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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 10.10.2005
Aktenzeichen: 7/4/7 Sa 356/04
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 520 Abs. 3 Nr. 3
ArbGG § 66 Abs. 1 Satz 1
ArbGG § 66 Abs. 1 Satz 2
1) Die zulässige Berufung gegen ein arbeitsgerichtliches Urteil setzt eine fristgerecht vorgelegte Berufungsbegründung voraus, die den Anforderungen von § 520 Abs. 3 ZPO entspricht.

2) Das gilt auch, wenn bei Beginn der Berufungsfrist aus § 66 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz ArbGG ein in vollständiger Form abgefasstes Urteil nicht vorliegt. Allerdings kann sich dann die Begründung auf einen Antrag (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. ZPO) sowie auf die Inbezugnahme erstinstanzlichen Vorbringens beschränken, wenn dem Rechtsmittelgericht das Fehlen von Tatbestand und Entscheidungsgründen mitgeteilt wird und eine Auseinandersetzung mit hypothetischen Gründen nicht möglich ist. Ein solcher Vortrag erfüllt die Voraussetzung von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO weil ein fehlender Tatbestand der weitestgehende Fall unvollständiger Tatsachenfeststellung ist und eine erneute Feststellung der Tatsachen durch fristgerechte Einführung von Sachvortrag erfolgen muss.


Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nordhausen vom 21.04.2004 - Az.: 2 Ca 1950/03 - wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die soziale Rechtfertigung einer Kündigung der Beklagten vom 07.08.2003 zum 30.09.2003 sowie hilfsweise um deren Verpflichtung, die Klägerin im Obsiegensfalle als Personalleiterin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiterzubeschäftigen.

Die bei Kündigungszugang 48-jährige Klägerin, die zwei Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet ist, wurde von der Beklagten mit Wirkung zum 19.07.1999 als Personalleiterin für ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt von zuletzt 2.500,00 € eingestellt. Wegen der zuletzt bestanden habenden Arbeitsbedingungen wird auf den mit Wirkung zum 01.05.2001 geänderten Arbeitsvertrag (Bl. 7 - 11 d. A.) der Parteien Bezug genommen. Die gegen die ihr am 25.08.2003 zugegangene Kündigung mit am 12.09.2003 eingegangenem Schriftsatz eingereichte Klage wies das Arbeitsgericht Nordhausen nach mündlicher Verhandlung vom 31.03.2004 am 21.04.2004 in einem gesondert anberaumten Verkündungstermin unter Bezugnahme auf eine unterschriebene Urteilsformel (Bl. 120 d. A.) ab, ohne dass zu diesem Zeitpunkt eine in vollständiger Form abgefasste Entscheidung vorlag. Eine solche wurde auch bis zur mündlichen Verhandlung vom 10.10.2005 vor dem Thüringer Landesarbeitsgericht nicht gefertigt. Mit am 20.09.2004 beim Thüringer Landesarbeitsgericht zunächst als Telefax eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage legte die Klägerin unter Angabe des Verkündungsdatums und unter Hinweis darauf, dass das Urteil noch nicht zugestellt sei, gegen das Urteil Berufung ein, ohne diese in der Folge gesondert zu begründen.

Nach Hinweis des Berufungsgerichts auf Bedenken gegen die Zulässigkeit des Rechtsmittels nimmt die Klägerin eine fehlerhafte Urteilsverkündung durch das Arbeitsgericht an und verweist darauf, dass wegen der unterlassenen Zustellung eines vollständigen Urteils eine Berufungsbegründung nicht habe vorgelegt werden können.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Nordhausen vom 21.04.2004 - Az.: 2 Ca 1950/03 - abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Kündigung der Beklagten vom 07.08.2003 nicht zum 30.09.2003 aufgelöst worden ist sowie

2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. zu den im Arbeitsvertrag vom 21.05.2001 geregelten Arbeitsbedingungen als Personalleiterin bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag zu 1. weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise zurückzuweisen.

