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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 28.03.2006
Aktenzeichen: 7 Sa 404/05
Rechtsgebiete: KSchG, BGB, InsO


Vorschriften:

KSchG § 1
BGB § 613 a
InsO § 87
InsO § 113
1. Zur betriebsbedingten Kündigung des Insolvenzverwalters wegen beabsichtigter Betriebsstillegung (hier: Abgrenzung zum Betriebsübergang)

2. Der Verfrühungsschaden nach § 113 S. 3 InsO kann nur nach den Vorschriften des Insolvenzverfahrens verfolgt werden. Die unmittelbare Klage gegen den Insolvenzverwalter ist unzulässig.


Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 27.07.2005 - 4 Ca 737/05 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wehrt sich gegen eine betriebsbedingte Kündigung des Insolvenzverwalters und macht Schadensersatz geltend.

Arbeitgeber der am 02.08.1951 geborenen Klägerin war eine Warengenossenschaft, die in G. einen Baumarkt mit regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmern betrieb. Seit 01.07.1990 war die Klägerin dort unter Anerkennung ihrer Beschäftigungszeit ab 01.09.1974 als Baumarktleiterin beschäftigt. Über das Vermögen des Arbeitgebers wurde am 28.02.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte - zuvor schon vorläufiger Verwalter - gem. § 27 InsO zum Insolvenzverwalter ernannt.

Der Beklagte entschied, den Baumarkt in G. zu schließen. Sämtliche Arbeitsverhältnisse wurden am 28.02.2005 gekündigt, das der Klägerin zum 31.05.2005. Das Kündigungsschreiben ging ihr am 28.02.2005 zu. Nach Durchführung des Räumungsverkaufes wurde der Geschäftsbetrieb zum 30.04.2005 eingestellt. Im Mai 2005 nahm die Klägerin ihren Urlaub und war im Übrigen freigestellt. Am 27.08.2005 eröffnete die ehemalige Arbeitskollegin der Klägerin K. an gleicher Stelle in angemieteten Räumen einen Landwarenhandel.

Am 21.03.2005 hat die Klägerin gegen die Insolvenzschuldnerin Kündigungsschutzklage erhoben, die dem Beklagten am 07.04.2005 zugestellt wurde. Sie hat das Passivrubrum im Gütetermin vom 10.06.2005 berichtigt. Mit Klagerweiterung vom 25.07.2005 hat sie weiterhin die Feststellung von Schadensersatz in noch unbestimmter Höhe gem. § 113 S. 3 InsO sowie Zeugniserteilung verlangt. Den Anspruch auf Zeugniserteilung hat der Beklagte im Kammertermin vom 27.07.2005 anerkannt.

Mit "Teilanerkenntnis- und Teilendurteil" vom 27.07.2005, auf dessen Tatbestand ergänzend Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht den Beklagten zur Zeugniserteilung verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung der Klagabweisung hat es ausgeführt, die Kündigung vom 28.02.2005 sei wegen Betriebsstillegung gerechtfertigt und habe das Arbeitsverhältnis unter Beachtung der Frist des § 113 InsO zum 31.05.2005 aufgelöst. Einen Betriebsübergang auf Frau K. habe die Klägerin nicht nachprüfbar dargelegt. Der Feststellungsantrag zum Schadensersatzanspruch sei mangels Forderungsanmeldung zur Insolvenztabelle unzulässig.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 23.08.2005 zugestellte Urteil vom 27.07.2005 "hinsichtlich der Klagabweisung" am 22.09.2005 Berufung einlegen lassen, die am 24.10.2005, einem Montag, begründet wurde.

Die Berufung meint weiterhin, die Kündigung sei unwirksam. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und in Folge die Betriebsschließung sei wirtschaftlich nicht geboten gewesen, da die Warengenossenschaft über erhebliches Vermögen verfüge. Zweck sei gewesen, sich der Arbeitnehmer unter Umgehung des Kündigungsschutzes ohne Abfindungszahlung zu entledigen. Im Übrigen verstoße die Kündigung gegen § 613 a BGB, da der Betrieb fortgeführt werde. Frau K. betreibe an gleicher Stelle einen gleichartigen Warenmarkt, wenn auch auf reduzierter Verkaufsfläche und mit reduziertem, aber überwiegend gleichem Warensortiment. Sie habe zu diesem Zweck sechs ehemalige Arbeitskollegen eingestellt. Die verlangte Feststellung der Schadensersatzforderung könne außerhalb des Insolvenzverfahrens durchgesetzt werden. Es bedürfe keiner Anmeldung zur Konkurstabelle.

