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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 19.06.2007
Aktenzeichen: 5 Ta 55/07
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 242 BGB
BGB § 138 Abs. 1
ZPO § 114
Eine Kündigung, mit der der Arbeitgeber den Eintritt einer Erkrankung eines Arbeitnehmers als solcher mit einer Kündigung maßregeln will, ist eine gegen Treu- und Glauben verstoßende unzulässige Rechtsausübung.
Tenor:

Der den Antrag des Klägers auf Prozesskostenhilfebewilligung zurückweisende Beschluss 3 Ha 13/06 des Arbeitsgerichts Nordhausen vom 26.3.2007 wird aufgehoben.

Dem Kläger wird unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin H. K., I. zur Durchführung der mit Schriftsatz vom 20.12.2006 unter der Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe erhobenen und zunächst unter dem Aktenzeichen 3 HA 13/06 registrierten Klage in Bezug auf die Klageanträge zu 1) und zu 4) für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe mit der Maßgabe bewilligt, dass kein eigener Beitrag zu leisten ist.

Gründe:

1. Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für die Durchführung einer Klage, mit der er sich gegen eine ihm ausgesprochene Kündigung wendet, Weiterbeschäftigung sowie über den Kündigungszeitpunkt hinaus Abrechnung und Zahlung seiner Vergütung verlangt.

Der Kläger war aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 07.09.2006 mit Wirkung vom 11.09.2006 bei der Firma J. GmbH (Beklagte), gegen die sich seine beabsichtigte Klage richtet, beschäftigt. Mit Schreiben vom 17.11.2006, welches dem Kläger am 30.11.2006 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 24.11.2006, ohne darin die Kündigung zu begründen. Das Kündigungsschreiben war "i.A." von Herrn M. F. unterzeichnet. Herr F. ist auf dem Briefkopf der Beklagten nicht als Geschäftsführer ausgewiesen. Der Kündigung der Beklagten lag ein Verkehrsunfall zugrunde, den der Kläger am 16.11.2006 auf dem Heimweg von der Arbeit erlitt und infolgedessen er für einen Tag ins Krankenhaus eingeliefert und anschließend bis 23.12.2006 arbeitsunfähig geschrieben wurde. Der Kläger hat in seiner Klageschrift vorgetragen, dass seine Schwester am 17.11.2006 bei der Beklagten angerufen habe, um den Kläger zunächst bis zum 30.11.2006 krank zu melden. Dabei sei sie an den "Chef" verwiesen worden, der gerade ortsabwesend gewesen sei. Sie habe daraufhin ihre Telefonnummer hinterlassen und um Rückruf gebeten. Nachdem dies jedoch bis zum Folgetag nicht geschehen sei, habe sie selbst zurückgerufen und sich mit dem "Chef" M. F. verbinden lassen. Dieser habe bei dem Telefongespräch sinngemäß geäußert:

"Sie solle nicht seine wertvolle Zeit verschwenden, er könne nur Mitarbeiter brauchen, die am Arbeitsplatz ihre Arbeit tun,....wer krank mache, aus welchem Grund auch immer, könne in dieser Firma nur noch mit der Kündigung rechnen...außerdem sei der Kläger ohnehin nur in der Probezeit..."

Der Kläger hat diesen Vortrag in seiner mit dem Prozesskostenhilfebewilligungsantrag verbundenen Klageschrift unter Beweis gestellt durch Berufung auf eine Vernehmung seiner Schwester, Frau M. K. als Zeugin.

Mit Beschluss vom 26.03.2007, der dem Kläger am 05.04.2007 zugestellt wurde, hat das Arbeitsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung abgelehnt, dass für die beabsichtigten Klageanträge keine Erfolgsaussichten bestünden. Der Umstand, dass die Kündigung aufgrund seiner Erkrankung infolge des Wegeunfalls ausgesprochen worden sei, könne keine Sittenwidrigkeit oder Treuwidrigkeit der Kündigung begründen. Da das Arbeitsverhältnis noch keine sechs Monate bestanden habe, läge keine Einschränkung der Kündigungsbefugnis nach dem Kündigungsschutzgesetz vor. Die Klageanträge zu 2) (allgemeiner Feststellungsantrag) und zu 3) (unbestimmter Zahlungsantrag) hat das Arbeitsgericht für unzulässig gehalten. Dem auf Weiterbeschäftigung gerichteten Klageantrag zu 4) hat das Arbeitsgericht wegen seiner Abhängigkeit von der Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung ebenfalls die Erfolgsaussichten abgesprochen.

