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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 16.01.2007
Aktenzeichen: 7/1/7 Sa 212/04
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
BGB § 29
Zur Auslegung einer Betriebsvereinbarung zur Anwendung eines Anerkennungssystems für Verbesserungsvorschläge
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Eisenach vom 21.04.2004, 3 Ca 896/03, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um eine Prämie für einen betrieblichen Verbesserungsvorschlag (VV) zur Änderung eines Kabelsatzes.

Die Beklagte gehört zum G.-Automobilkonzern und produziert in E. das Modell O. C.. Der inzwischen aus Altersgründen ausgeschiedene Kläger war dort als Ingenieur beschäftigt.

Die Ausstattung der produzierten Fahrzeuge ist variabel und richtet sich nach den Kundenwünschen. Mit dem Modelljahr 2001, das im September 2000 in Serie ging, wurde für den C. erstmals ein elektrisches Schiebedach angeboten, das aufwendigere Kabelsätze verlangt. Bisher war nur ein mechanisches Schiebedach angeboten worden. Die aufwendigeren Kabelsätze wurden optional eingebaut und, wenn nicht benötigt, verwahrt ("beigebunden").

Die Freigabe der Kabelsätze für die Produktion mit "Engineering Work Order" (EWO KBS) erfolgt zentral durch das Internationale Technische Entwicklungszentrum (ITEZ) am O.-Stammsitz in R.. Dort werden seit 1990 die benötigten Kabelsätze auf einem Superrechner "komponiert" und aufgrund der Verkaufszahlen dann daraufhin überprüft, ob ggf. eine Veränderung der verwendeten Kabelsätze kostengünstiger ist als die Beibindung nicht benötigter Optionen. Das ITEZ hatte das betriebliche Vorschlagswesen in R. mit Schreiben vom 20.09.1991 (Bl. 79 d. A.) darauf hingewiesen, dass einem VV über Kabelsätze wegen der regelmäßigen Kostenoptimierung keine Priorität zukomme. Das Rechnerprogramm für die Optimierung der Kabelsätze erstellt die C. Hard- und Software EntwicklungsGmbH.

Gemeinsam mit den Arbeitskollegen St. und Z. reichte der Kläger beim E.er Vorschlagswesen den VV vom 05.12.2000 betreffend "Proliferation von KBS-X-Car Karosserie hinten links" ein (Bl. 215 d. A.). Im Berufungsrechtszug hat sich geklärt, dass es um den Kabelsatz mit der Option für ein elektrisches Schiebedach geht. Nach Auszählung einer Wochenproduktion des Modelljahres 2001 hatten die Einreicher festgestellt, dass der eingebaute Kabelsatz nur für 4,5 % der Fahrzeuge benötigt wurde, und im Übrigen zeitaufwendig beigebunden werden musste. Sie schlugen vor, den aufwendigen Kabelsatz durch einfachere Varianten zu ersetzen, womit Material (Stecker, Steckverbindungen, Kabel) und Montagezeit (Wegfall der Beibindungsoperation) eingespart werde. Die jährliche Kosteneinsparung wurde auf 1.091.906,58 € beziffert.

Für den E.er Betrieb der Beklagten galt die Betriebsvereinbarung Nr. 13 (BV) vom 03.08.1992 in der Fassung vom 06.06.1996 über ein Anerkennungssystem für VV, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 66 bis 77 d. A.). Nach der Präambel bezweckt die BV, die Mitarbeiter aktiv an der Verbesserung der Qualität, der Produktivität, der Kostenstruktur und der Arbeitssicherheit zu beteiligen. Anwendbar ist die BV auf alle Mitarbeiter der Beklagten bis zur Ebene der Schicht- bzw. Abteilungsleiter (Ziff. 1). Die Prüfung des VV erfolgt in einem unter Ziff. 3 festgelegten Verfahren. Wird der VV unter Beachtung des 3-jährigen Prioritätsschutzes (Ziff. 7) genehmigt und durchgeführt, erhält der Einreicher bei berechenbaren VV eine Prämie in Höhe der monatlichen Einsparung (Ziff. 4). Bei Meinungsverschiedenheiten soll die Lösung durch eine mit je zwei Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern paritätisch besetzte Kommission durchgeführt werden (Ziff. 13).