Wegen der Berufungsformalien wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung vom 10.10.2005 (Bl. 159 und 160 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist statthaft, weil gegen Urteile der Arbeitsgerichte die Berufung an die Landesarbeitsgerichte stattfindet (§ 64 Abs. 1 ArbGG) und sie eine Rechtsstreitigkeit über die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses betrifft (§ 64 Abs. 2 lit c ArbGG).

Die Berufung ist jedoch unzulässig, weil sie zwar innerhalb der gesetzlichen Notfrist von einem Monat (§ 66 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz ArbGG) form- und fristgerecht eingelegt ist. Das Rechtsmittel ist jedoch gleichwohl als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht fristgerecht begründet worden ist (§ 66 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz ArbGG).

Gemäß § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Berufungsgericht von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Nachdem der Klägerin im Nachgang zum Verkündungstermin des Arbeitsgerichts Nordhausen vom 21.04.2003 ein Urteil weder in vollständiger noch in abgekürzter Form (§ 60 Abs. 4 Satz 3 ArbGG) zugestellt worden ist, begann gemäß § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG sowohl die Frist für die Berufungseinlegung wie auch für die Berufungsbegründung mit Ablauf von fünf Monaten nach der Urteilsverkündung, mithin am 21.09.2004. Die sich bis 21.10.2004 erstreckende Berufungsfrist hat die am 20.09.2004 zunächst als Telefax und sodann am 23.09.2004 in unterschriebener Urschrift eingegangene Berufung der Klägerin gewahrt. Der die Zustellung eines vollständigen Urteils ersetzende Zeitablauf von fünf Monaten nach Verkündung setzt jedoch seit Inkrafttreten des ZPO-ReformG vom 17.05.2001 nicht nur die Notfrist zur Berufungseinlegung sondern auch die gesetzliche Frist zur Begründung der Berufung gegen ein arbeitsgerichtliches Urteil in Gang. Diese Frist hat die Klägerin versäumt, weil sie bis zum 21.11.2004 keine den Vorschriften von § 520 Abs. 3 ZPO entsprechende Berufungsbegründung vorgelegt hat.

Insoweit hat die Klägerin auf einen entsprechenden Hinweis des Gerichts vom 24.01.2005 angenommen, dass "auch erhebliche erstinstanzliche Mängel im Bereich der Verkündung vorliegen dürften" (Bl. 140 d. A.). Diese Auffassung der Klägerin ist jedoch unzutreffend.

Die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung dieses Gesichtspunktes ergibt zwar, dass der Klägerin die Sitzungsniederschrift über den Verkündungstermin vom 21.04.2004 nicht zugesandt worden ist, weil die Prozessakten des Arbeitsgerichts Nordhausen hierzu weder eine Verfügung noch einen Erledigungsvermerk ausweisen. Die einzig bei den Akten befindliche Verfügung zur Übersendung einer Abschrift des Sitzungsprotokolls an die Klägervertreterin (Bl. 118 d. A.) betrifft nämlich die Sitzungsniederschrift über den Kammertermin vom 31.03.2004, wie sich daraus ergibt, dass der Erledigungsvermerk der Geschäftsstelle vom 20.04.2004 datiert und somit vor dem Verkündungszeitpunkt liegt. Allerdings beeinträchtigt die fehlende Übersendung des Protokolls vom 21.04.2004 nicht die Wirksamkeit der dort festgehaltenen Urteilsverkündung. Gemäß § 311 Abs. 2 Satz 2 ZPO kann ein Urteil durch Bezugnahme auf die Urteilsformel verkündet werden, wenn bei der Verkündung von den Parteien niemand erschienen ist. Ausweislich des Verkündungsprotokolls wurde in Abwesenheit der Parteien durch Bezugnahme das aus der Anlage ersichtliche Urteil verkündet, welches in Form einer handschriftlich verfassten Urteilsformel neben der kostenpflichtigen Klageabweisung auch eine Streitwertfestsetzung auf 10.000,00 € enthält und neben dem Vorsitzenden auch von den ehrenamtlichen Richtern H. und L. eigenhändig unterschrieben ist. Nachdem das Verkündungsprotokoll durch den Vorsitzenden ebenfalls eigenhändig unterschrieben wurde (§ 163 Abs. 1 Satz 1 ZPO), ist hiermit die Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten bewiesen (§ 165 Satz 1 ZPO). Die Abwesenheit der ehrenamtlichen Mitglieder des Gerichts bei der Verkündung vom 21.04.2004 ist gemäß § 311 Abs. 4 ZPO ebenso unschädlich, wie die Abwesenheit der Parteien, weil gemäß § 312 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Verkündung auch derjenigen Partei gegenüber als bewirkt gilt, die den Termin versäumt hat. Damit bestehen von der Klägerin angenommene Verkündungsmängel, welche den Ablauf der Fünfmonatsfrist des § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG hemmen könnten, nicht.

