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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 29.09.2003
Aktenzeichen: 1 Ta 93/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 888
1) Wird der Arbeitgeber/Schuldner verurteilt, den Arbeitnehmer/Gläubiger zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen, sind Tatbestand und Entscheidungsgründe des in vollständiger Form abgefassten Urteils zur Auslegung des Titels heranzuziehen (allgemeine Meinung).

2) Dies gilt auch dann, wenn der Gläubiger die Vollstreckung aus einer abgekürzten Urteilsausfertigung betreibt, zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Vollstreckungsantrag das in vollständiger Form abgefasste Urteil aber bereits vorliegt und den Parteien zugestellt ist. Der Vollstreckungsantrag kann in diesem Fall nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden, der zur Vollstreckung verwendete Titel sei nicht auslegungsfähig und daher nicht vollstreckungsfähig.


Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Erfurt vom 30.06.2003, Az.: 1/5 Ca 531/02, abgeändert.

Gegen die Antragsgegnerin wird zur Erzwingung der Verpflichtung auf Weiterbeschäftigung des Antragstellers aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 04.12.2002, Az.: 5 Ca 531/02, als Auftragssteuerer/Fertigungssteuerer ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,00 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Zwangshaft in Höhe von je drei Tagen, zu vollstrecken an den Geschäftsführern der Antragsgegnerin, Herrn A. und Herrn K., festgesetzt.

2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Vollstreckungsverfahrens zu tragen.

3. Der Wert des Verfahrensgegenstandes bleibt auf 3.110,00 € festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I)

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 04.12.2002 die Antragsgegnerin/Be-schwerdegegnerin verurteilt, den Kläger zu unveränderten Bedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiterzubeschäftigen.

Dem Antragsteller wurde auf seinen Antrag vom 24.01.2003 am 07.02.2003 eine abgekürzte und mit Vollstreckungsklausel versehene Ausfertigung des Urteils vom 04.12.2002 erteilt. Das in vollständiger Form abgefasste Urteil wurde am 27.02.2003 beiden Parteien zugestellt. Aus dem Tatbestand des Urteil geht hervor, dass der Kläger als Auftragssteuerer/Fertigungssteuerer in der Abteilung Produktionssteuerung beschäftigt war.

Der Antragsteller hat mit Antrag vom 04.03.2003, beim Arbeitsgericht eingegangen am 07.03.2003, beantragt, gegen die Antragsgegnerin ein Zwangsgeld zur Erzwingung seines Anspruchs auf Weiterbeschäftigung festzusetzen.

Die Antragsgegnerin beantragte die Zurückweisung des Antrags mit der Begründung, das arbeitsgerichtliche Urteil sei unrichtig, weil es einen Arbeitnehmer als vergleichbar in die Sozialauswahl einbezogen habe, der als Ersatzmitglied zum Betriebsrat besonderen Kündigungsschutz genieße. Im Übrigen sei der Arbeitsplatz des Antragstellers entfallen, weil ein Beschäftigungsbedarf für ihn nicht mehr bestehe.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 30.06.2003 den Vollstreckungsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass ein vollstreckungsfähiger Titel nicht vorliege. Die geschuldete Leistung könne auch nicht im Wege der Auslegung ermittelt werden, da sich die zur Auslegung geeigneten Umstände aus dem für die Vollstreckung benutzten Titel selbst ergeben müssten. Die abgekürzte Urteilsausfertigung, die der Antragsteller mit der Vollstreckungsklausel habe versehen lassen, enthalte weder Tatbestand noch Entscheidungsgründe. Der Titel sei daher der Auslegung nicht zugänglich. Es sei folglich auch nicht zu ermitteln, was unter der Weiterbeschäftigung des Antragstellers zu unveränderten Bedingungen zu verstehen sei.

Gegen diesen dem Antragsteller am 03.07.2003 zugestellten Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 17.07.2003, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat.

Die Antragsgegnerin beantragt die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde. Sie macht ergänzend zu den gegen den Antrag aufgeführten Gründen geltend, dass dem Antragsteller inzwischen erneut vorsorglich eine weitere betriebsbedingte Kündigung zum 30.11.2003 ausgesprochen worden sei.

Der Antragsteller hat auch gegen die erneut ausgesprochene Kündigung Klage erhoben.

II)

Die sofortige Beschwerde ist begründet.

