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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 26.11.2008
Aktenzeichen: 4 U 428/07
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 29 c
BGB § 312
1. Für Klagen aus Versicherungsverträgen besteht kein besonderer Gerichtsstand für Haustürgeschäfte; § 29 c ZPO ist in diesen Fällen nicht anwendbar. Insoweit hat sich durch das SchuRModG nichts an der alten Rechtslage geändert. Auch nach §§ 6, 7 HWiG bestand nach altem Recht kein besonderer Verbrauchergerichtsstand für Klagen aus Versicherungsverträgen.

2. Das gilt erst recht, wenn der Versicherungsvertrag durch einen Makler vermittelt worden ist. In diesen Fällen fehlt es schon an einer Haustürsituation im Sinne des § 312 Abs. 1 BGB. Denn der Makler steht nicht wie der Versicherungsagent im Lager des Versicherers.

3. Erst durch die Neuregelung des Versicherungsvertragsgesetzes wird durch § 215 Abs. 1 VVG (n.F.) ab 01.01.2009 ein solcher Verbrauchergerichtsstand auch für Klagen aus Versicherungsverträgen begründet.

4. In der Rechtsmittelinstanz kann ein Verweisungsantrag nach § 281 ZPO dann nicht mehr gestellt werden, wenn das mit der einzigen Berufungsrüge, das Erstgericht habe seine (örtliche) Zuständigkeit zu Unrecht verneint, weil § 29 c ZPO auch für Klagen des Versicherungsnehmers aus einem Versicherungsvertrag anwendbar sei, angegriffene Urteil (1. Instanz) wegen zutreffender Rechtsanwendung nicht aufgehoben werden kann.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 428/07

Verkündet am: 26.11.2008

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Müller, Richterin am Oberlandesgericht Friebertshäuser und Richterin am Amtsgericht Hütte

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26.11.2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Gera vom 17.04.2007 - 6 O 1333/06 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Klägerin zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert der Berufung beträgt 17.000,- €.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt als Begünstigte einer von ihrem verstorbenen Ehemann abgeschlossenen Lebensversicherung die Beklagte aus dieser Versicherung auf Leistung in Anspruch. Der Vertrag wurde durch einen Versicherungsmakler vermittelt. Der Versicherungsvertrag wurde in den Privaträumlichkeiten des Ehemannes der Klägerin geschlossen. Die Parteien streiten u.a. darüber, ob der Klägerin unrichtige Angaben ihres Ehemannes als vorvertragliche Obliegenheitsverletzungen leistungsausschließend angelastet werden können - die Beklagte ist deswegen mit Schreiben vom 25.01.2007 vom Vertrag zurückgetreten - und ob das angerufene Landgericht Gera erstinstanzlich örtlich zuständig ist. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 17.04.2007 als unzulässig abgewiesen; das angerufene Landgericht Gera sei weder nach § 29 c ZPO, noch nach § 48 VVG oder § 17 ZPO örtlich zuständig.

Mit ihrer Berufung rügt die Klägerin das Prozessurteil als rechtsfehlerhaft. Das Landgericht Gera sei nach § 29 c ZPO örtlich zuständig, da der Klageanspruch auf einem Haustürgeschäft beruhe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LG Gera vom 17.04.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 17.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 30.06.2004 zu zahlen;

hilfsweise das Urteil des LG Gera vom 17.04.2007 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen;

weiter hilfsweise, unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen.

Im Übrigen beantragt die Klägerin wegen divergierender obergerichtlicher Entscheidungen zu § 29 c ZPO,

die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt - unter Verteidigung des angefochtenen Urteils -

die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 511, 517, 519, 520 Abs. 2, 3 ZPO); sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Das Prozessurteil des Landgerichts ist nicht zu beanstanden, die Klage zu Recht wegen örtlicher Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts abgewiesen worden. Zutreffend hat das Ausgangsgericht vorliegend eine Anwendbarkeit des § 29 c ZPO verneint. Besteht daher der mit der Berufung allein gerügte Rechtsfehler nicht, scheidet eine Aufhebung des erstinstanzlichen Prozessurteils damit aus, kommt auch eine Zurück- oder Weiterverweisung an das erstinstanzlich örtlich zuständige Gericht nicht (mehr) in Betracht.