Damit war die Klägerin aber auch gehalten, ihre fristgerecht eingelegte Berufung bis 21.10.2004 zu begründen. Hierzu bedarf es allerdings eines gesonderten Schriftsatzes dann nicht, wenn die Berufungsbegründung bereits in der Berufungsschrift enthalten ist (§ 520 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Berufungsbegründung muss nämlich gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO Berufungsanträge enthalten, die erkennen lassen, in welchem Umfang das erstinstanzlich verfolgte Klageziel mit der Berufung noch weiter verfolgt wird. Darüber hinaus muss die Begründung gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Ziff. 2 bis 4 ZPO die Gründe der Anfechtung, die ggf. neuen Tatsachen, Beweismittel und Beweiseinreden im Einzelnen bezeichnen, auf welche die Partei ihre Berufung stützen will. Keine dieser beiden Voraussetzungen werden von der Berufung jedoch erfüllt.

Ein Berufungsantrag ist dem Schriftsatz vom 20.09.2004 nicht zu entnehmen. Daran ändert auch nichts die beigefügte Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung vom 31.03.2004, weil diese die zuletzt gestellten Anträge der Klägerin nur durch eine Bezugnahme auf die Klageschrift wiedergibt, ohne dass erkennbar wird, worin der Gegenstand dieser Anträge besteht. Erst durch die am 14.01.2005 beim Thüringer Landesarbeitsgericht eingegangenen Prozessakten des erstinstanzlichen Verfahrens (Bl. 124 R) wurden die beiden Streitgegenstände der am 31.03.2004 in Bezug genommenen Anträge bekannt. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde ersichtlich, womit sich das Rechtsmittelgericht auseinandersetzen soll, obwohl der Sinn der fristgebundenen Antragspflicht gerade darin besteht, den Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens innerhalb der Begründungsfrist zu offenbaren. Im Übrigen war auch mit Übersendung der Prozessakten erster Instanz nicht klar, ob sich das Rechtsmittel der Klägerin nach wie vor auf beide Anträge im erstinstanzlich beantragten Umfang erstreckt oder ob - etwa durch Aufnahme einer neuen Tätigkeit - ein nur beschränktes Feststellungsbegehren in den Berufungsrechtszug eingeführt werden soll.

