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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 27.10.2006
Aktenzeichen: 5 AR 4/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
BGB § 29
Der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 BGB bezweckt eine Erleichterung der Rechtsverfolgung.

Bei Arbeitsverhältnissen ist in der Regel von einem gemeinsamen Erfüllungsort der damit verbundenen Leistungspflichten auszugehen. Auf die Frage von wo aus das Arbeitsentgelt gezahlt wird, kommt es regelmäßig nicht an.

Verweist ein Arbeitsgericht, welches zur Entscheidung einer Kündigungsschutzklage örtlich zuständig gewesen ist, die dieser Klage unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges nachfolgende Lohnzahlungsklage an des (im Streitfall 5 Fahrstunden entfernte) Arbeitsgericht, in dessen Bezirk die Lohnüberweisungen vornehmende Unternehmenszentrale ihren Sitz hat, liegt eine den wohlverstandenen Zweck des Gerichtstandes des Erfüllungsorts außer acht lassende und deshalb willkürliche Verweisungsentscheidung vor. Ein solcher Verweisungsbeschluss kann im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO korrigiert werden.


Tenor:

Der von der 15. Kammer des Arbeitsgerichts Stuttgart zur Bestimmung des örtlich zuständigen Arbeitsgerichts vorgelegte Rechtsstreit 15 Ca 6404/06 (vormaliges Az. ArbG Gera 3 Ca 1039/06) wird an die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Gera zurückverwiesen. Das Arbeitsgericht Gera wird als örtlich zuständiges Gericht zur Entscheidung der dort am 14.6.2006 eingereichten Annahmeverzugslohnklage bestimmt.

Gründe:

Die Voraussetzungen für die Durchführung des Verfahrens zur Bestimmung des (hier: örtlich) zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO sind erfüllt. Das ArbG Gera und das ArbG Stuttgart haben sich durch formell unanfechtbare Beschlüsse vom 24.7.2006 und 21.9.2006 rechtskräftig für unzuständig erklärt. Das ArbG Stuttgart hat den Rechtsstreit dem Thüringer LAG zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt.

Grundsätzlich entfalten auch fehlerhafte Beschlüsse, mit denen ein Gericht seine örtliche Unzuständigkeit feststellt und den Rechtsstreit an ein anderes als zuständig angesehenes Gericht verwiesen wird, gegenüber diesem bindende Wirkung. Die bindende Wirkung ist auch im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren des § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO zu beachten. Eine Ausnahme besteht allerdings u.a. dann, wenn der Verweisungsbeschluss offensichtlich gesetzwidrig ist. Dies ist dann der Fall, wenn er jeder Rechtsgrundlage entbehrt, willkürlich gefasst ist oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten oder einem von ihnen beruht (BAG, Beschluss vom 14.1.1994, NZA 1994, 478, vgl. auch Beschluss vom 17.3.1997 - 5 AS 3/97 - Juris). Ein solcher Fall liegt hier vor.

Nach völlig herrschender Meinung ist bei Arbeitsverhältnissen in der Regel von einem einheitlichen gemeinsamen Erfüllungsort der damit verbundenen Leistungspflichten auszugehen. Abzustellen ist nicht auf den Unternehmenssitz, sondern den Beschäftigungsort, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung zu erbringen hat. Dieser Gerichtsstand des Erfüllungsortes gilt für alle Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis. Auf die Frage, von wo aus das Arbeitsentgelt gezahlt wird, kommt es regelmäßig nicht an (vgl. BAG, Beschluss vom 3.11.1993 NZA 1994, 479; BAG, Urteil vom 9.10.2002, NZA 2003, 339).

Zur Rechtfertigung ihres bei der Verweisung des vorliegenden Rechtsstreits an das ArbG Stuttgart eingenommenen gegenteiligen Standpunktes hat sich die 3. Kammer des ArbG Gera auf das angebliche Fehlen einer überzeugenden dogmatischen Begründung der vorgenannten auch vom BAG geteilten Sichtweise berufen. Die 3. Kammer des ArbG Gera verkennt, dass es nicht im Sinne der Gerichtsstandsbestimmung des Erfüllungsortes ist, den Parteien die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes zu komplizieren oder gar zu erschweren und deren Prozessvertreter mehr als sachlich notwendig zu belasten. Ein solches Ziel hat auch der Gesetzgeber mit den Regeln der §§ 12 ff. ZPO nicht im Auge gehabt. Die gesetzliche Zuständigkeitsanordnung verfolgt den Zweck einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten prozessualen Lastenverteilung mit der jedenfalls bei den besonderen Gerichtsständen auch dafür gesorgt werden soll, dass jede Sache vor das am günstigsten gelegene Gericht kommt und damit zugleich die sachgerechte Ausübung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gewährleistet ist (Zöller-Vollkommer § 12 ZPO Rn. 1). So bezweckt gerade auch der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsorts (§ 29 ZPO) die Erleichterung der Rechtsverfolgung (MK-Patzina, § 29 ZPO Rn. 1).