Der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 30.06.2003 ist abzuändern. Auf Antrag des Antragstellers ist die Antragsgegnerin gem. § 888 ZPO durch Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft, anzuhalten, den Antragsteller zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Auftragssteuerer/Fertigungssteuerer weiterzubeschäftigen.

A) Das Beschwerdegericht folgt der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht, wonach eine abgekürzte Urteilsausfertigung zur Vollstreckung eines Weiterbeschäftigungsanspruchs ungeeignet ist, wenn sich Art und Umfang des Beschäftigungsanspruchs erst aus dem in vollständiger Form abgefassten Urteil ergeben.

Ein Vollstreckungstitel ist grundsätzlich nur dann hinreichend bestimmt und damit vollstreckungsfähig, wenn sich allein aus dem Titel ergibt, was der Schuldner zu leisten und zu dulden hat. Daraus folgt, dass auch zur Auslegung des Titels nur auf dessen Inhalt, nicht aber auf Urkunden, die dort nicht in Bezug genommen worden sind, zurückgegriffen werden kann (Thomas-Putzo, ZPO, 25. Aufl., Vorbemerkung zu § 704 Rnr. 16 und 22).

Für die Vollstreckbarkeit des Weiterbeschäftigungsanspruchs ist allgemein anerkannt, dass der Titel, wonach der Schuldner dazu verurteilt wurde, den Gläubiger zu "unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen" dann vollstreckungsfähig ist, wenn durch Auslegung anhand des Tatbestandes oder der Entscheidungsgründe des Urteils ermittelt werden kann, zu welchen Arbeitsbedingungen konkret nach Art und Umfang die Weiterbeschäftigung erfolgen soll (Germelmann, ArbGG, 4. Aufl., § 62 Rnr. 48; GK-ArbGG, Vossen, § 62 Rnr. 11). Dies gilt entgegen der im angefochtenen Beschluss vertretenen Auffassung auch dann, wenn die Vollstreckung aus einer abgekürzten Urteilsausfertigung betrieben wird, zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Vollstreckungsantrag aber das in vollständiger Form abgefasste Urteil bereits vorliegt.

Die Beschränkung der Vollstreckung auf den Inhalt des Titels ist ein Gebot der Rechtssicherheit. Den Vollstreckungsorganen soll eine unmissverständliche Handlungsanleitung zur Verfügung stehen. Deshalb hat sich auch eine von den Vollstreckungsorganen ggf. vorzunehmende Auslegung des Titels auf dessen Inhalt zu beschränken. Im Falle einer Vollstreckung gem. § 888 ZPO ist das zur Auslegung des Titels berufene Vollstreckungsorgan das Prozessgericht selbst, denn es ist gleichzeitig Vollstreckungsgericht. Das über den Vollstreckungsantrag entscheidende Gericht kennt folglich die im vollständig abgefassten Urteil vorhandenen Auslegungshilfen, es hat sie in der Regel sogar selbst formuliert. Die Auslegungshilfen sind auch Gläubiger und Schuldner bekannt, denn das in vollständiger Form abgefasste Urteil ist ihnen bereits zugestellt. Unter diesen Umständen lässt sich unter keinem Gesichtspunkt rechtfertigen, wenn man verlangen wollte, das Vollstreckungsgericht müsse eine Auslegungshilfe, die ihm ohne Weiteres zugänglich ist und die auch Bestandteil des Titels, wenn auch nicht des zur Vollstreckung verwendeten, ist, sehenden Auges unberücksichtigt lassen. Zu Unrecht beruft sich der angefochtene Beschluss denn auch auf die Entscheidungen des LAG Hamm vom 21.11.1989 (NZA 90, 327) und des LAG Frankfurt/Main vom 13.07.1987 (NZA 88, 175). Zwar wird in beiden Entscheidungen die Auffassung vertreten, eine abgekürzte Urteilsausfertigung sei zur Vollstreckung eines Weiterbeschäftigungsanspruchs denkbar ungeeignet. Dies trifft auch ohne Weiteres unter der Voraussetzung zu, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Vollstreckungsantrag das in vollständiger Form abgefasste Urteil noch nicht vorliegt. Nur so ist auch die im angefochtenen Beschluss zitierte Kommentierung bei Gift/Baur, Das Urteilsverfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen, Ziff. E Rnr. 1767, zu verstehen. Nach dem mitgeteilten Sachverhalt lag in den von den Landesarbeitsgerichten entschiedenen Fällen das erstinstanzliche Urteil jedoch vor und die Gerichte haben sich denn auch vorsorglich mit der Frage auseinandergesetzt, ob aus Tatbestand und Entscheidungsgründen des zwischenzeitlich zugestellten vollständigen Urteils der Titel der abgekürzten Urteilsausfertigung ausgelegt werden kann. Dies war in beiden Fällen nicht möglich, da sich auch die vollständigen Urteile über die konkreten Arbeitsbedingungen ausgeschwiegen haben. Nur deshalb wurden die Vollstreckungsanträge zurückgewiesen. Aus den zitierten Entscheidungen kann daher gerade nicht der Schluss gezogen werden, bei Vollstreckung aus einer abgekürzten Urteilsausfertigung dürfe das - später zugestellte - vollständige Urteil nicht zur Auslegung des Vollstreckungstitels herangezogen werden. Die Auffassung des Arbeitsgerichts würde im Übrigen zu einer sinnlosen Förmelei führen. Der Gläubiger müsste die abgekürzte Urteilsausfertigung zurückgeben und das vollständige Urteil mit der Vollstreckungsklausel versehen lassen. Ein Erkenntnisgewinn für die Auslegung des Titels wäre mit diesem Procedere allerdings nicht verbunden.

