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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 15.01.2004
Aktenzeichen: 1 Ws 396/03
Rechtsgebiete: StGB, StPO, JGG


Vorschriften:

StGB § 57
StPO § 454b Abs. 3
JGG § 88
Auch beim Zusammentreffen von Jugend- und Freiheitsstrafe ist eine Sachentscheidung über die Aussetzung der restlichen Freiheitsstrafe erst dann zu treffen, wenn entweder gemeinsam über die Aussetzung beider Reste entschieden werden kann oder - bei fehlender Aussetzbarkeit des Jugendstrafrestes -, wenn der Zeitpunkt der möglichen Entlassung für die Beurteilung der Entlassungssituation nahe genug bevor steht (Anschluss an OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 95).
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

1 Ws 396/03

In dem Strafvollstreckungsverfahren

wegen besonders schweren Fall des Diebstahls

hier: bedingte Entlassung nach § 57 Abs. 1 StGB

hat auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Meiningen vom 19. November 2003 der 1. Strafsenat des Thüringer Oberlandesgerichts durch

Richter am Oberlandesgericht Dr. Schwerdtfeger als Vorsitzenden, Richterin am Amtsgericht stVDir Pesta und Richterin am Landgericht Diedrich

am 15. Januar 2004

beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Landgerichts Meiningen - Strafvollstreckungskammer - vom 19.11.2003 wird aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zu Last.

Gründe:

I.

Der Verurteilte verbüßt seit dem 09.09.2003 eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr aus dem Urteil des Amtsgerichts Eisenach vom 01.09.2003 (Az.: 212 Js 45626/03 1 Ls jug.), die unter Anrechnung der in diesem Verfahren vollzogenen Untersuchungshaft am 21.03.2004 vollständig vollstreckt sein wird. Zwei Drittel der Strafe waren am 19.11.2003 verbüßt. Mit Beschluss vom 19.11.2003 lehnte die Strafvollstreckungskammer eine Reststrafenaussetzung zur Bewährung ab.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 01.12.2003 eingegangene sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 26.11.2003.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO zulässig, auch frist- und formgerecht eingelegt. Das Rechtsmittel des Verurteilten führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Mit Beschluss vom 22.10.2003, rechtskräftig seit dem 07.11.2003, hat das Amtsgericht Eisenach im Verfahren 101 Js 43950/00 1 Ls jug. die mit Urteil vom 29.06.2000 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung der verhängten Jugendstrafe von zwei Jahren widerrufen, von der noch ca. sechs Monate Reststrafe zu vollstrecken sind. Nach telefonischer Mitteilung des Amtsgerichts Eisenach wird die Vollstreckung alsbald eingeleitet werden. Nach Unterbrechung der Strafvollstreckung in dem vorliegenden Verfahren wird dann zunächst dieser Strafrest zu vollstrecken sein.

Da eine bedingte Entlassung dem Verurteilten grundsätzlich die Freiheit verschaffen muss, weil andernfalls nicht erprobt werden kann, ob er außerhalb des Vollzugs keine Straftaten mehr begehen wird, steht der Aussetzung die Anschlussvollstreckung einer Freiheitsstrafe wegen einer anderen Tat solange entgegen, bis über die Aussetzung aller Strafreste entschieden werden kann (vgl. LK-Gribbohm, StGB, 11. Aufl., § 57 Rdnr. 13; S/S-Stree, StGB, 26. Aufl., § 57 Rdnr. 8). Auch kann die Sozialprognose über die zukünftige Legalbewährung bei der Vollstreckung mehrerer Freiheitsstrafen sinnvoll nur einheitlich gestellt werden (KK-Fischer, StPO, 5. Aufl., § 454b Rdnr. 1). Das prozessuale Mittel zur Herbeiführung der gleichzeitigen Entscheidung über die Aussetzung sämtlicher Strafreste ist beim Zusammentreffen des Vollzugs mehrerer Freiheitsstrafen § 454b StPO, der - zwingend - in Absatz 3 die Sachentscheidung erst vorsieht, wenn über die Reste aller Strafen befunden werden kann, das heißt regelmäßig erst vor dem Ende der letzten Anschlussvollstreckung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 454b Rdnr. 6; KMR-Paulus, StPO, § 454b Rdnr. 35 f.). Auch wenn bei dieser Entscheidung die Voraussetzungen des § 57 StGB für jede der Freiheitsstrafen gesondert zu prüfen sind, erfordert dies eine für die Prognoseentscheidung anzustellende Gesamtschau, der die Umstände zur Zeit der gleichzeitigen Entscheidung zugrunde zu legen sind (Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 454b Rdnr. 3 und 6). Vorweg genommene Einzelentscheidungen, die bei der Beurteilung der Prognose auf den jeweiligen Zeitpunkt ihres Erlasses abstellen müssen und möglichen nachfolgenden Veränderungen nicht Rechnung tragen können, lässt das Gesetz mithin bei der Anschlussvollstreckung von Freiheitsstrafen nicht zu.