Im Einzelnen gilt Folgendes.

Nach Auffassung des Senats besteht - in Übereinstimmung mit der (noch) h.M. - bei Klagen aus Versicherungsverträgen kein besonderer Gerichtsstand für Haustürgeschäfte nach § 29 c ZPO. Dies beruht darauf, dass diese Vorschrift durch das SchRModG an die Stelle des § 7 HWiG getreten ist. Da § 6 des HWiG die Vorschriften dieses Gesetzes für Versicherungsverträge ausschloss, bestand bis zum SchRModG auch in der Rechtsprechung Einigkeit darüber, dass es - neben § 48 VVG - keinen (sog.) Verbrauchergerichtsstand am Wohnsitz des Versicherungsnehmers gab. Daran hat sich nach Auffassung des Senats auch nichts durch die Auflösung des HWiG - durch das SchRModG - und deren Eingliederung in das BGB geändert. Lediglich mit kleineren redaktionellen Änderungen ist an Stelle des § 7 HWiG § 29 c ZPO getreten. Durch die Verweisung auf § 312 BGB (insgesamt) und nicht etwa nur auf § 312 Abs. 1 Satz 1 BGB, der eine Legaldefinition des sog. "Haustürgeschäfts" enthält, hat der Gesetzgeber klargestellt, dass es bei der alten Regelung verbleiben sollte. Das ergibt sich jedenfalls zwingend und eindeutig aus der für die Auslegung des § 29 c ZPO maßgeblichen Regelungstechnik, wonach zunächst auf den Gesetzeswortlaut, im Übrigen auf den Gesetzgebungszweck abzustellen ist. Dem Wortlaut nach ist damit auch der Abs. 3 des § 312 BGB in die Verweisung einbezogen, was bedeutet, dass für Versicherungsverträge ein Widerrufsrecht bei Haustürsituationen nicht besteht.

Im Übrigen hat der Gesetzgeber im Verhältnis des § 29 c ZPO und § 312 BGB dieselbe Regelungstechnik verwendet, wie sie bereits bei §§ 1 und 7 HWiG bestand. § 7 HWiG sprach von "Klagen aus Geschäften im Sinne des § 1". Letzterer regelte ein Widerrufs- und Rückgaberecht (des Verbrauchers) für durch eine Haustürsituation zustande gekommene Verträge. Das Gleiche gilt für § 29 c ZPO, der für "Klagen aus Haustürgeschäften" (§ 312 BGB) den Gerichtsstand des Verbrauchers zulässt (so auch und ausf. OLG München v. 30.05.2006; zit. nach juris; ebenso LG Berlin VersR 2005, 1259). Nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Regierungsfraktionen vom 14.05.2001 (BT-Drucks. 14/6040) sollte in den (nunmehrigen) Abs. 3 des § 312 BGB die bisher in § 6 HWiG geregelte Ausnahme für Versicherungsverträge eingefügt werden (vgl. BT-Drucks. aaO S. 167). Dem entspricht auch die Begründung zu § 29 c ZPO n.F. Dessen Verschiebung in die ZPO wird nur damit begründet, dass § 7 HWiG als ausschließlich verfahrensrechtliche Norm anders als der restliche Inhalt des Haustürwiderrufsgesetzes nicht in das BGB integriert werden könne. Die Neufassung schützt den Verbraucher also nur in dem Umfang wie bisher, sollte diesem also keinen weiteren Gerichtsstand für seine Klagen gegen den Versicherer einräumen.

