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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 13.04.1999
Aktenzeichen: 7 Sa 29/98
Rechtsgebiete: ArbGG, BGB, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 59
ArbGG § 68
BGB § 242
ZPO § 181
ZPO § 187
ZPO § 208
ZPO § 339
ZPO § 514
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 183 Abs. 1
ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 516 Halbsatz 2
Es geht um die Zulässigkeit eines am 14.03.1997 eingelegten Einspruchs gegen ein am 14.01.1995 unwirksam zugestellten, aber zugegangenen Versäumnisurteils (Verzicht/Verwirkung).
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nordhausen vom 09.12.1997, 1 Ca 130/97, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand:

Die Berufung wendet sich dagegen, dass der Einspruch der Beklagten vom 12.03.1997 gegen das klagestattgebende Versäumnisurteil vom 04.01.1995 durch das angefochtene Urteil als unzulässig verworfen wurde.

Der Kläger machte beim Arbeitsgericht Nordhausen gegen die Beklage im Mahnverfahren Ansprüche auf rückständiges Gehalt (September 1993 bis März 1994) in Höhe von 39.723,84 DM netto und Erstattung von Barauslagen über 7.753,93 DM geltend. Der Mahnbescheid vom 29.08.1994 wurde am 10.09.1994 unter der angegebenen Adresse S..., N...str. 185 zugestellt. Dort betrieb im Erdgeschoss die SHZ G... B... GmbH S..., deren Mitgeschäftsführerin die Beklagte war, das Lokal "W...". Die Beklagte hatte ihre Wohnung im Obergeschoss. Ausweislich der Postzustellungsurkunde (Bl. 6 d. A.) erfolgte die Zustellung im Geschäftslokal durch Übergabe an den Bediensteten G. B.. Die Beklagte erhob unter Hinweis auf ihre fehlende Arbeitgeberstellung Widerspruch (Bl. 7 d. A.). Die Ladung zum Gütetermin am 04.01.1995 wurde unter der gleichen Adresse durch Übergabe an die Beklagte persönlich zugestellt (ZU Bl. 29 d. A.). Mit Fax vom 02.01.1995 (Bl. 31 d. A.) teilte die Beklagte dem Arbeitsgericht mit, dass sie der Ladung nicht nachkommen werde. Sie verwies erneut darauf, nicht Arbeitgeberin zu sein. Mit Versäumnisurteil vom 04.01.1995 wurde die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 47.477,77 DM verurteilt. Das Versäumnisurteil wurde ausweislich der Zustellungsurkunde (Bl. 35 d. A.) am 14.01.1995 unter der bisherigen Adresse im Geschäftslokal durch Übergabe an die Bedienstete H. W. zugestellt, da die Beklagte selbst nicht angetroffen wurde. Die Beklagte hat das Versäumnisurteil, wie sie ohne Angabe des Zeitpunktes einräumt, erhalten.

Der Prozessvertreter des Klägers leitete die Zwangsvollstreckung ein. Darauf bot die Beklagte mit Schreiben vom 09.08.1995 (Bl. 53, 54 d. A.) einen Vergleich in Höhe von 25.000,00 DM an. Der Betrag sollte ratenweise gezahlt werden. Am 21.08.1995 schlossen die Parteien einen Teilzahlungsvergleich (Bl. 55, 56 d. A.), der auszugsweise folgenden Inhalt hat:

1. Die Schuldnerin erkennt an, dem Gläubiger aus Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Nordhausen vom 04.01.1995 - 3 Ca 540/94 - gemäß beigefügter Forderungsaufstellung - einen Betrag von 50.508,44 zuzüglich der unten aufgeführten Kosten dieses Vergleiches und weiter entstehende Zinsen ab 31.08.1995 zu schulden.