Eine Verfehlung des gesetzgeberischen Zweckes würde bei verschiedenen Orten des Unternehmenssitzes und der tatsächlichen Beschäftigung, die zugleich einem unterschiedlichen Gerichtssprengel angehören, aber eintreten, wenn bei Streitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis bei der Bestimmung des örtlich zuständigen Arbeitsgerichts danach zu unterscheiden wäre, ob es um die Fortsetzung der Erbringung der Arbeitsleistung oder deren Vergütung geht. Das eine ist mit dem anderen durch die diesen Leistungspflichten zugrundeliegende und ein diesbezügliches Abhängigkeitsverhältnis herstellende vertragliche Austauschvereinbarung untrennbar verbunden. Wo auf Kündigungsschutz geklagt wird, folgen Zahlungsklagen auf rückständigen Lohn oder aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges - wenn schon nicht gleichzeitig - so in vielen Fällen doch unmittelbar auf dem Fuße. Die dogmatische Verknüpfung der Leistungspflichten muss sich auch bei der Gerichtsstandsbestimmung dahingehend auswirken, dass dieser ein einheitlicher sein muss. Die Zweckmäßigkeit dieser Sichtweise trägt auch dem geschilderten praktischen Zusammenhang solcher Klagen Rechnung. Im Arbeitsverhältnis folgt die Pflicht zur Vergütungszahlung der Pflicht zur Arbeitsleistung ("ohne Arbeit kein Lohn"). Dementsprechend gibt es auch außer einer - vom Bürger nur noch als bürokratischen Exzess wahrnehmbaren - sinnlos förmelnden und fern von den Vorstellungen des Gesetzgebers liegenden Anwendung der Bestimmung des Erfüllungsortes überhaupt keinen Grund dafür, anzunehmen, der Gerichtsstand für Klagen auf Arbeitsvergütung müsse dann ein anderer sein als der für eine Kündigungsschutzklage, wenn die Gehaltsüberweisung von einer vom Arbeitsort entfernten Unternehmenszentrale erfolgt.

Dies gilt im Streitfall erst recht, weil dort die Kündigungsschutzklage des Klägers bereits vom ArbG Gera verhandelt und entschieden wurde, beide Parteien des Rechtsstreites durch Geraer Anwälte vertreten waren und auch im vorliegenden Rechtsstreit wieder durch diese vertreten sind. Der von der 3. Kammer des ArbG Gera im Streitfall eingenommene Standpunkt würde dazu führen, dass die Prozessbevollmächtigten (durch die halbe Republik) fahren müssten, um auch bei der auf ein Kündigungsschutzverfahren nachfolgenden Lohnzahlungsklage die Interessen ihrer Mandanten wahrzunehmen oder zur Vermeidung des Verlustes von gegebenenfalls mehr als einem ganzen Rechtsanwaltsarbeitstag (der fahrplanmäßige Zeitaufwand der Bahnverbindung Gera-Stuttgart ohne Rückfahrt liegt zwischen 5 und 6 1/2 Stunden) zur Erteilung einer Untervollmacht gezwungen wären, was zum einen ihren anwaltlichen Verdienst schmälern würde, zum anderen aber auch nicht unbedingt in dem auf sachgerechte Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gerichteten Mandanteninteresse läge. Die 3. Kammer des ArbG Gera hat sich offensichtlich weder die Situation eines anwaltlichen Erwerbslebens noch das Interesse der Parteien an der Anwesenheit des von ihr ausgewählten Anwaltes in der die Entscheidung der Zahlungsklage betreffenden Gerichtsverhandlung vor Augen gehalten. Die gerichtliche Tätigkeit und die damit verbundene Anwendung von Prozessrecht ist aber kein Selbstzweck. Die Erfüllung des Justizgewährungsanspruchs erfolgt nach modernem Staatsverständnis jedenfalls im Zivilprozess als Dienstleistung für den Bürger. Auch mit diesem Gedanken, dem es immanent ist, dass der Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert wird, lässt sich der Verweisungsbeschluss der 3. Kammer des ArbG Gera nicht vereinbaren.

Unter den genannten Gesichtspunkten stellt sich nach alledem die streitgegenständliche Verweisungsentscheidung der 3. Kammer des ArbG Gera als eine ohne jegliche nachvollziehbare sachliche Rechtfertigung vom wohl verstandenen Gesetzeswillen abweichende und deshalb willkürliche Entscheidung dar.

Das ArbG Gera war deshalb nach §§ 36 Abs. 1 Ziff. 6, 36 Abs. 2 ZPO als das zur Entscheidung der Annahmeverzugsansprüche des Klägers örtlich zuständige Gericht zu bestimmen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 37 Abs. 2 ZPO).



Ende der Entscheidung

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