Die Berufung beantragt,

das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 27.07.2005 abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit der Raiffeisen Warengenossenschaft G. e.G. durch die Kündigung des Beklagten vom 28.02.2005 nicht zum 31.05.2005 aufgelöst worden ist;

2. festzustellen, dass der Klägerin Schadensersatz gem. § 113 (1) Satz 3 InsO zusteht für den Verlust ihres Arbeitsplatzes, und zwar insbesondere für die Zeit vom 01.06.2005 bis 30.09.2005 in noch festzustellender Höhe.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Angriffe der Berufung für unschlüssig.

Entscheidungsgründe:

A. Das Arbeitsgericht hat in der Sache bezüglich des Zeugniserteilungsanspruches ein Anerkenntnisteilurteil und bezüglich der Kündigungsschutz- und Schadensersatzklage ein klagabweisendes Schlussurteil erlassen. Die Berufung richtet sich gegen das Schlussurteil. Sie hat keinen Erfolg.

I. An der zunächst erhobene Verfahrensrüge, das Arbeitsgericht habe die beantragte Aussetzung des Rechtsstreites gem. § 148 ZPO wegen Vorgreiflichkeit des Insolvenzverfahrens fehlerhaft abgelehnt, hat die Berufung in der Berufungsverhandlung nicht festgehalten. Daran war allein richtig, dass das Arbeitsgericht die Aussetzung statt durch Beschluss im instanzbeendenden Schlussurteil abgelehnt hat, wogegen die Berufung stattfindet, weil § 252 ZPO nicht gilt (LAG Thüringen vom 12.02.1996, NZA-RR 96, 467; zustimmend Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl. 2004, § 252 Rz. 1 c). Da nicht nachvollziehbar ist, warum das Insolvenzverfahren für den Rechtsstreit i. S. d. § 148 ZPO vorgreiflich sein soll, hat das Arbeitsgericht in der Sache aber richtig entschieden, was die Berufung jedenfalls im Ergebnis akzeptiert hat.

II. Die materiell-rechtlichen Rügen der Berufung greifen nicht:

1. Die Kündigungsschutzklage ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit der Insolvenzschuldnerin wurde durch die betriebsbedingte Kündigung vom 28.02.2005 mit der ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens geltenden dreimonatigen Kündigungsfrist nach § 113 S. 2 InsO, die längeren gesetzlichen oder vereinbarten Fristen vorgeht, zum 31.05.2005 aufgelöst.

a. Die Kündigung wurde rechtzeitig angegriffen (§ 4 KSchG). Zwar hat die Klägerin die Insolvenzschuldnerin verklagt statt den Insolvenzverwalter und den Fehler erst nach Ablauf der Klagefrist am 10.06.2005 korrigiert. Das war aber kein Parteiwechsel. In Auslegung der Klageschrift war erkennbar, dass sich die Klage gegen den Beklagten richtet, dem sie auch zugestellt wurde. Er hatte gegen die Berichtigung der Parteibezeichnung keine Bedenken.

b. Die Einwände der Berufung gegen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind im Rechtsstreit hier nicht erheblich. Der Eröffnungsbeschluss des Insolvenzgerichtes ist bindend. Insolvenzgrund ist im Übrigen nicht die Überschuldung, sondern die Zahlungsunfähigkeit. Arbeitsrechtlich ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens allein kein Kündigungsgrund. Wie der Arbeitgeber sonst, kann der Insolvenzverwalter aber betriebsbedingt kündigen, wenn der Arbeitsplatz wegfällt. Er kann Kündigungsschutzrecht also nicht umgehen, wie die Berufung beklagt. Die Betriebsschließung ist der klassische Fall einer betriebsbedingten Kündigung. Mit Blick auf die einzuhaltende Kündigungsfrist muss mit dem Ausspruch der Kündigung nicht bis zur Stillegung gewartet werden. Die Kündigung kann schon vorher auf die beabsichtigte Betriebsschließung gestützt werden, wenn prognostisch davon ausgegangen werden kann, dass der Arbeitsplatz wegen Stillegung bis zum Auslaufen der Kündigungsfrist wegfallen wird. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Stillegungsentscheidung des Beklagten wurde zum 31.04.2005, also vor Ablauf der Kündigungsfrist, vollzogen. Ob die Entscheidung des Beklagten zur Betriebsstillegung wirtschaftlich unvernünftig war, wie die Berufung meint, ist nicht erheblich. Es ist nicht die Aufgabe der Arbeitsgerichte, die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit unternehmerischer Entscheidungen zu kontrollieren.

