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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 16.12.2004
Aktenzeichen: 1 AR (S) 206/04
Rechtsgebiete: StPO, GG


Vorschriften:

StPO § 14
StPO § 462a Abs. 2 Satz 2
GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2
Eine Abgabeentscheidung i.S.d. § 462a Abs. 2 Satz 2 1. Hs. StPO ist nicht bereits dann willkürlich, wenn besondere Gründe fehlen, die die Abgabe an das Gericht, in dessen Bezirk der Verurteilte wohnt, als zweckmäßig erscheinen lassen (Anschluss an BGH NStZ 1992, 399; NStZ-RR 2003, 242).

Der Umstand, dass der Verurteilte im Bezirk des Amtsgerichts, an das abgegeben wurde, wohnt und die Bewährungsaufsicht noch geraume Zeit durch regelmäßige Kontrollen wahrzunehmen ist, steht der Annahme einer auf völlig sachfremden Erwägungen beruhenden Entscheidung in der Regel entgegen.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

AR (S) 206/04

In dem Strafvollstreckungsverfahren

wegen Betruges

hier: Zuständigkeitsstreit (§ 14 StPO)

hat in dem Zuständigkeitsstreit zwischen dem Amtsgericht Sondershausen und dem Amtsgericht Artern auf die Vorlage des Amtsgerichts Artern der 1. Strafsenat des Thüringer Oberlandesgerichts durch

Richter am Oberlandesgericht Dr. Schwerdtfeger als Vorsitzenden, Richterin am Oberlandesgericht Pesta und Richterin am Landgericht Hager

am 16. Dezember 2004

beschlossen:

Tenor:

Das Amtsgericht Artern ist für die weiteren infolge der Strafaussetzung nach § 453 StPO zu treffenden Entscheidungen zuständig.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Sondershausen verurteilte G. K. am 11.05.2004 wegen Betruges in 10 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten und setzte die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung aus. Das Urteil ist seit dem 11.05.2004 rechtskräftig. Durch gesonderten Beschluss vom 11.05.2004 setzte das Amtsgericht Sondershausen die Bewährungszeit auf 2 Jahre fest, legte dem Angeklagten eine Geldzahlung von 500,00 € zu Gunsten einer gemeinnützigen Einrichtung auf und wies den Angeklagten an, jeden Wohnsitzwechsel unverzüglich dem Gericht anzuzeigen.

Nachdem der Verurteilte mitgeteilt hatte, dass er von G. nach B. F. verzogen ist, gab das Amtsgericht Sondershausen mit Beschluss vom 01.11.2004 die nachträglichen, sich auf die Strafaussetzung zur Bewährung beziehenden Entscheidungen an das Amtsgericht Artern als Wohnsitzgericht des Verurteilten ab.

Mit Verfügung vom 12.11.2004 sandte das Amtsgericht Artern die Akten an das Amtsgericht Sondershausen zurück, bat um Überprüfung der Abgabeentscheidung und wies auf die seiner Meinung nach fehlende sachliche Rechtfertigung einer Abgabe hin.

Auf Grund Verfügung vom 19.11.2004 gab das Amtsgericht Sondershausen die Akten wiederum an das Amtsgericht Artern ab und begründete die erneute Abgabe nunmehr damit, dass "beim Behalt aller Bewährungssachen, auch bei Wegzug des Verurteilten, die Arbeit nicht händelbar" sei. Zusätzlich verwies es auf die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs BGH NStZ 1992, 399; 1993, 200.

Mit Beschluss vom 30.11.2004 lehnte das Amtsgericht Artern die Übernahme der Bewährungsaufsicht ab und legte die Sache gem. § 14 StPO dem Thüringer Oberlandesgericht zur Entscheidung vor. Es vertritt die Auffassung, die Abgabe durch das Amtsgericht Sondershausen sei willkürlich und deshalb nicht bindend.

II.

Die Vorlage ist gem. § 14 StPO zulässig. Der Senat ist als gemeinschaftliches oberes Gericht der an dem Zuständigkeitsstreit beteiligten Gerichte für die Entscheidung, welchem dieser beiden Gerichte die Bewährungsaufsicht obliegt, berufen.

Das Amtsgericht Artern ist das zuständige Gericht, denn der Abgabebeschluss des Amtsgerichts Sondershausen ist bindend.

