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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 22.03.2004
Aktenzeichen: 1 UF 354/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1696 Abs. 1
1. Abänderungsgründe i. S. des § 1696 Abs. 1 BGB müssen nach der Erstentscheidung ein-getreten oder bekannt geworden sind und die mit einer Änderung verbundenen Nachteile deutlich überwiegen. Die Umstände, die für die Erstregelung maßgebend gewesen waren, müssen sich erheblich geändert haben oder aber wichtige Umstände nachträglich bekannt geworden oder neu eingetreten sein.

2. Ein triftiger, das Kindeswohl nachhaltig berührender Abänderungsgrund kann vorliegen, wenn der sorgeberechtigte Elternteil sich als schlechthin erziehungsungeeignet offenbart, indem er das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung wiederholt verletzt.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

1 UF 354/03

In der Familiensache

betreffend das Kind

hat der 1. Familiensenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Dünisch Richterin am Oberlandesgericht Martin und Richter am Oberlandesgericht Jahn am 22.03.2004 beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 05.08.2003 wird der Beschluss des Amtsgerichts Gera vom 24.06.2003, Az. 2 F 985/02, abgeändert:

Der Antrag des Antragstellers vom 22.10.2002 wird zurückgewiesen.

2. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Beschwerdewert wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Anstelle des Tatbestands wird Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Beschluss.

Die Parteien streiten um das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das gemeinsame Kind L., geboren am 19.04.2000.

Das Aufenthaltsbestimmungsrecht war durch Beschluss des Amtsgerichts Gera vom 23.07.2002, Az. 2 F 257/02, der Antragsgegnerin allein übertragen.

Auf den Antrag des Antragstellers vom 22.10.2002 hat das Amtsgericht Gera durch Beschluss vom 24.06.2003 den Beschluss des Amtsgerichts Gera vom 23.07.2003 dahin abgeändert, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Antragsteller übertragen wird.

Das Familiengericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen M. B., M. R. und P. B. (wegen des Ergebnisses wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 26.11.2002, Bl. 23-26 d.A.) und zu der Frage, bei wem der Aufenthalt des Kindes L. in der Zukunft festgeschrieben werden soll, beim Antragsteller oder bei der Antragsgegnerin, durch Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens (wegen des Ergebnisses wird auf das Gutachten der Sachverständigen D. vom 29.04.2003, Bl. 33-47 d. A., Bezug genommen).

An dem Umgangswochenende nach dem 24.06.2003 wechselte L. in den Haushalt des Antragstellers. In der Folgezeit trennte sich die Antragsgegnerin von ihrem Lebensgefährten T. G. und lebt seitdem mit ihrem achtjährigen Sohn P. allein.

Die Antragsgegnerin hat gegen den ihr am 10.07.2003 zugestellten Beschluss mit einem bei dem Beschwerdegericht am 06.08.2003 eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Diese hat sie mit einem am 04.09.2003 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Gera vom 24.06.2003 und beantragt dessen Aufhebung.

Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, und verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.

Der Senat hat das Kind L. am 11.03.2004 angehört (wegen des Ergebnisses wird Bezug genommen auf das Anhörungsprotokoll).

II.

Die befristete Beschwerde ist statthaft (§ 621 e Abs. 1 ZPO) und auch im Übrigen in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden; insbesondere ist sie fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 621e Abs. 3, 517, 520 Abs. 2 ZPO).

Die Beschwerde ist auch begründet.

Das Amtsgericht hat zu Unrecht den Beschluss des Amtsgerichts Gera vom 23.07.2002 dahin abgeändert, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Antragsteller übertragen wird.

Nach § 1696 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht eine Sorgerechrechtsregelung abzuändern, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig angezeigten Gründen angezeigt ist.

Abänderungsgründe i. S. des § 1696 Abs. 1 BGB müssen nach der Erstentscheidung eingetreten oder bekannt geworden sind und die mit einer Änderung verbundenen Nachteile deutlich überwiegen (OLG Karlsruhe, FamRZ 1998, 1046-1047; OLG Stuttgart, FamRZ 1978, 827-829, Palandt/ Diederichsen, BGB, 62. Auflage 2003, § 1696 Rdn. 16; FA-FamR/ Oelkers, 4. Auflage 2002, 4. Kap. Rdn. 438). Da ausschließlich das Wohl des Kindes maßgebend ist, ist die Änderung weder mit dem Interesse eines beteiligten Elternteils noch ausschließlich mit einem entsprechenden Wunsch des Kindes zu begründen. Sinn und Zweck des Abänderungsverfahrens ist nämlich nicht, eine frühere Sorgerechtsentscheidung nach Erschöpfung des Rechtsweges nochmals zu überprüfen, sondern sie unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls an zwischenzeitliche, wesentliche Veränderungen anzupassen. Die Umstände, die für die Erstregelung maßgebend gewesen waren, müssen sich somit erheblich geändert haben oder aber wichtige Umstände nachträglich bekannt geworden oder neu eingetreten sein (OLG Karlsruhe, FamRZ 1998, 940-941; OLG Bamberg, FamRZ 1990, 1135, 1136; FA-FamR/ Oelkers, a.a.O., 4. Kap. Rdn. 439).