Definiert wird der VV in Ziff. 2.1.. Sie lautet:

Begriffsbestimmung des Verbesserungsvorschlages

Ein Verbesserungsvorschlag (VV) ist eine schriftliche Anregung, durch die eine Neuerung oder Änderung gegenüber einem bestehenden Zustand vorgeschlagen wird, die für die O. E. GmbH und ihre Mitarbeiter und/oder für ein anderes europäisches G.-Unternehmen oder dessen Mitarbeiter vorteilhaft ist.

Die Anregung muss so gehalten sein, dass ein konkreter Lösungsvorschlag aufgezeigt wird.

Das E.er Vorschlagswesen bat das ITEZ in R. um Stellungnahmen zum VV vom 05.12.2000. Das ITEZ lehnte den VV mit der Begründung ab, dass die Kabelsätze ohnehin optimiert würden. Die Beklagte genehmigte den VV nicht.

Das elektrische Schiebedach wurde vom Markt nicht erwartungsgemäß angenommen. Die Kunden bevorzugten die ebenfalls angebotene Klimaanlage. Mit Schreiben vom 29.10.2001 (Bl. 57 d. A.) wurde die C. mit der Optimierung der Kabelsatzverwendung im C. des Modelljahres 2002, speziell der Kabelsätze Karosserie hinten links, beauftragt. Die erwartete Einsparung wurde auf 1,9 Mio. €/Jahr beziffert. Aufgrund der Neuberechnung wurden mit der EWO KBS 187 T ab 07.04.2002 für die Produktion vereinfachte Kabelsätze freigegeben.

Mit seiner am 19.05.2003 eingereichten Klage hat der Kläger anteilige Prämie für sich und den Miteinreicher Z. (Abtretungserklärung Bl. 15 d. A.) in Höhe von 60.661,48 € (= 2/3 der monatlichen Einsparung) nebst Zinsen verlangt. Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 21.04.2004 als unzulässig abgewiesen, da die in Ziff. 13 der BV Nr. 13 vorgesehene Paritätische Kommission noch nicht entschieden habe.

Der Kläger hat gegen das ihm am 05.05.2004 zugestellte Urteil am 07.06.2004, einem Montag, Berufung einlegen lassen, die nach Fristverlängerung zum 05.08.2004 am 05.08.2004 begründet wurde.

Am 19.11.2004 hat die Paritätische Kommission zum streitigen VV ablehnend Stellung genommen. Auf die Gründe wird Bezug genommen (Bl. 189/190 d. A.).

Die Berufung behauptet, der der C. am 26.10.2001 erteilte Auftrag zur Kostenoptimierung greife genau den VV vom 05.12.2000 auf. Mit der EWO KBS 187 T sei der Verbesserungsvorschlag dann durchgeführt worden, wegen der Schwerfälligkeit des Unternehmens allerdings mit erheblicher Verspätung. Das Kaufverhalten der potentiellen Kunden sei völlig falsch eingeschätzt worden. Hätte das ITEZ, wie der Kläger in der Berufungsverhandlung ausführte, seiner Intuition vertraut und nicht dogmatisch auf die Kostenoptimierung mit Großrechner verwiesen, wäre viel Geld einzusparen gewesen. Die Kostenoptimierung habe nur bestätigt, was er schon im Dezember 2000 vorgeschlagen habe. Der Erfolg gebe ihm also recht. Die Berufung meint, die Ablehnung des VV könne dem Prämienanspruch nicht entgegenstehen, wenn der VV gleichwohl aufgegriffen und umgesetzt werde. Die BV Nr. 13 nehme VV zu Kabelsätzen nicht aus, womit der Prämienanspruch begründet sei.