2. Die Schuldnerin verpflichtet sich zur Zahlung einer Gesamtschuld von 25.000,00 wie folgt:

Höhe der Ratenzahlung: DM 500,00

Zahlungsweise: monatlich

1. Rate fällig am: 01.09.1995

Folgeraten am: 01. eines jeden Monats

bis zum 01.02.1996

Folgeraten: DM 1.000,00 ab 01.03.1996

3. Die Zahlungen sind an den Gläubigervertreter zu leisten.

4. Solange die in Ziff. 2 aufgeführten Teilzahlungen pünktlich eingehen, verpflichtet sich der Gläubiger keine Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einzuleiten.

5. Hält die Schuldnerin die Teilzahlungen bis zur Höhe der unter Ziffer 2. genannten Vergleichsumme von 25.000,00 DM pünktlich ein, so verzichtet der Gläubiger auf die ihm aus dem Titel gem. Ziffer 1. zustehende weitergehende Forderung. Ansonsten wird die jeweilige Restforderung gem. Ziffer 1. zur sofortigen Zahlung fällig, wenn die Schuldnerin mit einer Rate ganz oder teilweise länger als 10 Tage in Rückstand geraten sollte, sofern ihm nicht ausdrücklich eine Stundung gewährt werden sollte. Eine Neufestsetzung der Raten wird außerdem erforderlich, falls sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Schuldnerin seit Abschluss dieser Vereinbarung wesentlich verbessert haben.

Die Beklagte bediente anfänglich die vereinbarten Raten. Nach Zahlungseinstellung nahm der Klägervertreter die Zwangsvollstreckung wieder auf. Die Beklagte suchte nun ihrerseits um anwaltlich Hilfe nach. Ihr Prozessvertreter legte mit Schriftsatz vom 12.03.1997, beim Arbeitsgericht eingegangen am 14.03.1997, Einspruch gegen das seiner Auffassung nach nicht ordnungsgemäß zugestellte Versäumnisurteil vom 04.01.1995 ein.

Das Arbeitsgericht hat den Einspruch durch Urteil vom 09.12.1997, auf dessen Tatbestand wegen des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der dort gestellten Anträge nach § 543 Abs. 1 ZPO ergänzend Bezug genommen wird, als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Einspruch sei auch dann unzulässig, wenn das Versäumnisurteil vom 04.01.1995 nicht ordnungsgemäß zugestellt und die Einspruchsfrist damit nicht in Lauf gesetzt worden wäre. Die Beklagte habe auf ihr Einspruchsrecht nämlich mit Abschluss der Ratenzahlungsvereinbarung verzichtet. Unerheblich sei, ob die Beklagte den Teilzahlungsvergleich wegen Irrtums über die ordnungsgemäße Zustellung des Versäumnisurteils abgeschlossen habe. Eine unverzügliche Irrtumsanfechtung sei nicht erfolgt.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 18.12.1997 zugestellte Urteil am 14.01.1998 Berufung einlegen lassen, die sogleich begründet wurde.

Die Berufung meint, die Zustellung des Versäumnisurteils sei unwirksam, da die Beklagte unter der Zustelladresse weder ein Geschäftslokal betrieben noch dort Bedienstete gehabt habe. Damit sei die Notfrist des § 339 ZPO nicht in Gang gesetzt worden. Fehlerhaft habe das Arbeitsgericht einen Verzicht auf das Einspruchsrecht angenommen. Die Beklagte habe Ruhe vor weiteren Zwangsmaßnahmen des Klägers aus dem Versäumnisurteil haben wollen und deshalb den Teilzahlungsvergleich vom 21.08.1995 abgeschlossen. Diese Vereinbarung könne nicht als Einspruchsverzicht ausgelegt werden, da ein entsprechender Wille gar nicht vorliegen könne. Die Beklagte habe ohne Kenntnis der Zustellungsumstände bei Abschluss der Vereinbarung vom 21.08.1995 gerade von der Rechtskraft des Versäumnisurteils ausgehen müssen. Auf ein Einspruchsrecht, das nach ihrem Kenntnisstand aber nicht mehr bestanden habe, habe sie nicht verzichten wollen. Erst wenn ein Einspruchsverzicht rechtskräftig feststehe, stelle sich im Übrigen die Frage der Anfechtung.

