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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 27.11.2008
Aktenzeichen: 1 U 555/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 249 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 555/07

Verkündet am: 27.11.2008

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Pfalzer, die Richterin am Oberlandesgericht Zimmermann-Spring und die Direktorin des Amtsgerichts Baumann

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 06.11.2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 22.06.2007 abgeändert.

Die Beklagten werden unter Klageabweisung im übrigen gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger 16.296,77 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.12.2006 sowie vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 480,12 € zu zahlen.

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

2. Von den Kosten des ersten Rechtszuges haben der Kläger 28 %, die Beklagten gesamtschuldnerisch 72 % zu tragen.

Die Kosten des Berufungsrechtszuges hat der Kläger zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger verlangt Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 30.10.2006 gegen 09.35 Uhr im Bereich der Anschlussstelle Ilmenau-Ost auf der BAB A71 ereignet hat. Nach dem (nicht angegriffenen) Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme wechselte die Beklagte zu 1) beim Auffahren auf die Autobahn vom Beschleunigungsstreifen in einem Zug über die rechte Fahrspur zum Überholen auf die linke Fahrspur ohne sich vorher vergewissert zu haben, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist.

Auf die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird im übrigen Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat die Beklagten nach Durchführung der Beweisaufnahme mittels Zeugenvernehmung zum Unfallhergang gesamtschuldnerisch zum Schadensausgleich in Höhe von 75 % verurteilt. Bei Schätzung des Schadens mit Bezug auf die Mietwagenkosten hat das Landgericht die vom Kläger behauptete Schadenshöhe mit ca. 157,64 € pro Tag für den Mietzeitraum von 14 Tagen (2.207,02 €) zugrunde gelegt und hieraus 75 % (1.655,26 €) zuerkannt, da der geltend gemachte Schaden den zur Schätzgrundlage des Gerichts genommenen 3fachen Satz der Tabelle von Sanden/Danner über die Nutzungsausfallentschädigung (237 € pro Tag) nicht übersteige. Auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils (UA S. 5 ff, Bl. 115 ff d.A.) wird verwiesen.

Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung erstrebt der Kläger einen Schadensausgleich in Höhe von 100 %. Er macht geltend, er müsse sich - entgegen der Ansicht des Landgerichts - nicht die Betriebsgefahr seines Fahrzeuges entgegen halten lassen, da er (erst) auf ein erkennbares Ansetzen des von der Beklagten zu 1) geführten Fahrzeuges zum Spurwechsel sofort und angemessen reagiert habe.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 22.06.2007 verkündeten Urteils des Landgerichts Erfurt - 3 O 276/07 - die Beklagten gesamtschuldnerisch zur Zahlung weiterer 5.690,01 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.12.2006 sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 16.102,06 € vom 24.10.2006 bis 28.12.2006 sowie restlicher vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 60,32 € zu verurteilen.

Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Berufung des Klägers und verteidigen das landgerichtliche Urteil als insoweit richtig.

Mit ihrer ebenfalls form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung wenden sich die Beklagten gegen die vom Landgericht angesetzte Höhe der Mietwagenkosten und machen geltend, bei einer - hier (mangels hinreichenden Vortrags des Klägers zum Erfordernis des Unfallersatztarifs) zugrunde zu legenden - Anmietung eines Fahrzeugs zum Normaltarif wären Kosten in Höhe von maximal 1.200,00 € (dies entspricht ca. 85,71 € pro Tag) entstanden. Die vom Landgericht vorgenommene Schätzung auf Grundlage des 3fachen Satzes der Nutzungsausfallentschädigung nach Sanden/Danner sei fehlerhaft und stehe in Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung. Auch der Schwacke-Mietpreis-Spiegel 2006 biete keine geeignete Schätzgrundlage, da er nicht die tatsächlichen Marktgegebenheiten widerspiegele und die Autovermieter bei der Erhebung überhöhte Preise angegeben hätten. Zum Beleg haben die Beklagten mit Schriftsatz vom 06.10.2008 eine Studie von Dr. Holger Zinn zum Stand der Mietwagenpreise in Deutschland im Sommer 2007 (Großraum Ost) vorgelegt, wonach sich für die Mietwagengruppe 6 für den gesamten Mietzeitraum ein Preis von 833,67 € brutto und für die Mietwagengruppe 8 ein Preis von 941,76 € brutto ergibt. Außerdem haben sie für den Einzugsbereich des Klägers auszugsweise eine Mietwagenpreistabelle des Fraunhofer Instituts vorgelegt, woraus sich für den maßgeblichen Zeitraum von 2 Wochen für die Mietwagengruppe 6 ein Preis inkl. Nebenkosten wie Versicherung in Höhe von 612,10 € brutto (Internetabfrage) bzw. 725,80 € brutto (Telefonabfrage) und für die Mietwagengruppe 8 ein Preis von 867,84 € brutto (Internetabfrage) bzw. 1.014,86 € brutto (Telefonabfrage) ergibt. Sie meinen, der Schadensschätzung seien die Mietpreiserhebungen des Fraunhofer Instituts oder auch die aus der Untersuchung von Dr. Zinn zugrunde zu legen, da die dortigen Daten - im Gegensatz zu den Daten des Schwacke-Mietpreisspiegels 2006 - auf anonymen Abfragen beruhten, so dass sie die realistischen Marktpreise darstellten.