Im Streitfall lag das in vollständiger Form abgefasste Urteil zum Zeitpunkt der Entscheidung des Arbeitsgerichts über den Vollstreckungsantrag vor. Die Auslegung des auf Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen gerichteten Vollstreckungstitels anhand des Tatbestands des Urteils ergibt, dass der Antragsteller als Auftragssteuerer/Fertigungssteuerer in der Abteilung Fertigungssteuerung der Antragsgegnerin zu beschäftigen ist. Die so beschriebenen konkreten Arbeitsbedingungen sind zur Klarstellung in den Beschlusstenor übernommen worden.

B) Die übrigen von der Antragsgegnerin gegen den Vollstreckungsantrag geltend gemachten Einwendungen greifen nicht durch.

1) Es ist nicht entscheidungserheblich, ob das Urteil des Arbeitsgerichts, aus dem der Antragsteller die Vollstreckung betreibt, unrichtig ist, weil es von falschen Voraussetzungen bei der Sozialauswahl ausgegangen ist. Gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts ist Berufung eingelegt worden. Die materielle Richtigkeit der Entscheidung wird im Berufungsverfahren überprüft, sie ist nicht Gegenstand der Entscheidung im Vollstreckungsverfahren. Vorsorglich ist allerdings darauf hinzuweisen, dass das Arbeitsgericht nach dem von ihm gefundenen Ergebnis die Frage dahingestellt sein lassen konnte, ob die Sozialauswahl aus anderen als den von ihm angenommenen Gründen unzutreffend ist.

2) Die Antragsgegnerin meint zu Unrecht, ihr sei die Weiterbeschäftigung des Antragstellers unmöglich, weil sein Arbeitsplatz entfallen sei. Entfallen ist zwar ein Arbeitsplatz. Ob dies der Arbeitsplatz des Antragstellers ist, hängt jedoch von der zu treffenden Sozialauswahl ab, die im Berufungsrechtszug zu überprüfen ist.

3) Die Tatsache, dass dem Antragsteller erneut vorsorglich betriebsbedingt gekündigt wurde, hat im Vollstreckungsverfahren unberücksichtigt zu bleiben, ebenso wie die von der Antragsgegnerin angedeutete Möglichkeit, Vollstreckungsgegenklage zu erheben. Zur Frage der Zulässigkeit der Vollstreckungsgegenklage bei Anhängigkeit der Klage gegen die erste Kündigung im Berufungsrechtszug ist auf die Entscheidung des LAG Sachsen-Anhalt vom 25.09.2002 - 8 Sa 344/02 - (mitgeteilt bei juris) hinzuweisen.

Die Antragsgegnerin hat gem. § 91 ZPO die Kosten des Vollstreckungsverfahrens zu tragen. Die Wertfestsetzung durch das Arbeitsgericht erfolgte zu Recht.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht ersichtlich.



Ende der Entscheidung

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