Die gegenteiligen landgerichtlichen Entscheidungen, die der Klägervertreter ins Feld führt (LG Landshut NJW 2003, 1197 und LG Traunstein r + s 2005, 139; 2006, 88), überzeugen nicht. Sie stellen begründungslos darauf ab, dass der Ausschluss des Widerrufsrechts am Haustürgeschäft und damit an der Anwendbarkeit des § 29 c ZPO nichts ändere. In diesem Sinne führt auch das OLG Frankfurt in seinem Beschluss v. 03.02.2005 (Az: 21 AR 150/04) lediglich aus: "Dass § 1 Abs. 2 HWiG a.F: das Widerrufsrecht des Verbrauchers für bestimmte Fälle ausschließt, ändert nichts daran, dass es sich um ein von § 1 Abs. 1 HWiG a.F. definiertes Haustürgeschäft handelt, für das § 29 c ZPO unabhängig von seinem sachlich-rechtlichen Widerrufsrecht gilt."

Die überwiegend der Auffassung des OLG Frankfurt und der Landgerichte Landshut sowie Traunstein folgende Kommentarliteratur (Zöller, 26. Aufl., Rn. 4 zu § 29c; Thomas/Putzo, 27. Aufl., Rn. 1 zu § 29c; Baumbach/Lauterbach, 66. Aufl., Rn. 3 zu § 29c;) lässt ebenfalls jegliche Begründung vermissen. Nur Stein/Jonas (22.Aufl., Rn. 5 zu § 29c) versucht sich mit einem Argumentationsansatz und stellt darauf ab, dass das Prozessrecht nicht mit der materiellen Rechtsfrage der Widerrufbarkeit belastet werden sollte. Eine dogmatische Begründung stellt diese Argumentation aber auch nicht dar. Sie verkennt zudem, dass für eine Anwendung des § 29 c ZPO jedenfalls die - oftmals streitige - Frage der Vorlage eines von § 312 Abs. 1 Satz 1 BGB definierten Haustürgeschäftes geprüft und (positiv) festgestellt werden muss. Lässt sich damit die Feststellung sog. doppelrelevanter Tatsachen bereits auf der Zulässigkeitsebene ohnehin nicht vermeiden, kann nur der - ausführlich und gut begründeten - Auffassung des OLG München und nicht den "begründungslosen Abweichlern" gefolgt werden.

Ferner scheidet vorliegend schon aus dem Umstand, dass hier kein typisches Haustürgeschäft im Sinne des § 312 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegt, die Anwendbarkeit des § 29 c ZPO aus. Unstreitig ist der streitgegenständliche Lebensversicherungsvertrag durch Herrn Sch. vermittelt worden. Die Klägerin hat selbst vorgetragen, bei diesem handele es sich um einen Versicherungsmakler. Geht in einer - ansonsten gegebenen - Haustürsituation die Einwirkung auf den Verbraucher (hier Versicherungsnehmer) nicht von dem Vertragspartner aus - der Makler ist nicht wie ein Versicherungsagent des Versicherers dem Lager des Versicherungsunternehmens zuzurechnen - ist auf die zu § 123 BGB entwickelten Grundsätze zurückzugreifen (BGH WM 2003, 61; BGH NJW 2004, 2731; BGH NJW-RR 2004, 1126). Das bedeutet, dass ein Haustürgeschäft im Sinne des § 312 Abs. 1 BGB nur dann anzunehmen ist, wenn der Vertragspartner, also das Versicherungsunternehmen, wusste oder wissen musste, dass der Vertrag in einer Haustürsituation vorbereitet oder abgeschlossen worden ist.

Diesbezüglich mangelt es an einem entsprechenden Klägervortrag, so dass von dem Normalfall eines nicht dauernd von dem Versicherer mit der Vermittlung von Versicherungsverträgen betrauten Versicherungsmaklers auszugehen ist. Dieser kann einem für das Versicherungsunternehmen tätigen Versicherungsagenten nicht gleichgestellt werden. Im Entscheidungsfall scheidet daher auch aus diesem Grund bereits eine Anwendbarkeit des § 29 c ZPO aus. Gleiches gilt für die Nichtanwendbarkeit des § 48 VVG.