Nach Vorlage der Untersuchung des Fraunhofer Institutes und der Untersuchung von Dr. Zinn hat der Kläger keine weiteren Erklärungen abgegeben.

Die Beklagten beantragen,

das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 22.06.2007 abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit die Beklagten zu einer höheren Zahlung als 16.296,77 € verurteilt worden sind.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und verteidigt das landgerichtliche Urteil als insoweit richtig.

Er meint, die entsprechend der Aufforderung des Senats mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 01.07.2008 vorgelegte Schwackeliste 2006, welche für Mietwagen der Preisgruppe 6 im Mittel einen Wochenpreis von 555,00 € zzgl. Kaskozuschlag von 172,00 € und für Mietwagen der Preisgruppe 8 einen Wochenpreis von 736,00 € zzgl. Kaskozuschlag von 181,00 € ausweist, biete eine geeignete Schätzgrundlage. Er hat weiter vorgetragen, nicht im Besitz einer Kreditkarte und darüber hinaus nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen auch nicht zur Vorfinanzierung des Gesamtschadens (etwa durch Barzahlung) in der Lage gewesen zu sein. Zudem hat er Zeugenbeweis dafür angeboten, dass ihm die Anmietung eines Fahrzeugs der Klasse 8 zu einem günstigeren Tarif bei verschiedenen, namentlich bezeichneten Autohäusern seines Einzugsbereichs nicht möglich gewesen wäre und hat darüber hinaus in Erwiderung auf die Berufung der Beklagten die Höhe der Mietwagenkosten mit mehr als 1.200,00 € unter Sachverständigenbeweis gestellt.

II.

1. Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die verwiesen wird, die Betriebsgefahr mit 25 % angesetzt.

Wie das Landgericht hierbei insbesondere richtig ausgeführt hat, ergibt sich bereits aus den Angaben des Klägers bei seiner Anhörung, dass er auf Gefahranzeichen - nämlich das Blinken bei dem von der Beklagten zu 1) geführten Fahrzeug - nicht angemessen reagierte, da er davon ausging, dass es nicht zu einem Spurwechsel kommen werde, und dass er erst das Ansetzen zum Spurwechsel als Reaktionsaufforderung ansah (vgl. S. 3 des Sitzungsprotokolls vom 01.06.2007, Bl. 88 d.A.). Darauf, dass die Beklagte keinen Fahrfehler begehen und nach dem Auffahren auf die Autobahn zunächst auf der rechten Spur bleiben bzw. einen Spurwechsel lediglich vornehmen werde, wenn eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist, durfte er sich jedoch nicht verlassen, zumal da die Beklagte die Lichtzeichenanlage betätigte (blinkte).

Darüber hinaus ist den Aussagen der nicht am Unfall beteiligten Zeugen S und F Z, welche in einem dem Kläger nachfolgenden PKW saßen, zu entnehmen, dass der Kläger seine Geschwindigkeit trotz einer bereits für die Insassen des nachfolgenden PKW (die Zeugen Z) erkennbaren Gefahr, auf welche der Zeuge F Z mit Abbremsen reagierte, nicht sofort etwa durch Reduzierung der Geschwindigkeit reagierte. Er reagierte vielmehr verspätet, nämlich erst zu einem Zeitpunkt, als bereits der Fahrer des ihm nachfolgenden PKW, der Zeuge Frank Z, seinerseits reagiert hatte.

2. Die Berufung der Beklagten ist demgegenüber begründet.

Dem Kläger steht im Hinblick auf die Mietwagenkosten für das Ersatzfahrzeug kein höherer Schadensersatzanspruch zu als die ihm von den Beklagten zugebilligten 900,00 € (75 % von 1.200,00 €). Ein höherer Aufwand kann nicht als zur Schadensbehebung erforderlich i.S.d. § 249 Abs. 2 BGB angesehen werden.

Eine Schätzung auf Grundlage des 3fachen Satzes der Nutzungsausfallentschädigung nach der Tabelle von Sanden/Danner kommt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht ohne weiteres infrage (BGH, U. v. 26.06.2007, VI ZR 163/06). Die Schwackeliste 2006 kann ebenfalls nicht als Schätzgrundlage herangezogen werden.

