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Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 19.04.2001
Aktenzeichen: 7 Ta 159/2000
Rechtsgebiete: KSchG, BGB


Vorschriften:

KSchG § 5
BGB § 130
Zur zumutbaren Restfrist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage, wenn der Arbeitnehmer die im Urlaub zu Hause zugegangene Kündigung bei Rückkehr vorfindet und die Klagefrist nach § 4 KSchG noch nicht abgelaufen ist.
Tenor:

Die Kündigungsschutzklage wird nachträglich zugelassen.

Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 8.754,00 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten im Nebenverfahren nach § 5 KSchG über die nachträgliche Zulassung einer verspäteten Kündigungsschutzklage.

Seit dem 13.06.2000 war für den Kläger Kurzarbeit Null angeordnet. Er hatte Urlaub vom 03.07. bis 10.08.2000, kehrte am 19.08.2000 (Samstag) nach Hause zurück und fand dort den Einschreibebrief der Beklagten mit einer betriebsbedingten Kündigung vom 28.07.2000 vor, der seinem Sohn am 29.07.2000 (Samstag) übergeben worden war. Mit Schreiben vom 24.08.2000 (Donnerstag) - am folgenden Tag beim Arbeitsgericht eingegangen - erhob er Kündigungsschutzklage und bat um deren nachträgliche Zulassung.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage mit Beschluß vom 26.10.2000 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klagefrist gegen die am 29.07.2000 (Samstag) zugegangene Kündigung sei am 21.08.2000 (Montag) abgelaufen. Der Kläger sei aber schon am 19.08.2000 (Samstag) zurückgekommen. Ihm sei zuzumuten gewesen, am 21.08.2000 zumindest fristwahrend Klage zu erheben. Darüber hinaus habe der Kläger mit einer betriebsbedingten Kündigung rechnen müssen. Gegen den ihm am 28.11.2000 zugestellten Beschluß hat der Kläger am 11.12.2000 sofortige Beschwerde einlegen lassen.

II.

A. Die sofortige Beschwerde (§§ 5 Abs. 4 S. 2 KSchG, 78 Abs. 1 ArbGG, 577 Abs. 2, 567 ff ZPO) ist begründet. Der Kläger hat es nicht vorwerfbar versäumt, die Kündigungsschutzklage rechtzeitig zu erheben.

1. Auch wenn die Beklagte gewußt haben sollte, daß der Kläger seinen Urlaub nicht zu Hause verbrachte, ging die an die Wohnanschrift verschickte Kündigung mit Aushändigung des Einschreibebriefes an den Sohn am 29.07.2000 zu (BAG vom 16.03.1988 AP Nr. 16 zu § 130 BGB). Das war ein Samstag. Die Klagefrist lief drei Wochen später mit Ablauf des folgenden Werktages ab (§§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2, 193 BGB). Das war der 21.08.2000, ein Montag. Soweit hat das Arbeitsgericht recht.

2. Das Arbeitsgericht stellt fest, der Kläger habe mit einer Kündigung rechnen müssen, läßt aber offen, was daraus folgt. Offenbar soll sich der Kläger als Verschulden zurechnen lassen, daß er sich während seiner Abwesenheit auf die möglicherweise zu Hause eingehende Kündigung nicht eingestellt hat. Ein Arbeitnehmer muß sich nicht am Wohnort aufhalten, weil er mit einer Kündigung rechnet (APS-Ascheid, 1. Aufl. 2000, § 5 KSchG Rz. 51). Fehlende Kenntnis von der zu Hause zugegangenen Kündigung soll nach verbreiteter Ansicht aber ausnahmsweise als Verschulden zugerechnet werden, wenn der Arbeitnehmer konkreten Anlaß zur Annahme hatte, daß ihm während des Urlaubs oder der Ortsabwesenheit gekündigt wird, und er nicht für die Postnachsendung sorgt oder dafür, daß die zu Hause eingehende Post durchgesehen wird (LAG Nürnberg vom 06.11.1995, LAGE Nr. 71 zu § 5 KSchG; LAG Berlin vom 11.03.1982, ZIP 1982, 614; KR-Friedrich, 5. Aufl. 1998, § 5 KSchG Rz. 59; Bader/Bram/Dörner/Wenzel, KSchG, § 5 Rz. 128, Stand Juni 1999; Löwisch, KSchG, 8. Aufl. 2000, § 5 Rz. 17; a. A. LAG Hamm vom 28.03.1996 LAGE Nr. 78 zu § 5 KSchG). Ob das überzeugt, kann offenbleiben. Hier war nicht ausnahmsweise eine gesteigerte Sorgfalt veranlaßt. Daß mit betriebsbedingten Kündigungen generell zu rechnen war, reicht nicht. Kündigt der Arbeitgeber eine Kündigung im Einzelfall ausdrücklich an, muß er das zeitlich schon eingrenzen, wenn er mit Ortsabwesenheit des betroffenen Arbeitnehmers rechnen muß, weil eine Arbeitspflicht nicht besteht. Erwartete die Beklagte also ausgerechnet im Urlaub eine gesteigerte Aufmerksamkeit des Klägers für ihre (Kündigungs-) Angelegenheit, hätte sie das deutlich machen müssen. Sie behauptet aber nur, die Kündigung sei vor Urlaubsantritt angekündigt worden. Das ist im Tatsächlichen unsubstantiiert und im Rechtlichen unerheblich.