Mit der am 04.05.2007 beim Thüringer Landesarbeitsgericht eingelegten sofortigen Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Verneinung der Erfolgsaussichten seiner Gegenwehr gegen die Kündigung.

2. Dem angegriffenen Beschluss des Arbeitsgerichts ist lediglich insoweit zu folgen, als es das Fehlen einer hinreichenden Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO für die Klageanträge zu 2) und zu 3) festgestellt hat. Insoweit wird auf die zutreffenden Beschlussgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Hinsichtlich der Klageanträge zu 1) und zu 4) kann demgegenüber eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage nicht verneint werden. Die Erfolgsaussicht des Klageantrages zu 4) folgt ohne Weiteres aus der Erfolgsaussicht des Klageantrages zu 1).

Im Falle ihrer Herausnahme aus dem gesetzlichen Kündigungsschutz sind Arbeitnehmer nicht völlig schutzlos gestellt. Wo die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes nicht greifen, sind die Arbeitnehmer durch die zivilrechtlichen Generalklauseln vor einer sitten- oder treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers geschützt. Im Rahmen dieser Generalklauseln ist auch der objektive Gehalt der Grundrechte zu beachten. Der verfassungsrechtlich gebotene Mindestschutz des Arbeitsplatzes vor Verlust durch private Disposition ist damit in jedem Fall gewährleistet. Wie weit dieser Schutz im Einzelnen reicht, ist von den Arbeitsgerichten zu entscheiden. In sachlicher Hinsicht geht es vor allem darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.01.1998 - 1 BvL 15/87 -, NJW 1998, 1475). Insofern können außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes ausgesprochene Kündigungen insbesondere wegen Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB) oder wegen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) rechtsunwirksam sein (vgl. hierzu vor allem BAG, Urteil vom 23.06.1994, NJW 1995, 275).

Im Streitfall hat der Kläger in seiner Klageschrift schlüssig vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass die mit dem 17.11.2006 datierte Kündigung (unbeschadet der offenen Befugnis ihres Ausstellers, die Beklagte rechtswirksam zu vertreten) jedenfalls unvereinbar mit den Grundsätzen von Treu und Glauben ist. Es kann deshalb prinzipiell dahingestellt bleiben, ob die Kündigung nach dem Vortrag des Klägers sogar als sittenwidrig (§ 138 Abs. 1 BGB) anzusehen ist, wofür nach Lage der Dinge im Streitfall allerdings einiges spricht.

Die Vorschrift des § 242 BGB ist neben § 1 KSchG nur in beschränktem Umfang anwendbar. Umstände, die im Rahmen des § 1 KSchG zu würdigen sind und die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt erscheinen lassen können, kommen als Verstöße gegen Treu und Glauben nicht in Betracht. Eine Kündigung verstößt dann gegen § 242 BGB, wenn sie aus Gründen, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind, Treu und Glauben verletzt. Solche Gründe hat der Kläger vorgetragen:

