungstermin nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht gewahrt.

Der maßgebliche Termin ist nach den objektiv gegebenen Kündigungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters zu beurteilen. Für den Zeitrahmen, der bis zur Kündigung zum ersten Termin nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit verstreichen kann, wird darauf abzustellen sein, welche Maßnahmen der Verwalter treffen muss, um die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Kündigung zu schaffen. Dazu gehört etwa die Anhörung des Betriebsrats oder auch die Einholung der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle (vgl. BAG, a. a. O.).

Die Bestimmung des ersten Termins zum Ausspruch der Kündigung kann demgegenüber nicht davon abhängig gemacht werden, ob und wann der Verwalter die unternehmerische Entscheidung getroffen hat, den Betrieb stillzulegen. Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit löst, unabhängig davon, ob die Voraussetzungen der Anzeige nach § 208 InsO vorgelegen haben oder nicht, die Rechtsfolgen des § 209 InsO aus. Das Datum der Anzeige der Masseunzulänglichkeit bzw. ihrer öffentlichen Bekanntmachung ist daher der einzig maßgebliche Bezugspunkt für den ersten Kündigungstermin.

Sind die Masseverbindlichkeiten wegen Versäumung des ersten Kündigungstermins im Rang des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu berichtigen, behalten sie diesen Rang unabhängig davon, ob der Verwalter die Gegenleistung in Anspruch nimmt oder nicht (Münchner Kommentar zur InsO, § 209 Rnr. 32).

Der Beklagte hätte das Arbeitsverhältnis der Klägerin nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit nach den objektiv gegebenen Voraussetzungen auch zu einem Termin im Jahre 2000 kündigen können, denn für die Klägerin war lediglich der allgemeine Kündigungsschutz zu beachten. Mit seiner Entscheidung, den Betrieb auch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit noch für mehrere Monate fortzuführen, hat der Beklagte die Möglichkeit, zum ersten Termin zu kündigen, bewusst verstreichen lassen. Unerheblich ist dann, dass die Klägerin während der Kündigungsfrist in den Monaten Januar und Februar 2001 von der Arbeitsleistung freigestellt wurde.

Der Beklagte hat gem. den §§ 97, 92 Abs. 2 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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