3. Bei Urlaubsrückkehr am 19.08.2000 (Samstag) war die Klagefrist noch nicht abgelaufen. In der verbleibenden Restfrist bis Ablauf des 21.08.2000 (Montag) mußte der Kläger die Kündigungsschutzklage nicht erheben.

a. Die Frist des § 4 KSchG ist ihrem Zweck nach eine Überlegungsfrist (BAG vom 26.06.1986 BAGE 52, 263), die der Arbeitnehmer bis zum letzten Tag ausnutzen darf. Das bedeutet allerdings nicht, daß er stets drei Wochen zum Überlegen hat (so schon LAG Hamm vom 05.08.1981 EzA Nr. 11 zu § 5 KSchG). Die Frist verkürzt sich, wenn der Arbeitnehmer die Kündigung - wie hier - wegen Ortsabwesenheit gar nicht zur Kenntnis nimmt, ihr Zugang nach § 130 BGB im Interesse des Rechtsverkehrs aber objektiviert wird. Ist die Klagefrist bei Urlaubsrückkehr schon abgelaufen, bleiben für den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung zwei Wochen. Läuft die Klagefrist bei Urlaubsrückkehr noch, kann sich die Überlegungsfrist weiter verkürzen, weil jetzt mit Blick auf § 5 KSchG unverzügliche Klageerhebung verlangt wird. Eine Restfrist von einer Woche soll regelmäßig ausreichen (LAG Köln vom 17.04.1997 LAGE Nr. 87 zu § 5 KSchG; LAG Hamm, a. a. O.; zustimmend KR-Friedrich, 5. Aufl. 1998, § 5 KSchG Rz. 61). Ob der Arbeitnehmer bei kürzeren Restfristen neben der technischen Vorbereitung der Kündigungsschutzklage überhaupt noch Zeit zum Überlegen haben soll, wird unterschiedlich beantwortet. Das LAG München (Beschluß vom 23.01.1992, NZA 1993, 266) billigt einem "einfachen, nicht rechtskundigen Arbeitnehmer" eine Überlegungsfrist von mindestens drei (Werk-) Tagen zu (ebenso ErfK-Ascheid, 2. Aufl. 2001, § 5 KSchG Rz. 11; Kittner/Däubler/Zwanziger, Kündigungsschutzrecht, 4. Aufl. 1999, § 5 KSchG Rz. 10; zweifelnd KR-Friedrich, a. a. O.). Andere halten auch beim "einfachen" Arbeitnehmer eine Überlegungsfrist für nicht geboten (so HaKo-Gallner, KSchG, 2000, § 5 Rz. 62).

b. Ohne auf diese Diskussion einzugehen, stellt das Arbeitsgericht fest, daß die Kündigungsschutzklage nach Urlaubsrückkehr noch rechtzeitig hätte erhoben werden können. Das mag für die technische Seite der Klageerhebung zutreffen, da an eine Kündigungsschutzklage keine hohen Anforderungen gestellt werden und für die Übermittlung an das Arbeitsgericht ausreichend Zeit war. Die vom LAG München gezogene Parallele zur noch nicht abgelaufenen Rechtsmittelfrist bei Versagung der Prozeßkostenhilfe (BGH vom 28.11.1984, NJW 1986, 257) ist angreifbar, weil sich der Arbeitnehmer auch später überlegen kann, ob die Kündigungsschutzklage durchgeführt werden soll. Ein größeres Kostenrisiko besteht hier nicht, weil die Rücknahme vor streitiger Verhandlung ohne weiteres möglich ist und Gerichtsgebühren dann nicht erhoben werden (KR-Friedrich, a. a. O). Deshalb einem Arbeitnehmer aber aus Gründen der Rechtssicherheit die Klageerhebung zuzumuten, ohne die Erfolgsaussichten zu überdenken und ohne rechtlichen Rat einzuholen (so HaKo-Gallner, a. a. O.), leuchtet nicht ein. Weder die Rechtssicherheit noch der Sorgfaltsmaßstab des § 5 KSchG verlangen vom Arbeitnehmer, den Arbeitgeber notfalls sofort und überstürzt mit einer Klage zu überziehen. Ob als Restfrist für die Klageerhebung nun mindestens drei Werktage ausreichen (LAG München) oder zwei bis drei Werktage (Bader/Bram/Dörner/Wenzel, a. a. O. Rz. 130), gibt hier nicht den Ausschlag. Nur ein Arbeitstag - nämlich der 21.08.2000 - für Beratung und Klageerhebung ist auch dann zu kurz, wenn der Kläger gewußt haben sollte, daß die Klagefrist erst an diesem Montag ablief.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 238 Abs. 4 ZPO entsprechend (GK-ArbGG/Wenzel, § 78 Rz 111, Bearbeitung Dezember 1995). Gerichtsgebühren werden für die erfolgreiche Beschwerde nicht erhoben. Bei der erst auf die sofortige Beschwerde gegen den abweisenden Beschluß des Arbeitsgerichts erlangten nachträglichen Klagezulassung treffen die außergerichtlichen Kosten des erfolgreichen Rechtsmittels den Arbeitnehmer, da die Kosten nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Arbeitgebers entstanden sind, sondern aufgewandt werden mußten, um die nachträgliche Klagezulassung erstmalig zu erlangen (a. a. O.).

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens entspricht dem Wert des Feststellungsantrages, um dessen nachträgliche Zulassung es geht (§ 12 Abs. 7 ArbGG entspr.).

Gegen diesen Beschluß findet kein Rechtsmittel statt (§ 78 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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