Auch die weiteren Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung sind dem Schriftsatz vom 20.09.2004 nicht zu entnehmen. Insoweit hat die Klägervertreterin in der mündlichen Verhandlung vom 10.10.2005 darauf verwiesen, dass weder bei Einlegung der Berufung noch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Rechtsmittelgericht ein mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehenes vollständiges Urteil vorgelegen habe, so dass eine Rechtsmittelbegründung nicht habe erfolgen können. Dabei übersieht sie, dass es zu einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung nicht der Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidungsgründe bedarf, weil bei fehlender Zustellung bereits die Auseinandersetzung mit den hypothetischen Entscheidungsgründen ausreicht, um den Zulässigkeitsanforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO zu genügen (BAG, Urteil vom 06.03.2003 - 2 AZR 596/02 = EzA ZPO 2002, § 520 Nr. 2; Urteil vom 28.10.2004 - 8 AZR 492/03). Erst wenn dies nicht möglich ist, kann mit der Berufung angegriffen werden, dass das arbeitsgerichtliche Urteil nicht mit Gründen versehen ist, was jedenfalls nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Rechtslage vor dem ZPO-ReformG für eine Berufungsbegründung als hinreichend angesehen worden ist (BAG Urteil vom 13.09.1995 - 2 AZR 855/94 - = EzA ArbGG 1979; § 66 Nr. 22). Dabei konnte die Kammer dahinstehen lassen, ob die bereits einen Tag vor Beginn der Berufungsfrist auf dem Telefaxwege dem Gericht übermittelte Auffassung die bislang fehlende Zustellung des Urteils führe dazu, dass es als nicht mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehen gelte, diesen Anforderungen genügt.

Der Zeitablauf hat nämlich gezeigt, dass es sich bei dem angegriffenen Urteil tatsächlich um ein solches ohne Gründe handelt. Deshalb kann der Klägerin auch keine Auseinandersetzung mit ihm in der Berufungsbegründung abverlangt werden, wenn zu ihren Gunsten unterstellt wird, dass hypothetische Gründe den Äußerungen des Spruchkörpers erster Instanz nicht zu entnehmen sind.

Gleichwohl bedarf es eines begründenden Vortrages in der Begründungsfrist, weil eine Zurückverweisung des Rechtsstreites an das verfahrensfehlerhaft handelnde Arbeitsgericht wegen des Verbotes in § 68 ArbGG nicht in Betracht kommt.

Dieser Vortrag kann sich zulässigerweise auf den Hinweis beschränken, dass die Gründe der angegriffenen Entscheidung nicht vorliegen. Allerdings muss die Berufungsbegründung als zentrale Prozesshandlung der Rechtsmittelklägerin in diesem Fall wenigstens erkennen lassen, welchen Klägervortrag das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrundelegen soll. Kann mangels vorliegender Begründung eine Fehlerkorrektur des erstinstanzlichen Urteils nicht mit einer Rechtsverletzung (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO) begründet und auch mangels vorliegenden Tatbestandes nicht auf eine unrichtige Tatsachenfeststellung (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4, 1. Alternative ZPO) gestützt werden, so liegt doch in dem fehlenden Tatbestand eine - in vollem Umfang - unvollständige, weil vollständig fehlende Tatsachenfeststellung (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4, 2. Alternative ZPO) vor.

Die Begründung erfordert deshalb neben dem Hinweis auf die im Rechtssinne fehlende Begründung denjenigen Klägervortrag, der das durch den Berufungsantrag beschriebene gewünschte Prozessergebnis tragen soll. Dieser Vortrag kann naturgemäß auch in der Bezugnahme auf im arbeitsgerichtlichen Verfahren vorgelegte Schriftsätze oder dort abgegebene Erklärungen bestehen.

Nachdem innerhalb der Berufungsbegründungsfrist der Gegenstand des Rechtsmittels durch Ankündigung eines Berufungsantrages ebenso wenig bestimmt worden ist, wie ein den vorstehenden Anforderungen entsprechender Vortrag gehalten worden ist, liegt ein die Zulässigkeit berührender Mangel vor, der gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Verwerfung der Berufung als unzulässig zur Folge hat.

Nachdem die Klägerin im Rechtsmittel unterlegen ist, hat sie gemäß § 97 Abs. 1 ZPO auch dessen Kosten zu tragen.

Für eine Revisionszulassung war kein Raum, weil die Voraussetzungen von § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen. Gemäß § 72 Abs. 1 Satz 2 ZPO i. V. mit § 64 Abs. 3 a ArbGG war diese Folge in den Urteilsauspruch aufzunehmen.

Ende der Entscheidung

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