Die Kündigung ist auch nicht wegen Betriebsüberganges unwirksam, wie die Berufung unter Hinweis auf den am 27.08.2005 von Frau K. eröffneten Landwarenhandel pauschal geltend macht. Übersehen wird schon, dass ein stillgelegter Betrieb nicht mehr i. S. v. § 613 a BGB übergehen kann. Betriebsstillegung und Betriebsübergang schließen sich aus. Allerdings kann die alsbaldige - der erhebliche Zeitraum mag offen bleiben - Wiedereröffnung eines Betriebes gegen eine ernstliche und endgültige Stillegungsabsicht bei Kündigungsausspruch sprechen. Voraussetzung ist aber die Wiedereröffnung eines übernommenen Betriebes und nicht die Neueröffnung eines andersartigen Betriebes an gleicher Stelle. § 613 a BGB verlangt, dass die Identität der wirtschaftlichen Einheit gewahrt wird, die bei einem Einzelhandelsgeschäft regelmäßig nicht durch die bloße Übernahme von Ladenlokal und -einrichtung definiert wird, sondern durch Betriebsform und Warenangebot mit Blick auf den angesprochenen Kundenkreis (BAG vom 30.10.1986; AP Nr. 58 zu § 613 a BGB; KR-Pfeiffer, 7.Aufl. 2004, § 613 a BGB Rz. 37). Ein Landwarenhandel ist kein Baumarkt. Die pauschale Behauptung der Berufung, der Landwarenhandel verfüge überwiegend über das gleiche, allerdings reduzierte Warensortiment, reicht für die Annahme eines Betriebsüberganges nicht aus.

2. Die Klage auf Feststellung eines Schadensersatzanspruches gem. § 113 S. 3 InsO ist unzulässig.

§ 113 S. 2 InsO erlaubt die Verkürzung der außerhalb des Insolvenzverfahrens geltenden längeren (gesetzlichen oder vereinbarten) Kündigungsfristen auf drei Monate. Als Ausgleich gewährt § 113 S. 3 InsO keinen Abfindungsanspruch wegen Verlustes des Arbeitsplatzes, sondern einen Anspruch auf Ersatz des Verfrühungsschadens wegen vorgezogener Beendigung des Arbeitsverhältnisses, hier also des Arbeitsentgeltes vom 01.06.2005 bis zum Ablauf der Frist, mit der der Beklagte ohne den Insolvenzfall hätte kündigen können, allerdings unter Abzug erhaltenen Arbeitslosengeldes. § 113 S.3 InsO bestimmt ausdrücklich, dass der Verfrühungsschaden als Insolvenzgläubiger verlangt werden kann. Es handelt sich also um eine einfache Insolvenzforderung. Nach § 87 InsO können Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften des Insolvenzverfahrens verfolgen, hier also durch Anmeldung zur Insolvenztabelle nach § 174 InsO. Erst wenn der Insolvenzverwalter oder ein Insolvenzgläubiger widersprechen, kann (hier vor dem Arbeitsgericht, § 185 InsO) Klage gegen den Bestreitenden auf Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle erhoben werden (§ 179 InsO).

Der Beklagte und das Arbeitsgericht haben auf die Rechtslage hingewiesen. Statt die im Grunde berechtigte Schadensersatzforderung der Klägerin (beziffert) zur Insolvenztabelle anzumelden, bleibt ihre Prozessvertretung bei der offenkundig falschen Auffassung, der Verfrühungsschaden könne außerhalb des Insolvenzverfahrens direkt gegen den Insolvenzverwalter durchgesetzt werden. Möglicherweise soll vermieden werden, dass der Schaden im Verteilungsverfahren nur quotal ersetzt wird, wenn die Insolvenzmasse nicht ausreicht. Genau diese Privilegierung eines Insolvenzgläubigers ist aber ausgeschlossen.

Kurz: § 87 InsO ist zwingend. Eine unmittelbare Klage gegen den Insolvenzverwalter unter Umgehung der §§ 174 ff InsO ist nach allgemeiner Auffassung unzulässig.

B. Die Kosten ihrer erfolglosen Berufung hat die Klägerin nach § 97 Abs.1 ZPO zu tragen.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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