Im Streitfall handelt es sich nach dem Vorbringen des Klägers nicht um einen Kündigungsgrund, der typischerweise im Rahmen des § 1 KSchG zu würdigen gewesen ist. Typischer Prüfungsgegenstand von § 1 KSchG ist zwar auch die Frage der Berechtigung einer krankheitsbedingten Kündigung. Hierbei geht es allerdings um die Frage, ob eine bestimmte Erkrankung nach ihrer Art, ihrer Dauer und ihren betrieblichen Auswirkungen insgesamt eine negative Zukunftsprognose für eine unzumutbare Störung des Arbeitsvertragsverhältnisses rechtfertigt. Demgegenüber hat die Beklagte nach dem Vortrag des Klägers mit den oben zitierten Äußerungen des Herrn F. zum Ausdruck gebracht, dass sie jedem ihrer Beschäftigten unabhängig von den Einzelfallumständen und betrieblichen Auswirkungen einer Arbeitsunfähigkeit den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses verwehren will und dass dieses Motiv leitend für ihre am 17.11.2007 datierte Kündigung gewesen ist. Damit gibt die Beklagte zu erkennen, dass sie im Falle von erkrankungsbedingter Hinderung der Erbringung von Arbeitsleistungen grundsätzlich kündigen und sich dabei nicht an § 1 KSchG halten will. Schon deshalb könnte sie für sich nicht in Anspruch nehmen, dass der Streitfall einen typischerweise im Rahmen des § 1 KSchG (Fallgruppe krankheitsbedingte Kündigung) zu würdigenden Sachverhalt betrifft.

Tatsächlich liegt auch gar kein typischer Fall von § 1 KSchG vor. Die Beklagte hat mit der von dem Kläger behaupteten telefonischen Äußerung des Herrn F. vom 17.11.2006 dokumentiert, dass Sie im Erkrankungsfall von Mitarbeitern nach Gutsherrenart unabhängig von eigenen nachvollziehbaren wirtschaftlichen Interessen und ohne Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen ihrer Mitarbeiter wie z. B. auf Achtung ihrer Menschenwürde und Persönlichkeit ihr Kündigungsrecht ausüben und damit bereits das Krankwerden als solches mit Erteilung einer Kündigung maßregeln will. Ein solches Verhalten stellt nicht nur einen klassischen Fall von willkürlicher Mitarbeiterbehandlung dar, er enthält auch eine menschenverachtende Komponente. Die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie und damit auch des arbeitgeberseitigen Kündigungsrechts findet unabhängig vom Geltungsbereich des allgemeinen Kündigungsschutzes ihre Grenze in der Verpflichtung zur Achtung der Menschenwürde. Mit dieser Verpflichtung steht es nicht im Einklang, wenn in einem Arbeitsverhältnis - und wie im Streitfall vorgetragen - bereits das bloße Auftreten einer Erkrankung als solcher zum Anlass für eine das Arbeitsverhältnis beendende Sanktion, nämlich eine Kündigung genommen wird. Dass der Streitfall eine menschenverachtende mit dem Anstandsgefühl billig und gerecht denkender Bürger nicht mehr vereinbare Komponente aufweist, belegt bereits der Umstand, dass selbst die aus einem schweren Verkehrsunfall resultierende Arbeitsunfähigkeit des Klägers in die Rubrik des "Krankmachens" eingeordnet wurde. Dafür, dass die Kündigung des Klägers auf einer derartigen rücksichtslosen, arbeitsunfähig werdende Mitarbeiter maßregelnden und diskriminierenden, mit den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht vereinbaren Willkürhaltung beruht, spricht im Übrigen bereits auch der erste Anschein des Zustandekommens ihrer Auslösung durch die telefonische Krankmeldung des Klägers durch seine Schwester, das hierzu einen Tag später geführte Telefongespräch mit dem "Chef" M. F. mit besagtem Inhalt und das noch am selben Tag ohne jegliches Abwarten weiterer Erkenntnisse auf dem Fuße folgende Kündigungsschreiben.

Der Prozesskostenhilfeantrag des Klägers kann nach alledem nicht wegen Fehlens hinreichender Erfolgsaussicht scheitern. Das Landesarbeitsgericht kann die Prozesskostenhilfebewilligung selbst vornehmen. Der Kläger hat seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ausreichend dargelegt und durch seinen Schriftsatz vom 18.01.2007 ergänzt. Danach steht fest, dass der Kläger derzeit lediglich über ein monatliches Einkommen von 587,83 € aus dem Bezug von Sozialleistungen der ARGE SGB II I.-Kreis verfügt. Hiervon muss er seine Miete in Höhe von 273,00 € bestreiten. Weiter ist ein Freibetrag von 380,00 € zu berücksichtigen. Danach kann kein vom Kläger einzusetzendes Einkommen für die Finanzierung seiner Rechtverfolgung festgestellt werden.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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