Die Berufung beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung

an das Arbeitsgericht Nordhausen zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil und meint ergänzend, der Einspruch sei nach § 242 BGB auch rechtsmissbräuchlich. Wenn eine Partei einen Schuldtitel 2,5 Jahre gegen sich wirken lasse, ohne prozessual dagegen vorzugehen, sei es schon aus Gründen der Rechtssicherheit geboten, einen dann doch eingelegten Rechtsbehelf als unzulässig zu bewerten.

Wegen des sonstigen Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird ergänzend auf ihre zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat den Einspruch vom 12.03.1997 zu Recht als unzulässig verworfen (§ 3 41 Abs. 1 S. 2 ZPO). Das Versäumnisurteil vom 04.01.1995 ist rechtskräftig.

A)

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein, ob der Einspruch zulässig gewesen ist oder nicht. Zutreffend beantragt die Berufung daher Abänderung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Arbeitsgericht (§ 538 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Das Zurückverweisungsverbot des § 68 ArbGG gilt in diesem Fall nicht (Germelmann u. a., ArbGG, 3. Aufl. 1999, § 68 Rz 8). Eine materielle Überprüfung des Urteils im Hinblick auf die Passivlegitimation und die Berechtigung der Klageforderung hat das Berufungsgericht nicht vorzunehmen.

B)

Der Einspruch ist nicht schon wegen Versäumung der Einspruchsfrist unzulässig, die im arbeitsgerichtlichen Verfahren eine Woche beträgt und mit Zustellung des Versäumnisurteils nebst Rechtsbehelfsbelehrung in Lauf gesetzt wird (§ 59 ArbGG).

I.

Die von Amts wegen erfolgte Zustellung des Versäumnisurteils vom 04.01.1995 (§§ 317 Abs. 1 ZPO, 50 ArbGG) ist unwirksam.

1.

Eine Ersatzzustellung im Geschäftsraum nach den §§ 208, 183 Abs. 1 ZPO scheitert daran, dass die Beklagte unter der Zustelladresse keinen Gewerbebetrieb unterhielt. Ihre Stellung als Mitgeschäftsführerin der gewerbetreibenden SHZ G. B. GmbH S. ändert daran nichts (Thomas/Putzo, ZPO, 21. Aufl. 1998, § 183 Rz 2).

2.

Eine Ersatzzustellung in der Wohnung nach § 181 ZPO scheidet schon deshalb aus, weil sie ausweislich der Zustellungsurkunde im Gewerbebetrieb erfolgte. Es kommt daher nicht darauf an, ob die Bedienstete W. der Beklagten auch den Haushalt führte.

3.

Unerheblich ist schließlich, dass der Beklagten letztlich alle unter der Zustelladresse zugestellten Schriftstücke zugegangen sind. Entscheidend ist allein die wirksame Zustellung des Versäumnisurteils vom 04.01.1995. Eine Heilung des Zustellungsmangels nach § 187 ZPO kommt hier nicht in Betracht, da die Einspruchsfrist nach § 59 ArbGG eine Notfrist ist.

II.

Ohne wirksame Zustellung wird die Einspruchsfrist nicht in Lauf gesetzt, § 516, Halbsatz 2 ZPO ist nicht analog anzuwenden (BAG vom 22.11.1956, 2 AZR 314/54; Germelmann u. a., a. a. O., § 59 Rz 32).

C)

Der Einspruch der Beklagten ist auch nicht auf Grund des Teilzahlungsvergleiches vom 21.08.1995 gegenstandslos. Der Kläger hat im Hinblick auf das unter Ziff. 1 abgegebene Schuldanerkenntnis nicht auf den ausgeurteilten Klaganspruch verzichtet, was mit der Vollstreckungsabwehrklage geltend zu machen wäre. Ausweislich der Ziff. 4 und 5 sollte die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil lediglich beschränkt werden. Über den ausgeurteilten Klaganspruch haben die Parteien gerade nicht verfügt.