Im Übrigen wird diese Auffassung des Senats auch durch die - auf Altverträge erst ab dem 01.01.2009 Anwendung findende - Neuregelung des § 215 Abs. 1 VVG (n.F.) untermauert. Mit dieser Neuregelung hat der Gesetzgeber für alle Klagen aus dem Versicherungsvertrag (oder der Versicherungsvermittlung) den besonderen Gerichtsstand des Wohnorts des Versicherungsnehmers eingeführt. In der amtlichen Begründung zu dieser Neuregelung heißt es, der bisherige § 48 VVG habe in der Vergangenheit zu Unklarheiten und Streitigkeiten geführt. Ferner wurde als weiterer Grund die Unklarheit bei durch Versicherungsmakler zustande gekommenen Verträgen genannt. Zwar ist weiter ausgeführt, "ob § 29 c ZPO auf Versicherungsverträge Anwendung findet, ist jedenfalls nicht eindeutig, da ein Widerrufs- und Rückgaberecht bei Versicherungsverträgen nicht besteht (§ 312 Abs. 3 BGB)". Die Begründung hebt aber ausdrücklich darauf ab, dass der prozessuale Rechtsschutz des Verbrauchers erheblich gestärkt und über die Haustürgeschäfte hinaus erweitert werden sollte (vgl. BT-Drucks. 16/3945 v. 20.12.2006).

Da es diesen Verbrauchergerichtsstand im alten VVG (noch) nicht gab, kann angenommen werden, dass § 29 c ZPO nur in der Fortschreibung des § 7 HWiG Anwendung finden sollte.

Auch ist der (weitere) Hilfsantrag - auf Verweisung an das örtlich zuständige (erstinstanzliche) Gericht - zurückzuweisen. Nach ständiger Rechtsprechung ist im Rechtsmittelverfahren eine - die gleichzeitige Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils erfordernde - Verweisung des Rechtsstreits an das örtlich oder sachlich zuständige Gericht des ersten Rechtszuges nur möglich, sofern die Unzuständigkeit des Erstgerichts noch geltend gemacht werden kann (Vgl. BGHZ 10, 155, 163; BGH MDR 1989, 41 = NJW-RR 1988, 1405; BGH MDR 2005, 265, 266; ebenso Zöller-Greger, 26. Aufl. § 281 Rz 9).

Das ist hier aber aus den vorgenannten Gründen gerade nicht der Fall. Nach § 513 ZPO kann die Berufung nur auf Rechtsfehler und auf - nicht auf Rechtsfehlern beruhende - unrichtige Tatsachenfeststellungen gestützt werden. Die hier allein in Betracht zu ziehende Frage der Rechtsfehlerhaftigkeit des (Prozess)Urteils erfordert, dass eine - hier verfahrensrechtliche - Norm nicht oder nicht richtig angewendet wurde (vgl. § 546 ZPO). Nach Auffassung des Senats hat das Erstgericht aber die Verfahrensnorm des § 29 c ZPO hier richtig angewendet, so dass, hierauf ist die Berufungsrüge allein gestützt, das angefochtene Urteil nicht wegen fehlerhafter Anwendung des § 29 c ZPO aufgehoben werden kann. Ist das Rechtsmittelgericht mithin an die zu Recht vom Gericht 1. Instanz angenommene Unzuständigkeit gebunden, kann es das zutreffende Prozessurteil 1. Instanz auch nicht aufheben. Dies wäre aber (s.o.) Voraussetzung für eine Verweisung an das örtlich zuständige Gericht 1. Instanz.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO; die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nach Auffassung des Senats nicht gegeben (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die teilweise abweichenden Meinungen zu § 29 c ZPO rechtfertigen hier keine Revisionszulassung, weil im vorliegenden Fall schon keine Haustürsituation im Sinne von § 312 Abs. 1 Satz 1 BGB vorgelegen hatte (s.o.).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 2, 63 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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