Sowohl der von den Beklagten vorgelegte "Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland 2008" des Fraunhofer Instituts für Arbeits-, Wirtschaft- und Organisation (http://mietwagen spiegel.iao.fraunhofer.de/) als auch die vorgelegte Studie von Dr. Zinn zum Stand der Mietwagenpreise in Deutschland im Sommer 2007 bieten Anlass, die in der Schwackeliste 2006 ausgewiesenen Werte in Zweifel zu ziehen, soweit diese die im Streitfall ortsüblichen Normaltarife wiedergeben sollen (vgl. OLG Köln, Urteil vom 10.10.2008, 6 U 115/08, Rdnr. 11 f, zitiert nach juris und OLG München, Urteil vom 25.07.2008, 10 U 2539/08, Rdnr. 33, zitiert nach juris; vgl. zum Ganzen auch: Richter, Schätzung des Normaltarifs für Kfz-Anmietungen im freien Selbstzahlergeschäft, NZV 2008, Heft 7, S. 321 ff). Der Senat schätzt daher den Schaden gemäß § 287 ZPO unter Heranziehung der hinreichend zeitnahen Untersuchungsergebnisse des Fraunhofer Instituts und sieht, nachdem der Kläger nach Vorlage dieser Untersuchungsergebnisse diese nicht konkret angegriffen hat, von der Einholung eines Sachverständigengutachten zur Schadenshöhe ab.

Im Gegensatz zur Erhebung für die Schwackeliste 2006, welche auffallend höhere Werte aufweist als frühere, in den bislang vom BGH entschiedenen Fällen herangezogene Schwackelisten, die mit der durch das Statistische Bundesamt festgestellten, wesentlich moderateren Preisentwicklung im Bereich Verkehr nicht erklärbar sind (vgl. Richter, a.a.O.), sind die Erhebungen des Fraunhofer Instituts anonym und ohne Offenlegung des Umstandes erfolgt, dass Zweck der Abfrage die Erstellung einer Preisübersicht war. Die Einteilung der Tabelle folgt im übrigen - soweit hier von Interesse - der Schwacke-Klassifikation und weist Werte u.a. für den zweistelligen Postleitzahlenbereich aus, insbesondere auch für den Einzugsbereich des Klägers. Haftungsbefreiungen (Kaskoversicherung) sind mit eingerechnet.

Für einen Wagen der vom Kläger angemieteten Fahrzeuggruppe 6 ergibt sich hiernach für die vorliegende Mietdauer (14 Tage) ein Inklusivpreis von allenfalls 725,80 € (Telefonabfrage) bzw. für einen Wagen der Fahrzeuggruppe 8 ein solcher von 1.014,86 € (Telefonabfrage).

Selbst bei einer - allerdings im Streitfall nicht vorzunehmenden - Erhöhung des Preises um 20 %, etwa im Zusammenhang mit Kosten einer Vorfinanzierung, beliefen sich die Mietwagenkosten auf allenfalls 870,96 € bzw. 1.217,83 €. Mit Bezug auf die geltend gemachten Erschwernisse (behaupteter fehlender Kreditkartenbesitz sowie Einkommens- und Vermögensverhältnisse) fehlt es indes ohnehin an einer hinreichenden Darlegung des Klägers vor allem mit Bezug auf die Frage, inwieweit ihm nicht jedenfalls eine kurzfristige Vorfinanzierung der Mietwagenkosten (auch ohne Kreditkarte, etwa in bar) möglich und zumutbar gewesen wäre. Die weit höheren Reparaturkosten fielen nicht in gleicher Weise wie Kosten der Vorfinanzierung eines Mietwagens kurzfristig an, sondern erst nach 14 Tagen, weshalb es nicht auf die Gesamtkosten ankommen dürfte. Im Übrigen müsste sich der Kläger bei einer Anmietung eines Fahrzeugs der gleichen Fahrzeugklasse (8) eine Eigenersparnis in Höhe von mindestens 5 - 10 % der Nettomietsumme anrechnen lassen. Selbst bei Vornahme eines Zuschlags von 20 % bliebe damit der (anteilig) zu ersetzende Schaden unter 1.200,00 €, welche die Beklagten dem Kläger zugebilligt haben.

Soweit der Kläger Zeugenbeweis dafür angetreten hat, dass ihm bei bestimmten, namentlich bezeichneten Autohäusern bzw. Firmen seines Einzugsbereichs eine Anmietung zu einem günstigeren Tarif nicht möglich gewesen wäre, war dem nicht nachzugehen, weil sich hieraus lediglich ergeben könnte, dass dem Kläger bei diesen bestimmten Firmen eine Anmietung zu günstigeren Konditionen nicht möglich war, nicht aber, dass dem Kläger - wie erforderlich - eine Anmietung zu einem günstigeren Tarif in seinem Einzugsbereich generell nicht möglich war.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 und 92 ZPO.

Der Vollstreckbarkeitsausspruch beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Revisionszulassungsgründe i.S.d. § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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