Zwar gilt § 454b StPO nicht für den vorliegenden Fall, in dem eine Freiheitsstrafe zur anschließenden Vollstreckung einer Jugendstrafe zu unterbrechen ist (vgl. KK-Fischer, StPO, 5. Aufl., § 454b Rdnr. 3; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 454b Rdnr. 1) und nicht nach den §§ 89a Abs. 3, 85 Abs. 6 JGG eine Vollstreckungsabgabe an die Staatsanwaltschaft erfolgte, womit die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer auch für die Entscheidung über die Restaussetzung der Jugendstrafe begründet worden wäre (vgl. dazu: KMR-Paulus, StPO, § 462a Rdnr. 7). Jedoch sind die Anforderungen für die Annahme einer günstigen Sozialprognose in § 57 StGB und § 88 JGG sachlich im Wesentlichen gleich (vgl. Ostendorf, JGG, 6. Aufl., § 88 Rdnr. 5 ff.), so dass die Prognoseentscheidung bei im Anschluss vollstreckter Freiheits- und Jugendstrafe grundsätzlich nicht unterschiedlich ausfallen kann. Deshalb ist auch beim Zusammentreffen von Jugend- und Freiheitsstrafe eine Sachentscheidung über die Aussetzung der restlichen Freiheitsstrafe erst dann zu treffen, wenn entweder gemeinsam über die Aussetzung beider Reste entschieden werden kann oder - bei fehlender Aussetzbarkeit des Jugendstrafrestes -, wenn der Zeitpunkt der möglichen Entlassung für die Beurteilung der Entlassungssituation nahe genug bevor steht (OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, S. 95 f.). So verweist auch § 89a Abs. 1 Satz 5 JGG auf § 454b Abs. 3 StPO mit dem Ziel, dass auch bei getrennten Vollstreckungszuständigkeiten - wie im vorliegenden Fall - über die Strafrestaussetzungen durch die Strafvollstreckungskammer bezüglich der Freiheitsstrafe und den Jugendrichter hinsichtlich der Jugendstrafe in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang entschieden wird (vgl. KMR-Paulus, StPO, § 454b Rdnr. 9).

Damit ist eine Sachentscheidung hinsichtlich der Aussetzung der Freiheitsstrafe zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht, da auf Grund der anstehenden Vollstreckung der Restjugendstrafe der Zeitpunkt für eine mögliche Entlassung noch nicht erreicht ist und noch nicht beurteilt werden kann, ob es zu verantworten ist, den Verurteilten im Rahmen einer Strafaussetzung zu erproben. Es sind die weitere Entwicklung des Verurteilten im Vollzug und die Entlassungsbedingungen nach Verbüßung der Restjugendstrafe abzuwarten.

Dies führt dazu, dass der angefochtene Beschluss auf Grund der erforderlichen Anschlussvollstreckung aufzuheben war. Das die Vollstreckung derzeit noch nicht eingeleitet ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung (vgl. Senatsbeschluss vom 22.12.2003, Az.: 1 Ws 391/03)

Da der angefochtene Beschluss aufzuheben war und die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB bereits bei seinem Erlass nicht vorlagen, waren die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Verurteilten - ungeachtet dessen, dass er mit seinem Rechtsmittel eine in der Sache für ihn günstigere Entscheidung in Form der vorzeitigen Entlassung aus der Strafhaft nicht erreicht hat - der Staatskasse aufzuerlegen.

Ende der Entscheidung

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