D)

Mit Abschluss des Teilzahlungsvergleiches hat die Beklagte, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, auf ihr Einspruchsrecht aber verzichtet:

I.

Die unterlegene Partei kann gem. § 514 ZPO nach Urteilserlass durch Vereinbarung mit dem Prozessgegner, durch schlüssige Handlung oder auch stillschweigend auf die Berufung verzichten (Thomas/Putzo, a. a. O., § 514 Rz 6 ff). Das gleichwohl eingelegte Rechtsmittel ist unzulässig. Ob eine Erklärung als Rechtsmittelverzicht auszulegen ist, beurteilt sich nach den objektiven Verhältnissen. In jedem Fall muss aber der klare eindeutige Wille der Partei zum Ausdruck kommen, sie wolle sich ernsthaft und endgültig mit dem Urteil beruhigen und es nicht anfechten. Für den Rechtsbehelf des Einspruchs gilt entsprechendes (a. a. O., Rz 4).

II.

Mit dem Teilzahlungsvergleich vom 21.08.1995 haben die Parteien nicht nur eine vollstreckungsbeschränkende Vereinbarung getroffen. Unter Ziff. 1 hat die Beklagte den ausgeurteilten Betrag (nebst Kosten) darüber hinaus ausdrücklich anerkannt. Damit hat sie bei objektiver Betrachtung mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, dass das Versäumnisurteil vom 04.01.1995 hingenommen wird. Es macht keinen Sinn, den ausgeurteilten Klaganspruch anzuerkennen, sich gegen das Urteil aber den Einspruch vorzubehalten.

III.

Unerheblich ist, dass die Beklagte bei Abschluss des Teilzahlungsvergleiches mangels Kenntnis von der fehlerhaften Zustellung davon ausging, das Versäumnisurteil sei ohnehin rechtskräftig, die anerkannte Verpflichtung bestehe also bereits. Sie unterlag einem unbeachtlichen Motivirrtum (Palandt/Heinrichs, BGB, 58. Aufl. 1999, § 119 Rz 29). Zwar irrte sich der Kläger in gleicher Weise. Ein beiderseitiger Motivirrtum führt aber nicht zum Wegfall der (subjektiven) Geschäftsgrundlage, wenn die Störung der Motivation ausschließlich in die Risikosphäre einer Partei fällt (a. a. O., § 242 BGB Rz 149). Der Motiv-irrtum lag allein in der Risikosphäre der Beklagten, die es erst lange nach Abschluss des Teilzahlungsvergleiches für geboten hielt, um anwaltliche Hilfe nachzusuchen.

E.

Davon abgesehen macht der Kläger zutreffend darauf aufmerksam, dass auch im Prozessrecht das Verbot widersprüchlichen Verhaltens und der Grundsatz der Verwirkung anwendbar sind (Zöller/Vollkommer, ZPO 21. Aufl. 1999, Einleitung Rz 57 a). Das Versäumnisurteil wurde am 04.01.1995 verkündet. Es ging der Beklagten auch tatsächlich zu, wenn auch nicht in der für die Zustellung verlangten Form. Um Ruhe vor Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu haben, schloss die Beklagte den Teilzahlungsvergleich vom 21.08.1995, der zunächst auch bedient wurde. Über 18 Monate später ließ sie Einspruch gegen das Versäumnisurteil einlegen. Auf Grund dieses Zeitablaufs und dem in der bislang erfolgten Ratenzahlung liegenden Umstandsmoment durfte der Kläger darauf vertrauen, dass das Versäumnisurteil vom 04.01.1995 nicht mehr angefochten wird.

F.

Das rechtskräftige Versäumnisurteil vom 04.01.1995 kann materiellrechtlich nicht mehr überprüft werden. Es wäre an der Beklagten gewesen, rechtzeitig um anwaltliche Hilfe zu bitten. Der Versuch ihres 1997 beauftragten Prozessbevollmächtigten, noch etwas zu retten, kommt zu spät.

G)

Die Kosten ihrer erfolglosen Berufung hat die Beklagte nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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