Die Berufung beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Eisenach vom 21.04.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 60.661,48 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszins seit dem 22.05.2002 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, die BV Nr. 13 erfasse den marktabhängigen VV vom 05.12.2000 nach ihrem Sinn und Zweck nicht. Die Wirtschaftlichkeit der Kabelsätze werde vielmehr in dem dafür vor-gesehenen Optimierungsverfahren auf der Grundlage der Marktentwicklung überprüft. Ein VV könne diesem Verfahren nicht vorgreifen, da sich andernfalls ein Mitarbeiter bei jeder Änderung des Marktverhaltens von vornherein die Priorität sichern könne. Zwar habe sich die Marktprognose für das neu angebotene elektrische Schiebedach wegen der Kundenpräferenz für eine Klimaanlage nicht bestätigt. Das habe der Kläger bei Einreichung seines VV im Dezember 2000 aber nicht beurteilen können. Es sei reiner Zufall, dass die Verkaufszahlen im Jahr 2001 dann für das Modelljahr 2002 zu einer Optimierung des Kabelsatzes geführt habe, wie sie der Kläger schon im Dezember 2000 vorgeschlagen habe. Hätten die Verkaufszahlen anders ausgesehen, wäre es nicht zu einem identischen Ergebnis gekommen. Mit der EWO KBS 187 T sei also nicht der VV des Klägers vom 05.12.2000, sondern das Ergebnis der Kostenoptimierung aufgrund der Verkaufszahlen 2001 umgesetzt worden.

Wegen des sonstigen Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf ihre Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A. Die Berufung des Klägers ist unbegründet.

I. Es kann offen bleiben, ob das Arbeitsgericht die Klage zu recht als unzulässig abgewiesen hat, weil die Paritätische Kommission noch nicht entschieden hatte. Unter dem 19.11.2004 hat die Paritätische Kommission Stellung genommen. Damit ist die Klage jedenfalls zulässig geworden.

II. Die Klage ist allerdings unbegründet. Der VV vom 05.12.2000 ist nach der BV Nr. 13 nicht prämienpflichtig:

1. Die ablehnende Stellungnahme der Paritätischen Kommission vom 09.11.2004 schränkt den gerichtlichen Prüfungsmaßstab nicht ein. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ist Ziff. 13 der BV keine Schiedsabrede mit der Folge, dass die Entscheidung der Paritätischen Kommission als - betriebsnahes - Schiedsgutachten nur auf grobe Unbilligkeit und auf Verfahrensverstöße zu überprüfen wäre (dazu BAG vom 20.01.2004, 9 AZR 393/03, juris). Die Paritätische Kommission entscheidet bei Meinungsverschiedenheiten nicht verbindlich über die Beurteilung eines VV, sondern "soll" eine Lösung durchführen, also vermitteln. Ihre Stellungnahme hat nur empfehlenden Charakter.

2. Die Berufung hat Recht damit, dass die fehlende Genehmigung des VV vom 05.12.2000 unschädlich ist, wenn er trotz Ablehnung von der Beklagten im geschützten Prioritätszeitraum aufgegriffen und durchgeführt wird, da der Prämienanspruch andernfalls unterlaufen werden könnte. Vorausgesetzt wird damit, dass der VV im Sinne von Ziff. 2.1 der BV Nr. 13 vorteilhaft war und ein konkreter Lösungsvorschlag aufgezeigt wurde. Gegenstand des VV vom 05.12.2000 war die Vereinfachung des Kabelsatzes mit der Option für ein elektrisches Schiebedach, das ab dem Modelljahr 2001 angeboten wurde, wie die Parteien in der Berufungsverhandlung klargestellt haben. Geklärt hat sich auch, dass die Marktprognose für entsprechend ausgestattete Fahrzeuge zu optimistisch war, weil die Kunden die ebenfalls angebotene Klimaanlage bevorzugten. Unterstellt werden kann, dass der von den Einreichern aufgezeigte Lösungsvorschlag über die Verwendung eines einfacheren Kabelsatzes in technischer Hinsicht konkret war. Der technische VV war für sich genommen aber nicht vorteilhaft:

a. Es leuchtet ein, dass die Wirtschaftlichkeit in der Produktion verwendeter Kabelsätze mit Blick auf die Marktentwicklung überprüft und die Frage beantwortet werden muss, ob die Beibindung nicht benötigter Optionen kostengünstiger ist als die Verwendung anderer - einfacherer - Kabelsätze. Das stellt auch der Kläger nicht in Frage. Im Konzern gibt es dafür ein (zentrales) Optimierungsverfahren, wonach die Wirtschaftlichkeit auf Grundlage der Verkaufszahlen mittels Großrechner überprüft wird. Auch das ist unstreitig.

b. Das Modelljahr 2001 ging im September 2000 in Serie. Aufgrund Auszählung einer Wochenproduktion stellte der Kläger fest, dass die Kabelsatzoption für ein elektrisches Schiebedach nur für 4,5 % der Fahrzeuge benötigt wurden und im Übrigen zeitaufwendig beigebunden werden musste. Sein VV beruht also auf einer Bewertung des aktuellen Käuferverhaltens. Zweifellos wollte der Kläger - ein nach Eindruck der Kammer noch im Ruhestand überzeugter O.aner - mit seinem VV vom 05.12.2000 dem Unternehmen Kosten sparen. Sein praktischer ingenieurtechnischer Blick auf die aktuelle Situation ist aber zu kurz. Die vom Kläger angezogenen Verkaufszahlen - eine Wochenproduktion kurz nach Anlaufen des Modelljahres 2001 - ließen aus unternehmerischer Sicht noch keinen Schluss darauf zu, wie sich der Markt für das neu angebotene elektrische Schiebedach entwickeln wird. Es ist also nicht zu beanstanden, dass die Beklagte verlässliche Marktdaten abwarten wollte und der Kläger auf die dann ohnehin anstehende Kabelsatzoptimierung verwiesen wurde.

c. Nicht erheblich ist die Auffassung des Klägers, dass die Kabelsatzoptimierung für das Modelljahr 2002 nur bestätigt habe, was schon mit VV vom 05.12.2000 vorgeschlagen worden sei, der Erfolg den Einreichern also recht gebe. Er übersieht, dass ihm die Marktentwicklung rückblickend recht gegeben hat. Bei Einreichung des VV war diese Marktentwicklung nicht vorhersehbar. Hätte sich der Markt so entwickelt, wie von der Beklagten prognostiziert, wäre der Kabelsatz nicht geändert worden. Mit der EWO KBS 187 T wurde also nicht der VV vom 05.12.2000 umgesetzt, sondern das Ergebnis der Kostenoptimierung aufgrund der bisherigen Verkaufszahlen im Jahr 2001. Die von den Einreichern vorgeschlagene technische Änderung des Kabelsatzes war für sich genommen nicht vorteilhaft, sondern marktabhängig. Die Option für ein elektrisches Schiebedach kann unwirtschaftlich sein, wenn keine ausreichende Nachfrage erfolgt. Die Einschätzung des Marktes ist mit Unsicherheiten verbunden, die nur unternehmerisch bewertet werden können. Auch wenn Kosten hätten eingespart werden können, wenn die Beklagte (oder das ITEZ) schon im Dezember 2000 der Intuition der Einreicher vertraut hätte, ist der VV vom 05.12.2000 nicht deshalb vorteilhaft, weil die Intuition durch die Marktentwicklung bestätigt wurde. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass sich andernfalls ein Mitarbeiter bei jeder aktuellen Änderung des Käuferverhaltens mit einem VV die Priorität und damit die Prämie für den Fall sichern könnte, dass die weitere Marktentwicklung die vorgeschlagene Änderung tatsächlich erforderlich macht. Intuition der Mitarbeiter ist eine gute Sache, aber für die unternehmerische Beurteilung des Marktes nicht geeignet.

B. Die Kosten seiner erfolglosen Berufung hat der Kläger nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.



Ende der Entscheidung

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