Nach Auffassung des Senats kann ein triftiger, das Kindeswohl nachhaltig berührender Abänderungsgrund vorliegen, wenn der sorgeberechtigte Elternteil sich als schlechthin erziehungsungeeignet offenbart, indem er das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung wiederholt verletzt.

Nach § 1631 Abs. 2 BGB sind körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen unzulässig. Die Entwürdigung kann in der Art der Maßnahme begründet sein oder in dem Ausmaß und ihrer Dauer bzw. in den Begleitumständen, z. B. Einsperren im Dunkeln (Senatsbeschluss vom 10.03.2003 = FamRZ 2003, 1319, 1320 m.w.N.). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.

Nach dem Ergebnis der familiengerichtlichen Ermittlungen steht zur Überzeugung des Senats folgendes Vorkommnis fest: Am 30.09.2002, als L. weinte, schickte sie der damalige Lebensgefährte der Antragsgegnerin in den zur Wohnung der Antragsgegnerin gehörenden Wäschetrockenraum, damit sie sich dort beruhigen sollte. Der Trockenraum blieb unverschlossen, er befindet sich 5 Meter entfernt von der Wohnung, auf derselben Etage. Nach ca. 2 Minuten beruhigte sich L.. Die Antragsgegnerin ging zu L., um sie in die Wohnung zurückzuholen. Die Nachbarin Frau B. hatte bemerkt, dass L. im Trockenraum war, öffnete die Tür und stellte fest, dass die Antragsgegnerin bereits bei ihrer Tochter war. Die Antragsgegnerin verließ mit L. den Trockenraum und ging zurück in die Wohnung.

Der Senat stützt sich auf die Aussagen der Zeugen B., R. und B.. Die Zeugin B. hat bekundet, sie habe nicht festgestellt, dass L. im Wäscheboden eingeschlossen gewesen sei. Das habe ihr nur die Zeugin B. erzählt. Diese habe gesagt, dass L. im Wäscheboden gewesen sei, der Wäscheboden sei aber offen gewesen und sie habe L. da herausholen wollen, allerdings sei die Antragsgegnerin dort gewesen und habe L. dann mitgenommen. Die Zeugen R. und B. haben übereinstimmend bekundet, dass der Lebensgefährte der Antragsgegnerin mit den Kindern sehr streng sei. Die Zeugin R. hat aber ausgesagt, sie habe kein Wegsperren der Kinder festgestellt.

Der Senat hat bereits erhebliche Zweifel, ob in dem Vorfall vom 30.09.2002 eine Verletzung des Rechts von L. auf gewaltfreie Erziehung zu sehen ist, da der Trockenraum nicht verschlossen war und die Antragsgegnerin nach nur zwei Minuten L. wieder in die Wohnung zurückgeholt hat. Jedenfalls liegt keine Abänderungsgrund i. S. des § 1696 Abs. 1 BGB vor, da sich dieser Vorfall nicht wiederholt hat. Eine Wiederholung ist zudem ausgeschlossen, da die Antragsgegnerin die Beziehung zu dem damaligen Lebensgefährten beendet hat.

Weitere Abänderungsgründe sind nicht ersichtlich.

Keine der vernommenen Zeugen hat die Behauptung des Antragstellers, der Lebensgefährte der Antragsgegnerin habe L. geschlagen, bestätigt.

Die von der Sachverständigen beantwortete Frage, bei wem der Aufenthalt des Kindes L. in der Zukunft festgeschrieben werden soll, beim Antragsteller oder bei der Antragsgegnerin, stellt sich im Abänderungsverfahren nicht. Im Rahmen der Gutachtenerstattung hat die Sachverständige auch sonst auf keine i. S. des § 1696 Abs. 1 BGB erheblichen Umstände hingewiesen. Sie hat lediglich ausgeführt, dass eher Herr H. als Frau W. zu einer adäquaten, altersgemäßen Förderung und Erziehung der Tochter in der Lage zu sein scheine, L. eine positive Bindung zu beiden Elternteilen besitze, sie in Bezug auf physische und psychische Nähe derzeit eher zu ihrem Vater tendiere und bei ihm Sicherheit und Geborgenheit suche. Dies mag der Fall sein, stellt aber keinen Abänderungsgrund dar.

Die Kostentscheidung folgt aus §§ 131 Abs. 3 KostO, 13a FGG.

Der Beschwerdewert bestimmt sich nach §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 1 KostO.



Ende der Entscheidung

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