Gemäß § 462a Abs. 2 Satz 2 1. Hs. StPO kann das mit der Bewährungsaufsicht befasste Gericht des ersten Rechtszuges die nach § 453 StPO zu treffenden Entscheidungen ganz oder zum Teil an das Amtsgericht abgeben, in dessen Bezirk der Verurteilte seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 1958, 560), der die obergerichtliche Rechtsprechung und auch der Senat folgt (siehe nur Senatsbeschluss vom 19.11.1998, AR (S) 190/98), ist die Abgabe an das Gericht des Wohnsitzes oder Aufenthaltsortes nur dann ermessensfehlerfrei, wenn dies aus besonderen Gründen zweckmäßig erscheint.

Allerdings bestimmt § 462a Abs. 2 Satz 2 2. Hs. StPO, dass die Abgabe bindend ist. Die gesetzliche Bindungswirkung findet ihre Grenze im Willkürverbot als einem allgemein zu beachtenden Grundsatz des Verfassungsrechts. Ein Angeklagter oder Verurteilter darf nicht willkürlich seinem gesetzlichen Richter i.S.d. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entzogen werden. Von Willkür ist auszugehen, wenn die Abgabeentscheidung auf sachfremden, sich von den gesetzlichen Maßstäben völlig entfernenden Erwägungen beruht und bei verständiger Würdigung unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbar erscheint und deshalb offensichtlich unhaltbar ist (siehe etwa Senatsbeschluss vom 19.11.1998, AR (S) 190/98; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2003, 285 f).

Das ist hier nicht der Fall.

Zwar ist die Abgabe an das Amtsgericht Artern ermessensfehlerhaft, obgleich der Verurteilte Gerhard Köpke seinen Wohnsitz nach der Verurteilung und der Strafaussetzung durch das Amtsgericht Sondershausen aus dem Bezirk des Amtsgerichts Sondershausen in den Bezirk des Amtsgerichts Artern verlegt hat. Denn es liegen keine besonderen Gründe vor, aus denen die Abgabe an das Amtsgericht Artern zweckmäßig erscheint. Die Bewährungsaufsicht erschöpft sich im vorliegenden Fall in der Überwachung der ratenweisen Erfüllung der Geldauflage, was durch Kontrollmitteilungen der begünstigten Institution geschieht, und in der Entgegennahme von Anzeigen betreffend etwaiger Wohnsitzwechsel. Diese Aufsicht kann von dem Amtsgericht Artern, dessen Sitz 15 km vom jetzigen Wohnsitz des Verurteilten entfernt ist, keineswegs zweckmäßiger oder besser ausgeübt werden, als vom Amtsgericht Sondershausen, das sich 21 km vom Wohnsitz des Verurteilten entfernt befindet. Selbstverständlich ist auch der vom Amtsgericht Sondershausen angeführte Gesichtspunkt der Arbeitsentlastung kein die Abgabe rechtfertigender Grund.

All dies führt aber noch nicht zur Annahme von Willkür, denn eine Abgabeentscheidung i.S.d. § 462a Abs. 2 Satz 2 1. Hs. StPO ist nicht bereits dann willkürlich, wenn besondere Gründe fehlen, die die Abgabe an das Gericht, in dessen Bezirk der Verurteilte wohnt, als zweckmäßig erscheinen lassen (siehe BGH NStZ 1992, 399; NStZ-RR 2003, 242; OLG Düsseldorf a.a.O. S. 286). Der Umstand, dass der Verurteilte im Bezirk des Amtsgerichts Artern wohnt und die Bewährungsaufsicht noch geraume Zeit durch regelmäßige Kontrollen wahrzunehmen ist, steht der Annahme einer auf völlig sachfremden Erwägungen beruhenden Entscheidung entgegen (vgl. BGH NStZ 1992, 399; OLG Düsseldorf a.a.O.).

Damit setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zum Inhalt seines Beschlusses vom 19.11.1998 im Verfahren AR (S) 190/98. Maßgeblich für die Annahme von Willkür war seinerzeit unter anderem, dass eine im Rahmen der Bewährungsaufsicht anstehende Frage im Zeitpunkt der Abgabe bereits entscheidungsreif war. Es stand im Zeitpunkt der Abgabe definitiv fest, dass eine Entscheidung gem. § 56f StGB zu treffen war, ohne dass es weiterer Ermittlungen bedurfte. Das dortige abgebende Gericht hätte die einzige anstehende Entscheidung somit ohne weiteres sogleich selbst treffen können. Die dennoch ohne besondere Gründe erfolgte Abgabe ist zu Recht als objektiv willkürlich betrachtet worden.

Ende der Entscheidung

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